Protokoll der Sitzung vom 20.01.2010

Es ist klar, dass die Regelungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und zur Leiharbeit seinerzeit dem Sinn und Zweck dienen sollten, gerade in den Fällen, bei denen es um Schwangerschaftsvertretungen, um Urlaub oder um Krankheitsfälle ging, kurzfristig eine Lücke zu schließen. Das hat aber nichts mehr mit dem zu tun, was heute auf dem Markt mit Leiharbeit real verbunden wird.

Deswegen haben wir diesen Antrag hier und heute eingebracht und extra – das geht in Richtung der wenigen hier anwesenden Vertreter und Vertreterinnen der Koalitionsfraktionen – auf den Bestandteil Mindestlohn verzichtet, weil wir wissen, dass darüber zwischen Ihnen und uns ein heftiger Dissens besteht. Wir halten gleichzeitig eine Mindestlohnregelung für notwendig, Sie nicht. Deswegen und damit Sie so die Möglichkeit haben, diesem Antrag, für den es in diesem Haus eigentlich einen Konsens geben müsste, bedenkenlos zustimmen zu können, befassen wir uns in diesem Antrag nicht mit dem Mindestlohn.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Wir fordern auch nichts, was ein Versetzen von Häusern bedeutet. Wir fordern nichts, was alles auf den Kopf stellen würde. Wir wollen lediglich, dass das, was wir an landesrechtlichen Handlungsmöglichkeiten haben, in Gänze ausgeschöpft wird, damit diesem Lohndumping und diesem Missbrauch ein Riegel vorgeschoben wird. Wir wollen auch, dass das Land Nordrhein-Westfalen deutlicher als bisher über Bundesratsinitiativen und andere Instrumente versucht, die Novellierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes voranzutreiben, damit diesen Missbrauchsfällen und diesen Fällen wie bei Schlecker endlich der Riegel vorgeschoben wird.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)

Von daher, meine Damen und Herren, bin ich gespannt auf die Debatte. Ich bin auch gespannt darauf, ob Sie sich diesem Antrag anschließen können oder ob Sie wie in anderen Fällen meinen, dass der Wahlkampf jetzt an erster Stelle steht und der fachliche und sachliche Inhalt in die zweite Reihe gestellt wird und wider Vernunft Dinge nicht beschlossen und nicht gemeinsam getragen werden. Ich würde mir wünschen, dass Sie über Ihren Schatten springen und wir gemeinsam dieses Signal senden können.

Wie ich eben schon sagte, sind es nicht nur die Beschäftigten von Schlecker. Vor kurzer Zeit hatten wir dasselbe mit real. In Mülheim an der Ruhr sollte ein neues real-Unternehmen gegründet werden, welches die Beschäftigten zu Bedingungen

beschäftigen sollte, die unter dem eigenen Tarifvertrag lagen. An anderen Stellen geschieht dies mit anderen Unternehmen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Metall!)

Ich würde mir wünschen, dass ein ganz klares und deutliches Signal an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Nordrhein-Westfalen geht, dass kein Blatt Papier zwischen die unterschiedlichen Fraktionen passt und wir alle gemeinsam diesem Lohndumping und diesem Missbrauch einen Riegel vorschieben wollen. – Danke.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Steffens. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU Herr Abgeordneter Tenhumberg das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zeit- und Leiharbeit hat bereits eine lange Geschichte. Sie ist im Jahr 1990 in Nordrhein-Westfalen entwickelt worden. Ausgehend von dem niederländischen Modell wurden in Nordrhein-Westfalen durch die Firma „START Zeitarbeit NRW“ die ersten Zeitarbeitsplätze geschaffen.

Was sich in Amtsdeutsch „gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung“ nennt, beschreibt ganz normale heutige Arbeitsverhältnisse. Die obligatorische Sozialversicherungspflicht gilt hier ebenso wie die Pflicht zur Einhaltung aller anderen üblichen Regelungen und Pflichten.

Die Zeitarbeitsbranche hat in den letzten Jahren trotz Wirtschafts- und Finanzkrise eine positive Entwicklung genommen. Mit Blick auf die zurzeit negativen Erscheinungsformen kann man zu leicht vergessen, dass gerade diese Branche in den letzten Jahren einen beispiellosen Beschäftigungsboom entfacht hat und dabei ein Image für sich entwickeln konnte, das sie zunehmend auch für Hochqualifizierte interessant erscheinen lässt.

