Protokoll der Sitzung vom 04.11.2009

Ganz offenkundig ist das Ihr Motiv.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Auch dafür gibt es Kronzeugen aus Ihren Reihen. Herr Lauk vom CDU-Wirtschaftsrat hat ganz deutlich erklärt, es dürfe bis zum Mai 2010 keine Grausamkeiten geben. Der Ministerpräsident hat gesagt, es dürfe insgesamt keine Grausamkeiten geben. Das ist sehr durchsichtig.

Ich möchte nun etwas zu den sozialpolitischen Themen sagen. – Ja, der Ministerpräsident hat recht. Die Frage des Schonvermögens zu lösen und da andere Spielregeln einzuführen, halten wir für richtig. Die Grünen haben in Nürnberg einen Beschluss bekräftigt, dass wir diesbezüglich eine Änderung wollen.

Aber zur Wahrheit gehört Folgendes – Herr Laumann, ich bin dankbar, dass Sie wieder da sind, weil Sie das wissen –: Diese Frage betrifft einen Großteil der Menschen im Hartz-IV-Bezug eben nicht. Ganz viele Menschen haben von dieser Forderung und ihrer Umsetzung nichts. Das ist der zentrale Punkt.

(Günter Garbrecht [SPD]: Das haben wir eben gesagt!)

Wir hatten, weil Sie sich diesbezüglich immer aufgeschlossen gezeigt haben, Konsens in diesem Hause, dass wir einen anderen Regelsatz für Kinder und Jugendliche wollen. Sie haben argumentiert, Sie hätten das gerne gewollt. Sie hätten auch gerne den Komplex „Schulessen für arme Kinder“ gesetzlich geregelt, aber das sei an Olaf Scholz gescheitert. Damit haben Sie das Scheitern der SPD zugeschrieben.

Deshalb erklären Sie uns doch bitte: An wem ist es jetzt gescheitert, dass Sie etwas, was ganz konkret Armut bei Kindern und Familien bekämpft hätte und eine sozialpolitische Wohltat gewesen wäre, nicht durchgesetzt haben?

Es ist doch absurd zu sagen: Da ist das Böse und dort ist das Gute; und das Gute ist immer auf dieser Seite. Meine Damen und Herren, es ist nicht klar, wie es bei diesem Thema weitergeht. Sie haben eine große Chance vertan.

Deutlich wurde auch, dass bei der Besetzung des Amtes des Arbeits- und Sozialministers ganz andere Vorstellungen bei den Sozialverbänden der CDU und anderswo herrschten. Ein großes Bedauern wurde geäußert, dass Sie, Herr Laumann, dieses wichtige Ressort nicht in Ihren Händen haben und gestalten können.

(Minister Karl-Josef Laumann: Es hätte Ihnen gefallen, wenn ich weggehe!)

Nein, wir freuen uns natürlich, dass Sie hierbleiben.

Dann haben wir einen weiteren Widerspruch, der heute in dieser Debatte auch nicht aufgelöst werden konnte. Herr Westerwelle hat gesagt: Alle 20 Punkte, die wir gefordert haben, haben wir durchgesetzt. – Wenn das so stimmt, wäre es schön – oder auch nicht. Herr Laumann und andere aus der CDU sagen: 13 Punkte hat uns die FDP immer wieder auf den Tisch gelegt. Wir haben alle zurückgewiesen. – Was stimmt denn nun? Entweder haben Sie von der FDP sich immer durchgesetzt oder aber die CDU hat 13 Punkte immer wieder zurückgewiesen. – Das möchten wir heute etwas genauer erklärt bekommen, meine Damen und Herren.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Jetzt komme ich auf einen Punkt zu sprechen, der leider auch nicht aufgelöst worden ist. Frau Homburger, FDP-Fraktionschefin im Deutschen Bundestag, sagte laut „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Der Koalitionsvertrag ist keine Wunschliste, sondern eine solide durchgerechnete, verbindliche Vereinbarung.“

Laut „Handelsblatt“ sagt Herr Schäuble, der Finanzminister, die große Steuerreform ab. Denn der neue Bundesfinanzminister sieht bis zum Ende der Legislaturperiode keinen Spielraum für einen Systemwechsel – aus gutem Grund: Steuerschätzer erwarten noch weniger Einnahmen für den Fiskus als auf dem Höhepunkt der Krise im Frühjahr.

Das sind diametral entgegengesetzte Aussagen, zu denen wir gern hören würden, was der Ministerpräsident des größten Bundeslandes in diesem Parlament und in der Öffentlichkeit dazu sagt. Was stimmt denn nun? Ist das alles solide durchgerechnet? Gibt es Papiere, die wir noch nicht kennen? Oder steht das alles in den Sternen, weil sich Herr Schäuble durchsetzt und es dafür keinen Spielraum gibt?

