Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Kollegin Beer das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich wollte ich mich zu dem Turboquatsch, den Frau Pieper-von Heiden hier erzählt hat, nicht äußern. Aber die Tatsache, dass sie Elternvertretern aus Paderborn – vor 250 Leuten hat sie da auf
dem Podium gesessen – die Legitimation abspricht, ist eine Unverschämtheit. Das ist wirklich der Gipfel der Frechheit!
Damit meint sie wahrscheinlich auch die mehr als 3.000 Eltern, die sich schon auf der Internetseite einer Bonner Initiative eingetragen haben und da Auskunft über ihre Ansicht zum „G8“ geben. Das werden Sie gleich auch noch hören.
Insgesamt wundere ich mich schon sehr über die Tonlage der Pressemitteilungen von Herrn Kaiser und von Frau Ministerin Sommer vom gestrigen Tag als erste Reaktion auf diesen Antrag.
Dem Kollegen Solf möchte ich auch sagen, dass man besser auf die Signale seines Körpers hören sollte. Die Stimme wollte ja schon nicht mehr mitmachen. Hätte er doch geschwiegen!
Wenn das mit der von Ihnen verzapften Zwangsschulzeitverkürzung am Gymnasium alles so wunderbar wäre, dann könnten Sie doch wahrlich souveräner sein. Ihnen dämmert aber, dass der Unmut in den Schulen riesengroß ist.
Herr Kaiser, Sie hätten in der letzten Woche an der von der Bezirksschülerinnenvertretung MindenLübbecke organisierten Podiumsdiskussion mit zahlreichen Schülerinnen und Eltern in Bad Oeynhausen teilnehmen sollen. Dann hätten Sie diesen Unmut noch mal live erlebt. Dann hätte Herr Solf heute natürlich auch nicht so reden können, wie er das hier getan hat. Und Sie haben sich der Debatte bisher ja entzogen.
Sie haben eine unvorbereitete Zwangsverordnung der Schulzeitverkürzung in der Sekundarstufe I abgeliefert – ohne eine Überarbeitung der Lehrpläne im Vorfeld und ohne eine Unterstützung der Schulen und Schulträger in Bezug auf die verlängerte Unterrichtszeit, die alle Gymnasien betrifft. Die zwei mal 54 Ganztagsangebote haben Sie doch erst auf Druck und Protest der Schulen und Eltern aufgelegt.
In anderen Bundesländern wird anders mit diesem Problem umgegangen. Es ist sehr interessant, auf der Webseite der Landesregierung von SchleswigHolstein aktuell zu lesen – ich zitiere –:
Die CDU/FDP-Koalition hat sich für eine Wahlfreiheit der Gymnasien ausgesprochen: Die Gymnasien können danach G8 oder G9 … oder parallel beide Varianten anbieten. … Spätestens ab dem Schuljahr 2011/12 sollen die Schulen
dann entscheiden können, ob sie das Abitur nach acht oder nach neun Jahren oder an einzelnen Standorten auch beide Varianten anbieten.
… Schülerinnen und Schüler, die zum kommenden Schuljahr 2010/11 an das Gymnasium wechseln, werden in acht Jahren bis zum Abitur geführt. Derzeit wird geprüft, ob dieser G8Jahrgang zum Schuljahr 2011/12 nachträglich auf G9 umsteigen kann.
Was soll hier also die Beschimpfung einer Kollegin, sie mäkele nur herum? Was soll vor allen Dingen die unsägliche Behauptung, es könne ein Abitur erster und zweiter Ordnung geben? Diese Formel führt ja auch der Philologenverband gerne im Mund. Ich finde das unsäglich. Es gibt kein Abitur erster und zweiter Ordnung, Frau Ministerin. Was zählt, ist die Leistung in einem Zentralabitur, das abgelegt wird – egal ob nach acht oder nach neun Jahren, egal ob am Gymnasium, an der Gesamtschule oder am Weiterbildungskolleg.
Wollen Sie denn den Menschen, die das Abitur am Abendgymnasium oder an einem Kolleg ablegen, weismachen, dass sie nach Ihrer Logik dann ein Abitur vierter oder fünfter Ordnung ablegen? Das finde ich in dieser Debatte unverschämt. Es hat dort auch nichts zu suchen.
Sie qualifizieren mit Ihren Äußerungen alle ab, die das Abitur nicht nach acht Jahren erwerben. Ich finde das ungerecht. Im Übrigen halte ich solche Äußerungen auch für einer Ministerin unwürdig. Wir müssen uns hier in Nordrhein-Westfalen daran messen lassen, ob es uns gelingt, dass mehr junge Menschen die Fachhochschulreife oder die Hochschulreife erwerben.
Nun noch mal zu der Aussage, die Gymnasialeltern hätten das ja alles abgesegnet: Dass Vorstandsmitglieder der Landeselternschaft der Gymnasien in Nordrhein-Westfalen ihre Kinder nicht immer mehr an der Schule haben, ist in der Tat richtig. Bitte beschimpfen Sie aber nicht die Eltern, deren Kinder jetzt in den Schulen sind und die ihrem Unmut Ausdruck verleihen.
