Protokoll der Sitzung vom 16.12.2009

Kommen wir zu Herrn Töns. Er hat drei Argumente gebracht – hochinteressant.

Er hat zunächst gesagt, ein Gesetz ohne Begleitgesetze könne er nicht mittragen. Das sei ganz schlimm, dass nicht alles drinstehe und es dort heiße: Das Nähere wird durch Gesetz geregelt. – Der bisherige Art. 83 hat selbstverständlich die gleiche Formulierung. Seit wann schreiben Sie alles, was Sie in einzelgesetzliche Maßnahmen oder Verordnungen bringen, ins Grundgesetz? Wenn Sie noch schärfere konkretisierende Bedingungen haben wollen, können wir gerne in den Ausschussberatungen darüber reden. Darauf freue ich mich sogar, wenn Sie noch ergänzende gute Vorschläge haben.

(Vorsitz: Präsidentin Regina van Dinther)

Wir bringen zum Beispiel das in Gesetzesform, wovon auch in Berlin – Frau Löhrmann, Sie wissen das ja, Sie waren beratend in Ihrer Partei dabei – die Rede war: Konjunkturkomponenten, Bereinigungsverfahren, wie sieht das strukturelle Defizit aus? Das muss alles definiert werden. Dann ist es kein nackter Entwurf, sondern es ist ein der Verfassung Nordrhein-Westfalens entsprechender Entwurf. Sie müssen sich eines gefallen lassen: Art. 83 ist spätestens 2020 verfassungswidrig, weil mit der Bundesverfassung nicht mehr in Einklang zu bringen.

Das zweite Argument von Herrn Töns war – das hat Frau Walsken auch gesagt –: Die Kommunen leiden darunter. Der Gesetzgeber hat es natürlich in der Hand, wo er zum Beispiel die durchschnittlich 600 Millionen einsparen will. Das muss nicht bei den Kommunen sein. Es muss überhaupt nicht sein. Wenn Sie nämlich durch Wachstum entsprechende Spielräume bekommen, erreichen Sie das, was wir 2006 bis 2008 gemacht haben: Mit starkem Wachstum, mit stark steigenden Steuereinnahmen haben wir sowohl prioritäre Dinge finanzieren als auch diese massive Reduzierung der Nettoneuverschuldung bewirken können.

Das dritte Argument von Herrn Töns war auch interessant. Er hat nämlich gesagt – vielleicht habe ich das ja falsch verstanden –, die Verpflichtungen aus der EU-Gesetzgebung würden ausgeblendet. Ich nehme an, dass er das 3-%-Kriterium von Maastricht meint. Dieses Kriterium ist selbstverständlich nicht ausgeblendet; denn durch eine Schuldenbremse wirken Sie erst richtig daran mit, dass die 3 % unterschritten werden. Schließlich erlaubt der Bund sich eine strukturelle Verschuldung von 10 bis 12 Milliarden €. So lautet ja der Kompromiss, den wir seinerzeit in Berlin geschlossen haben.

Meine Damen und Herren, ich habe vom Sachverständigenbericht gesprochen. Frau Löhrmann hat mich aufgefordert, die Sachverständigen voll zu zitieren. Die Sachverständigen sagen zu diesem Sachverhalt,

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Nein! Es ging darum, was sie zum Wachstumsbeschleuni- gungsgesetz sagen!)

dass wir im Grunde genommen alles richtig machen, dass wir 2009 und 2010 expansive Haushalte fahren, dass wir ab 2011 ein klares Konsolidierungssignal geben und vor allen Dingen prioritär in Bildung investieren sollten. Genau das tut diese Landesregierung. Schöner hätte der Sachverständigenbericht überhaupt nicht sein können.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Was sagen die Sachverständigen denn zu der Regelung für die Hoteliers?)

Dass die Sachverständigen jetzt zu bestimmten im Wachstumsbeschleunigungsgesetz enthaltenen Maßnahmen eine abweichende Meinung haben, bestätige ich Ihnen gerne, Frau Löhrmann. Damit habe ich überhaupt keine Probleme. Aber Ökonomie ist nun einmal etwas anderes als Schule. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Minister Linssen. – Herr Becker hat sich zuerst gemeldet. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Becker, bitte.

Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Linssen, ich möchte mir die Gelegenheit nicht entgegen lassen, Ihnen zu einigen Punkten zu antworten.

Bevor wir in die Technizismen abgleiten, muss man einmal grundsätzlich feststellen: Auf der einen Seite stehen wir im Land Nordrhein-Westfalen vor einer Haushaltssituation mit einer Rekordverschuldung. Aus meiner Sicht ist es so. Sie versuchen ja immer, das mit ein paar haushaltstechnischen Tricks ein bisschen wegzuschwiemeln. Auf der anderen Seite reden wir darüber, dass wir dadurch Generationengerechtigkeit üben, dass wir zukünftigen Generationen die Möglichkeit zur Verschuldung, wenn sie denn nötig ist, nicht mehr im gleichen Ausmaß lassen. Das scheint mir mit Generationengerechtigkeit überhaupt nichts zu tun zu haben, sondern ein Zeichen dafür zu sein, dass Sie heute tatsächlich das machen, was Frau Löhrmann und Frau Walsken Ihnen eben gesagt haben: Sie lenken ab. Sie wollen ablenken.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Gestatten Sie mir noch eine zweite grundsätzliche Bemerkung. Genauso grundsätzlich, wie Sie immer

wieder Falsches vortragen, möchte ich die Zahlen korrigieren. Sie haben im Jahr 2008 immerhin noch etwas mehr als 1 Milliarde € Nettoneuverschuldung obendrauf gesattelt – vor dem Hintergrund, dass Sie die absolute Rekordeinnahme hatten, nämlich 8 Milliarden € mehr als die rot-grüne Landesregierung im Jahr 2004. Die damalige Landesregierung hat seinerzeit übrigens – auch das gehört zur Wahrheit – den Kommunen sogar noch Zuweisungen nach dem GFG kreditiert, die Sie in Höhe von 600 Millionen € dann im Jahr 2006 bei erheblich besseren Steuereinnahmen als Erstes wieder zurückgeholt haben.

(Beifall von Gisela Walsken [SPD] – Zuruf von Christian Möbius [CDU])

Damit kommen wir der ganzen Wahrheit auch schon ein Stück näher. Erstens haben Sie also nicht nur zu keiner Zeit Schulden abgebaut, sondern maximal einen kleineren Teil der exorbitanten Steuermehreinnahmen genutzt, um Nettoneuverschuldung abzubauen. Das ist etwas völlig anderes. Die Schulden sind also gestiegen. Zweitens haben Sie den Kommunen ganz erheblich in die Tasche gegriffen.

Warum hat das etwas mit der Schuldenbremse zu tun? Wenn Sie sich nach Anhörungen vielleicht auch einmal die Protokolle anschauen, sehen Sie, was Herr Hamacher, CDU-Mitglied, vom Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen gesagt hat. Sprechen Sie einmal mit ihm. Sie sollten sich nicht nur hier unter der Käseglocke aufhalten und von Herrn Linssen unterrichten lassen, sondern auch einmal mit anderen unterhalten. Herr Hamacher hat ausgeführt, vor dem Hintergrund dieser Konzeption der Schuldenbremse mit Verfassungsrang sei es selbstverständlich so, dass die Kommunen – übrigens nicht nur wegen der Erfahrungen, die sie in den letzten fünf Jahren mit Ihnen gemacht haben; diese kommen noch dazu – als Letzte in der Kette quasi von den Hunden gebissen würden und dann weit davon entfernt seien, den verfassungsrechtlichen Mindestanspruch für ihre kommunalen Aufgaben auch nur irgendwie gesichert zu sehen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das könnten Sie alles nachlesen, wenn Sie denn einmal lesen würden. Anhörung hat etwas mit Zuhören, Auf-sich-Wirken-Lassen und Verstehen zu tun.

Vor diesem Hintergrund ist die Frage berechtigt – diese Frage steht auch im Raum –, warum Sie das alles tun. Meine Kollegin hat Ihnen gesagt, dass das erstens etwas mit dem Wahlkampf zu tun hat. Wer auf der einen Seite versagt, muss auf der anderen Seite, ohne dass er dafür etwas leisten muss, für die Zukunft Potemkinsche Dörfer aufbauen.

