Protokoll der Sitzung vom 16.12.2009

Sie missbrauchen den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen, Herr Minister. Sie haben schon mal etwas in der Richtung geäußert, was Ihnen gar nicht zusteht;

(Minister Armin Laschet: Das kann man nachlesen!)

denn Sie sind nicht der Innenminister dieses Landes, sondern meines Wissens Minister für Integration und Familie.

(Minister Armin Laschet: Steht doch im Ver- fassungsschutzbericht!)

Wenn Sie solche Dinge von sich geben, dann sollten Sie sich dafür entschuldigen. Sie sollten sich dafür schämen, dass Sie solche Vergleiche anstellen.

(Christian Weisbrich [CDU]: Sie sollten sich schämen!)

Vielen Dank, Herr Kollege Sagel. Ich danke auch für den Hinweis; vorhin hatte ich noch nicht Sitzungsdienst. Sie haben zu diesem Tagesordnungspunkt selbstverständlich bereits geredet.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Aber nicht bes- ser!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sehe noch eine Wortmeldung. – Frau Kollegin Kordowski.

Ich fordere Herrn Sagel auf, sich bei mir persönlich zu entschuldigen. Er hat mich nämlich während der letzten Plenarsitzung als Rechtsextremistin bezeichnet. Ich möchte gerne, dass er sich auch bei mir entschuldigt.

(Beifall von CDU und FDP – Zuruf von Rüdi- ger Sagel [fraktionslos])

Frau Kollegin Kordowski, ich stelle ihm das anheim. Wir sind jedenfalls beim Tagesordnungspunkt 2. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, sodass wir zur Abstimmung kommen können.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung der Anträge Drucksache 14/10137 und 14/10153 an den Ausschuss für Generationen, Familie und Integration – federführend – sowie an den Ausschuss für Kommunalpolitik und Verwaltungsstrukturreform und den Haushalts- und Finanzausschuss. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Darf ich die Zustimmung

der Fraktionen zu dieser Überweisungsempfehlung feststellen? – Gegenstimmen? – Enthaltungen. – Dann ist das einstimmig so beschlossen.

(Rüdiger Sagel [fraktionslos]: Ich bin keine Fraktion!)

Meine Damen und Herren, ich rufe auf:

3 Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen (Artikel 83)

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 14/10358

erste Lesung

Zur Einbringung des Gesetzentwurfs erteile ich für die Landesregierung Herrn Minister Dr. Linssen das Wort. Bitte schön, Herr Minister.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor Ihnen liegt ein Gesetzentwurf der Landesregierung, mit dem die Regelungen des Grundgesetzes zur Begrenzung der Kreditaufnahme in die Verfassung unseres Landes aufgenommen werden sollen. Das ist ein Meilenstein in der Haushalts- und Finanzpolitik unseres Landes.

Ich darf Sie heute noch einmal daran erinnern: Vor mehr als zwei Jahren haben wir uns mit der Föderalismusreform II aufgemacht, die Finanzbeziehung zwischen Bund und Länder zu modernisieren. Entgegen vieler Stimmen im Bund und in den Ländern, die ein Scheitern der Kommission vorausgesagt und vielleicht sogar erhofft hatten, ist sie ein Erfolg geworden.

Ein wesentlicher Eckpfeiler sind die von der Föderalismuskommission II gefassten Beschlüsse zur Einführung einer gemeinsamen Schuldenbremse für Bund und Länder. Sie stellt eigentlich eine Selbstverständlichkeit sicher, nämlich dass Haushalte grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen sind. Das Prinzip strukturell ausgeglichener Haushalte wird damit in den Mittelpunkt der Finanzpolitik gerückt. Nur gesunde Haushalte stellen sicher, dass auch Krisensituationen wie die aktuelle vernünftig bewältigt werden können und eine Finanzierung der Staatsausgaben nicht auf dem Rücken kommender Generationen erfolgt, getreu nach dem Motto: Nach uns die Sintflut.

