Protokoll der Sitzung vom 01.12.2005

Ein Punkt zum Schluss, der mir wichtig ist, meine Damen und Herren. Es gibt einen Themenbereich in dieser ganzen Diskussion, der uns immer vor die Frage stellt, ob wir nicht selber diesen Zustand fördern und eigentlich „mea culpa“ sagen müssen: Wir haben in den letzten zehn Jahren unter RotGrün erlebt, dass sich das nordrhein-westfälische Parlament – und das gilt nicht nur für NordrheinWestfalen – selber entmündigt hat, indem wir Kernbereiche des parlamentarischen Handelns in Projekte, in runde Tische, in Zukunftsinitiativen, in Aktionsbündnisse, Beiräte, Konsensrunden, GmbHs und so weiter ausgelagert haben.

(Beifall von Manfred Kuhmichel [CDU])

Dadurch haben wir uns selber – die damalige Mehrheit hat es zugelassen – entmachtet.

(Beifall von Manfred Kuhmichel [CDU])

Insofern bin ich froh und dankbar, dass diese Regierung sehr wirksam damit angefangen hat, mit diesen ganzen Nebenregierungen und Nebenparlamenten, mit diesen Beiräten und GmbHs aufzuräumen und die Kompetenzen wieder in das Landesparlament zurückzuverlagern, wo sie auch hingehören.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, ich darf mich herzlich bedanken und freue mich auf die künftige Diskussion, Frau Löhrmann.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Jostmeier. – Als nächste Rednerin hat die Kollegin Löhrmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

(Christian Lindner [FDP]: Die Grünen werden doch gar nicht gebraucht!)

Wir sind aber dritte Kraft in diesem Parlament, lieber Herr Kollege Lindner. Deswegen bin ich jetzt hier dran, und deswegen möchte ich Ihnen auch gerne meine Sicht der Dinge mitteilen.

(Beifall von den GRÜNEN – Manfred Kuhmi- chel [CDU]: Sauberer Einstieg!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Jostmeier, weil Sie das so strikt durchhalten, haben Sie auch eine Finanzkommission gegründet. Und weil das nicht wichtig war, haben Sie die Ergebnisse direkt in die Tonne geworfen. Nur so viel zur Prinzipienfestigkeit!

Ich komme noch nicht zu einer Bewertung, wie Sie sie vornehmen, sondern ich möchte erst einmal gucken – da orientiere ich mich an Herrn Kohl –, was am Ende wirklich dabei herauskommt.

(Manfred Kuhmichel [CDU]: Hinten!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Roman Herzog hat in einer Rede vor dem Europäischen Parlament gesagt: Der Föderalismus ist ein Politikangebot. – So sehe ich das auch.

Er ist ein Politikangebot an die Menschen, die in Mehr-Ebenen-Systemen politische Entscheidungen zu treffen haben und dies demokratisch und transparent tun wollen.

Föderalismus ist die Balance zwischen Einheitlichkeit und Vielfalt, die Balance zwischen Machtausübung und Machtkontrolle und die Balance zwischen hoher demokratischer Beteiligung und schneller Entscheidungsfindung.

Föderalismus steht somit im Grunde für ein dynamisches System – für ein System, in dem die Pendel in Abhängigkeit aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen einmal stärker zu der einen und einmal stärker zu der anderen Seite ausschlagen. Insofern gehören auch Ungleichgewichte zum Wesen des Föderalismus. Sie sind nicht die Ausnahme, sondern Normalzustand.

Deshalb ist für mich das Allerwichtigste: Unsere politischen Systeme müssen lernende System sein. Und das beinhaltet automatisch die Chance zum Wandel und zur Weiterentwicklung.

Die Frage, die sich heute stellt, ist doch: Genügen die getroffenen Vereinbarungen der großen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD auf Bundesebene diesen Anforderungen? – Sie tun es, meine Damen und Herren, meiner Meinung nach leider nur zum Teil.

Und ein Teil des Problem fängt schon beim Prozess an: Während bei der Reformkommission, auf die Herr Jostmeier noch einmal hingewiesen hat, eine den demokratischen Spielregeln entsprechende Gruppe aus Bund und Ländern unter Berücksichtigung aller politischen Kräfte des Landes gebildet wurde – das war bei einem so großen und wichtigen Vorhaben aus meiner Sicht zwingend –, hat sich nun die große Koalition das Recht herausgenommen, das mal eben mit zu entscheiden. Ich weiß nicht, welche Aspekte dabei eine Rolle gespielt haben, das, was noch offen war, so zu lösen. Sachargumente können es aus meiner Sicht jedenfalls nicht gewesen sein.

