Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion der SPD dem Abgeordneten Sichau das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eingangs darf ich zitieren, was Herr Finanzminister Linssen gerade bei einem anderen Tagesordnungspunkt gesagt hat: Es wird durch Wiederholung nicht besser. – Das gilt auch für Ihren erneuten Antrag im Bundesrat auf Veränderung der Prozesskostenhilfe, Frau Ministerin Müller-Piepenkötter.
Was die Sache selber betrifft, ist das schon ausgesprochen verwunderlich, denn es ist in der vergangenen Diskussion durch meinen Kollegen Kutschaty eine Menge differenziert und ausgesprochen sachlich dagegen eingewandt worden. Aber offensichtlich sind Sie schlichtweg argumentationsresistent. Denn Sie gebrauchen die gleichen Argumente wie damals auch hinsichtlich des neuen Antrags des Bundesrates und tun so, als ob es diese Diskussion hier im Hause gar nicht gegeben hätte.
Sie pflegen hehre Grundsätze der Rechtspolitik, erst gestern noch bei der Eröffnung des Neubaus am Martin-Luther-Platz: wie wichtig es sei, dass doch jeder Zugang zum Recht habe. Und wenn man sich dann diesen Gesetzentwurf anguckt, stellt man fest: Das eine ist die Theorie, das andere ist die Praxis, die aber ganz anders aussieht, nämlich so wie das, was Sie im Bundesrat vorgelegt haben. Und auch das hat mein Kollege Kutschaty in der Diskussion beim letzten Mal ganz deutlich gemacht. Er hat sogar aus den rechtpolitischen Grundsätzen für diese Legislaturperiode zitiert. Niemand aus den Regierungsfraktionen hat geklatscht, obwohl es ein Zitat aus Ihren eigenen Leitlinien war, die Sie ja eigentlich unterstützen.
Mir fällt in diesem Zusammenhang der französische Theologe und Naturwissenschaftler Teilhard de Chardin ein, der schlichtweg gesagt hat: Es geht darum, dass es mehr Sein gibt als Schein. – Bei Ihnen ist das umgedreht. Sie stellen das auf den Kopf. Es wird für alle in diesem Haus noch deutlicher, wenn man das auf Verhältnisse im Russland der Zarenzeit überträgt, in der es die bekannten Potemkinschen Dörfer gab. Das sind Ihre Potemkinschen Dörfer: hehre rechtsstaatliche Grundsätze, Zugang zum Recht für alle, aber die Wirklichkeit sieht ganz anders aus.
Wir kennen das ja aus Ihrer Politik der vergangenen fünf Jahre auch auf vielen anderen Feldern. Ich nenne nur als Beispiel: Wir haben Stellen geschaffen. Aber die Lehrer fehlen trotzdem. – Auch da wird dieses Prinzip deutlich.
Immer wieder wird dann der Missbrauch genannt. Westerwelle lässt grüßen. Das Bundesverfassungsgericht hat gesprochen. Auch in diesem Licht müsste man diesen Antrag noch einmal betrachten. Man wird feststellen, dass er dem nicht gerecht wird.
Wenn Sie denn wirklich Missbrauch bekämpfen müssen, dann stellen Sie bitte nicht alle unter Generalverdacht – auch das ist ein Wort meines Kollegen Kutschaty-, sondern sorgen Sie dafür, dass es eine effektive Kontrolle gibt. Die Rechtspflegerschaft hat dieses schon vor Jahren vorgeschlagen. Die Bezirksrevisorenschaft ist personell zu gering ausgestattet. Wäre dies anders, wäre eine effektive Kontrolle möglich. Aber es gibt natürlich nicht nur nicht genug Bezirksrevisoren, es gibt inzwischen überhaupt zu wenig Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger.
Der Verband Neue Richtervereinigung hat das, was Sie jetzt erneut vorlegen, als schlichtweg verfassungswidrig bezeichnet. Auch die frühere Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat im Bundesrat eine sehr gute Argumentation gegen diesen Gesetzentwurf geliefert, aber offensichtlich erkennen Sie diese Argumentation ebenfalls nicht an.
Apropos Brigitte Zypries: Sie haben in diesem Hause auch ausgeführt, sie hätte Untätigkeit in Bezug auf die Sicherungsverwahrung walten lassen. Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt und wiederhole es, weil es mir sehr wichtig ist: Diese Behauptung ist sachlich falsch, und das wissen Sie. Die damaligen Koalitionspartner SPD und CDU hatten sich darauf verständigt, dass sie das ausdrücklich nicht wollten. Es gehört zur intellektuellen Redlichkeit dazu, zu sagen, dass die Koalitionspartner im Bund jene Initiative nicht wollten.