(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Die Schuldenbremse ist schlechthin der nachhaltige Beitrag für die Generationengerechtigkeit. Die Kommissionsbeschlüsse zur Schuldenbremse sind inzwischen auf Bundesebene auch mit den Stimmen der SPD, allerdings gegen die Stimmen der

Grünen, sowie mit der Zustimmung von CDU und FDP im Bundesrat in Gesetzesform gegossen worden.

Nordrhein-Westfalen hat in der Föderalismuskommission engagiert für eine Schuldenbremse gestritten. Ich hatte Sie in der Zwischenzeit mehrmals über unsere Entwürfe und die Entwürfe der Kommission informiert. Genauso engagiert und entschlossen sollten wir jetzt diese Schuldenbremse in Landesrecht umsetzen. Deswegen ist die Verankerung in der Landesverfassung richtig. Der Landtag wäre gut beraten, wenn er am Ende des parlamentarischen Verfahrens ein klares Signal setzen würde. Damit würde er seine Entschlossenheit zur Konsolidierung zeigen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Gesetzentwurf ist klar und knapp gefasst und markiert dennoch oder gerade deshalb den Beginn einer neuen Ära der Haushalts- und Finanzpolitik. Er erfüllt die grundgesetzlichen Vorgaben des Art. 109 Grundgesetz und setzt diese nahezu inhaltsgleich und in schlanker Form um.

Zu den Regelungen im Einzelnen: Die bestehende Kreditaufnahmegrenze wird aufgehoben und durch den Grundsatz des ohne Einnahmen aus Krediten ausgeglichenen Haushalts ersetzt. Abweichungen von dem Grundsatz des ausgeglichenen Haushalts ohne Schuldenaufnahme sind nur zur symmetrischen Berücksichtigung der Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung möglich. Der Haushalt kann also mit der Konjunktur atmen.

Eine weitere Ausnahmeregel, nämlich für außergewöhnliche Notsituationen, stellt sicher, dass die finanzpolitische Handlungsfähigkeit auch in Krisenzeiten erhalten bleibt. Die neu eingeführten landesverfassungsrechtlichen Vorgaben gelten ab dem Haushaltsjahr 2020 und normieren die Rückführung der Nettokreditaufnahme im Übergangszeitraum.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was verbirgt sich nun hinter dem Verbot der strukturellen Verschuldung? Welche Auswirkungen hat es? Zunächst einmal bedeutet das Verbot der strukturellen Verschuldung nichts weniger als einen Paradigmenwechsel. Dessen Auswirkungen werden erst im Rückblick auf die Haushaltspraxis der letzten Jahrzehnte wirklich deutlich.

Unter dem alten Kreditaufnahmeregime ist es seit 1970 nicht mehr gelungen, einen Haushalt ohne Nettoneuverschuldung aufzustellen. Wir blicken also auf eine fast vierzigjährige Verschuldungspraxis zurück. Jahr um Jahr wurden unabhängig von den konjunkturellen Rahmenbedingungen neue Schulden aufgenommen. So hat beispielsweise Rot-Grün in den Jahren 2003, 2004 und 2005 den Schuldenstand des Landes in nur drei Jahren um rund 20 Milliarden € auf 112,2 Milliarden € erhöht.

(Gisela Walsken [SPD]: Sie schaffen 22 Milli- arden €! – Zuruf von Edgar Moron [SPD])

Das ist eine Zunahme um fast 22 %. Diese Verschuldung des Landes unter Rot-Grün in nur drei Jahren erfolgte in einer Zeit, in der sich das Land nicht in einer globalen Finanz- und Wirtschaftskrise befand wie heute. Bei Regierungsübernahme im Jahr 2005 betrug die Nettoneuverschuldung 6,7 Milliarden €. Diese Höhe der Nettoneuverschuldung haben wir auch in den Jahren 2003 und 2004 immer wieder von Ihnen vorgelegt bekommen.

Bis zum Jahr 2008 hat diese Landesregierung die Neuverschuldung schrittweise auf 1,1 Milliarden € zurückgeführt. Gleichzeitig wurde eine Rücklage von rund 1,3 Milliarden € für die Risikovorsorge bei der WestLB und für das Finanzmarktstabilisierungsgesetz gebildet.