Zeitarbeit hat insbesondere die Aufgabe, betriebliche Auftragsspitzen aufzufangen, Innovations- und Auftragssprünge in der Anfangsphase personalmäßig zu begleiten und für Vertretungen im Urlaubs- und Krankheitsfall zu sorgen.

Wir benötigen in der aktuellen Diskussion mehr Fakten anstelle üblicher Ideologien. Daher möchte ich hier einige positive Ansätze der Zeit- und Leiharbeit nennen:

Zeitarbeit ist aus Sicht des Staates eine effektive und mit Abstand die wirtschaftlichste Form der Integration von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt, da die Kosten von Unternehmen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern überwiegend selbst erwirtschaftet werden.

Hinter Zeitarbeit stehen fast ausschließlich sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Zeitarbeit findet eben nicht, wie bei vielen anderen Arbeitsmarktprogrammen üblich, unter einem besonderen Schutzschirm statt, sondern in der harten Realität des globalisierten Wirtschaftslebens.

Zeitarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer sorgen durch ihre Flexibilität für dringend notwendige Impulse und für Veränderungen in den Leihunternehmen, da sie festgefahrene betriebliche Denk- und Verhaltensmuster nicht nur infrage stellen, sondern diese auch häufig positiv verändern.

Zeitarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer sind der beste Garant dafür, dass immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Unternehmen der dringenden Notwendigkeit des lebenslangen Lernens gerecht werden können.

Zeitarbeit steht für die gesamte Fülle des Arbeitslebens. Hilfsarbeiter, Schlosser, Buchhalter, Ingenieure und IT-Experten sind dort beschäftigt.

Zeitarbeit holt die Menschen aus der Arbeitslosigkeit. Circa 60% aller Zeitarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer werden vom Kundenunternehmen übernommen; weitere 20% werden von einer anderen Firma weiterbeschäftigt.

Durch ihre Flexibilität geben die Zeitarbeitsfirmen der deutschen Wirtschaft die Möglichkeit, nicht nur ein-, sondern in wirtschaftlich angespannten Zeiten auch einmal auszuatmen.

Aufgrund ihrer Personalkompetenz und ihrer Nähe zu allen Arbeitsmarktbeteiligten wie zum Beispiel Arbeitsagenturen, Argen und regionalen Bildungsinstitutionen sorgt die Zeitarbeitsbranche in schwierigen Wirtschaftsjahren dafür, dass viele in der Zeitarbeit beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiterqualifiziert werden.

Es wäre wünschenswert, wenn die Kurzarbeiterregelung, die auch für die Zeitarbeitsbranche gilt, über den 31. Dezember 2010 hinaus gelten könnte.

Zeitarbeit baut Brücken in die Arbeit für jene Menschen, die sonst schlechte Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt hätten.

Meine Damen und Herren, durch einige skrupellose Gesellen ist die Zeitarbeitsbranche jetzt in negative Schlagzeilen geraten. Wir alle sollten dafür sorgen, dass das grundsätzlich gute und sinnvolle Modell der Zeitarbeit durch einige wenige, die es missbrauchen, nicht in Verruf gebracht wird.

Obwohl sich die schwarzen Schafe gesetzeskonform verhalten, gilt es zu betonen, dass es in der Auslegung der Gesetzeslage Grenzen gibt. Das hat mit Werten, mit Moral und Ethik zu tun, welche sich in Teilen der deutschen Wirtschaft anscheinend immer mehr auf dem Rückzug befinden.

Die Ursache dafür, dass diese negative Entwicklung eintreten konnte, findet sich in der Novellierung des

Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes aus dem Jahr 2004. Unter der Hartz-Gesetzgebung krempelte die damalige rot-grüne Regierung das deutsche Arbeitnehmerüberlassungsgesetz aus dem Jahr 1972 radikal um.

(Minister Karl-Josef Laumann: So war es!)

Die guten Regelungen, die eigentlich zum sozialen Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erlassen worden waren, wurden außer Kraft gesetzt.

(Minister Karl-Josef Laumann: Das hätten wir uns nie getraut!)