Letztlich kann man festhalten: Der Arbeiterführer Jürgen Rüttgers nimmt seinen Arbeitern die Prozesskostenhilfe. Ihnen kann man nur zurufen: Mit
In der Rechtspolitik wird es auch in den nächsten zehn Jahren noch eine ganze Menge zu tun geben. Sie wissen: Ich höre auf; dies wird wohl meine letzte Rede in diesem Hause sein. Ich danke für diese Zeit hier als Abgeordneter, ich danke für viele gute Begegnungen. Mir fallen pathetische Worte ein, die ich aber hier nicht nennen möchte. Ich kann für mich nur sagen, dass ich ab dem 9. Juni in Sachen Landespolitik sehr interessierter Bürger sein werde. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Sichau. Alles, was man an dieser Stelle noch im Persönlichen sagen könnte, ist sicherlich auch bilateral zu sagen. – Als Nächster hat der Abgeordnete Kollege Giebels für die Fraktion der CDU das Wort. Bitte schön, Herr Kollege Giebels.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich für die CDUFraktion zum Thema Prozesskostenhilfe Folgendes klarstellen: Selbstverständlich muss es in unserem Rechtsstaat jedem Menschen möglich sein, gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, selbst, wenn er nicht über die dazu notwendigen Geldmittel verfügt. Prozesskostenhilfe ist daher unabdingbar, um für jedermann den gleichen Zugang zu den Gerichten zu gewährleisten. An diesem Grundgedanken muss sich natürlich auch jede Neuregelung der Materie orientieren.
Gleichwohl darf Prozesskostenhilfe kein Geschenk des Staates sein. Ich denke, da sind wir uns einig. Sie ist daher nur in solchen Fällen gerechtfertigt, in denen derjenige, der einen Prozess aus eigenen Mitteln zu finanzieren hat, unter Abwägung seiner Chancen und Risiken und des zu erwartenden wirtschaftlichen Erfolges ebenfalls einen Prozess austragen würde. Nur in diesem Umfang sind Leistungen der Prozesskostenhilfe verfassungsrechtlich geboten.
Die Kosten im Bereich der Prozesskostenhilfe sind im Laufe der vergangenen zehn Jahre explodiert. Dies belegen auch die Zahlen: Von rund 81 Millionen € im Jahr 1998 sind bei uns in Nordrhein-Westfalen die Ausgaben für Prozesskostenhilfe bis zum Jahr 2008 auf knapp 140 Millionen € angewachsen. Das entspricht einer Steigerungsrate von 40 %.
Vor diesem Hintergrund sind eine Modernisierung und Anpassung der bestehenden PKH-Vorschriften an das übrige Sozialrecht ohne Alternative.
Die CDU-Landtagsfraktion steht für eine sparsame und zielgerichtete Verwendung der Steuermittel zugunsten der wirklich Bedürftigen in unserem Land. Deshalb soll die Eigenbeteiligung der bedürftigen Partei durch eine moderate Neuregelung des einzusetzenden Einkommens und Vermögens erhöht werden. So kann sichergestellt werden, dass Prozesskostenhilfe auch weiterhin denjenigen Menschen zugute kommt, die sie wirklich brauchen.
Herr Kollege Giebels, der Abgeordnete Sichau würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie das zu?
Danke, Herr Giebels. Auch das hat ja die letzte Diskussion gezeigt: Sind wir darüber einer Meinung, dass es für die Steigerung der Prozesskostenhilfe während der letzten Jahre keine schlüssige Analyse gibt?
Erstmal müssen wir zur Kenntnis nehmen, wie die Zahlen gestiegen sind. Da sind wir uns wohl einig. Natürlich gibt es auch eine Analyse, woran das liegt – die können wir dann auch noch einmal vertiefen. Vor diesem Hintergrund haben wir also keine Alternative, als tatsächlich zu handeln.
Der Einwand der SPD, dass eine bedürftige Partei auf diese Weise davon abgehalten werden könnte, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar; denn der Gesetzentwurf des Bundesrates verlangt an keiner Stelle, dass die bedürftige Partei jenen Teil ihres ursprünglich vorhandenen Einkommens und Vermögens einsetzt, den sie zur Deckung des Existenzminimums benötigt, ganz im Gegenteil: Ihr soll von dem sogenannten einzusetzenden Einkommen, das heißt dem Nettoeinkommen abzüglich aller Freibeträge, ein Drittel verbleiben.
Der bedürftigen Partei wird, wie ebenfalls vorgeworfen wurde, auch keine unübersehbare Kostenlast aufgebürdet. Vielmehr ist die Rückzahlungsverpflichtung durch die Höhe der angefallenen Gerichts- und Anwaltskosten begrenzt.
