Ich eröffne die Beratung, und Frau Abgeordnete Kieninger erhält für die SPD-Fraktion das Wort. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Im April 2009 hatten 7,1 Millionen Menschen einen Minijob. Das sind etwa 1,2 Millionen Minijobs mehr als noch im Jahre 2003. Auf den ersten Blick könnte man denken, der Minijob wäre eine Erfolgsgeschichte, aber nur auf den ersten Blick.
Es gibt wohl kaum ein anderes Arbeitsmarktinstrument, das so stark genutzt wird. Aber ist es wirklich ein Arbeitsmarktinstrument? Warum ist dies so? Es liegt daran, dass Minijobs massiv subventioniert werden, und dies, indem sie von Steuern und Sozialabgaben befreit sind, also Brutto für Netto und nicht nur mehr Netto vom Brutto. Das freut die Arbeitgeberinnen, und das freut auch den Arbeitnehmer und die Arbeitnehmerin.
Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag auf Bundesebene ist zu lesen, dass die Bundesregierung die Erhöhung und die Dynamisierung der Grenzen sozialversicherungsfreier Minijobs prüfen wird. Was bedeutet das denn? Sollen dadurch noch mehr Minijobs entstehen?
Das Ziel, die Brückenfunktion von Minijobs für den Übergang in voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu stärken, ist damit nicht zu erreichen.
Ist der Minijob denn wirklich eine Erfolgsgeschichte? Welches Ziel sollte denn mit den Minijobs erreicht werden? Erinnern wir uns: Der Minijob sollte gering qualifizierten Arbeitslosen ermöglichen, überhaupt in den Arbeitsmarkt zu kommen. Minijobs sollten
einen niedrigschwelligen Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt ermöglichen und damit eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt sein. Ob das Konzept Minijob erfolgreich ist, sollte sich doch ebenfalls an diesen Kriterien messen lassen.
Und wie sieht die Realität aus? Mittlerweile wissen wir einiges über Minijobs. Rund 2,2 Millionen Menschen sind in Nebenjobs geringfügig beschäftigt. Diese Menschen haben also eine versicherungspflichtige Beschäftigung. Für sie ist es attraktiv, noch zusätzlich einen von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern befreiten Job auszuüben, manchmal sogar im selben Unternehmen statt Überstunden. Dies erspart dann Sozialbeiträge und höhere Steuern. Wir können wohl davon ausgehen, dass hier das Ziel der Minijobs verfehlt und in manchen Fällen gar pervertiert wurde.
Für 4,9 Millionen Menschen ist der Minijob die einzige Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt überhaupt. Hier gibt es grundsätzlich zwei verschiedene Fälle. Im ersten Fall handelt es sich um Minijobber und Minijobberinnen, die in Haushalten leben, die über weitere Einkommensquellen verfügen: überwiegend Frauen, die Familienarbeit leisten und gerne mehr Erwerbsarbeit leisten würden, aber keine Chance auf umfangreichere Beschäftigung haben.
Gleichzeitig haben wir durch das Ehegattensplitting aber auch Anreizstrukturen geschaffen, die Frauen vom Arbeitsmarkt fernhalten, die aus diesem Grund – in Anführungszeichen – „nur“ im Rahmen eines Minijobs etwas hinzuverdienen wollen. Denn wenn „frau“ in einem Teilzeitjob – 18 Stunden in der Woche, 15 € pro Stunde – rund 1.080 € im Monat verdient und dank Steuerklasse V 500 € netto herauskriegt, dann ist das kein Anreiz. Leistung muss sich lohnen, betonen CDU und FDP. – Ja, gerne!
Das Ehegattensplitting bestraft die Leistung vieler erwerbstätiger Frauen geradezu. Wir unterstützen daher die Bundesfamilienministerin Köhler ausdrücklich in ihrem Vorhaben, das Ehegattensplitting auf den Prüfstand zu stellen, wie sie unlängst angekündigt hat. Sie wird feststellen: Das Ehegattensplitting ist leistungsfeindlich und muss abgeschafft werden.
