Protokoll der Sitzung vom 04.11.2009

Ich möchte eine abschließende Bewertung der gesamten heutigen Stoßrichtung und Argumentationslinie der Oppositionsfraktionen vornehmen. – Wir haben einen Bundestagswahlkampf erlebt, in dem SPD und Grüne, stärker aber noch die SPD, fast vollständig darauf verzichtet haben, eigene Inhalte vorzutragen und für eigene Positionen zu werben. Wir haben einen reinen Antiwahlkampf gegen Schwarz-Gelb erlebt. Im Wesentlichen ist eine Angstkampagne gegen die FDP inszeniert worden. Dann würde – so wurde gesagt – der Eiseshauch des marktradikalen Neoliberalismus durch das Land wehen und alles Leben zum Erstarren bringen.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Frau Kollegin Kraft, die uns zwischenzeitlich abhandengekommen ist, hat sich – um mit Goethe zu sprechen – nicht entblödet, am letzten Wochenende auch noch die These zu formulieren, Schwarz-Gelb werde zu einer signifikanten Veränderung bei der Geburtenrate führen, weil sich junge Frauen in Zukunft angesichts der sie umgebenden Eiseskälte nicht mehr trauen würden, weiterhin Kinder in die

Welt zu setzen. – Das ist nun wirklich an Absurdität nicht zu übertreffen!

(Beifall von FDP und CDU – Widerspruch von Britta Altenkamp [SPD])

Das muss ich hier sagen dürfen. Ich finde es bemerkenswert, Frau Kollegin Altenkamp, dass die SPD aus dieser Klatsche bei der Bundestagswahl offenbar nichts gelernt hat.

(Beifall von der FDP)

Diese Angstkampagne gegen Schwarz-Gelb ist doch ins Leere gelaufen.

(Horst Becker [GRÜNE]: Minus 3 %!)

Wir haben mit 14,6 % das beste Wahlergebnis unserer Geschichte bekommen. Die Menschen lassen sich mit diesen Gruselgeschichten, die Sie vor der Wahl aufgetischt haben und die jetzt, nach der Wahl, offenbar noch einmal aufgewärmt werden sollen, nicht ins Bockshorn jagen.

(Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE])

Das kauft Ihnen niemand mehr ab – noch nicht einmal mehr die eigenen Leute. Deshalb sind doch frühere sozialdemokratische Wähler zu Hause geblieben. Sie können noch nicht einmal mehr die eigenen Leute mobilisieren. Die eigenen Mitglieder wenden sich ab. Persönlichkeiten wie Wolfgang Clement, der hier als letzter gewählter sozialdemokratischer Ministerpräsident die Regierungsgeschäfte geführt hat,

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

ruft zur Wahl der FDP auf!

(Beifall von der FDP)

Christian Lindner hat es zitiert: Peer Steinbrück wendet sich ab; er, der mit seiner etatistischen Politik gescheitert ist, die ihm auch ein Stück weit aufgezwungen worden ist.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Zur Wahrheit gehört eben auch: Wer hat das Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger verdreifacht? Schwarz-Gelb.

(Heike Gebhard [SPD]: Wer hat das denn in der letzten Legislaturperiode abgelehnt? – Die CDU und Sie auch! – Weitere Zurufe von der SPD)

Es kommt für Sie noch viel schlimmer, Frau Kollegin. Wir hatten das ja schon 2005 in unserem Koalitionsvertrag in Düsseldorf so verabredet.

(Horst Becker [GRÜNE]: Die Blaupause des Wahnsinns!)

Wir haben damals festgehalten, vor über viereinhalb Jahren, dass es eine Frage von Leistungsgerechtigkeit und damit auch von sozialer Gerechtigkeit ist, Menschen, die über Jahrzehnte hinweg vorgesorgt

haben und dann in berufliche Schwierigkeiten geraten, mehr von dem zu belassen, was sie vorher mit ihrer Hände Arbeit erwirtschaftet und für die Absicherung von Risiken zurückgelegt haben.

(Beifall von der FDP)

Sie haben davon doch immer nur fabuliert. Wir haben das gemacht. Das ist eben auch ein Markenzeichen unserer Koalition hier in Düsseldorf wie auch in Berlin.

Dazu gehört natürlich auch die wichtige Reform, die Hinzuverdienstmöglichkeiten zu erweitern. Wenn wir tatsächlich Menschen in den ersten Arbeitsmarkt reintegrieren wollen, geht das nur dadurch, dass wir die Marktzugangsbarrieren absenken und Anreize für reguläre Beschäftigung setzen.

Sie müssen uns nie wieder mit dem Vorwurf kommen, wir würden keine verantwortliche Sozialpolitik machen. Wir haben in Nordrhein-Westfalen unter Beweis gestellt, dass wir eine verantwortliche Sozialpolitik machen.

(Horst Becker [GRÜNE]: Wo?)

