Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Am 29. Mai 2009 bzw. am 12. Juni 2009 haben der Deutsche Bundestag und der Bundesrat mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP und SPD die vielleicht wesentlichste Änderung der Haushaltsverfassung seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland beschlossen.
Danach darf der Bund ab 2016 in wirtschaftlichen Normallagen jährlich nur noch Schulden in Höhe von 0,35 % des Bruttoinlandsproduktes machen. Für die Länder sind ab 2020 im Normalfall keine neuen Schulden mehr erlaubt. Ab 2011 muss der Bund seine Haushalte so planen und aufstellen, dass er dieses Ziel 2016 erreicht.
Darüber hinaus ist ein sogenanntes Atmen mit der Konjunktur vorgesehen. In konjunkturell angespannten Zeiten, wie wir sie etwa jetzt mit der historischen Wirtschaftskrise erleben, sind vorübergehend höhere Schulden zugelassen. Sie werden auf einem Ausgleichskonto aufgeschrieben und müssen dann in wirtschaftlich besseren Zeiten zurückgezahlt werden.
Die zentrale Botschaft dieser Regelung lautet: In Zukunft wird es keine oder nur noch eine geringfügige Verschuldung aus strukturellen Gründen und damit auch kein dauerhaftes Leben mehr über unsere Verhältnisse geben, wie wir es in vielen Jahren in der Vergangenheit beobachten mussten.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die neuen grundgesetzlichen Regelungen zur Schuldenbeschränkung unmittelbar geltendes Landesrecht. Für den Übergangszeitraum macht der Landesgesetzgeber von seiner in Art. 143d Grundgesetz vorgesehenen Regelungskompetenz Gebrauch. Analog zur Regelung im Bund wird damit auch für das Land gelten, dass die jährlichen Haushalte bis 2020 so aufzustellen sind, dass das Ziel eines Verbotes einer strukturellen Neuverschuldung bis 2020 erreicht werden kann. Natürlich ist nicht ausgeschlossen, sondern – das sage ich ausdrücklich – sogar wünschenswert, dass dieses Ziel schneller erreicht wird.
Spätestens ab 2020 würde der bestehende Art. 83 unserer Landesverfassung unmittelbar geltendem Bundesrecht widersprechen. Schon alleine aus diesem Grunde ist eine Anpassung der Landesverfassung erforderlich. Zudem müssen wir schon heute den Übergangszeitraum bis 2020 regeln, damit eine Verschuldungsbremse nicht zu spät greift.
Gesetzgeber für das Land Nordrhein-Westfalen die Chance nutzt, eine sehr deutliche Antwort auf die Grundsatzfrage zu geben, ob wir uns weiter wie bisher zulasten nachfolgender Generationen verschulden wollen oder ob wir endlich damit aufhören und eine nachhaltige und generationengerechte Finanz- und Haushaltspolitik betreiben wollen, die mit den Mitteln auskommt, die in einer Periode zur Verfügung stehen.
Meine Damen und Herren, um es klar zu sagen: Ich halte das für alternativlos. Denn bereits heute tragen wir knapp jeden zehnten Euro als Zinsen zu den Banken, etwa 300 € pro Jahr und Bürger. Jeder von uns hat sicherlich hinreichend Fantasie, sich vorzustellen, dass dieses Geld besser angelegt werden könnte als für Zinszahlungen aufgrund der bisher angehäuften Schulden.
Die Folgen der Generationenungerechtigkeit, der Verschuldungspolitik der vergangenen Jahre und Jahrzehnte bekommen wir bereits heute mehr als deutlich zu spüren. Ein ehrlicheres Wort zu dieser Problematik auch im Parlament wäre manchmal wünschenswert. Aber es ist nun einmal so, dass es im politischen Geschäft Mechanismen gibt, die das bisherige Verhalten auch begünstigt haben.
