Protokoll der Sitzung vom 11.09.2009

Wie sagte noch der ehemalige Ministerpräsident Wolfgang Clement? – Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten:

Die Tarifhoheit ist heilig. Die Politik soll ihr fern bleiben.

Wolfgang Clement hatte und hat recht. Aber die SPD will mit ihm ja nichts mehr zu tun haben.

Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer, seit dem Eingang des SPD-Antrags zu diesem Fall hat sich einiges ereignet und verändert. So ausgesprochen schwierig – und das ist ohne Zweifel so – die Situation der ausgesperrten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist – das war in dem informellen Gespräch nach der Ausschusssitzung mehr als zu spüren –, so sehr wünsche ich diesem Personal, dass der Arbeitskampf sehr bald beendet ist.

Die für uns entscheidenden Fragen sind aber: Leiden unter diesem Arbeitskampf die Patienten, die betroffenen Menschen in der Klinik? Wird die Aufsicht auf der unteren und oberen Ebene sorgfältig wahrgenommen? Das ist die Aufgabe, für die wir hier im Landtag zuständig sind.

Hier bleibt festzuhalten: Trotz des Arbeitskampfes sind die Klinikleitung, die Ärzte, das medizinische Personal und auch die Leiharbeiter mit Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt an der Arbeit. Nach Auskunft der Bezirksregierung in Detmold hat es in der Klinik drei Ortsbesichtigungen gegeben. Alle waren unangemeldete Prüfungen. Sie fanden am 18.06.2009, am 14.08.2009 und in der letzten Woche, am 3. September, statt. Nochmals: Alle Besuche waren unangekündigt, und es gab keinerlei Grund zu Beanstandungen. Das ist die Wahrheit.

Die Aufsicht wird mit großer Aufmerksamkeit vorgenommen. Dies gilt insbesondere für die Absicherung der Patientenversorgung. Sie ist nach den Ergebnissen und der Auskunft der Aufsichtsbehörden jederzeit sichergestellt; dazu liegen schriftliche Berichte vor. Das Personal leistet hier also eine verlässliche Arbeit. Das ist heute so, und das war auch in der Vergangenheit so. Es ist wahrlich keine leichte Arbeit, die das Personal täglich leistet, und deswegen sollte man auch den ausgesperrten Mitarbeitern hier an dieser Stelle den Respekt vor der Arbeit der letzten Jahre aussprechen.

Wir können festhalten: Die Aufsichtsbehörden nehmen ihre Aufgabe untadelig, objektiv und initiativ wahr. Bei der ersten anonymen Anzeige wegen angeblicher Missstände waren die Aufsichtskräfte des Kreises Lippe, durch die Bezirksregierung geschickt, innerhalb von 24 Stunden draußen.

Was wird geprüft? – Neben der Patientenversorgung werden auch die Dienstpläne überprüft. Nach der Feststellung der Prüfungsstellen werden überwiegend auch bei den Leiharbeitskräften examinierte Kräfte für die Arbeit eingesetzt. Es gibt keine – wie suggeriert – zusätzlichen Fixierungen nach richterlicher Anordnung. Ein bisschen mehr Kirchturmsblick hier würde also nicht schaden.

Die Klinikleitung ist in diesem außergewöhnlichen Arbeitskampf offensichtlich bemüht, die Fachlichkeit zu sichern. Das ist natürlich auch ihre Aufgabe. Dass sie dies mit Leiharbeit organisiert, ist für die

streikenden Arbeitnehmer natürlich unerfreulich, da sie ein wesentliches Druckmittel des Streiks verlieren und zumindest geschwächt werden. Über diesen Punkt muss man sich sicherlich an anderer Stelle unterhalten.

Für die Versorgung der Menschen, der Patienten, ist dies aber von entscheidender Bedeutung. Die Klinikleitung hat in der ersten Phase des Arbeitskampfes mit acht Leiharbeitsfirmen, zuletzt mit vier, gearbeitet. Meines Erachtens ist das ein Indiz dafür, dass sorgfältig nach geeigneter Qualität gesucht wird. Examinierte Krankenpflegerinnen werden gesucht, und diese hat man auch gefunden.