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wenn andere CDU-Ministerpräsidenten von Tillich bis Müller warnen und in Aussicht stellen, dass sie im Bundesrat eine Steuerreform ablehnen, die die

Haushalte ihrer Länder und Kommunen schlechterstellt und die sie für nicht zu verantworten halten, frage ich: Was sagt der Ministerpräsident des größten Bundeslandes dazu? Das ist eine Kernfrage, zu der wir heute wirklich gar nichts vom Ministerpräsidenten gehört haben, meine Damen und Herren.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Zum Thema Kommunalfinanzen: Sie können gerne Herrn Becker und Herrn Jäger beschimpfen. Aber die Frage ist ja: Wen beschimpfen Sie gleichzeitig mit? – Landrat Breuer, CDU, aus dem Kreis SiegenWittgenstein wird laut „Kölner Stadt-Anzeiger“ wie folgt zitiert:

Den Kommunen wird nichts anderes übrig bleiben, als diese Erhöhung an die Bürger weiterzugeben. Ich möchte meinen Kopf dafür nicht herhalten.

Weiter heißt es:

Auch die Steuerentlastungspläne der schwarzgelben Koalition in Berlin machen den Kommunen zu schaffen. Allein in NRW werden sie, so lauten Prognosen, ab 2011 jährlich wohl mit einer Milliarde Euro belastet werden.

Nicht die Opposition hier im Landtag, sondern Ihre Leute vor Ort sind es, die diese Sorgen formulieren, die zu diesen Sorgen gerne eine Antwort hätten. Aber ich habe schon länger das Gefühl, dass die CDU nicht mehr nahe bei ihren kommunalen Vertreterinnen und Vertretern ist,

(Beifall von Horst Becker [GRÜNE])

die die kommunalfeindliche Politik dieser Regierung zu Recht kritisieren. Auch die Städte warnen die Kanzlerin, was die Gewerbesteuer angeht, vor Wortbruch, weil sie nicht wollen, dass an der Gewerbesteuer gerüttelt wird. Das kann in der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ nachgelesen werden. Also, meine Damen und Herren: keine Klarheit in der Sache, wegducken, Stillhalteabkommen, eigene Leute in Kampfesstimmung bringen. Mehr nicht.

Ich sage Ihnen – und das ist der zentrale Punkt –: Wir werden Sie damit nicht durchkommen lassen. Wir werden Sie weiterhin stellen mit Anträgen zu diesen zentralen Fragen.

(Ralf Witzel [FDP]: Wir helfen den Kommu- nen, indem deren Steueraufkommen kon- junkturunabhängiger wird!)

Ja, Herr Witzel. Sie wollen sich doch nur warmlaufen für die Nachfolge von Herrn Lindner.

(Ralf Witzel [FDP]: Linkspartei!)

Wir werden Sie stellen, weil es uns um das Interesse und die Zukunft dieses Landes geht und nicht um die Farbenspiele in Berlin. – Herzlichen Dank.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Löhrmann. – Als nächster Redner hat der Abgeordnete Sagel das Wort. Bitte schön, Herr Sagel.

Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Präsidentin! Der Ministerpräsident hat von einem sozialen Ausgleich geredet. Da fragt man sich: Was für ein sozialer Ausgleich soll denn da kommen? CDU, CSU und FDP – das ist die Regierung der sozialen Spaltung. Das ist die Realität, mit der wir hier in Deutschland zu tun haben.

Natürlich ist es sehr interessant, wenn Herr Rüttgers davon redet, dass zum 1. Januar eine Steuergesetzgebung zum Tragen kommen soll, die sowohl von der CDU als auch von der SPD mitzuverantworten ist. Wenn ich so höre, dass der neuen Koalition in Berlin von der SPD-Opposition vorgeworfen wird, neue Mehrwertsteuererhöhungen zu planen, dann kann ich nur sagen: Die SPD sollte sehr vorsichtig sein. Die Nase der SPD ist in dieser Frage sehr lang, ungefähr 19 cm. Partielle Amnesie scheint es da nicht nur bei der CDU zu geben.

Mit der neuen Bundesregierung bekommt Deutschland keine Zukunft, sondern vor allem neue Schuldenberge. Das ist die Realität. Anstatt die Kosten der aktuellen Wirtschaftskrise sozial gerecht zu verteilen und Antworten auf wachsende Arbeitslosigkeit und Armut zu geben, greifen CDU, CSU und FDP den Lebensstandard der Mehrheit der Bevölkerung an. Für Pflege im Alter, Hilfe bei Krankheit und die Bildung der Kinder sollen die Menschen zukünftig selbst aufkommen. Entsolidarisierung wird zur Staatsräson. Freuen können sich die Vermögenden und die Unternehmen. Sie bekommen Steuergeschenke. Die Kosten der Krise aber tragen die Schwachen.

