Protokoll der Sitzung vom 21.01.2010

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren, es ist nicht einfach, am Ende einer solch langen Aussprache zu reden, und dann auch noch nach dem Kollegen von der Linkspartei. Er bestätigt mich in meiner früher schon einmal geäußerten Behauptung, die ich hiermit auch gerne wiederhole, dass der Vertreter der Linkspartei im Landtag strukturell in der gleichen Weise agiert, wie das die NPD in den Landtagen tut, in denen sie vertreten ist.

(Beifall von der CDU – Rüdiger Sagel [frakti- onslos]: Herr Präsident, ich bitte Sie, den zu rügen! Das ist eine Unverschämtheit! Neh- men Sie das zurück! Arbeiten Sie Ihre braune Vergangenheit endlich mal auf! Unver- schämt!)

Ich unterscheide nicht zwischen den Populisten von links oder rechts.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, der Bericht der Zukunftskommission riskiert einen Blick auf das Jahr 2025.

(Rüdiger Sagel [fraktionslos]: Unglaublich!)

Zukunftsszenarien haben immer ein Problem: Sie spielen eine neue Welt durch, die genau so natürlich nie existieren wird. Vorwegnahmen sind immer schwierig – wer konnte denn im Sommer 2008, als die Kommission arbeitete, ahnen, dass einmal die schwerste Weltwirtschaftskrise der Nachkriegszeit unsere Wirtschaft erschüttern würde? Und doch haben solche Entwürfe eine sehr positive Wirkung. Die Szenarien öffnen die Köpfe und helfen dabei, über den Tellerrand des Tagesgeschäfts hinauszudenken.

(Zuruf von der SPD: Das führt aber auch viele in den Ruin!)

Dieser Bericht ist eine höchst anregende Lektüre. Er provoziert Stellungnahmen zu Themen, die im Tagesgeschäft untergehen können.

Natürlich passt nicht alles davon 1:1 zur Programmatik der Christdemokraten. Dafür waren die Mitglieder der Arbeitsgruppe und war auch ihre politische Herkunft zu verschieden.

So können zum Beispiel durch die Flexibilisierung der Wochenarbeitszeit Kräfte freigesetzt werden; dem sind wir auch gefolgt, allerdings nicht in Bezug auf den Sonntag, den wir als arbeitsfreien Tag der Muße und des gemeinsamen Abschaltens schützen.

Wirtschaftliche Vernunft und soziale Verantwortung – das sind die Markenzeichen christdemokratischer Politik. In der Regierungserklärung von heute Morgen haben wir ein nachdrückliches und ein eindringliches Bild davon bekommen.

Der Bericht der Zukunftskommission hat bereits Wirkung gezeigt, und er wird – natürlich in unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen – weiter diskutiert werden.

Lassen Sie mich auf ein paar Elemente eingehen:

Das Kapitel 2 ist mit „Wachstum als Wohlstandsvoraussetzung“ überschrieben. Damit ist ohne Frage eine richtige Prioritätensetzung vorgenommen worden. Wachstum ist hier am Hochtechnologiestandort Nordrhein-Westfalen an Innovation, an Technik und an Forschung gebunden.

Wir haben schon sehr viel dazu gehört. Vielleicht sei noch an die Einrichtung der neuen Fachhochschulen erinnert, die sich besonders den naturwissenschaftlichen Fächern widmen, um den eklatanten Rückstand in diesen Bereichen – eine schlimme Erblast von der früheren Bildungspolitik – aufzufangen.

In vielen unserer Reformen finden wir uns bestätigt.

(Karl Schultheis [SPD]: Die Studierenden be- stätigen Sie so aber nicht!)

Beispiel: Studienbeiträge. Wurden schon in dem von unserem Fraktionsvorsitzenden Stahl angesproche

nen Bericht des Zukunftsrates NRW – „NRW 2015 – Ressourcen nutzen, Regionen stärken“ –, erstellt unter der Ägide Steinbrück/Höhn im Jahr 2004, Studiengebühren in Höhe von 2.000 € bis 4.000 € je Semester und Student vorgeschlagen – die damalige Landesregierung hat daraufhin erstmalig Studiengebühren eingeführt –, so findet sich in dem neuen Bericht die Empfehlung die Erhebung nachgelagerter Studienbeiträge in sozialer Verantwortung, so wie wir sie zur Verbesserung und zur Finanzierung einer besseren Lehre eingeführt haben.