Aber: Die Prüfung der Qualität der Arbeit obliegt den Aufsichtsbehörden. Da mehrfach, wie ich schon sagte, unvermutet geprüft wurde, ist festzuhalten, dass trotz Streik und Aussperrung die Qualität der medizinischen Versorgung gewährleistet ist; der offene Brief der Mediziner aus Bad Salzuflen unterstreicht dies.

In der Vergangenheit waren wir uns im Landtag immer fraktionsübergreifend darin einig, dass wir uns aus aktuellen Tarifauseinandersetzungen heraushalten, dass wir uns nicht einmischen. Das sollte auch heute so bleiben. Wir sollten die ausgesperrten Beschäftigten nicht für Wahlkampfzwecke instrumentalisieren, sondern alle Beteiligten

(Beifall von CDU und FDP)

rund um den Arbeitskampf zu Besonnenheit auffordern. Das tue ich an dieser Stelle ausdrücklich. Ich fordere die Beteiligten auf: Sprechen Sie miteinander! Es ist Zeit, dass dieser Arbeitskampf beendet wird.

Wir werden Ihren heutigen Antrag in der vorliegenden Fassung nicht unterstützen. Wir werden im Ausschuss darüber sprechen. Mit dem SPD-Antrag wird zumindest in Teilen massiv in die Tarifhoheit eingegriffen.

Liebe Kollegen von der SPD, würde man Leiharbeitsverhältnisse in diesem engen Zusammenhang verbieten, müsste die Pflege über unbefristete Arbeitsverhältnisse sichergestellt werden. Dies kann nach Beendigung des Streiks und nach der Aussperrung zu einer erheblichen Kündigungswelle folgen. Ich will nur daran erinnern: Wenn man das diskutiert, dann sollte man sich auch diese Ende vor Augen halten. Das kann nicht im Interesse der Mitarbeiterinnen sein, die im Moment ausgesperrt sind.

Meine Damen und Herren von der SPD, Sie behaupten in Ihrem Antrag, dass Leiharbeitnehmer als Streikbrecher missbraucht werden,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Ja!)

obwohl vorhandene Tarifverträge dies explizit ausschließen.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Ja!)

Wenn ein vom Bad Salzufler Arbeitgeber unterzeichneter Tarifvertrag dies explizit ausschließt, frage ich mich, warum die Gewerkschaft das so abgesicherte Recht nicht unmittelbar gerichtlich durchsetzt. Diese Chance hat sie, und dazu würde ich sie dann auch auffordern. Irgendwie erscheint mir diese Argumentation, also das Verhalten von ver.di, inkonsequent.

Meine Damen und Herren von der SPD, die Klinikärzte haben sich in einem offenen Protestbrief über die Äußerung der Landtagskollegin Howe auf ihrer Homepage irritiert gezeigt. Sie fühlen sich in ihrer Berufsehre verletzt; Sie kennen diesen Brief. Liebe Kollegin Howe – ich sehe sie im Moment nicht; vielleicht ist sie aus wichtigem Grund verhindert –, Sie sollten den Ruf der Klinik und der medizinischen Mitarbeiter nicht gefährden. Haben Sie Ihre Homepage schon geändert? – Ich bitte die Kollegen der SPD, das weiterzugeben.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Berechtigte Interesse von Arbeitnehmern müssen durch die Gewerkschaften vertreten werden können, aber es muss im Interesse aller Beteiligten und von allen Beteiligten lösungsorientiert auf Fakten basiert gearbeitet werden, und da hat sich in Bad Salzuflen sicherlich etwas in die falsche Richtung entwickelt. Ich denke, da muss man als vernünftiger Mensch sehen, dass das vorangeht.

Wie halten wir uns aus dem Tarifstreit heraus? – Ich appelliere an alle Beteiligten: Setzen Sie sich an einen Tisch. Geben Sie sich gegenseitig wieder Vertrauen. Ich rate zu besonnenem Vorgehen.