Ein weiteres Problem sind die eigenen Rentenansprüche. Diese werden von Minijobberinnen und auch von den Minijobbern leider oft nicht bedacht. Das Resultat ist fehlende Altersvorsorge, und Altersarmut ist damit vorprogrammiert. Für diese Zielgruppe ist das arbeitsmarktpolitische Instrument der Minijobs aber eigentlich gar nicht gedacht gewesen.
In dem grundsätzlich anderen zweiten Fall existiert kein weiteres Haushaltseinkommen. Nur ist dann der Minijob bei Weitem nicht existenzsichernd. Hier werden in erheblichem Maße aufstockende Leistungen nach dem SGB II in Anspruch genom
men. Diese Menschen wollen gerne mehr arbeiten, um sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Wir wissen heute, dass für die Menschen der Minijob leider nur selten als Brücke in die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung fungiert. Der arbeitsmarktpolitische Erfolg des Instruments ist also sehr zweifelhaft.
Es muss uns aber auch interessieren, um welche Art von Jobs es sich bei den Minijobs handelt und wie die soziale Situation der Menschen aussieht, die diese Minijobs ausüben:
80 % der Minijobs sind in Dienstleistungsberufen, in der Gastronomie oder im Einzelhandel zu finden. Nebenbei bemerkt, stellen die geringfügig Beschäftigten in diesen Branchen mittlerweile etwa ein Viertel aller Beschäftigten, bei den Gebäudereinigern sogar 50 %.
75 % der Beschäftigten in Minijobs haben eine Berufsausbildung. Sie sind also nicht gering qualifiziert; sie sind qualifiziert. Diese Menschen brauchen eine andere Brücke in den Arbeitsmarkt.
Trotz Berufsausbildung haben 80 % der Minijobber und Minijobberinnen Stundenlöhne unterhalb der Niedriglohnschwelle. Das ist auch ein Grund dafür, dass nahezu jeder vierte Minijobber bzw. jede vierte Minijobberin mit einem Armutsrisiko konfrontiert ist. 1998 war es nur jeder zehnte. Der Mindestlohn würde dieses Problem natürlich mindern.
Zwei Drittel aller Minijobs werden von Frauen ausgeübt. In der Folge der Ausweitung der Minijobs ist die Frauenerwerbsarbeit in den vergangenen Jahren gestiegen, vor allem in Westdeutschland. Dies hat allerdings nicht zu einer Ausweitung des Anteils von Frauen am gesamten Erwerbsvolumen geführt, sondern ist mit einem Rückgang der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von weiblichen Beschäftigten einhergegangen. Mit anderen Worten: Die zunehmende Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen hat zu einer Umverteilung der bezahlten Arbeitszeit unter den Frauen geführt.
Anspruch auf Arbeitslosengeld im Fall eines Jobverlustes existiert bei Minijobbern und Minijobberinnen bekanntlich nicht. Aber was uns wirklich erschrecken muss, ist Folgendes: Minijobbern werden viele Rechte vorenthalten, die ihnen dem Gesetz nach zustehen – ob aus Unkenntnis der Rechtslage oder absichtlich, sei dahingestellt. Fakt ist, dass es gängige Praxis ist, dass keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gewährt wird und kein Weihnachtsgeld und kein Urlaubsgeld gezahlt werden. Kündigungsfristen werden in der Regel nicht eingehalten. Bezahlter Urlaub wird ohnehin höchst selten gewährt. Am schwerwiegendsten hinsichtlich des Übergangs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erscheint mir aber, dass Minijobber von betrieblicher Weiterbildung fast gänzlich ausgeschlossen sind.
Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass Minijobber und Minijobberinnen hier zu ihrem Recht kommen. Minijobs sind keine Arbeitsverhältnisse, bei denen die üblichen Arbeitnehmerrechte außer Kraft gesetzt sind. Hier ist viel Aufklärung zu leisten.
