Protokoll der Sitzung vom 20.01.2010

Ich erinnere daran, dass wir diese Thematik der Leiharbeitsverhältnisse bereits im März 2008 an dem Fall Nokia diskutiert haben. Die Kollegin Steffens sagte, eigentlich müssten wir hier in dem gleichen Konsens handeln, weil ja auch dieser Antrag schlauerweise den Mindestlohn nach dem Entsendegesetz nicht beinhaltet. Den diskutieren wir dafür dann morgen noch einmal extra. Eigentlich müssten wir Konsens haben, Frau Kollegin Steffens, zumindest, wenn wir die Wortbeiträge der Koalitionäre zugrunde legen. Einer fehlt ja noch. Den klammern wir mal aus. Auch was die Wortbeiträge des Ministers und die Überschriften des Ministers betrifft, sollte das gelten. Aber das ist nur eigentlich ein Konsens. Denn das tatsächliche Handeln ist ja ein anderes, wie wir wissen.

(Beifall von der SPD)

Herr Minister Laumann suggerierte ja in der Presse des Öfteren, dass er wohl der einzige und der erste Politiker gewesen sei, der anhand von Beispielen dieses Leiharbeitsmissmanagement kritisiert. Ich glaube, er hat entweder verdrängt, dass wir das hier seit gut zwei Jahren diskutieren und ihn auffordern, tätig zu werden, oder aber er war sich der Schlagzeile in der Presse wieder einmal sehr bewusst.

Letzte Woche haben wir im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales den Antrag mit der Überschrift „Nokia“ – ich erspare mir jetzt, die gesamte Überschrift zu nennen – geschoben, weil wir wussten, dass wir heute wieder über Leih- und Zeitarbeit reden und dann gemeinsam in einer der nächsten Ausschusssitzungen dieses Thema noch einmal aufgreifen.

Es ist gut und richtig, wenn man dann auch in die alten Anträge noch einmal hineinschaut. Was war denn damals, Herr Minister Laumann, am 13. März? In der Debatte zu dem Thema haben Sie gesagt: Dies ist eine Verengung auf diesen Einzelfall. – Schon kurz darauf konnten wir Ihnen entgegenhalten, dass aufgrund der sich andeutenden Wirtschaftskrise bereits massive Entlassungen bei den Firmen Hella, DEUTZ, Ford, Porsche und TRUMPF die Regel waren und dass dies auf die misslichen Vorschriften des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes zurückzuführen sei.

Herr Kollege Tenhumberg, ich wiederhole es hier auch gerne zum x-ten Mal, wenn Sie zuhören würden: Ja, der damalige Arbeitsminister hat dieses Arbeitnehmerüberlassungsgesetz geändert. Frau Kollegin Steffens hat dargelegt, warum dieses Gesetz geändert wurde. Ich sage, auch wenn der Minister meiner Partei angehörte: Das, was wir damit erzielen wollten, ist nicht eingetreten. – Wir haben das Kreuz und räumen ein: Das, was ein Sozialdemokrat damals eingeleitet hat, ist nicht eingetreten. Deswegen müssen wir das Gesetz wieder ändern,

(Rüdiger Sagel [fraktionslos]: Aha!)

damit nicht die Menschen die Dummen sind, die das ausbaden müssen, sondern wir müssen es ändern, damit die Menschen wieder in ordentlichen Arbeitsverhältnissen zu ordentlichen Löhnen und Gehältern arbeiten. Da verweigern Sie sich, Herr Laumann, und nicht die Sozialdemokraten, die das Kreuz haben, auch unter eigener Regie Entstandenes zu ändern, was falsch gewesen ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben hier bereits viele Anträge debattiert. Die Empörung des Ministers Laumann ist immer groß, zuletzt vorgestern im „Süddeutschen Fernsehen“ bei „2+LEIF“. Dort hat er unter anderem zu der gesamten Problematik gesagt – ich zitiere –:

Ich finde, man soll sich das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz anschauen. Ich habe in meinem eigenen Ministerium vor einigen Tagen den Auftrag erteilt: Ist das, was Schlecker gemacht hat, gedeckt vom Arbeitnehmerüberlassungsgesetz? Sollte es gedeckt sein, muss man es ändern.

Herr Minister, das haben wir Ihnen schon vor zwei Jahren gesagt. Wenn Sie zwei Jahre lang die Diskussionen, die hier im Parlament in NordrheinWestfalen geführt werden, ignorieren, die Missstände für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, auf

die wir aufmerksam machen, ignorieren, wenn Sie unsere Aufforderung, im Bundesrat tätig zu werden, ignorieren, und wenn Sie eine Bundesratsinitiative von Kurt Beck noch im September letzten Jahres, die alles das beinhaltet hat, was wir ansprechen und was Sie jetzt nach zwei Jahren Diskussion prüfen wollen, damals ignoriert haben, dann ist es doch wieder nur Überschriftenhascherei, wenn Sie jetzt bei Schlecker

(Beifall von der SPD)

sagen: Wenn das alles so ist, dann müssen wir mal wieder nachdenken. –

Oder liegt das daran, dass am 18. September im Bundesrat der Bundesarbeitsminister noch Scholz hieß, dass damals die Sozialdemokraten noch in der Bundesregierung waren und dass Sie noch nicht das Wahlkampfthema für den nahen 9. Mai gefunden haben?