Kollege Moron fragte gerade, wie wir mit den Ausnahmen umgehen. Hier weise ich darauf hin, dass auch in der alten Regelung kein Gebot zur Neuverschuldung stand. Trotzdem wurden die zulässigen Ausnahmen regelmäßig und extensiv ausgelegt. Es gilt nun, hier einen Riegel vorzuschieben. Wir brauchen endlich Spielräume für nachfolgende Generationen, damit diese ihre Lebenskonzepte realisieren und ihre Gesellschaft gestalten können.
Bei der heutigen Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Änderung der Landesverfassung geht es damit auch um mehr als nur um die zukünftigen Haushalte. Es geht um eine Richtungsentscheidung, wie wir zukünftig verantwortungsvoll im Interesse nachfolgender Generationen Politik im Land Nordrhein-Westfalen betreiben wollen.
FDP, CDU/CSU und SPD haben die Grundgesetzänderung, die auch in Nordrhein-Westfalen unmittelbar gilt, auf der Bundesebene gemeinsam beschlossen und damit die erforderliche Zweidrittelmehrheit hergestellt. Die Grünen sind so ehrlich, zuzugeben, dass sie zwar gerne von Generationengerechtigkeit sprechen, sich aber, wenn es konkret wird, aus der Verantwortung stehlen.
Die Haltung der SPD kann ich auch nach den Einlassungen des Kollegen Moron bedauerlicherweise nicht nachvollziehen. Ich finde es bedauerlich, dass Sie der Änderung der Landesverfassung heute nicht die Zustimmung geben können, weil Sie damit mit Blick auf die Richtungsentscheidung ein falsches Signal setzen. Selbstverständlich bedürfen die Begleitgesetze noch einer intensiven Beratung im Parlament. Es würde vieles möglich, den bestehenden
Regelungsraum für das Land Nordrhein-Westfalen zu konkretisieren. Hier wird nun eine große Chance, ein wichtiges politisches Signal zu setzen, versäumt.
Der Hinweis auf die kommunale Finanzsituation ist vor dem Hintergrund einer landesverfassungsrechtlichen Schuldenbremse sicherlich zulässig, aber letztlich irreführend, obwohl wir uns natürlich fragen müssen, ob und wie wir etwas für die Finanzausstattung der Kommunen tun können. Ja, wir brauchen endlich eine grundlegende Gemeindefinanzreform, die den Kommunen eine verlässliche planbare Finanzausstattung sichert. Denn die Kommunen sind ein ganz wichtiger Bestandteil gerade in einer föderalen demokratischen Bürgergesellschaft.
Bei der Lösung dieser Herausforderung und dieser Diskussion, die wir zu dieser Änderung der Landesverfassung führen, kommen wir sicher nicht weiter. Da setze ich eher auf die gemeinsame Kommission, die unter Beteiligung von Bund und Ländern und endlich auch der Kommunen jetzt dazu arbeitet.
Hier und heute wird eine Chance versäumt. Ich bedaure das sehr, hoffe aber, dass es, wenn es offensichtlich in dieser Legislaturperiode nicht gelingt, in der nächsten Legislaturperiode als eines der wichtigsten Anliegen möglich ist, eine Schuldenbremse in der Landesverfassung von NordrheinWestfalen zu verankern und diese so auszugestalten, dass wir im Interesse nachfolgender Generationen nicht nur zu einer Senkung der Neuverschuldung, sondern auch zu einem Abbau der Schulden kommen. Denn wir dürfen nachfolgenden Generationen nicht solche Ballaste hinterlassen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Finanzminister, die gesamte versammelte schwarz-gelbe Koalition – ich zähle noch fünf, nein, sechs Abgeordnete; Entschuldigung, man muss ja ehrlich bleiben; so viel zur Ehrlichkeit – will die Verfassung ändern. Sie wollen eine bestimmte Melodie spielen; das wird der Finanzminister gleich noch einmal versuchen. Die Melodie lautet: SchwarzGelb ist für eine Begrenzung der Schulden – das ist also gut –, und Grün-Rot ist dagegen; das ist also schlecht. Diese Melodie versuchen Sie ins Land zu tragen.