Wie brüchig das Ganze ist – darauf hat Herr Kuschke hingewiesen –, zeigen ja derzeit die öffentlichen Reaktionen. Die SPD-Bildungspolitiker in der Bundestagsfraktion moppern. Rüttgers und Wulff sind heute dagegen, morgen aber dann doch dafür. Das ist aus meiner Sicht keine gute Grundlage für eine Veränderung, die die Grundfesten unseres Staatsgefüges neu formiert.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es käme bei einer Reform unseres Staatswesens vor allem nicht darauf an, die entscheidende Frage „Wer macht was auf welcher Ebene?“ in starren Kompetenzkatalogen zu verankern. Nein, es bedürfte eines neuen Konsenses, einer Verabredung gemeinsamer Kriterien, anhand derer wir die Aufgabenverteilung und Zuständigkeiten bewerten, und zwar immer wieder neu bewerten müssen.

Nichts in diesem föderalen Aufbau ist für die Ewigkeit bestimmt, und unsere bundespolitische Entwicklung zeigt doch, dass die Starrheit der grundgesetzlichen Festlegungen nicht vor Unterhöhlung dieser Prinzipien bewahrt.

Wie müssen wir die getroffenen Vereinbarungen vor diesem Hintergrund sehen? Wir müssen leider sehen, meine Damen und Herren, dass ein wenig Licht, aber gerade für die wichtigsten Zukunftsfelder viel Schatten herrscht.

Ich fange mit dem Positiven an – da sind wir uns einig. Hervorzuheben und zu begrüßen ist, dass die Landesparlamente als die Vertretungen der Wählerinnen und Wähler mehr Rechte und größeren Einfluss bekommen. Ob allerdings die jetzt

zugestandene Gestaltungsfreiheit im Versammlungs- und Gaststättenrecht, beim Ladenschluss und beim Strafvollzug die Bedeutung der Landesparlamente entscheidend nach vorne bringen kann, das wage ich zu bezweifeln.

Auf die lange Bank geschoben wurde – trotz der Klausel für die FDP – dagegen die Neugestaltung der Finanzbeziehung zwischen Bund, Ländern und Kommunen, und zwar mit einer so butterweichen Formulierung, dass eine wirkliche Stärkung der Länderfinanzen in dieser Wahlperiode nicht mehr zu erwarten sein dürfte. Das müssen wir der Ehrlichkeit halber sagen. Machen Sie sich doch nichts vor, meine Damen und Herren!

Typisch FDP: Der große Vorsitzende Westerwelle wurde formal beteiligt, hat aber in der Sache nichts, aber auch wirklich gar nichts bewegt. Ich habe beide Papiere mit Datum vorliegen und verglichen, lieber Kollege Lindner. Sie sind auf Punkt und Komma identisch. Dadurch mögen Sie sich wichtig fühlen, Herr Papke und Herr Pinkwart

(Christian Lindner [FDP]: Herr Wolf!)

gerne auch Herr Wolf –, politisch bedeutsam sind Sie dadurch noch lange nicht! Es merkt nämlich jeder, dass Sie da nichts bewirkt haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Nun waren Sie eingebunden und müssen die Chose mittragen. Herzlichen Glückwunsch zur Nullnummer, meine Herren!

Meine Damen und Herren, positiv hervorzuheben ist natürlich – auch das wurde gesagt – die Reduzierung der zustimmungspflichtigen Gesetze im Bundesrat. Von über 60 % sollen diese auf 35 % bis 40 % zurückgefahren werden. Damit haben Sie die Ergebnisse der Kommission übernommen. Das tragen wir natürlich weiterhin mit. diese Reduzierung ist notwendig, weil auf diese Weise mehr Transparenz hergestellt wird, damit die Menschen wieder wissen, wer wofür zuständig ist und wer für welche Entscheidung die Verantwortung trägt. Nur dann werden die Bürgerinnen und Bürger auch mehr Vertrauen in unser politisches System entwickeln und motivierter sein, sich daran zu beteiligen.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang noch mal an das unwürdige Schauspiel von Koch und Konsorten bei der Abstimmung im Bundesrat zum Zuwanderungsgesetz oder beim Subventionsabbau. Da ging es nicht um die Sache. Da ging es erklärtermaßen um Schmierentheater. Herr Wittke, hören Sie gut zu: Die Blockade der unionsgeführten Länder im Bundesrat – das gehört zur Ehrlichkeit auch dazu – hat unser Land bei der

Sanierung der Haushalte mehrere Jahre gekostet und die Sozialsysteme tiefer in den Schlamassel gebracht.