Es hat zweitens etwas damit zu tun, dass Sie sich an dieser Stelle wieder bei Dritten bedienen wollen. Was Sie angeht, bin ich relativ optimistisch, dass es im nächsten Jahr dazu nicht kommen wird. Gleich

wohl weiß man ja nicht, wer am Ende Finanzminister wird. Die Erfahrung, die Kommunen gemacht haben – übrigens zu allen Zeiten mit allen Finanzministern –, ist, dass sie, wenn sie nicht abgesichert sind, am Schluss diejenigen sind, die die Zeche zu zahlen haben.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das ist auch nichts Imaginäres, sondern bedeutet, dass die Bürgerinnen und Bürger bei der Daseinsvorsorge, im täglichen Geschäft des sozialen Lebens miteinander und bei der Infrastruktur vor Ort die Zeche zahlen. Wer sich insbesondere im Ruhrgebiet und im Bergischen Städtedreieck umschaut, sieht, wohin wir in den letzten Jahren verschärft gekommen sind.

Jetzt will ich Ihnen noch eine Zahl zum Jahr 2008 mit auf den Weg geben, damit Sie sie einmal auf sich wirken lassen. Sie rühmen sich, dass Sie in einem solchen exorbitant guten Jahr bei den Steuereinnahmen „nur“ – in Anführungsstrichen – 1 Milliarde € Nettoneuverschuldung zusätzlich aufgenommen haben. Gleichzeitig schauen Sie sich nicht an, was Sie den Kommunen in dem gleichen Jahr angetan haben. Das kann man nämlich sehr gut an den Kassenkrediten ablesen: In diesem auch bei den Steuern für die Kommunen sehr guten Jahr gab es 1 Milliarde € mehr Kassenkredite. Daran erkennt man, dass die Kommunen, Herr Hamacher, der DGB und andere alle recht haben, wenn sie Bedenken gegen eine Schuldenbremse mit Verfassungsrang für einen Landeshaushalt äußern – angesichts dessen, dass das Land selber kein Steuerheberecht in nennenswertem Umfang hat und die Kommunen all das haben erfahren müssen, was ich eben in Kürze beschrieben habe.

Deswegen kann ich Ihnen nur sagen: Wenn Sie es ernst meinen würden und hier nicht nur ein vergiftetes Schauspieler-Geschenk an die Opposition richten wollten, würde ich Ihnen gerne die Hand reichen, um mit uns zusammen in dem gleichen Gesetz einen Mindestanspruch für die kommunale Finanzausstattung verfassungsrechtlich zu verankern. Dann können wir darüber reden. Solange Sie das nicht tun, wollen Sie so weitermachen wie in den letzten Jahren, nämlich sich bei Dritten bedienen, den eisernen Hans zulasten Dritter spielen. Das geht nicht.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Gisela Walsken [SPD]: Genau richtig!)

Danke schön, Herr Becker. – Für die SPD hat sich noch Herr Töns gemeldet.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, das kann man nicht so stehen lassen; das muss ich deutlich sagen. Sie stellen sich hier als ehrlicher Kaufmann hin und

verbreiten weiterhin auch in dieser Debatte nur Nebelkerzen, anstatt Antworten zu liefern, und das – das muss man Ihnen noch einmal vorhalten, die Kollegin Walsken hat es vorhin schon erwähnt – bei 22 Milliarden € mehr Schuldenaufnahme.

Wir landen Ende 2010 bei einem Schuldenstand von ca. 130 Milliarden €. Dabei ist der dreiste Griff in die Kassen der Kommunen – der Kollege Becker hat es eben gesagt – in Höhe von 3,3 Milliarden € in den vergangenen Jahren nicht zu vergessen. Aber Sie sagen hier: Das ist alles ohne Probleme. Sie wollen die Schuldengrenze durch Steuermehreinnahmen erreichen. Das ist schon abenteuerlich, Herr Minister. Sie geben keine Antwort auf nur eine der Fragen, die wir hier gestellt haben, und wollen, dass wir dem einfach so zustimmen. Sie wissen bis heute nicht, wie Sie die Schuldengrenze wirklich erreichen wollen.