Das ist aber nur ein Täuschungs- und Ablenkungsmanöver, meine Damen und Herren. Aus dieser Melodie wird nichts. Denn wir Grüne – und das ist auch nachzuweisen – denken und handeln schon
länger im Sinne einer Begrenzung der Schulden. Es ist die grüne Bundestagsfraktion gewesen, die dieses Thema nach vorne gebracht hat, und wir waren auch hier im Landtag die Ersten, die über Schuldenbegrenzung diskutiert haben.
Meine Damen und Herren, Schuldenbegrenzung ist richtig. Dazu sagen wir als Grüne ausdrücklich Ja. Denn diese Schuldenspirale darf sich so nicht weiterdrehen. Das führt einen Landeshaushalt, Kommunalhaushalt oder Bundeshaushalt ins Abseits, und am Ende hat man keine Möglichkeit mehr, zu steuern. Also müssen wir die Schulden begrenzen. Wir brauchen dringend Regelungen. Das ist richtig.
Wenn Sie uns dann hier vorwerfen, wir seien gegen eine Schuldenbegrenzung, dann ist das ein Stück aus dem Tollhaus.
Sie sind es doch, die am Ende dieses Jahres den höchsten Schuldenstand aller Zeiten zu verantworten haben. Es sind dann 130 Milliarden €; das ist heute schon mehrfach gesagt worden. Gleichzeitig konnten Sie in der zu Ende gehenden Legislaturperiode die höchsten Einnahmen verbuchen.
Es gleicht einer späten Einsicht, dass Sie heute sagen, Sie wollten nun mit dem Sparen anfangen, nachdem Sie in dieser Legislaturperiode so schlecht gewirtschaftet haben. Ich halte das – ehrlich gesagt – für ein nicht ernst gemeintes Ablenkungsmanöver. Dabei ist es uns Grünen bitterernst, zu einer Schuldenbegrenzung zu kommen.
Wenn Sie nicht ablenken wollten, hätten Sie uns ein Konzept für die Schließung der Nachhaltigkeitslücke vorgelegt. 4,5 bis 5,5 Milliarden € sind jedes Jahr nötig; das sagt der Nachhaltigkeitsbericht.
Ach. – Das ist unsere Nachhaltigkeitslücke. Sagen Sie doch endlich, Herr Finanzminister oder Herr Weisbrich, wie Sie diese schließen wollen. Uns fehlt ein strukturelles Konzept, um sie zu schließen, und es gibt keine Idee dafür. Es wäre nicht mehr als fair, wenn Sie sagen würden, wie Sie die Ausgaben senken wollen. Sie müssen ein Konzept vorlegen.
Im Übrigen ist das, was Sie als Schuldenregel aufnehmen wollen, bereits im Grundgesetz verankert und auch für das Land geltendes Recht. Es gibt allerdings den Unterschied, dass sich der Bund zwar gebunden hat und dass er auch die Länder bindet, aber seine Einnahmen durch eigene Gesetzgebung selber steuern kann. Wir werden in der Schuldenaufnahme begrenzt, können aber unsere Einnahmen nicht selber steuern, weil uns die Möglichkeit einer eigenen Steuergesetzgebung fehlt. In dieser Angelegenheit ist der Finanzminister unver
richteter Dinge zurückgekommen. Es würde zu einer Schuldenbegrenzung und Schuldenaufnahmeregel gehören, dass den Ländern die Steuergesetzgebung obläge und sie sich ihre eigenen Einnahmen verschaffen könnten.
Eine Schuldenbremse, die unter diesem Aspekt unrealistisch ist und rein deklaratorisch bleibt, reicht uns nicht, und dazu reichen wir als Grüne heute auch nicht die Hand. Das ist doch völlig klar. Das ist sozusagen reine Deklamation. Das ist Papier. Sie glauben und wollen die Öffentlichkeit glauben machen, dass Sie allein mit einem geschriebenen Papier und der Aussage: „Ja, wir wollen eine Schuldenbremse“ konsolidiert hätten. – Nein, Sie haben damit nicht konsolidiert. Sie bleiben der Öffentlichkeit schuldig, wie Sie zu einer Konsolidierung kommen wollen.