Der radikale Systemwechsel – so steht es im Koalitionsvertrag –, den FDP-Gesundheitsminister Rösler durchsetzen will, macht die Zweiklassenmedizin endgültig zum Behandlungsstandard in Deutschland. Mehr Wettbewerb ohne sozialen Schranken macht die Gesundheit zur Ware. Die beste Gesundheitsversorgung wird an die Meistbietenden verhökert. Das ist hirnverbrannt.

Kopfpauschalen bei Gesundheit und Pflege, eingefrorene Arbeitgeberanteile und höhere Eigenbeteiligungen werden zu dramatischen Beitragssteigerungen für Versicherte und Patienten führen. Das ist der Abschied vom Sozialstaat. Die Finanzierung der Sozialversicherung zur Hälfte durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird endgültig aufgegeben. Steigende Kosten für Gesundheit und Pflege tragen zukünftig die Versicherten alleine. Zudem droht eine verpflichtende Zusatzversicherung bei der Pflege.

Der radikale Systemwechsel, den die Linke in NRW fordert, ist orientiert an sozialen Verbesserungen für die Menschen in NRW. Der radikale Systemwech

sel, der im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP steht, ist orientiert an finanziellen Verbesserungen für ohnehin schon Vermögende in Deutschland. Die Reise geht genau in die andere Richtung. Reiche werden ent- und die sozial Schwächeren belastet. Das ist unsozial pur statt original sozial, wofür die Linke steht. Sie stehen für einen rechten Systemwechsel. Privat vor Staat -das ist Ihre Politik.

Millionäre und Profiteure der Finanzmarktspekulation werden von der neuen Regierung nicht zur Finanzierung der Krisenkosten herangezogen. Im Gegenteil: Das Kasino ist schon wieder von Ihnen eröffnet. Es gibt Steuerentlastungen auf Pump. Wegen der Wirtschafts- und Finanzkrise brechen bis zum Jahr 2013 rund 315 Milliarden € an Steuereinnahmen weg. Eine Stärkung der Einnahmenseite der öffentlichen Haushalte ist nicht vorgesehen. Die geplanten Steuerentlastungen sollen komplett durch Schulden finanziert werden, die von den Steuerzahlerinnen und -zahlern später abgezahlt werden müssen. Die Reichen freut’s, die Armen müssen zahlen, die sozial Schwächeren müssen die Rechnung begleichen.

Von der Steuerentlastung durch die neue Regierung profitieren vor allem überdurchschnittliche Einkommen. Nur Bestverdienende, Vermögende und Unternehmen bekommen wirklich mehr Netto vom Brutto. Zudem wollen CDU, CSU und FDP die Erbschaftsteuer senken und die Konzerne durch eine Unternehmensteuerreform entlasten. Die Steuererleichterungen für untere und mittlere Einkommen hingegen werden von den wachsenden Ausgaben zum Beispiel für Gesundheit und Pflege mehr als aufgezehrt. Im Gegenteil: Das Ganze wird noch viel teurer.

Es gibt auch keine neuen Arbeitsplätze. CDU, CSU und FDP verweigern öffentliche Investitionsprogramme und andere Maßnahmen, mit denen Arbeitsplätze geschaffen oder durch Modernisierung erhalten werden können. Es gibt auch keinen gesetzlichen Mindestlohn. Die Koalitionsparteien sind sich einig, dass es keinen flächendeckenden Mindestlohn geben soll. Stattdessen stellen sie die bisherigen Branchenmindestlöhne infrage. Noch mehr schlecht bezahlte Arbeit – das ist zukünftig die Realität in Deutschland. Die neue Regierung will die Minijobs ausweiten.

Die Ausweitung der Hinzuverdienstgrenze für HartzIV-Beziehende bedeutet mehr staatliche Zuschüsse zu schlechten Löhnen. Davon profitieren nur die Unternehmen, denn sie können die Löhne weiter drücken. Es gibt auch keine wirklichen Verbesserungen für die Mehrheit der Hartz-IV-Beziehenden. Kinder aus Hartz-IV-Familien, die höhere Sätze für ein menschenwürdiges Leben am meisten bräuchten,

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

bleiben bei CDU, CSU und FDP draußen vor. Dass der Schonbetrag für Altersvorsorgevermögen von 250 auf 750 € pro Lebensjahr erhöht wird, ist ein überfälliger Schritt. Allerdings kommt er nur einer sehr, sehr kleinen Gruppe von 2 oder 3 % der Hartz-IV-Beziehenden zugute.

Ich komme langsam zum Schluss. – Energie- und Unterkunftskosten sollen zudem pauschal festgelegt werden. Übersteigen die tatsächlichen Kosten die Pauschale, müssen die Hartz-IV-Beziehenden die Differenz mit dem Geld bezahlen, mit dem sie ihren Lebensunterhalt bestreiten. Das ist die Realität.

Es gibt auch noch mehr Altersarmut. Denn die Rente mit 67 soll bleiben. Von sozialem Ausgleich kann ich, ehrlich gesagt, überhaupt nichts erkennen. Es ist Sozialabbau pur.

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)