(Beifall von Horst Becker [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, wenn es grundsätzlich richtig ist, die Verquickung der staatlichen Ebenen auseinander zu ziehen, dann muss das nicht in jedem Einzelfall richtig sein. Eine Reform muss in erster Linie der Aufgabenwahrnehmung, den Bürgerinnen und Bürgern nutzen und nicht der Politik selbst. Ich möchte daher den Blick auf die Bereiche lenken, in denen unserer Meinung nach aus reinen parteiarithmetischen und ideologischen Gründen Regelungen getroffen sind, die nicht der Sache dienen und nicht die Zukunftsfähigkeit unseres Landes stärken.

Klare Zuständigkeiten und ein eindeutig erkennbarer Kurs wären auch in der Forschungs- und Bildungspolitik wünschenswert. Doch die jetzt ausgehandelte Reform des Föderalismus wird das genaue Gegenteil bewirken. Weil sich der Bund fast vollständig aus der Bildungspolitik zurückzieht, wird die Schul- und Hochschullandschaft immer mehr einem Flickenteppich gleichen. Das ist keine Politik, die der zunehmenden Internationalisierung des Bildungs- und Hochschulraums auch nur annähernd Rechnung trägt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Für die Forschungspolitik wird das erhebliche Zeitverzögerungen bei der Verhandlung von Programmen bedeuten, weil sich der Bund mit den Ländern bei allen Projekten einigen muss. Durch die geplante Neufassung des Art. 91 b müssen demnächst neue Projekte, ob in Energie, Medizin, Forschung oder in der Bio- und Nanotechnologie, mit allen 16 Ländern abgestimmt werden. Nach aller Erfahrung können solche Verhandlungen zwei Jahre dauern. Schließlich will jedes Land seine Interessen einbringen.

Die Folgen für den Forschungsstandort Deutschland: Während hierzulande noch über Fördermodalitäten gesprochen wird, präsentieren andere Staaten längst ihre Forschungsergebnisse. Es dürfte klar sein, dass derlei sinnlose Verfahren im Ausland nur Kopfschütteln hervorrufen oder klammheimliche Schadenfreude darüber, dass man die deutsche Wissenschaft so einfach abhängen konnte.

Meine Damen und Herren! Was wird der vermeintliche Kompetenzgewinn der Länder bedeuten? Zugang und Abschlüsse der Hochschulen werden noch durch den Bund geregelt. Doch selbst das ist Makulatur. Denn jedes Land hat das

Recht, von der Bundesregelung abzuweichen. Alles andere regeln die Länder künftig vollständig selbst. Das bedeutet auch, dass der Bund keine eigenen Programme zur Förderung der Universitäten mehr finanzieren darf. Angesichts der drastisch steigenden Studierendenzahl, der Herausforderung für die Hochschule und der klammen Länderhaushalte ist das zu wenig.

Verlierer werden ganz klar die jungen Menschen sein. Das ist keine Politik, bei der die Zukunft und die Menschen im Mittelpunkt stehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vor kurzem hat die Kultusministerkonferenz eine Prognose veröffentlicht, wonach die Zahl der Studierenden von 370.000 im Jahre 2003 auf voraussichtlich 446.000 im Jahre 2011 ansteigen wird. Die Länder also müssten jetzt unverzüglich mehr Studienplätze schaffen. Schon jetzt wälzen wir unsere Probleme auf die Nachbarstaaten ab. Beispiel Österreich: Dort liegt der Anteil deutscher Studierender in manchen Fächern mit Numerus clausus bereits bei 40 %. Das zeigt deutlich, dass die Länder allein ihrer Verantwortung nicht nachkommen können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Länder müssen Bildungsstaaten sein. Diese Kernkompetenz gilt es auszubauen. Das ist richtig. Die jetzt vereinbarten Regelungen gehen jedoch in eine völlig falsche Richtung. Sie gefährden die Verbesserungen im Bildungsbereich. Bestes Beispiel: Das kommunalfreundliche Ganztags-Schulprogramm der rot-grünen Bundesregierung läuft aus. Zukünftig darf es so etwas laut Grundgesetz nicht mehr geben.