Wir sollten nicht vergessen, dass Rot-Grün diese Veränderung vorgenommen hat. Rot-Grün hat es zu verantworten, dass das Befristungsverbot aufgehoben worden ist. Rot-Grün hat es zu verantworten, dass das Wiedereinstellungsverbot und das Synchronisationsverbot nicht mehr gelten. Arbeitnehmerschutzrechte sind unter Rot-Grün abgebaut worden und gelten seit Januar 2004 nicht mehr.

(Beifall von der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, verspüren Sie nicht den Wunsch, auch in Ihren eigenen Reihen aufzuräumen? Zu oft beklagen Sie Missstände und stellen Forderungen auf und vergessen dabei das eine oder andere Detail.

Auch in SPD-nahen Unternehmen, in denen viele Genossinnen und Genossen an verantwortlicher Stelle ein Zubrot verdienen, werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter systematisch aus Anstellungsverhältnissen in hauseigene Zeitarbeitsfirmen gedrängt. Für mich ist dies kein Verhalten, das überzeugt.

Betrachten Sie doch bitte einmal die Arbeiterwohlfahrt im Bezirk Westliches Westfalen einmal genauer und kritisch.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Oh ja!)

Die hauseigene Zeitarbeitsfirma ist personell aufgestockt worden. Zeitgleich werden in den Pflegeheimen der AWO drastisch die Stammbelegschaften reduziert.

Gern stellen Sie hier Ihren Einsatz für sozial Benachteiligte zur Schau. Gleichzeitig handeln Sie bei der AWO aber nach anderen Grundsätzen. Erstaunen können diese Lohnsenkungsstrategien, die sich bei der AWO und leider auch in anderen gemeinnützigen Unternehmen breitmachen, schon; denn eigentlich hatten Sie sich doch dem Guten verpflichtet. In Ihrem Handeln sind Sie – wie sich bei der AWO zeigt – von kapitalistischen Arbeitgebern kaum noch zu unterscheiden.

Die systematische Tarifflucht, um Tarifverträge auszuhebeln und Stammbelegschaften zu ersetzen, muss scharf verurteilt werden. Fleißig, billig,

schutzlos – das darf es in Nordrhein-Westfalen nicht geben.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, wir müssen gemeinsam Wege suchen und finden, die eine negative Entwicklung des an sich tollen Systems verhindern. Fehler im System müssen korrigiert werden. Ich freue mich daher, dass wir im zuständigen Ausschuss über die notwendigen Korrekturen vertiefend diskutieren können. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Tenhumberg. – Für die Fraktion der SPD hat der Abgeordnete Kollege Schmeltzer das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich freue mich immer, wenn die Union sich freut, dass sie mit uns im Ausschuss diskutieren darf. Nur handeln tut sie nicht, Herr Kollege Tenhumberg.

Ich darf in Erinnerung rufen, dass dieser Antrag, der jetzt leider Gottes anhand des Beispiels Schlecker gestellt wurde – ich meine nicht, dass er leider Gottes gestellt wurde, sondern dass leider Gottes Schlecker so gehandelt hat –, einer in einer Folge von vielen Anträgen ist, die wir und Bündnis 90/Die Grünen zu dem Thema „Zeit- und Leiharbeitsbranche“ in den verschiedenen Facetten bereits gestellt haben.

Ich erinnere daran, dass wir diese Thematik der Leiharbeitsverhältnisse bereits im März 2008 an dem Fall Nokia diskutiert haben. Die Kollegin Steffens sagte, eigentlich müssten wir hier in dem gleichen Konsens handeln, weil ja auch dieser Antrag schlauerweise den Mindestlohn nach dem Entsendegesetz nicht beinhaltet. Den diskutieren wir dafür dann morgen noch einmal extra. Eigentlich müssten wir Konsens haben, Frau Kollegin Steffens, zumindest, wenn wir die Wortbeiträge der Koalitionäre zugrunde legen. Einer fehlt ja noch. Den klammern wir mal aus. Auch was die Wortbeiträge des Ministers und die Überschriften des Ministers betrifft, sollte das gelten. Aber das ist nur eigentlich ein Konsens. Denn das tatsächliche Handeln ist ja ein anderes, wie wir wissen.