Protokoll der Sitzung vom 14.12.2005

Sie lehnen es ja noch heute ab, dass Eltern den Schulstandort frei wählen und sich bewusst für Profile entscheiden können.

(Zuruf von der SPD: Dann fragen Sie mal die Kommunen!)

Es ist aber richtig, dass es einen Mindestlevel qualifikatorischer Eingangsvoraussetzungen geben muss. Denn man würde ja auch nicht denjenigen zum Fahrlehrer ernennen, der keinen Führerschein hat.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Wann kommt eigent- lich das Konzept für die Grundschulen?)

Deshalb müssen für ein qualitätsorientiertes Bildungssystem in Nordrhein-Westfalen zukünftig qualifikatorische Eingangsvoraussetzungen für Bildungswege und Mindeststandards für Abschlüsse gelten. Das sind notwendige Voraussetzungen und eine pure Selbstverständlichkeit.

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Staat vor privat!)

Sie haben ein Bildungswesen mit einem starken Zusammenhang zwischen Bildungschancen und sozialer Herkunft hinterlassen. Wir werden dafür sorgen, dass künftig Leistung über den Schuler

folg entscheidet und eben nicht mehr das Elternhaus.

Gerade deshalb werden wir die Mauern einreißen, die Sie mit Ihren Schulbezirken um bestimmte Wohnquartiere herum gezogen haben.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Was ist das für ein Quatsch?!)

Dadurch schaffen wir die Möglichkeit, dass eine Durchmischung von Schülern stattfindet. Das Kind, das im Villenviertel aufwächst, soll nicht mehr nur dort zur Schule gehen können.

(Lachen bei SPD und GRÜNEN)

Alle Eltern in einer Stadt sollen ihre Entscheidung durch den Wettbewerb der Schulen treffen können. Das ist genau das Gegenteil der Angstkampagne, die Sie in Nordrhein-Westfalen verbreiten: Wir sorgen für mehr Chancen für mehr Schüler.

(Beifall von FDP und CDU)

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Herr Präsident, ich komme zu meiner letzten Anmerkung.

Wir werden uns um alle Schüler kümmern – sowohl um leistungsschwächere als um leistungsstärkere. Ein Hinweis sei mir an dieser Stelle frei nach John F. Kennedy gestattet: Wir helfen den Schwachen nicht dadurch, dass wir die Starken schwächen. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Witzel. – Für die Landesregierung hat Frau Ministerin Sommer noch einmal das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus dem düsteren Himmel der schrecklichen Prognosen, die die Schulen unter der neuen Landesregierung erwarten, greife ich eine heraus: Es entstehen Gettoschulen bei Auflösung der Schulbezirksgrenzen. Wir sind uns darin einig: Gettoschulen könnte man definieren als Schulen mit einem sehr hohen Migrantenanteil von über 30 %, als Schulen im sozialen Brennpunkt. Von 3.442 Grundschulen in NordrheinWestfalen sind dies bereits jetzt 703, das heißt, ein Anteil von 20,4 %.

Meine Damen und Herren, vielleicht müssen wir wirklich diese Jahrzehnte zurückgehen. Denn ich

frage mich an dieser Stelle: Was haben Sie denn in den letzten Jahren und Jahrzehnten dazu beigetragen, dass es nicht zu diesem hohen Anteil kommen konnte?

(Beifall von CDU und FDP)

Was haben Sie an Unterstützung angeboten? – Wir unterstützen die Schulen, die dieser besonderen Fürsorge bedürfen, unter anderem mit 600 Lehrerstellen. Das heißt, wöchentlich fließen in diese Schulen 16.800 Lehrerstellen ein. Wenn das nichts ist!

(Zuruf von der SPD: Wie jetzt?)

Liebe Frau Löhrmann, Finnland ist ein kleines Land. Sie haben Recht: Hoffnungslose Fälle können wir uns nicht leisten. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an unsere Hauptschulinitiative, die wir benennen wollen: „Keiner wird vergessen“. Welche Hoffnungen, frage ich Sie, haben Sie denn gesetzt? Verwechseln Sie nicht Hoffnung mit Hoffnungslosigkeit bei den Menschen, die die falschen Schulformen besucht haben, die abbrechen mussten,

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Es gibt keine falsche Schulform!)

die ständig wiederholen mussten?

(Beifall von der CDU)

Waren das die Hoffnungen, über die Sie sprechen?

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Sören das Wort.

(Zuruf: Link!)

Link! „Sören“ ist aber trotzdem richtig.

(Heiterkeit)

Frau Präsidentin!

(Erneut Heiterkeit)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Blass vor Neid stehe ich hier und kann nicht anders – ich muss unserem seltenen Gast, diesem so erfolgreichen Ministerpräsidenten, und seiner tollen Truppe einfach gratulieren.

(Demonstrativer Beifall von der CDU)

Ja, da ist Applaus angebracht. Wohl noch nie in der Geschichte dieses Landes hat irgendeine Regierung so schnell so gründlich so viele Menschen

und Verbände so nachhaltig vor den Kopf gestoßen. Respekt, Herr Doktor, das schafft nicht jeder.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das Medienecho ist verheerend. Die Verunsicherung der Schüler war nie größer. Die Motivation der Lehrkräfte hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Die Verbände sind aufgebracht über das, was ihnen da vom Dilettantenstadl aus Düsseldorf geboten wird.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Frei nach dem Motto „Dieses war der erste Streich, und der nächste folgt sogleich“ haben Sie sich auch schon die nächsten Opfer für Ihre experimentelle Schulpolitik ausgesucht, nämlich die Kommunen.

Sie beschneiden die Kommunen massiv durch die Abschaffung der Einzugsbezirke in der Schulentwicklungsplanung. Und dann wundern Sie sich darüber, dass es keinen Beifall gibt. Ganz im Gegenteil, unabhängig vom Parteibuch hagelt es Protestbriefe der kommunalen Vertreter. Und womit? – Mit Recht.

Sicher: Schon heute gibt es in vielen Städten sogenannte Problemschulen. Frau Sommer hat gerade darauf hingewiesen. Diese Schulen mit vermeintlich schlechtem Ruf weisen oft einen hohen Anteil von Kindern aus sozial schwachen Familien oder von Kindern mit Migrationshintergrund auf.

Aber was soll bitte schön der Wegfall der Einzugsbezirke daran positiv ändern? Wollen Sie es allen Ernstes als Erfolg feiern, wenn auch noch die letzten 10 oder 20 % von Kindern aus sozial besser gestellten Familien künftig mit dem Segen des Ministerpräsidenten ins Auto gepackt werden und eine vermeintlich bessere Schule 5 km weiter besuchen?

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Die Probleme haben Sie dann nicht gelöst. Sie haben es dann nur geschafft, aus Problemschulen die eben erwähnten echten Gettoschulen zu machen.

Doch welche Zukunft werden die Rüttgersschen Restschulen haben? So viele Möglichkeiten gibt es da leider nicht. Entweder finden sich in der Umgebung der Schulen weiterhin ausreichend Kinder, deren Eltern ihre Kinder nicht durch die halbe Gemeinde fahren können oder wollen. Dann überleben diese Schulen zwar, aber Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Kinder hier nicht ansatzweise die gleichen Startchancen haben werden wie an den Schulen mit guter sozialer