Wir fordern eine Neubestimmung der Höhe sowie eine Aufhebung der Begrenzung von PKH-Raten. Diese beträgt zurzeit 48 Monate. Gerade aus Gründen sozialer Gerechtigkeit ist der Wegfall der Ratenobergrenze jedoch erforderlich; denn Beispielrechnungen zeigen, dass auch sogenannte Besserverdienende nach bestehender Rechtslage zumin
Weiterhin muss die bedürftige Partei zum vollen Einsatz desjenigen Vermögens verpflichtet werden, das sie durch den PKH-finanzierten Rechtsstreit erlangt hat. Obsiegt die bedürftige Partei voll und ist der Gegner solvent, können bei ihm auch die Verfahrenskosten in vollem Umfang vollstreckt werden, sodass die bedürftige Partei das Erlangte behalten kann. Ist der Gegner dagegen insolvent, sodass eine Vollstreckung bei ihm erfolglos ist, kann die bedürftige Partei tatsächlich nichts von ihm erlangen und hat auch nichts an die Landeskasse herauszugeben. Lediglich im Falle des Teilobsiegens und der teilweise erfolgreichen Vollstreckung ist die bedürftige Partei somit tatsächlich zum Einsatz des Erlangten verpflichtet.
Im Ergebnis mag dies dazu führen, dass der Prozesserfolg durch die Kosten aufgezehrt wird. Dies trifft aber nicht allein die bedürftige Partei, die den Prozess mit eigenen Mitteln finanziert hat, aber eben auch diese.
Wenn nunmehr bedürftige und nichtbedürftige Parteien in diesem Punkt gleichgestellt werden, ist dies also nicht verfassungswidrig, ganz im Gegenteil: Eine solche Gleichstellung ist aus Gerechtigkeitserwägungen geradezu geboten.
Und, Herr Kollege Sichau, die verfassungsrechtlichen Bedenken, die Frau Zypries ursprünglich einmal geäußert hat, sind mittlerweile ausgeräumt und werden auch nicht mehr aufrechterhalten. Das ist ja auch ein Ergebnis der Bund-Länder-Arbeitsgruppe.
Weiterhin sagen wir, dass die Befugnisse des Gerichts zur Aufklärung und Nachprüfung der Angaben über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers zu erweitern sind. Damit – das gestehen wir ganz offen zu – sollen Fälle von PKHMissbrauch, die es gibt – wir verallgemeinern das nicht, aber es gibt sie – und die in der Vergangenheit bedauerlicherweise zugenommen haben, eingedämmt werden.
Im Ergebnis halte ich fest: Die Bundesratsinitiative der Länder Baden-Württemberg, Hessen und Schleswig-Holstein ist zu begrüßen. Wir werden daher den Antrag der SPD-Fraktion ablehnen. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Giebels. – Als nächster Redner erhält für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Dr. Orth das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist völlig unstreitig, dass Prozesskostenhilfe
zu den Grundsätzen der Rechtspolitik und des Rechtsstaats gehört. Herr Sichau, Sie brauchen das nicht in Frageform zu kleiden oder in Zweifel zu ziehen. Ich kann jedenfalls für meine Fraktion sagen: Als Rechtsstaatspartei sind wir selbstverständlich dafür, dass jedermann Zugang zu gerichtlichen Entscheidungen haben muss.
Allerdings ist es, glaube ich, auch legitim, nachzufragen, ob denn ein Prozess zum Beispiel Aussicht auf Erfolg hat
oder ob der Staat jedem, der meint, einen Anspruch zu haben, Prozesskostenhilfe gewähren sollte. Dazu kann ich aus meiner anwaltlichen Erfahrung nur sagen, dass ich hier und da doch Zweifel habe, ob die Prüfung der Erfolgsaussichten immer hinreichend konkret erfolgt, meine Damen und Herren. Wir bewegen uns da sehr schnell im Bereich der richterlichen Unabhängigkeit; das will ich gerne hinzufügen. Aber ich glaube, es ist wichtig, an dieser Stelle einmal festzuhalten, dass die Politik erwartet, dass die entsprechenden Normen auch ernst genommen werden und dass Prozesskostenhilfe bei entsprechender Erfolgsaussicht gewährt wird.
Ich denke, es ist so wie bei allen Sozialleistungen. Ich muss Nachweise erbringen, ich muss einfach belegen, dass ich bedürftig bin. Es kann nicht sein, dass ich einerseits im Bereich von Hartz IV jeden kleinen Kram nachweisen muss, auf der anderen Seite bei Gericht aber nur einfach erklären muss: Ich habe kein Geld, ich brauche jetzt Prozesskostenhilfe.