Seit dem letzten Quartal 2008 hat der weltweite Konjunktureinbruch auch Deutschland erreicht und die deutsche Volkswirtschaft in die größte Rezession seit Bestehen der Bundesrepublik gestürzt. Die Rezession bildet sich auch im Landeshaushalt ab. Die Nettoneuverschuldung steigt drastisch an, weil es ökonomisch kontraproduktiv ist, gegen diese Krise anzusparen. Die Nettoneuverschuldung liegt im laufenden Jahr bei rund 5,9 Milliarden € und steigt 2010 auf bis zu 6,6 Milliarden € an.

In der Folge steigt auch der Schuldenstand des Landes. Bis Ende 2009 steigt er auf etwa 122 bis 123 Milliarden €. Im Jahr 2010 kommen noch einmal rund 6,6 Milliarden € neue Schulden hinzu. Der Schuldenstand wächst dann auf rund 129 Milliarden € an.

Die wenigen Zahlen machen deutlich, dass die auf dem Haushalt ruhenden Zinslasten dramatisch zunehmen werden. Derzeit wird dies noch durch ein – man kann fast sagen – historisch niedriges Zinsniveau kompensiert. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis das Zinsniveau im nächsten Wirtschaftsaufschwung ansteigt und die Haushaltsspielräume reduziert.

Der Teil der Steuereinnahmen, der zur Finanzierung des Zinsdienstes verwendet werden muss, also die sogenannte Zinssteuerquote, wird weiter wachsen. Sie liegt derzeit bei rund 12,3 %. Damit wird bereits heute jeder achte Steuer-Euro für den Zinsendienst verwendet. Dieses Geld steht für andere Zwecke nicht mehr zur Verfügung.

Wenn das Land seine Handlungsmöglichkeiten künftig nicht vollständig aufgeben will, muss mit dem Ende der Krise die Haushaltskonsolidierung wieder stärker in den Vordergrund rücken. Jeder Euro, den wir in den kommenden Jahren unverhältnismäßig ausgeben, geht zulasten der nachfolgenden Generationen und ihrer Chancen. Das Verbot der strukturellen Verschuldung ist das entscheidende Instrument für die unverzichtbare Haushaltskonsolidierung.

(Beifall von der FDP)

Vielleicht fragen sich einige, warum die Umsetzung in der Landesverfassung schon jetzt erfolgen soll. Schließlich lässt das Grundgesetz den Ländern hierzu noch bis zum Jahr 2020 Zeit. Ich gebe Ihnen darauf eine klare Antwort.

(Edgar Moron [SPD]: Weil im Mai gewählt wird!)

Mit der Haushaltskonsolidierung darf nicht erst 2020 begonnen werden, wenn das Verbot der strukturellen Verschuldung durch das Grundgesetz nach Ablauf des Übergangszeitraums in NRW unmittelbar gilt. Es gilt, egal ob wir es in die Verfassung schreiben.

Aber, meine Damen und Herren, wir sind heute gefordert. Wir müssen heute die Weichen dafür stellen, dass das Gebot der Nullverschuldung im Jahr 2020 tatsächlich erfüllt wird. Mit dieser Auffassung stehe ich nicht allein.

(Edgar Moron [SPD]: Beginnen Sie damit be- reits in diesem Jahr?)

Herr Moron, wenn Sie aufmerksam zugehört haben, wissen Sie, ich habe Ihnen erklärt, dass wir in einer historisch einmaligen Krise stecken

(Edgar Moron [SPD]: Ach ja?)

und dass alle Sachverständigen sowie der Bund und alle Länder erklären, wir müssen die Haushalte 2009 und 2010 expansiv fahren.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Alle Sachver- ständige sagen Ihnen etwas anderes!)

Wir müssen die sogenannten automatischen Stabilisatoren wirken lassen, damit die Konjunktur nicht weiter absackt und dieses wirklich zarte Pflänzchen Konjunktur bis Ende 2010 zumindest so wirksam ist, dass ein Wachstum zu erwarten ist.