Zum Abschluss noch einige grundsätzliche Feststellungen zur Arbeitnehmerüberlassung. Arbeitnehmerüberlassung bzw. Leiharbeit ist heute ein interessantes arbeitsmarktpolitisches Instrument. Im Aufschwung der Wirtschaft von 2005 bis 2008, also vor der großen Krise, hat uns die Arbeitnehmerüberlassung viele neue, zusätzliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze im Land gebracht. Das ist die Wahrheit.

Ich möchte ausdrücklich festhalten, dass viele der neuen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze, die in der Zeit vor der Bankenkrise entstanden sind, in dieser Branche generiert wurden. Leiharbeit hilft doch einerseits den Arbeitgebern und Unternehmen, auf atypische Kapazitätsnachfragen zu reagieren, andererseits sorgt sie im Aufschwung für neue Beschäftigung. Wir hoffen alle, dass der Aufschwung wieder kommt, und dann brauchen wir das dringend. In der Krise geht der Zug allerdings schneller – das muss man festhalten – zur anderen Seite. Das bedeutet, dass diese Arbeitnehmer sicher auch größeres Risiko tragen.

Wir werden froh sein, wenn die Konjunktur wieder anspringt und wir das wichtige Instrument der Arbeitnehmerüberlassung einsetzen können. Trotzdem ist Leiharbeit, Arbeitsüberlassung, ein guter

Eintritt für Arbeitslose zurück in den Arbeitsprozess. Die Klebeeffekte sind nach der Studie, die wir 2008 erhalten haben, zu bemerken.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: 15 %, Herr Kolle- ge!)

Aber sie sind da.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Überwiegend im Niedriglohnbereich!)

Meine Damen und Herren von der SPD, die in Ihrem Antrag geforderte Unterbindung von Ausgründungen von Betriebsbereichen in Gesundheitsunternehmen sowie die Unterbindung der Beauftragung von Zeit- und Leiharbeitsfirmen halte ich persönlich für lebens- und wirklichkeitsfremd. Wir können unternehmerisch notwendige Entscheidungen von Kliniken und anderen Gesundheitseinrichtungen nicht dermaßen einschränken. Sie haben auch nicht ernsthaft geglaubt, dass wir dort Ihrem Antrag entsprechen.

Ich komme zum Schluss und halte fest: Die Aufsichtsfunktion zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung in der Nervenklinik Dr. Spernau, die für die Bereiche Bad Salzuflen, Lemgo, Kalletal, Extertal, Barntrup, Dörentrup zuständig ist, wurde und wird jederzeit in vollstem Umfang wahrgenommen. Sowohl quantitativ als auch qualitativ ist es zu keinerlei Beanstandungen gekommen. Das wissen Sie aus den schriftlichen und mündlichen Berichten des Ministeriums. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Dr. Romberg.

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Das Thema Zeitarbeit und die Frage des angemessenen Einsatzes dieser Arbeitsverhältnisse beschäftigen uns in diesem Landtag zum wiederholten Mal.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Steter Tropfen höhlt den Stein!)

Die bisherigen Erkenntnisse will ich deshalb in Kürze zusammenfassen. Eine beträchtliche Zahl von Arbeitnehmern mit geringerer Qualifizierung wäre ohne Zeitarbeit dauerhaft vom klassischen Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Zeitarbeit hat gerade diese Gruppe immer wieder in Lohn und Brot gebracht.

Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten greifen Arbeitgeber bevorzugt auf Zeitarbeitsverhältnisse zurück, weil sie die Lage nicht überschauen können und lieber Zeitverträge abschließen, als sich festzulegen. Das ist auch eine Folge der immer noch sehr starren Kündigungsschutzregelungen, die vor allem

die schützen, die einen Job haben, aber die anderen benachteiligen.

Aus einer aktuellen Untersuchung des Statistischen Bundesamtes geht hervor, dass sich die flexiblen Erwerbsformen immer stärker etablieren und normale Arbeitsverhältnisse zurückgedrängt werden. Ich bin sicher, dass wir hier insgesamt zu einer sehr differenzierten Bewertung kommen müssen.

Zum einen gibt es sicher in Einzelfällen das Phänomen, dass Arbeitnehmern in Betrieben gekündigt wird und sie für einen geringeren Lohn über eine Zeitarbeitsfirma wieder bei ihren alten Arbeitgebern zum Einsatz kommen. Das ist selbstverständlich mehr als bedenklich. Aber bisher fehlt der Nachweis für eine flächendeckende Verbreitung.

Zum anderen stellt sich die Frage, welche Zukunft den klassischen Arbeitsverhältnissen angesichts sich verändernder Bedingungen der erwerbswirtschaftlichen Produktion von Gütern bzw. für das Erbringen von Dienstleistungen realistischerweise zukommt. Der Bundesverband Zeitarbeit hat erst vor wenigen Tagen erklärt, die Zeit der Vollzeitarbeitsverhältnisse und einer Betriebszugehörigkeit von über 40 Jahren sei in einer modernen Arbeitswelt passé. So sieht die Wirklichkeit häufig heute schon aus.

Selbstverständlich bevorzugt der größte Teil der Bevölkerung aus nahe liegenden Gründen unbefristete, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, weil sie für Sicherheit und Überschaubarkeit stehen. Man sollte sich aber trotzdem vor Augen führen, dass flexible Arbeitsverhältnisse früher oder später ein völlig normaler Bestandteil der Arbeitswelt werden können – für gering qualifizierte Beschäftigte ebenso wie für gut ausgebildete Akademiker.

Ich darf an dieser Stelle auf den Bericht der Zukunftskommission in Nordrhein-Westfalen unter der Leitung des verstorbenen Lord Dahrendorf erinnern – ich zitiere –:

Sicherheit wird in Zukunft weniger die Sicherheit eines bestehenden Arbeitsplatzes als vielmehr Beschäftigungssicherheit auf einem dynamischen Arbeitsmarkt sein. Es wird einen Paradigmenwechsel von Bestandssicherheit für einige zu Beschäftigungssicherheit für alle stattfinden müssen.

Gleichzeitig werden die Folgen der Flexibilität auch in diesem Bericht durchaus kritisch hinterfragt. Insbesondere der Bildung wird als einer Form der Befähigung für solche Arbeitsverhältnisse ein hoher Stellenwert zugesprochen. Sicher ist, dass wir hier erst am Anfang der Diskussion stehen, wie wir mit dem Thema Flexicurity als der Verbindung aus Flexibilität und Sicherheit vernünftig und zum Wohle aller Beteiligten umgehen.

Dagegen ist der Versuch der SPD, den Fall der Lippischen Nervenklinik zu instrumentalisieren mit dem Ziel, die Missbrauchsanfälligkeit der Zeitarbeit zu belegen, taktisch durchsichtig und sachlich höchst fragwürdig. Bislang gab es aufseiten der Aufsichtsbehörden – Kollege Kern hat darauf hingewiesen – keinen Beleg dafür, dass die dort im Bereich der Pflege zum Einsatz gekommenen Zeitarbeitnehmer die Patientensicherheit bzw. die Versorgungsqualität beeinträchtigen. Das wurde im Ausschuss klar und deutlich gesagt und uns Obleuten eben auch noch einmal bestätigt.

Außerdem ist es bemerkenswert, dass die SPD bei ihrem Engagement für Arbeitnehmer keineswegs so viel Gerechtigkeit walten lässt, wie sie sonst immer vorgibt. Nur so ist es zu erklären, dass Sie zusammen mit ver.di ausschließlich die Interessen der Streikenden im Auge haben und die der anderen schlichtweg ignorieren. Die Zeitarbeitnehmer wehren sich nun gegen den Vorwurf, sie seien nicht kompetent. So erwägt eine examinierte Krankenpflegerin und Rettungsassistentin eine Klage gegen ver.di wegen übler Nachrede. Auch andere Pflegekräfte aus der Klinik machen der Gewerkschaft heftige Vorwürfe. – Man ist immer gut beraten, beide Seiten zu sehen und erst dann zu einer Bewertung zu kommen.