Eine besondere Ausprägung dieses politischen Versagens ist Ihre Haltung zur Kommunalwirtschaft, also zu den Stadtwerken. Dafür haben Sie, Herr Kollege Löttgen, gerade noch einmal einen sehr eindrucksvollen Beleg geliefert; denn Ihr Beitrag lässt sich auf folgende Logik zurückführen: Man muss die Städte vor ihren eigenen Stadtwerken schützen.
Wie man auf solch einen absurden Unsinn kommen kann, können Sie am Ende wohl weder uns hier noch den Bürgerinnen und Bürgern draußen erklären. Wer Freunde wie Sie hat, der braucht wahrlich keine Feinde. Das haben Sie den Stadtwerken heute endgültig zu verstehen gegeben.
Immerhin ist Ihnen bei diesem Thema, jedenfalls bis vor Kurzem, keine Unehrlichkeit vorzuwerfen gewesen. Von Anfang an war die Devise dieser Regierungskoalition aus Schwarz und Gelb in NordrheinWestfalen: „Privat vor Staat“. – Es ist müßig, zu spekulieren, ob das eine rein FDP-getriebene Maxime war oder ob die CDU diese Ideologie nicht im Grunde ihres Herzens zumindest in weiten Teilen auch teilt; ich erinnere nur an die Leipziger Beschlüsse.
So oder so: Die Maxime „Privat vor Staat“ hat Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden, und dieses Ziel haben Sie – das muss man Ihnen lassen – seit
dem Regierungsantritt 2005 auch ziemlich planvoll verfolgt – leider. Dieses Ziel ist eindeutig Ihr Markenzeichen.
Den entscheidenden Akt in diesem ideologisch getriebenen Drama haben Sie 2007 durch die Änderung des Gemeindewirtschaftsrechts, also durch die Änderung des § 107 der Gemeindeordnung, vollzogen. Wir sind uns sicherlich darin einig – seit Sie sich nicht mehr richtig trauen, „Privat vor Staat“ als ehrlich gemeinte Maxime auszugeben, geben Sie das zumindest noch hinter vorgehaltener Hand zu –, dass Sie damals die bundesweit schärfste Regelung geschaffen haben; das gilt auch noch heute.
Die Kombination aus dringendem öffentlichen Zweck und Subsidiaritätsklausel ist einmalig und sorgt dafür, dass die Stadtwerke mit einem staatlich verordneten Handicap in den immer schärfer werdenden Wettbewerb gehen. Der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude hat das in der ihm eigenen Art auf den Punkt gebracht, indem er sagte, die Stadtwerke glichen unter Schwarz-Gelb einem Mann, den man mit gefesselten Händen und Füßen in ein Haifischbecken wirft. Genau das ist die Wahrheit hinsichtlich dessen, was Sie hier veranstalten.
Vielen Dank. – Herr Kollege Börschel, Sie haben eben gesagt, dass die Problematik auf die Änderung des § 107 der Gemeindeordnung durch diese Landesregierung zurückzuführen sei. Wie bewerten Sie im Hinblick darauf die Äußerungen Ihres Kollegen Hans-Willi Körfges, der ausweislich des Plenarprotokolls vom 3. Februar 2010 Folgendes gesagt hat:
Das, was wir im Augenblick diskutieren, ist nicht unmittelbarer Ausfluss der letzten von Ihnen … vorgenommenen Änderungen des § 107 der Gemeindeordnung.
Wenn Sie mir zugehört und etwas mehr Geduld gehabt hätten, dann hätte ich meine Ausführungen auch zu Ende bringen können. Ich sprach vom „entscheidenden Akt in diesem … Drama“.
Das ist ja nicht falsch. – Zu Beginn dieses Dramas haben Sie das Kommunalwirtschaftsrecht 2007 geändert, und das ist und bleibt die Wahrheit.
Sie haben es zu einem tödlichen Cocktail für die Stadtwerke gemacht, dessen Wirkung langsam, aber sicher einsetzen wird. Dem hat der Kollege Körfges in keiner Art und Weise widersprochen, sondern er hat in seiner damaligen Rede hergeleitet – das werde auch ich heute tun –, dass Sie eine fortgesetzte Untat begangen haben,
unter der die Stadtwerke und damit auch die Bürgerinnen und Bürger der Städte und Gemeinden Nordrhein-Westfalens zu leiden haben.