Und wenn Sie uns nicht sagen und mit uns nicht gemeinsam darüber diskutieren wollen, wie man dieses Problem angeht, dann entlarvt Sie dieser Akt. Dann wird auch in der Öffentlichkeit deutlich, dass diese Melodie „Schwarz-Gelb ist gegen Schulden, Grün-Rot ist für Schulden“ – übrigens haben Sie die meisten Schulden gemacht – so nicht gesungen werden kann.
Herr Weisbrich, Sie müssen dann auch die daraus resultierenden Folgen für den Landeshaushalt aufzeigen. Sie müssen sagen, was dann auf die Bürgerinnen und Bürger zukommt und welche Leistungen Sie streichen wollen. Die FDP müsste sagen, wie stark sie den Staat noch abmagern lassen will. Sie müssten den Beschäftigten sagen, was das für sie bedeutet.
Zur Beantwortung all dieser Fragen wären wir mit Ihnen gemeinsam bereit. In einer großen Runde mit allen demokratischen Kräften in diesem Hause wären wir bereit, darüber zu reden, wie die Zukunft des Landeshaushalts Nordrhein-Westfalen aussehen kann. Wir Grüne sind nicht gegen eine Schuldenbremse, aber wir sind für eine deklamatorische Schuldenbremse, die uns bindet und kein Konzept enthält, wie wir mit den Schwierigkeiten des Landeshaushalts tatsächlich verfahren wollen. Diese Antworten bleiben Sie schuldig.
Meine Damen und Herren, da wir fünf Jahre lang erlebt haben, wie Sie – in Anführungszeichen – „konsolidiert“ – Sie haben ja nicht wirklich konsolidiert –, die Kommunen zur Ader gelassen und in finanzpolitischen Fragen geknechtet haben, haben wir diesen Änderungsantrag eingebracht. Es muss endlich klar werden, dass denjenigen, die am Ende der Nahrungskette stehen und sich am wenigsten selber helfen können, nämlich die kommunalen Haushalte, eine finanzielle Mindestausstattung mit Verfassungsrang unabhängig von der Leistungsfähigkeit des Landes eingeräumt wird. Denn immerhin hat das Land die Möglichkeit, über den Bundesrat
auf die Steuergesetzgebung Einfluss zu nehmen. Diesen Einfluss können die Kommunen nicht nehmen, und deshalb wollen wir einer Mindestausstattung Verfassungsrang einräumen.
Wir bieten an: Wir reden mit Ihnen über das Wie. Wie können wir die Schuldenbremse aus dem Grundgesetz, die für das Land ohnehin gilt, umsetzen? Und wir sorgen gleichzeitig dafür, dass unsere Kommunen nicht ins Abseits geraten. Das ist ein Angebot für die nächste Legislaturperiode. Ich würde mich freuen, wenn Sie es annehmen würden. Das, was Sie heute hier vorgelegt haben, findet jedenfalls nicht unsere Zustimmung. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Meine Damen und Herren, das war der Abgeordnete Groth für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Nun hat Herr Dr. Linssen für die Landesregierung das Wort. Bitte schön, Herr Minister.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben die dritte Lesung eines Gesetzentwurfs der Landesregierung, dessen Umsetzung dringlich wäre. Aber ich muss akzeptieren, dass die Opposition mit verschiedensten Argumenten, die im Zeitablauf ständig gewechselt haben, versucht, sich dieser Verpflichtung, die sie eigentlich hätte, wenn sie sie sonntags schöne Reden über generationengerechte Finanzpolitik und Nachhaltigkeit hält, nicht zu unterwerfen.
Ich würde gerne ein paar Worte zu Herrn Moron sagen: Sie haben – Gott sei Dank in sehr ruhigem Ton – vorgetragen, dass eigentlich das Beste das wäre, was der Professor in der Anhörung gesagt hat: Freiwillig keine Schulden mehr machen! – Meine Damen und Herren, man hat gemeint, 40 Jahre so verfahren zu müssen, obwohl wir sogar den Artikel 115 im Grundgesetz haben, nach dem man nur dann über die Verfassungsgrenze hinausgehen darf, wenn das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört ist. Das hat nichts genutzt.