Protokoll der Sitzung vom 03.02.2010

Ehrenamtliches Engagement im Bereich der rechtlichen Betreuung ist eine anspruchsvolle und verantwortliche Aufgabe und verlangt vom Betreuer oder von der Betreuerin eine große Zahl persönlicher Fähigkeiten, emotionale Stabilität, Mut und natürlich auch die notwendige Zeit.

Auch den zahlreichen Betreuungsvereinen der kirchlichen Sozialdienste, die ehrenamtliche Betreuer gewinnen, beraten und fortbilden, gebührt unser ausdrücklicher Dank. Ohne die würde es nicht gehen. Hier sind Menschen bereit, ein Stück Verantwortung zu übernehmen und denen zu helfen, die zu den Schwächsten unserer Gesellschaft gehören, die des Schutzes der Rechtsgemeinschaft und des Staates bedürfen.

Wenn daneben aber – Sie haben es angesprochen, Frau Kollegin – eine regelrechte „Betreuungsindustrie“ entstanden ist, so darf uns das nicht gleichgültig lassen. Das ist absolut richtig. Wir

müssen etwaige Missstände bei der beruflichen Betreuung abstellen. Auch die Explosion der Kosten der beruflichen Betreuung darf uns nicht unbeeindruckt lassen.

Zum anderen muss es aber auch darum gehen, in Zukunft das Ehrenamt im Betreuungswesen noch stärker in den Vordergrund zu rücken. Damit unterstreichen wir eben auch den sozialen Aspekt der Betreuung. Es geht gerade nicht darum, einen Betreuungsbedürftigen rechtlich zu entmündigen, sondern ihm soll seine Autonomie so weit wie irgend möglich erhalten bleiben. Unter diesem Aspekt scheint dieses Ziel mit der ehrenamtlichen Betreuung am besten gewahrt. Nicht zuletzt die Familienangehörigen sind hier in der Pflicht.

Wenn es uns gelingt, ein Umdenken und einen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen, der uns zu einem neuen Wir-Gefühl in den Familien bringt, wird das auch positive Auswirkungen auf die Praxis der rechtlichen Betreuung haben.

Wir wissen: Das Recht der Betreuung ist nicht statisch. Denn mit der Betreuungsverfügung, aber auch mit den neu eingeführten Rechtsinstituten der Patientenverfügung und der Vorsorgevollmacht

(Frank Sichau [SPD]: Die sind nicht neu!)

stehen weitere Mechanismen der rechtsgeschäftlichen Betreuungsvorsorge zur Verfügung, die die Privatautonomie des Betroffenen in einem Höchstmaß zu schützen geeignet sind. Wer damit im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte für den Fall der Betreuungsbedürftigkeit Vorsorge trifft, kann die spätere Anordnung einer Betreuung überflüssig machen. Es gilt, noch mehr präsent zu machen und die Aufmerksamkeit darauf zu richten, dass man auch hierdurch Vorsorge betreiben kann und sollte. Denn wünschenswert ist es, dass die Menschen in Nordrhein-Westfalen noch stärker auf die Vorteile der rechtsgeschäftlichen Betreuungsvorsorge hingewiesen werden.

Alles in allem ist festzuhalten, dass das seit 1992 in Deutschland geltende Betreuungsrecht ein Erfolg ist. Die Praxis des Betreuungsrechts in Nordrhein-Westfalen zeigt, dass die vom Staat bestellten Betreuer dem in sie gesetzten Vertrauen gerecht werden. Wir negieren nicht, dass auch wir wissen, dass in der Praxis häufig Kritik an Betreuern kommt. Doch wir wissen auch, dass diese Kritik einem Rechtsweg offensteht und eine gerichtliche Überprüfung der Entscheidungen über den Betreuten eingeholt werden kann. Davon wird ja auch verstärkt Gebrauch gemacht.

Also in allem ist das ein positives Fazit. Gleichwohl erkennen auch wir weiteren Handlungsbedarf und werden diesen Punkt entsprechend weiter verfolgen. – Vielen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Giebels. – Herr Dr. Orth, Sie haben jetzt das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, ich versuche, die Sekunden, die Sie mir eben zusätzlich gewährt haben, nun wieder hereinzuholen.

Ich bin zufrieden damit, dass wir uns offenbar alle einig sind, dass wir das Ehrenamt mehr in Betreuungsfälle einbeziehen müssen. Insofern sehe ich hier einen Grundkonsens.

Meine Damen und Herren, nicht verstanden habe ich, dass hier vonseiten der SPD im Übrigen zum Betreuungsrecht relativ kritische Worte gekommen sind. Ich frage mich, warum man, wenn man doch bis vor einigen Monaten im Bund regiert hat, an dieser Baustelle, wenn sie einem denn so wichtig war, nicht auch einmal gearbeitet hat. Insofern ist Ihr heutiger Vortrag doch eher unter dem Aspekt zu sehen: Wir tun mal so, als ob wir uns um was kümmern, haben in der Vergangenheit aber selber real nicht an den Problemen gearbeitet.

Was die Antworten anbelangt, bin ich nicht unzufrieden. Hier hat die Landesregierung alles offen und schonungslos dargestellt.