Daher fordern wir mit unserem Antrag die Landesregierung auf, in Zusammenarbeit mit Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften eine Aufklärungskampagne zu Arbeitnehmerrechten auch für Minijobber zu starten. Darüber hinaus fordern wir die Landesregierung auf, die Arbeitgeber darauf hinzuweisen, dass sie ihrer Fürsorgepflicht nachkommen müssen. Schließlich fordern wir die Landesregierung auf, weitere Maßnahmen zur Durchsetzung der Arbeitnehmerrechte von geringfügig Beschäftigten zu ergreifen sowie sich für eine Festsetzung der Stundenhöchstzahl in Minijobs auf Bundesebene einzusetzen. Letzteres könnte bewirken, dass Minijobs wenigstens gerechter entlohnt werden. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Kieninger. – Jetzt hat für die CDU-Fraktion Herr Abgeordneter Kern das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Eine faire Entlohnung für erbrachte Arbeit ist eine Grundvoraussetzung für sozialen Frieden.
Sie können sich drehen und wenden, wie Sie wollen, meine Damen und Herren von der SPDFraktion, sehr geehrte Frau Kieninger: Auch in der derzeitigen wirtschaftlich und gesellschaftlich herausfordernden Situation und den sehr konkreten Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise liegt die Arbeitslosigkeit in Nordrhein-Westfalen deutlich unter den Werten, die Sie uns mit Ihrer verfehlten Wirtschaftspolitik im Mai 2005 – damals ohne Wirtschaftskrise – hinterlassen haben.
Von Mai 2005 bis zum Eintritt der Weltwirtschaftskrise im Herbst 2008 haben wir durch unsere gute Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik bewiesen, dass wir die Kompetenz haben, Rahmenbedingungen für einen Aufschwung zu schaffen, um ihn dann mit guter Sozialpolitik zu begleiten. Das ist die Wahrheit.
Gestatten Sie mir einen zweiten Hinweis: Die schwarz-gelbe Landesregierung hat viel mehr für die Vermeidung von Lohndumping getan als je eine SPD-geführte Landesregierung in NRW zuvor.
So hat zum Beispiel unser Arbeits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann Löhne für mehr als eine Viertelmillion Beschäftigte im Land durch Allgemeinverbindlichkeitserklärung abgesichert.
Meine Damen und Herren, auch geringfügig Beschäftigte haben Arbeitnehmerrechte. An dieser Stelle bin ich nahe bei Ihnen, Frau Kieninger. Das müssen wir sehr deutlich sagen. Das ist in unserem Land Gott sei Dank geregelt. Geringfügige Beschäftigung ist ein ganz normales Arbeitsverhältnis.
Geringfügig Beschäftigte sind nicht rechtlos. Auch diese Arbeitnehmer haben zum Beispiel ein Anrecht auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Ihnen stehen, soweit tariflich vereinbart, Weihnachts- und Urlaubsgeld zu. Kündigungsfristen sind ebenso einzuhalten. Dazu können Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände aufklären.
Wir können festhalten, dass in den letzten Jahren kein Arbeitsmarktinstrument so stark genutzt wurde wie der sogenannte Minijob.
Welche Schlüsse ziehen Sie aus diesen Ereignissen? Was wollen Sie uns mit Ihrem Antrag sagen: dass die Welt schlecht ist und alle Arbeitgeber Ausbeuter sind? Warum kommen Sie gerade jetzt mit diesem Antrag? Sie hatten fünf Jahre Zeit.
(Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE] – Rai- ner Schmeltzer [SPD]: Wir hätten auch alle Anträge im ersten Monat stellen können!)
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, im April 2003 wurden unter der SPD-geführten Bundesregierung die geringfügige Beschäftigung und damit die Minijobs durch Hartz II neu geregelt. Zur Erinnerung: Sie nannten das Gesetz damals Zweites Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt.
Zunächst dürfen wir einmal feststellen, dass der Bund für dieses Gesetz zuständig ist. Mangels Angriffsfläche im Land bringen Sie neuerdings immer Bundesthemen aufs Tableau.
Sie unternehmen den durchschaubaren Versuch, das Land Nordrhein-Westfalen in die Verantwortung zu ziehen. Sie wollen Ihre eigene Reform schlechtreden und zurückentwickeln.
Also nehmen Sie jetzt auch Abstand von Ihrem ehemaligen Bundeskanzler Schröder. Sie wollen wahrscheinlich Schröder genau wie Clement aus der Partei mobben.