(Thomas Trampe-Brinkmann [SPD]: Dann verlassen Sie aber die wissenschaftliche Analyse!)

Der Bericht verweist unter dem Kapitel „Innovation als Treiber des Wachstums“ auf die Chancen der biochemischen Grundlagenforschung und der Stammzellforschung.

Meine Damen und Herren, die Anwendungspotenziale nutzen wir, auch diese Forschung fördern wir – aber eben nicht mit embryonalen Stammzellen, sondern mit ethisch unbedenklichen adulten Stammzellen.

Ich könnte jetzt noch vieles zu anderen Themenfeldern erzählen. Ich hatte mich auf Elektromobilität, Nanotechnologie, Gesundheitswirtschaft vorbereitet. Ich lasse das einmal. Vielleicht nur folgender Hinweis: Nicht allein die Naturwissenschaften haben Potenzial und verdienen Beachtung, auch die Geisteswissenschaften tragen zur Innovation bei, nicht zuletzt dadurch, dass sie traditionelle Sichtweisen hinterfragen und neue Fragestellungen ermöglichen.

Innovation entsteht nicht zuletzt aus dem Spiel, aus der zunächst zweckfreien Grundlagenforschung. Solche Kreativität wird durch das Einüben in ungewöhnliche Hirnverknüpfungen gefördert, durch die Freude am Ungeplanten, Unplanbaren und Überraschenden. Das wird in der Form des Spiels, des kreativen, künstlerischen Spiels, erprobt. So hat es der Hirnforscher Spitzer vor wenigen Wochen in einer Veranstaltung der CDUFraktion hier in diesem Saal erläutert.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen kleinen Rückblick auf unsere Debatte von heute vornehmen. Vorhin ist unter anderem von Frau Löhrmann gesagt worden, es sei falsch, wenn der Ministerpräsident hier vortrage, man wolle praktische und theoretische Begabungen fördern. Das sei deshalb falsch,

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Nein!)

weil alle Menschen alle Begabungen hätten. So haben Sie vorhin gesagt. – Das halte ich wirklich für grundfalsch, Frau Löhrmann.

(Zustimmung von Ralf Witzel [FDP])

Außerdem möchte ich einen anderen Punkt aufgreifen. Frau Kraft hat hier in der Haushaltsdebatte gesagt:

Laut Hochschul-Informations-System sagen in einer Befragung der Studienberechtigten, also derjenigen, die jetzt hätten studieren können, 77 %, dass sie gerne studieren würden, es aber aus finanziellen Gründen nicht tun werden. 69 % geben explizit an, dass die Studiengebühren dafür verantwortlich sind. Das Schlimmste ist aber, dass es 75 % Frauen sind.

So weit der Text von Frau Kraft in der Haushaltsdebatte. Man denkt: Um Gottes willen, 75 % der Studienberechtigten können nicht studieren, weil – so deren Angabe – die Studiengebühren sie abhalten würden.

Nach der HIS-Studie sind die Zahlen in Wirklichkeit folgende: 69 % der befragten Studienberechtigten hatten bereits ein Studium begonnen, 7 % der Befragten beginnen gerade ein Studium, und 24 % geben an, das Studium nicht aufnehmen zu können. Davon wiederum sagen 77 %, sie könnten das nicht aus finanziellen Gründen tun, und davon nennen 69 % als Grund die Studiengebühren. Das heißt, wir sind bei maximal 16 %, und der Frauenanteil läge bei maximal 12 %. – Das sage ich, um Legendenbildungen vorzubeugen, die vielleicht nachher im Wahlkampf eine Rolle spielen könnten.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Löhrmann?

Aber gerne.

Bitte schön, Frau Kollegin Löhrmann.

Schönen Dank. – Herr Sternberg, manchmal macht ein praktisches Beispiel besser deutlich, was man meint und was ich eben zum Ausdruck bringen wollte. Ich gehe davon aus, dass sie einen guten Zahnarzt oder eine gute Zahnärztin haben. Sind Sie nicht auch froh, dass dieser akademisch ausgebildete Zahnarzt auch praktisch begabt ist?