Vielleicht sollten Sie sich einmal die Kontrollfrage stellen, warum es zu Folgendem gekommen ist: Es hat vor der Verabschiedung der Änderung des Gemeindewirtschaftsrechts 2007 eine Welle von Protesten und Demonstrationen gegen Ihr Vorhaben gegeben, und zwar von Stadtwerken, von Kommunen und von Räten – übrigens in weiten Teilen auch von CDU-Mehrheiten in Städten und Gemeinden und von CDU-Kolleginnen und -Kollegen in kommunalen Gesellschaften. Sie haben sich damals aber in keiner Weise beirren lassen, sind Ihrer Maxime gefolgt und haben den Beschluss gefasst und vollzogen.
Allerdings hat der Druck – das ist Ihnen klar geworden – in keiner Weise nachgelassen, sondern er hat unverändert fortgewirkt. Gleich wird noch der Kollege Franz-Josef Knieps sprechen, der selbst lange Jahre Aufsichtsratsvorsitzender einer kommunalen Gesellschaft war und auch aktuell Mitglied des Aufsichtsrats einer kommunalen Gesellschaft ist. Wenn Sie einmal Nachhilfebedarf haben, können Sie ihn sicherlich fragen, auch wenn er das gleich etwas wird verklären müssen, da er angesichts seiner wohl letzten Rede in diesem Hause ein wenig unter dem Druck steht, das aus Ihrer Sicht ordentlich machen zu müssen. Aber er kann Ihnen sicherlich sehr genau von den Sorgen und Nöten der Stadtwerke und der städtischen Gesellschaften vor Ort berichten, in die Sie als schwarz-gelbe Koalition die Stadtwerke und damit auch die Gemeinden gestürzt haben.
Dass es immer größeren und fortwährenden Druck gibt, hat auch die Wirtschaftsministerin erkannt und hat deshalb, wie wir eben schon gehört haben, bei dem renommierten Verwaltungsrechtler Professor Burgi aus Bochum ein Gutachten in Auftrag gegeben. Dieses Gutachten war in seinen Schlussfolgerungen – offensichtlich zu Ihrer eigenen Überraschung – derart eindeutig, dass die Ministerin von
Überraschung gepackt eine eilige Kabinettsbefassung ankündigte und gleichzeitig eine Umsetzung noch in dieser Legislaturperiode in Aussicht stellte.
„Wow!“, kann ich dazu nur sagen; das hätten wir gerne gesehen. Darauf haben wir lange gewartet. Wir hätten uns gefreut, als Konsequenz dieser Erkenntnisse Seit an Seit mit der Landesregierung ihre eigene Politik zurückzudrehen.
Die Aussage von Professor Burgi ist, dass die Stadtwerke ein zwingendes Element sind, um gegen die marktbeherrschende Stellung der vier großen Oligopolisten vorzugehen. Ganz im Gegensatz zu dem, was Sie immer wieder im Munde führen, geht es dabei um eine Gleichbehandlung mit privaten Wettbewerbern und nicht um die Besserstellung der Kommunalwirtschaft. Nichts anderes wollen die Stadtwerke, und nichts anderes wollen wir. Das musste Ihnen erst dieses Gutachten ins Stammbuch schreiben.
Das war für Sie natürlich eine sehr gefährliche Erkenntnis, denn mit dieser Erkenntnis begann dann das Herumeiern und Zurückpfeifen der eigenen Ministerin. Blankes Entsetzen herrschte bei der FDP, die natürlich sagte, dass es überhaupt nicht wahr sein kann, dass jetzt plötzlich das Kernelement ihrer „Privat vor Staat“-Reform zurückgedreht werden könnte.
Aber es gab auch ein Einsehen bei der CDU, dass mit diesem Gutachten einem der wichtigen Vorhaben von Schwarz-Gelb nachträglich die Legitimation entzogen wird, denn Burgi sagt ganz eindeutig, dass wir eine Veränderung des Gemeindewirtschaftsrechts brauchen, um den Wettbewerb herzustellen, den Sie immer im Munde führen.