Ich kann allerdings nicht verstehen, dass vonseiten der SPD gesagt wird, wir brauchten mehr Kontrollen. Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass Sie hier einem Kontrollwahn unterliegen. Ich bin mir nicht sicher, ob das richtig ist. Es hilft nicht immer, bei jedem und allem nachzugucken; vielmehr hilft es, zielgenauer nachzugucken. Da bin ich mir sicher, dass die Gerichte schon einen Überblick über ihre Betreuer haben

(Elisabeth Veldhues [SPD]: Nein!)

und wissen, wo sie mehr hingucken müssen und wo sie vielleicht weniger hingucken müssen.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Insofern müssen wir uns hier, glaube ich, keine verstärkten Sorgen machen. Wir als Liberale setzen im Übrigen darauf, dass wir zu mehr Vorsorgevollmachten kommen, in der Hoffnung, dass dann die gerichtlich bestellte Betreuung entsprechend weniger oft notwendig ist. Ich würde mich freuen, wenn wir alle in diesem Hause unseren Schwerpunkt auf dieses Instrument legen und hier gemeinsam voranschreiten würden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Orth. – Frau Düker, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Nordrhein-Westfalen

gibt es, wie wir jetzt wissen, über 300.000 Personen unter Betreuung, bundesweit mehr als 1,2 Millionen. Wir wissen auch, dass diese Zahl in den letzten zehn Jahren um ungefähr 50 % gestiegen ist, sich also verdoppelt hat. Wir wissen des Weiteren – Frau Kollegin Veldhues hat die Zahlen genannt –, dass angesichts der Demografie und der mit ihr in Zusammenhang stehenden Zunahme von Demenzerkrankungen bald jeder Vierte in Deutschland einen Betreuer oder eine Betreuerin brauchen wird, weil er eben nicht mehr für sich selber sorgen kann.

Angesichts dieser Entwicklung halte ich es auch für legitim, dass die SPD sich hier mit einer Großen Anfrage dem Problem gewidmet hat; denn wir müssen darauf reagieren. Leider finde auch ich in der Antwort der Landesregierung herzlich wenig, was wirklich in die Zukunft weist, und kaum Aussagen dazu, was getan werden muss, um diese Entwicklung zu gestalten und mit ihr umzugehen.

Um welchen Personenkreis und um welche Problemlagen geht es? 85 % derer, die berufsmäßig betreut werden, sind mittellos. Diese Menschen leben in komplexen Problemlagen. Was sind das für Problemlagen, und was für Anforderungen müssen sich daraus eigentlich an die Betreuer stellen? All das erfahren wir eigentlich nicht; aber all das wären wichtige Analysen, um überhaupt Antworten geben zu können.

Auch im Hinblick auf die ehrenamtliche Betreuung finde ich viel Fehlanzeige. Der Anteil der ehrenamtlichen Betreuung liegt in NRW bei 63,5 %, der Mittelwert für Deutschland aber bei fast 70 %, über 67 %; damit liegen wir weit unter dem Durchschnitt. Gucken wir uns den Haushalt an, stellen wir fest, dass die Betreuungsvereine, die Ehrenamtler, bei Herrn Laumann im Etat stehen und die Berufsbetreuer im Justizetat. Vielleicht kann man das einmal zusammenführen. Ich meine jedenfalls, dass das eigentlich zusammengehört, weil es korrespondierende Röhren sind.

Vor zwei Jahren hat die Landesregierung die Zuschüsse für die Betreuungsvereine, die ja neue Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler gewinnen sollen, deutlich, nämlich von 1,5 Millionen € auf 800.000 €, abgesenkt. Mir ist unverständlich, Herr Giebels, wie man einer solchen Entwicklung hier noch Vorschub leisten kann; denn gerade diese Menschen brauchen wir. Guckt machen sich die Kommunen an, sieht man, dass das vor Ort sehr unterschiedlich gestaltet wird. Ich meine, da gibt es eine ganze Menge Potenzial für mehr Ehrenamtliche. Wenn wir die Betreuungsvereine stärkten, wenn wir die Kommunen stärkten, bekämen wir eine Entlastung hin; denn die Betreuungsvereine tragen – das wissen wir alle – eine besondere Verantwortung bei der Gewinnung und vor allen Dingen bei der Unterstützung ehrenamtlicher Betreuer. Sie leisten organisatorische Hilfe, bilden fort, beraten, übernehmen öffentlichkeitsorientierte Aufgaben

usw. All das ist die Investition wert, zumal auf der einen Seite – das ist dann der Einzelplan von Herrn Laumann – gekürzt wird, während auf der anderen Seite, nämlich im Einzelplan 04, die Zahlen natürlich seit Jahren ansteigen.

(Minister Karl-Josef Laumann: Bei mir ist nichts gekürzt worden!)

Diese beiden Bereiche müssen wir wieder einmal zusammen denken und müssen uns für die Zukunft überlegen, wie wir damit umgehen. Auch da finden wir nichts.

Auch das Thema Qualität ist von Kollegin Veldhues schon angesprochen worden. Die Zahl der Betreuten pro beruflichen Betreuer bzw. berufliche Betreuerin liegt zwischen 30 und 100.