(Zuruf von Peter Brakelmann [CDU])

Herr Brakelmann, schreien Sie nicht so laut. Ihre Wortbeiträge zur Zeit- und Leiharbeit waren mehr als dünn, und das bei einem ehemaligen aktiven Betriebsrat. Das ist eine Schande für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

(Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn der Minister das jetzt nach einer zweijährigen Diskussion prüfen lassen will, dann ist das gegenüber den betroffenen Menschen zynisch. Noch in der vergangenen Legislaturperiode der Bundesregierung hat es dort Initiativen gegeben. Aber Sie, Herr Minister Laumann, sehen anscheinend dann, wenn in einem Antrag in der Überschrift oder in der Unterschrift „sozialdemokratisch“ oder „grün“ steht, nur rot. Sie lassen die Menschen in dieser Zeit im Regen stehen, und das ausschließlich aus Unionsräson. Das ist unverschämt. Das ist letztendlich schäbig. Sie wollen dann nur aufgrund von Überschriften wieder punkten.

Worum geht es denn bei Schlecker? – Es geht bei Schlecker ausschließlich um den billigen Profit. Es geht darum, Profit auf dem Rücken der Beschäftigten zu erzielen und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Filialen zu entlassen, um sie dann in einer neuen XL-Filiale als Billigkräfte über eine hauseigene Zeitarbeitsfirma zu Dumpinglöhnen arbeiten zu lassen. Das ist übrigens – Frau Kollegin Steffens hat es gesagt, und man kann es nicht oft genug wiederholen – kein Einzelfall.

Das wiederum hat zur Folge, dass das Einkommen in der Regel nicht zum Leben ausreicht. Die nächste Folge ist dann der Gang zum Amt, zu welchem auch immer – auch da können Sie sich nicht durchdrücken –, um Aufstockerleistungen nach dem Sozialgesetzbuch II zu erhalten. Jeder achte vollbeschäftigte Leiharbeitnehmer ist derzeit schon Aufstocker. Da ist Schlecker nicht mitgerechnet.

Ergo: Profit bei Schlecker zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und das alles noch öffentlich subventioniert. Herr Dr. Romberg, vielleicht sagen Sie auch etwas zu den Formen von Subvention.

Es reicht nicht, wie Sie, Herr Minister Laumann, es immer gerne machen, immer nur die Lippen zu spitzen. Pfeifen Sie endlich mal in Berlin. Es wäre schön, wenn Sie sich wenigstens an dieser Stelle einmal bei Ihren Parteifreunden in Berlin durchsetzen könnten.

Wir brauchen Änderungen, Änderungen bei der Konzernleihe, um die es hier eindeutig geht, um Sklaventum zu unterbinden. Das ist übrigens auch eine Forderung des Verbandes iGZ, vor dem Sie ja vor zwei Jahren gesprochen haben. Dass auch Frau Thoben vor dem Verband gesprochen hat, darauf kommen wir morgen zu sprechen.

Wir brauchen Änderungen, die gleichen Lohn für gleiche Arbeit garantieren, und Befristungen der Leiharbeit. Darüber hinaus brauchen wir endlich den Mindestlohn im Endsendegesetz, wie ihn Herr Laumann seit zwei Jahren ankündigt. Auch darauf kommen wir morgen zu sprechen.

Die „Zeit“ hat am 14. Januar geschrieben – ich zitiere –:

Ohne Reform der Reform dürfte es bald den nächsten Fall Schlecker geben.

Recht haben sie. Wir brauchen endlich wieder die für die Menschen verlässliche Arbeitsmarktpolitik auch in Nordrhein-Westfalen, damit in der Bertelsmann-Studie nicht wieder steht, wie gestern zu lesen war – ich zitiere –:

Betrachtet man das Ausmaß der Unterbeschäftigung im Land, sind stärkere Anstrengungen der Regierung jedoch dringend notwendig.

Das ist ein Zeugnis für Ihre Arbeitsmarktpolitik. Die Versetzung ist dringend gefährdet, und am 9. Mai wird die Versetzung auch nicht mehr ausgesprochen.

Einige wenige Sätze zu dem, was Sie, Herr Tenhumberg, gemeinsam mit Ihrem Minister permanent in Sachen Arbeiterwohlfahrt sagen: Es bringt Sie nicht in der Sache weiter, wenn Sie Unwahrheiten vertreten. Ja, die Arbeiterwohlfahrt in NordrheinWestfalen bedient sich auch des Instruments der Leiharbeit, aber ausdrücklich nicht, um Geschäftsbereiche oder Aufgabenfelder auszugliedern. Ausdrücklich werden nicht aus bestehenden Arbeitsverhältnissen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Leiharbeitsverhältnisse hinausgedrängt. Und ausdrücklich wird das Instrument der Leiharbeit nicht benutzt mit dem Ziel der Lohnkostensenkung.