Also blieb – lange Rede, kurzer Sinn – wieder einmal nichts anderes, als eine Rolle rückwärts zu vollziehen. Sie haben irgendwelche Fristen und Verfahrensfragen vorgeschoben, um in dieser Legislaturperiode nur ja nicht mehr zu einem Gesetzentwurf kommen zu müssen.
Wenngleich Kollege Becker das wahrscheinlich gleich noch besser ausführen wird, möchte ich auch schon Folgendes sagen: Jetzt zu kritisieren, der Gesetzentwurf entspreche nicht Ihren selbstgesteckten Zielen und neuen Anforderungen, ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten.
Warum legen Sie, die CDU oder die Landesregierung, denn keinen Gesetzentwurf vor, obwohl die Ministerin das übrigens selbst angekündigt hat? Das ist regierungsamtliches Zögern. Sie spielen auf Zeit, bis der Schiedsrichter am 9. Mai endlich ein neues Spiel hoffentlich mit anderen Mehrheiten anpfeift.
Sie haben in dieser Legislaturperiode keinen Gesetzentwurf mehr erreichen wollen, weil Sie damit das regierungsamtliche Scheitern der eigenen Politik hätten eingestehen und einen Kernbestandteil Ihrer Reform zurückdrehen müssen. Deswegen habe ich strategisch-politisch ein gewisses Verständnis für Ihr Eiern. Aber inhaltlich können Sie das natürlich in keiner Weise begründen.
Lieber Kollege Löttgen, Sie wissen ganz genau, dass die SPD-Fraktion einen Termin- und Verfahrensvorschlag gemacht hat, der unter Einhaltung aller Formen und Fristen eine Befassung mit dem Gesetzentwurf sowohl der Landesregierung als auch der Grünen in dieser Legislaturperiode absolut und ordentlich zum Ziel gebracht hätte. Aber weil nicht sein kann, was nicht sein darf, haben Sie es verhindert. Das ist schade. Deswegen werden wir das heute debattieren.
Ich möchte dieser Debatte gerne noch einen weiteren Aspekt hinzufügen, der nur scheinbar ein Randaspekt ist, aber doch zum Kernelement dessen gehört, bei dem es um die Gleichbehandlung und den Wettbewerb von Privatwirtschaft und Kommunalwirtschaft geht. Denn es geht auch um die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken, die Sie mit der schwarz-gelben Bundesregierung vorhaben.
Lassen wir mal die umweltpolitischen und sicherheitsrelevanten Aspekte der Atomkraftdebatte beiseite. Sie alleine wären schon Grund genug, die Laufzeitverlängerung in Bausch und Bogen abzulehnen. Aber wettbewerbspolitisch – das führen Sie doch zumindest immer im Munde – ist die Laufzeitverlängerung ebenso falsch.
Es gibt ein von den acht größten kommunalen Stadtwerken in Auftrag gegebenes Gutachten, das belegt, dass alleine eine Laufzeitverlängerung um acht Jahre, wie sie jetzt vorgesehen ist, auf die im Wesentlichen abgeschriebenen Atommeiler 57 Milliarden € Vorteile und Gewinne in die Kassen der Oligopolisten spülen würde.
Das geht natürlich zulasten der Stadtwerke, die im Regelfall umweltpolitisch in moderne neue Kraftwerke investieren wollen, wegen der hohen Anfangsinvestitionen aber erhebliche Schwierigkeiten haben. Durch diesen wettbewerbsverzerrenden Aspekt der Atomkraftverlängerung
schaffen Sie ein neues Beispiel dafür, dass kommunale Stadtwerke und Städte und Gemeinden wettbewerbsmäßig benachteiligt sind. Dafür tragen Sie die Verantwortung, in diesem Fall im Bund.
Erstens. Wir werden nach dem 9. Mai im Landtag mit einer neuen Mehrheit ein Stadtwerkerettungsgesetz verabschieden.
Das bedeutet eine SPD-geführte Landesregierung in Nordrhein-Westfalen. Darauf werden Sie sich ab dem 10. Mai einstellen können. Darauf freue ich mich. – Herzlichen Dank.