Frau Löhrmann, ich könnte Ihnen jetzt darauf antworten, dass unter Mediziner die Zahnmedizin und die Chirurgie immer schon als Handwerke galten. Aber diesen alten Witz will ich nicht machen. Selbstverständlich braucht ein Zahnarzt gleichermaßen manuelle und theoretische Kenntnisse. Aber sind Sie nicht mit mir der Meinung, dass zum Beispiel ein Maler mehr manuelle Fähigkeiten braucht als intellektuelle, während ein Philosoph mehr intellektuelle als

praktische braucht? Es gibt einfach unterschiedliche Tätigkeiten, die unterschiedliche Fähigkeiten erfordern.

(Zuruf von Karl Schultheis [SPD])

Lassen Sie mich noch etwas zur Kultur sagen. Es gibt nämlich im Kommissionsbericht ein Kapitel mit der Überschrift „Kultur als Innovationsmotor“, in dem Ralf Dahrendorf uns ins Stammbuch schreibt -ich zitiere –:

Jedenfalls muss das Land diesen „weichen“ Faktoren eine besondere Bedeutung beimessen, wenn es nicht im Mittelmaß versinken will.

Ökonomie basiert heute mehr denn je auf der Kreativität der Köpfe. Von der wachsenden Bedeutung der Kulturwirtschaft ist in dem Bericht die Rede.

Ich war vor Kurzem in einem ganz traditionellen Betrieb der Kulturwirtschaft, im Landwirtschaftsverlag Münster, der seit ein paar Jahren den Shootingstar unter den neuen Zeitschriften, die „LandLust“, herausgibt. Ihre Auflage hat jetzt sogar die des „Focus“ überflügelt. Ich habe gefragt: Welche politischen Rahmenbedingungen brauchen Sie, um zu arbeiten? – Es wurde mir gesagt: Das Wichtigste, was wir brauchen, sind gute Leute und kreative Köpfe.

Die erschreckendste Zahl ist für mich – das sei auch Frau Kraft im Hinblick auf ihre dunkel-düstere Analyse des Arbeitsmarktes gesagt – die, die das deutsche Handwerk mitteilte, dass nämlich im vergangenen Jahr in Deutschland 10.000 Ausbildungsplätze nicht besetzt werden konnten. Sie konnten übrigens aus vielerlei Gründen nicht besetzt werden. Dort werden unsere Zukunftsprobleme liegen. Im Handwerk werden nach wie vor die meisten Ausbildungsverträge mit Hauptschulabsolventen geschlossen, mit Schülern, die von einer Hauptschule kommen, die man systematisch kaputtgeredet hat und herunterkommen lassen würde.

(Beifall von der CDU)

Wir haben die Kulturpolitik wieder in ihren Rang eingesetzt, vor allem dadurch, dass wir NordrheinWestfalen mit der Verdoppelung des Kulturetats zu einem Modellland der kulturellen Bildung gemacht haben. Dazu ist viel zu sagen. Ich werde das nachher, im Zusammenhang mit dem Kulturbericht, noch machen.

Es geht tiefer. Diese Kulturfrage ist wichtiger: Wer sagt uns, wer wir sind? Selbstvergewisserung geschieht durch Kultur. Was bleibt aus unserer Gegenwart einmal übrig? Da ist Norbert Lammert sinngemäß mit dem Satz zu zitieren: Was von dieser Generation wie von früheren Generationen, wenn es gut geht, im Gedächtnis zurückbleiben wird, sind nicht unsere Bahnhöfe und Flugplätze, auch nicht unsere Steuergesetze, nicht einmal das Niveau unserer sozialen Sicherungssysteme, es sind Kunst und Kultur.

Die Gegenwart wird aus Erfahrungen gedeutet, und wer Veränderungen und Neuerungen in der Vergangenheit kennengelernt hat, ist auch offen für Veränderungen in der Zukunft.

Besonders deutlich wird der kulturelle Aufbruch in der Kulturhauptstadt Europas „Essen für das Ruhrgebiet“. Es gibt dort eine Fülle von Veranstaltungen, die nicht nur das zeigen, was die bestehenden Institutionen leisten, sondern auch das, was die neuen planen. Das reicht vom neuen Ruhr Museum auf der Zeche Zollverein über das im Bau befindliche Landesarchiv Duisburg bis zum Dortmunder „U“.

Sie alle stehen für die Formel „Kultur durch Wandel – Wandel durch Kultur“. Da werden Projekte konkret, die manche Visionen über das Ruhrgebiet aus dem Text der Zukunftskommission bestätigen – wenn auch manches andere darin nur als lebende Euphorie zu erklären und auf den Boden der täglichen mühsamen Anpassungsprozesse herunterzuholen ist.