Auf Bundesebene sind nicht zuletzt durch die Initiativen von Jürgen Rüttgers und von Andreas Pinkwart wesentliche Elemente, die wir hier in Nordrhein-Westfalen erarbeitet haben, in die Koalitionsvereinbarung aufgenommen worden.

Ich könnte jetzt noch zu vielen strukturellen Fragen im Einzelnen kommen, will aber mit einem Zitat schließen, meine Damen und Herren, das ich dieser Tage in der „Süddeutschen Zeitung“ gelesen habe, in einem Blatt, das nicht unbedingt im Verdacht steht, das Sprachrohr des marktradikalen Neoliberalismus zu sein, wie Sie das so gerne ausdrücken.

(Horst Becker [GRÜNE]: Na ja, im Wirt- schaftsteil …)

Im Kommentar der „Süddeutschen Zeitung“ heißt es wörtlich – ich zitiere mit Genehmigung der geschätzten Frau Präsidentin –:

Ja, die Steuern müssen gesenkt werden – aus drei Gründen. Erstens, weil es versprochen worden ist. Zweitens als Konjunkturhilfe, und drittens als Signal: Nicht der Staat, sondern Bürger und Unternehmen wissen am besten, was sie mit Geld anfangen. Die Koalition ist angetreten, mehr Markt und weniger Staat zu wagen. Ein „Weiter so“, ein weiteres Alimentieren der kollabierenden Sozialsysteme kommt nicht in Frage. Jene, die dem Staat die Obhut für alles und jedes anvertrauen wollen, hatten ihre Chance seit Jahrzehnten. Die Folge ist eine Gesamtverschuldung von bald zwei Billionen Euro, krisengeschüttelte Sozialsysteme und eine dennoch wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung.

So lautet der Kommentar in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 31. Oktober 2009.

(Beifall von der FDP)

Was Sie, Frau Kollegin Löhrmann, und Ihre Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie überhaupt noch nicht erkannt haben, ist der grundlegende Stimmungswandel in unserem Land. Das ist die Bereitschaft der Menschen, mehr Verantwortung zu übernehmen, wenn sie mehr Freiheit bekommen. Das ist uns wichtig. Deshalb bin ich sehr froh, dass es der FDP gelungen ist, diese Orientierung auch in den Koalitionsvertrag auf der Bundesebene einzupflanzen.

Wir wollen mehr Freiheit für die Menschen – nicht um der Freiheit selbst willen, sondern mehr Freiheit zur Verantwortung. Das ist das Strukturprinzip auch und gerade bei der Reform der sozialen Sicherungssysteme. Das ist das Strukturprinzip bei der Stärkung von Bildung, Forschung und Entwicklung.

Deshalb ist dieser Koalitionsvertrag eine hervorragende Grundlage, um unser Land im internationalen Vergleich endlich wieder dorthin zu führen, wohin es gehört, nämlich an die Spitze der prosperierenden, der wachstumsstarken Länder in der Welt. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Papke. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Löhrmann das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Beitrag des Ministerpräsidenten enthielt mehrere Elemente: die Beschimpfung der Opposition und die Durchhalteparolen an die eigenen Leute, auch wenn er Frau Kraft anspricht. Es ist schon auffällig, dass man, wenn man mit jemandem spricht, die anderen Leute ansieht.

Wir hätten uns von der heutigen Diskussion erhofft, Klarheit in zentralen Punkten zu erhalten, die in diesem Koalitionsvertrag eben nicht klar sind und über die innerhalb von CDU und FDP gestritten wird, was die finanzielle Zukunft angeht. Diese Klarheit haben wir heute vermisst. Der Ministerpräsident hat leider diese Chance nicht genutzt. Bei zentralen Politikfeldern blieben seine Ausführungen sehr vage.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich möchte auf einen Punkt besonders eingehen. Seit elf Jahren hören wir dieses Mantra: Wir wollen eine andere Koalition auf Bundesebene.

(Ralf Witzel [FDP]: Jetzt haben wir sie! – Horst Becker [GRÜNE]: Blub, blub, blub!)

Dann gibt es die Blaupause in Düsseldorf. – Das hören wir jetzt seit viereinhalb Jahren. Dann wollen Sie uns weismachen, Sie hätten nicht für Koalitions

verhandlungen vorgearbeitet, als endlich nach dem 27. September die Zeit für diese Traumkoalition gekommen war?! Absurd in der Diskussion ist doch, dass Sie einerseits fordern, das müsse kommen, und andererseits nicht in der Lage sind, sich verbindlich und klar über zentrale Zukunftsfelder wie Gesundheits- oder Steuerpolitik zu verständigen, sondern mehr und mehr Kommissionen brauchen, um Zeit mit Blick auf den Wahltermin in NordrheinWestfalen zu gewinnen.

(Ralf Witzel [FDP]: Sie haben fast keine Wäh- ler mehr!)

Dann kommt nämlich ein ganz knappes Zeitfenster, in dem Sie handeln können, weil danach die nächsten Landtagswahlen ins Haus stehen.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Dilettantisch ist das!)

Ganz offenkundig ist das Ihr Motiv.