(Elisabeth Veldhues [SPD]: Das ist ge- schätzt!)

Das sind Schätzungen. Wenn man sich aber überlegt, dass ein Berufsbetreuer vielleicht 100 Menschen betreuen muss, dann wird einem klar, dass er nur formale Angelegenheiten erledigen kann. Wenn wir wissen, dass ein Großteil der Betreuten mittellos ist und, wie gesagt, komplexe anderweitige Problemlagen hat, dann stellt sich hier die Frage, ob so die Qualität gewährleistet werden kann.

So hat die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen zu Recht darauf hingewiesen, dass es an Qualifikationsstandards und eben auch an Kontrolle fehlt. Hieran müssen wir ebenfalls arbeiten. Hier sehen wir Defizite und Aufgaben für die Zukunft, die bei der Beantwortung der Großen Anfrage von der Landesregierung nicht besonders herausgestellt wurden.

Auch der Vormundschaftsgerichtstag fordert schon seit Langem eine Verbesserung der Qualifikation, das heißt, berufsfachliche Mindestqualifikation für die ehrenamtliche Betreuung, Unterstützung durch Fachkräfte in Betreuungsvereinen und Kontrolle, ob das alles auch wirklich so läuft, wie es dem individuellen Hilfebedarf der Betroffenen entspricht.

Aufgabe der Betreuung ist – liebe Kolleginnen und Kollegen, das sollten wir uns alle noch mal vor Augen führen –, den Menschen das Selbstbestimmungsrecht zu sichern, die aufgrund einer gesundheitlichen Beeinträchtigung nicht mehr allein dazu in der Lage sind, selbstbestimmt zu leben.

Darum geht es; da geht es eben auch um Qualität, nicht nur um Zahlen. Ich glaube, hier ist eine Menge zu tun. Angesichts der Zahlen, mit denen wir konfrontiert sein werden, reicht es bei Weitem nicht aus, was wir hier mit der Antwort der Großen Anfrage auf dem Tisch haben. In der nächsten Legislaturperiode wird auf diesem Gebiet viel Arbeit vor uns liegen. Die Antwort der Großen Anfrage ist ein Anfang, aber die Debatte ist noch lange nicht am Ende. – Schönen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Jetzt hat für die Landesregierung Frau Ministerin Müller-Piepenkötter das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Frau Veldhues, wieso Sie für Ihren Beitrag eine Große Anfrage gebraucht haben, erschließt sich mir nicht so ganz. Gewünscht hätte ich mir allerdings, Sie hätten die Antworten gelesen und sich Ihre Meinung nicht im luftleeren Raum gebildet.

(Frank Sichau [SPD]: Das ist unverschämt, Frau Ministerin! – Elisabeth Veldhues [SPD]: Ich habe Sie mehrfach zitiert!)

Das hatte mit den Antworten überhaupt nichts zu tun.

Gleichwohl bin ich der SPD-Fraktion dankbar, dass sie uns mit der Großen Anfrage 37 zum Betreuungswesen und zum Betreuungsrecht in NordrheinWestfalen Gelegenheit gibt, dieses Thema öffentlich zu diskutieren.

Die Große Anfrage ist im Übrigen fast vollständig textgleich mit der Großen Anfrage, die die FDP im Jahre 2007 im Landtag Schleswig-Holstein gestellt hat. Gegen diese Verfahrensweise ist nichts zu sagen; Sie haben deren Text um einige Fragen ergänzt.

Insbesondere die Antworten auf die beiden Großen Anfragen, die die jeweiligen Landesregierungen gegeben haben, zeigen eines deutlich: Die Probleme, die das Betreuungswesen in den jeweiligen Ländern aufwirft, haben nichts mit Parteipolitik zu tun, sondern mit strukturellen und grundsätzlichen Problemen. Es wird deutlich, dass das Betreuungsrecht komplex ist. Vielfältige Regelungen bestimmen im Einzelnen die Voraussetzungen der Einrichtung und Führung einer Betreuung. Die Große Anfrage hat Gelegenheit gegeben, die gesetzlichen Regelungen im Einzelnen zu nennen und ihre Anwendung in der Praxis zu beschreiben.

Im Kern werden die vorhandenen Regelungen den Anforderungen der zu betreuenden Personen gerecht. Es ist derzeit nicht erkennbar, dass zwingend neue Einzelregelungen erforderlich sind, um die Bedürfnisse der zu Betreuenden zu befriedigen. – Entsprechendes gilt für die Betreuer, für ehrenamtliche wie für Berufsbetreuer.

Das eigentliche Problem des Betreuungsrechts liegt in der Zunahme der Zahl der Betreuungen. In Nordrhein-Westfalen hatten wir 2008 über 300.000 Betreuungen bei jährlichen Ausgaben von 174 Millionen €. Angefangen haben wir 1992 mit 122.000 Betreuungen; vor zehn Jahren gab es noch rund 187.000 Betreuungen. Das zeigt: Die Gruppe der

Betreuungsbedürftigen wächst kontinuierlich, landes- wie bundesweit.