(Zuruf von Bernhard Tenhumberg [CDU])

Das haben bereits der Geschäftsführer und die Arbeiterwohlfahrt Westliches Westfalen dem Herrn Minister in einem Gespräch deutlich gemacht.

(Minister Karl-Josef Laumann: Quatsch!)

Das ist kein Quatsch. Hören Sie dem zu, was man Ihnen sagt, und nehmen Sie es nicht negativ, wenn Sie es nicht hören wollen, sondern nehmen Sie die Fakten zur Kenntnis.

Dann bleiben wir bei den Fakten, zum Beispiel bei dem von Herrn Tenhumberg angesprochenen Pflegedienst. Im Pflegedienst bei der Arbeiterwohlfahrt im Bezirk Westliches Westfalen werden 5,4 % Leiharbeiter beschäftigt. Hier werden mit dem Instrument der Leiharbeit lediglich krankheits- und kurbedingte Ausfälle kompensiert. Im Prinzip ist das genau das, Herr Tenhumberg, was Sie eben ausgeführt haben, nämlich wofür das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz da ist, nämlich um saisonale Spitzen oder Auftragsspitzen – in diesem Fall Krankheitsspitzen – auszugleichen. Setzen Sie sich mit den Fakten auseinander und hören Sie auf, in Richtung der Arbeiterwohlfahrt im Westlichen Westfalen permanent die Unwahrheit zu verbreiten. Das ist schäbig, und das steht Ihnen, Herr Minister Laumann, auch überhaupt nicht zu.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schmeltzer. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Kollege Dr. Romberg das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Steffens, das Plenum ist auf beiden Seiten nicht sonderlich gefüllt. Vielleicht liegt es auch daran, dass Sie erneut ein Thema ins Landesparlament bringen, das eigentlich in den Deutschen Bundestag gehört. Wenn ich bedenke, wie häufig das in den letzten Wochen und Monaten der Fall war,

(Beifall von der SPD)

dann kann man daraus schließen, dass die Landesregierung auf dem Feld der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik gute Arbeit leistet, denn Vorschläge für konkrete Änderungen der Arbeitsmarktpolitik in Nordrhein-Westfalen bringen Sie nicht in den Landtag ein. Das ist ein Zeichen, dass unser Arbeitsminister eine ziemlich gute Arbeit vollbringt.

(Beifall von Peter Brakelmann [CDU])

Herr Kollege Schmeltzer, Sie haben etwas von „kollegial“ gesagt und gleichzeitig den Kollegen Brakelmann beschimpft, und zwar im Zusammenhang damit, dass er einmal im Betriebsrat war.

(Peter Brakelmann [CDU]: Bin ich noch im- mer!)

Das ist er noch immer. Ihre Information, Kollege Schmeltzer, ist nicht aktuell. Gerade für Betriebsräte ist es wichtig, dass sie kollegiales Verhalten kennen. Ich war nämlich auch einmal im Betriebsrat. Das ist äußerst wichtig.

Es sind sicherlich alle Fraktionen zumindest einig, dass die Vorgänge bei Schlecker nicht nur ein Ausdruck schlechten Führungsstils, sondern vielmehr auch eine Form von Missbrauch von Zeitarbeit sind. Dass kleine Filialen geschlossen werden und man sich auf diese Weise der Mitarbeiter entledigt, im Anschluss daran aber angeblich große XL-Filialen eröffnet und über eine Zeitarbeitsfirma Arbeitnehmer einstellt, die zu erheblich schlechteren Bedingungen arbeiten müssen, das halten sicherlich alle für total blöd und nicht akzeptabel. Ich kenne es aus meiner eigenen Heimatstadt, wo im Moment zwei Schlecker-Filialen dichtgemacht werden. Aus einer Filiale wird jetzt ein Schlecker-XL. Der wird noch nicht einmal größer. Die Hälfte der Leute wird entlassen. Die andere Hälfte bekommt deutlich schlechtere Bedingungen. Das ist sicher verwerflich. Es sollte in diesem Parlament Einigkeit darin bestehen, dass wir das nicht akzeptieren.

(Beifall von der CDU)

Aus meiner Sicht sieht unternehmerische Verantwortung anders aus. Es ist häufig so, dass, wenn Unternehmen zu groß werden, die Unternehmensführung zu weit von den Arbeitnehmern entfernt ist. Zum Glück ist der Großteil in diesem Land mittelständisch geprägt, sodass hier der Aspekt, den Arbeitnehmern zu fern zu sein, nicht so zum Tragen kommt.

Die FDP lehnt derartige Geschäftsmethoden von Schlecker entschieden ab.

Auf einen flächendeckenden Missbrauch von Zeitarbeit gibt es aber trotz des aktuellen Falls derzeit keine Hinweise.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])