Ich will Ihnen noch einmal sagen: Wenn Sie erstens einen sehr dünnen Gesetzentwurf ohne entsprechende Begleitgesetze oder Hinweise auf diese Begleitgesetze einbringen, dann wird es schon sehr schwierig. Wenn Sie zweitens die Auswirkungen auf die Kommunen in Nordrhein-Westfalen völlig ungeklärt lassen und keine andere Antwort darauf geben als: „Wir werden mehr Steuereinnahmen haben“, wenn Sie drittens die Verpflichtung des Landes aus dem EU-Vertrag komplett ausblenden, dann weiß ich nicht, wohin das führt.

Ich will noch einen vierten Punkt anführen: Im Moment finden in Kopenhagen die Verhandlungen zum Klimaschutz statt. Auch da wird die Bundesrepublik sicherlich Zugeständnisse machen. Das wird sich haushälterisch auch auf die Länder und Kommunen auswirken. Haben Sie sich darüber schon einmal Gedanken gemacht? Über all das müssen wir diskutieren.

Deshalb sage ich am Ende meines Wortbeitrags noch einmal, Herr Minister: Das ist kein Gesetzentwurf, sondern es ist nichts anderes als Ihr Testament und das Ende dieses Ministers. – Danke.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Herr Töns. – Es spricht noch einmal der Finanzminister.

(Zuruf von der CDU: Asche auf sein Haupt!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Löhrmann, an Ihre Adresse, vielleicht auch an die Adresse von Herrn Töns wegen seiner Bemerkung zu den Riesenschulden, die jetzt gemacht werden: Sie leugnen, Frau Löhrmann – das habe ich in Ihrem Beitrag sehr deutlich vernommen – dass es überhaupt eine Finanzkrise gibt.

(Horst Becker [GRÜNE]: Oh!)

Es gibt kein Land in der Bundesrepublik, kein Land in Europa – Sie lesen es doch jeden Tag –, das sich nicht horrend verschulden muss, um in dieser konjunkturell schwierigen Lage gegenzusteuern. Wir leben nun einmal mit Zyklen in der Konjunkturpolitik; das wissen Sie. Wir werden aber mit Sicherheit auch wieder solche Zeiten bekommen, wie wir sie zwischen 2006 und 2008 hatten. Wir haben jetzt ein Minuswachstum – das ist ein fürchterliches Wort – von 5 %; 6 % waren prognostiziert. Ich vermute, dass Ihnen noch einfällt, dass sich daraus die völlig veränderte Schuldenlage gegenüber 2008 erklärt. Das versuchen Sie wegzudiskutieren, um es uns anzuhängen. Aber es geht kein Weg daran vorbei, dass wir eine Finanz- und Weltwirtschaftskrise haben.

Frau Walsken, Sie haben in Ihrem Beitrag gesagt, wir jagen Sie. Mein lieber Onkel Otto, wenn es so schmerzlich für Sie ist, dass wir auf Konsolidierungspolitik drängen, dann tun Sie mir leid. Wir jagen Sie, haben Sie gesagt. – Ja, dann jagen wir Sie noch mehr.

(Gisela Walsken [SPD]: Mein Gott! Haben Sie sonst nichts?)

Sie müssen endlich mal kapieren, dass die Politik, die Sie 40 Jahre betrieben haben, so nicht weitergeht.

(Beifall von CDU und FDP)

Herr Becker, wir lenken überhaupt nicht ab. Ich sage jedem, der es hören will, dass wir im Jahre 2007 durchaus bestimmte Konsolidierungsanstrengungen von den Kommunen verlangt haben. Trotzdem ist die Wahrheit, dass sie in 2008, 2009 und 2010 Riesenbeträge aus dem Landeshaushalt bekommen. Sie erhalten 27 % der verfügbaren Mittel. Das haben Sie in Ihrer Periode nie geschafft.

(Beifall von CDU und FDP)

Sie kriegen in 2009 mit knapp 8 Milliarden € den höchsten Betrag, der je in diesem Land an die Kommunen ausgeschüttet worden ist. Sie bekommen in 2010, dem ebenso schweren Krisenjahr, den zweithöchsten Betrag.