Schauen Sie einmal auf die Internetseite www.g-ib8.de – also: Gib acht! Da finden Sie die Befragungsergebnisse von bisher knapp 3.500 Eltern – im Schwerpunkt aus dem Raum Bonn – zum Thema „G8“. Über 80 % der teilnehmenden Eltern empfinden die Belastung durch die Schule für ihre Kinder als zu hoch. Grund dafür ist bei knapp 60 % die Stofffülle. Besonders problematisch ist für fast 78 % vor allen Dingen die Tatsache, dass zur Stoffvertiefung keine Zeit mehr zur Verfügung
steht. Das muss dann zu Hause nachgearbeitet werden. Mehr als 51 % der Schülerinnen haben nach Angaben der Eltern 33 Stunden und mehr Unterricht. Dazu kommt für 30 % der Schülerinnen, dass insgesamt noch zwischen zehn und 16 Stunden für die Hausaufgaben aufgewendet werden müssen. Der Hausaufgabenerlass greift nicht. Meine Kollegin wird Ihnen das gleich noch mal aus der Sicht einer Mutter, die ihre Kinder im Augenblick in diesem System hat, sehr deutlich sagen.
Sie haben bei der Knall-auf-Fall-Zwangsschulzeitverkürzung in der Sekundarstufe I schlicht Turbomurks abgeliefert. Das muss noch mal deutlich gesagt werden.
Ihre Einheitszwangsverordnung ist das Gegenteil von dem, was wir brauchen: die konsequente Individualisierung des Lernens und damit die Steigerung der Akademikerinnenquote. Die Schulkonferenzen sollen auch in NRW entscheiden können, ob sie „G8“ oder „G9“ bzw. eine Kombination – wenn die Größe das zulässt – anbieten wollen. Ich kann Ihnen nur raten: Vielleicht hilft ja ein Telefonat mit dem Kollegen Kubicki. Der scheint im Augenblick ja einiges in NRW geraderücken zu müssen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ein Bild der Düsternis liegt über Ihrem Antrag. Dunkle Wolken stehen nach Ihrer Ansicht über dem achtjährigen Gymnasium.
Meine Damen und Herren, für jemanden, der das Gymnasium abschaffen will, haben Sie sich mit diesem Antrag richtig Mühe gemacht.
Offensichtlich – dazu gratuliere ich Ihnen – haben Sie den Ganztagsaufbau jetzt auch für sich entdeckt.
Mit den versprochenen 216 Ganztagsgymnasien und Ganztagsrealschulen und den insgesamt 336 alten und neuen Ganztagshauptschulen haben wir einen sehr festen Platz als Ganztagsschulland erworben, und darauf können wir stolz sein. Viele Länder beneiden uns deswegen.
Meine Damen und Herren, wir werden kein Gymnasium auf diesen Weg zwingen, hören aber immer wieder – ich höre das gern –, dass viele Gymnasien überlegen, den Weg in den Ganztag zu gehen. Ich danke an dieser Stelle schon jetzt den Schulen, die sich trotz mehrerer Hindernisse mittlerweile auf den Weg gemacht und gesagt haben: Für uns ist das Pionierarbeit, weil uns die Kinder und Jugendlichen wichtig sind. – Meine Damen und Herren, suchen Sie die Ganztagsgymnasien auf, und Sie werden vor Ort sehen: Es wird gebaut, es wird gebaut, es wird gebaut. Der Ganztag nimmt Fahrt auf, und das nicht nur äußerlich.
Nein, meine Damen und Herren, wir lassen den doppelten Abiturjahrgang nicht allein. Wir bereiten ihn sehr sorgfältig vor, und zwar nicht erst in den letzten Jahren, sondern wir wussten von Anfang an, dass das eine Herausforderung werden würde. Wir tauschen uns in den einzelnen Ressorts darüber aus. Es geht in dem Doppeljahrgang nicht nur um den Studienzugang, sondern auch um die Ausbildung.
An dieser Stelle würde ich gern ein Detail nennen: Die Eltern- und die Lehrerverbände raten uns tatsächlich dringend dazu, die Abiturprüfung so bestehen zu lassen, wie sie jetzt ist, und sie nicht auf zwei Termine zu verschieben; denn es gibt noch eine ganze Menge von Fragen, die man sich stellen muss. Gehen wir doch einfach von der Tatsache aus, dass wir jetzt für beide Gruppen gleiche Lehrpläne haben, dass wir eine gleiche Oberstufe in gleichen Kursen leisten können.
Man muss sich fragen: Was ist, wenn Schülerinnen und Schüler nicht studieren? Die Ausbildung beginnt in der Regel am 1. August. Was ist, meine Damen und Herren, mit der Kindergeldfrage? Auch sie muss gelöst werden. Sie wissen, dass bundesweit – das ist, glaube ich, das schlagende Argument – die meisten Studiengänge erst mit dem Wintersemester beginnen.
Ich bin dankbar, meine Damen und Herren, dass die dem Gymnasium nahestehenden Verbände – die Vereinigung der Eltern, der Lehrkräfte, der Schulleitungen; ich reise viel im Land umher, ich besuche die Gymnasien und höre ihnen zu – in einen offenen und kritischen Austausch mit uns gegangen sind. Sie sind uns wichtige Ratgeber und treten alle gemeinsam mit Nachdruck dafür ein, dass wir bei dem achtjährigen Gymnasium bleiben.
Meine Damen und Herren von der Opposition, kein Zurück zu „10 plus 2“! Mit Ihrem Modell „10 plus 2“ glaubten Sie 2005, den Königsweg gefunden zu haben: weg mit der Einführungsphase, egal was die KMK dazu sagt. Vor allen Dingen rücken wir meiner Ansicht nach viel zu wenig das einzelne Kind – den einzelnen Schüler, die einzelne Schülerin – in den Mittelpunkt. Sie haben damals auch die Seiteneinsteiger aus Hauptschule und Realschule nicht berücksichtigt und einfach gesagt: