Protokoll der Sitzung vom 18.01.2006

Was mich an der augenblicklichen Argumentationslage am meisten ärgert, Frau Löhrmann, ist, dass man die technisch-physikalischen Unterschiede einzelner Reaktortypen nie zum Thema gemacht hat. Weitsichtige Atomforscher fordern seit langem, dass Reaktoren inhärent sicher sein müssen, dass sie also auch durch Unfälle unzerstörbar sein müssen, dass es zu keiner unkontrollierten Kettenreaktion kommen darf.

Um es genau zu sagen: Wer eine nachhaltige Kernenergienutzung will, der braucht versicherbare, der braucht bezahlbare, der braucht schurken- und idiotensichere und kontinuierlich belastbare Reaktoren. Diese Anforderungen – da gebe ich Ihnen Recht – erfüllen die in Deutschland betriebenen Kernkraftwerke derzeit nicht. Auf Dauer macht ihre Abschaltung also durchaus Sinn, aber mit dem nötigen Gespür für Zeiträume, die man für einen vernünftigen, bezahlbaren Umstieg braucht.

In Nordrhein-Westfalen wurde am Kernforschungszentrum Jülich allerdings eine Technologie entwickelt, die alle diese Anforderungen erfüllt. Ich spreche hier von den Kugelbett- oder Kugelhaufenreaktoren, bei denen der Brennstoff gramm

weise in Tausende und Zigtausende von Graphitkugeln eingeschlossen ist, die mit Siliciumcarbit überzogen sind und die selbst Temperaturen von mehr als 2.000 Grad Celsius widerstehen. Das Urandioxid in diesen Kugeln verbrennt praktisch vollständig. Es gibt keine Wiederaufbereitung, bei der waffenfähiges Plutonium gewonnen werden kann, wie es derzeit bei der Wiederaufbereitung passiert. Es ist also eine demilitarisierte, ausschließlich zivile Nutzung.

Es gibt keine Steuer- und Abstandsstäbe in diesen Reaktoren, die fehlbedient werden könnten. Es gibt kein Kühlwasser, das radioaktiv werden, austreten und Menschen oder Umwelt gefährden könnte. Bei einem Verlust des Kühlmittels schaltet sich der Reaktor selbstständig ab. Dabei ist eine Beschädigung des Reaktors unmöglich.

Herr Kollege Weisbrich, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Keine. – Das Kühlmittel ist Heliumgas, das bis auf 1.000 Grad erhitzt wird. Es ist an einen Wärmetauscher angeschlossen, der – das ist für unsere Diskussion von entscheidender Bedeutung – wirklich für ganz unterschiedliche Zwecke genutzt werden kann. Der Wärmetauscher kann Dampf zur Stromerzeugung mittels eines Turbogenerators liefern, er kann aber auch eingesetzt werden zur Lieferung von Fernwärme und Prozesswärme, zur Gewinnung von Erdöl aus Ölsand und Ölschiefer oder aber – darauf hat Frau Thoben abgestellt – zur Herstellung von Wasserstoff aus Wasser, das bei den erreichten hohen Temperaturen in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten werden kann.

Meine Damen und Herren, bei dieser Technologie könnten bei großtechnischem Einsatz die Produktionskosten für Wasserstoff um 25 % unter dem heutigen Abgabepreis für Benzin liegen. Wir kämen damit der Verwirklichung des Traums einer energiehungrigen Nation, nämlich dem teilweisen Ausstieg aus dem Erdöl, ein ganzes Stück näher. Die Autos könnten dann Wasserstoff statt Benzin verbrauchen, möglichst in Brennstoffzellen mit hohem Wirkungsgrad made in Nordrhein-Westfalen.

Eine regenerative Alternative zu diesem Konzept bieten allenfalls Solarkraftwerke. Aber Sie werden mir Recht geben: Deren Einsatz in Deutschland wird bestimmt niemals wirtschaftlich sein.

Wenn Frau Thoben an die Potenziale einer nordrhein-westfälischen Technologie erinnert und eine Überprüfung im Rahmen des von ihr angemahnten neuen Energiekonzepts für Deutschland for

dert, dann sollten wir alle für diese Weitsicht dankbar sein und uns gemeinsam an die Erkundung des Potenzials machen. Vielleicht, Frau Löhrmann, ist eine Diskussion über Technologie ganz ohne Denkblockade in der am Freitag startenden Enquetekommission möglich. Da werden wir ausführlich darüber diskutieren. Dann wollen wir mal sehen, ob das nicht eine Technologie made in Nordrhein-Westfalen ist, die weiterentwickelt werden kann.

Wo in Deutschland oder Europa dann derartige Kugelhaufenreaktoren stehen, ist völlig gleichgültig. Nur in einem, glaube ich, müssen wir der Ministerin auch Recht geben: Ein Import des Wasserstoffs, der dort gewonnen werden kann, aus Südafrika oder aus China wäre so ungefähr das Letzte und Dümmste, was wir uns leisten sollten. – Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Weisbrich. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Dr. Horstmann. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Weisbrich, ich beobachte es seit einiger Zeit und habe es auch jetzt wieder festgestellt: Sie halten eine Rede wie ein Oppositionspolitiker, Sie arbeiten sich an dem rot-grünen Ausstiegsbeschluss aus der Atomenergie ab, wissen ihn mit Ihren bekannten Worten zu kritisieren – und tun dann das nicht, was Sie eigentlich tun müssten, da Sie inzwischen Politiker einer Regierungspartei sind, und zwar sowohl im Land wie im Bund: Sie sagen nicht, was Sie eigentlich tun wollen und werden, nachdem Sie kritisiert haben.

Herr Weisbrich, das, was Sie uns als Schnellkurs über den Kugelhaufenhochtemperaturreaktor angeboten haben, wollen Sie nicht ernsthaft als eine energiepolitische Entscheidung für die überschaubare Zeit ins Gespräch bringen. Auch Sie können vernünftigerweise nur über diese Legislaturperiode reden. Bevor Sie jemanden in der Republik finden, der mit Ihnen in solch eine Zukunftsmusik einstimmt, werden die energiepolitischen Weichenstellungen für die nächsten 30 Jahre schon vorgenommen sein. Und darum geht es, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Fragen sind: Wo liegt das Interesse Nordrhein-Westfalens in dieser Debatte? Wie wird das Interesse Nordrhein-Westfalens in der Debatte wahrgenommen?

(Beifall von der SPD)

Ich gebe Frau Thoben Recht, wenn sie sagt: Im Jahre 2006 soll über ein nationales Energiekonzept für Deutschland entschieden werden. – Vielleicht ist es gerade eine der besonderen Chancen der großen Koalition in Berlin, eine solche Entscheidung treffen zu können. Sie müssen die Fragen beantworten: Welches nordrhein-westfälische Interesse soll darin untergebracht werden? Was ist die Position Nordrhein-Westfalens? Was soll aus der Sicht des Energielandes Nummer eins in Deutschland, Nordrhein-Westfalen, bei diesem nationalen Energiekonzept herauskommen? Ich sage Ihnen voraus – Sie werden es selber nicht erwarten, Frau Thoben –: natürlich nicht die Hochtemperaturreaktortechnologie. Sie wird bei dieser Entscheidung keine Rolle spielen. Es geht um die verfügbaren Optionen. Deshalb geht es um die Frage des Ausstiegsbeschlusses: Hat er Bestand oder nicht?

Übrigens, Herr Kollege Weisbrich: Wenn das, was Rot und Grün mit dem Ausstieg aus der Atomenergie vereinbart haben, so unsinnig wäre, dann müssten Sie auch das für unverantwortlich halten, was Frau Merkel und Herr Rüttgers entschieden haben. Frau Merkel hat gesagt: Die Entscheidung des Koalitionsvertrages gilt. – Herr Rüttgers hat gesagt: Frau Merkel hat das letzte Wort gesprochen. – Ich mache Sie nur darauf aufmerksam.

Also: Was soll geschehen? Wollen Sie die Atomenergie in diesem nationalen Energiekonzept als Zukunftsoption unterbringen, Frau Thoben? Sie haben die Gelegenheit, es gleich zu sagen. Ich möchte mal verstehen, was Sie gerne möchten. Den Hochtemperaturreaktor sicher nicht, da sind wir uns einig.

Wollen Sie die Atomenergie unterbringen, dann müssten Sie sich anders, als der Ministerpräsident des Landes es erklärt hat, auch zum Zubau von Atomkraftwerken bekennen; denn die Verlängerung der Laufzeit könnte nur eine kurzfristige Option sein. Ich bin gespannt, ob Sie das tun oder ob nach wie vor gilt, was Herr Rüttgers im Wahlkampf gesagt hat: In Nordrhein-Westfalen wird kein neues Kernkraftwerk gebaut. – Es wäre interessant, das heute von Ihnen zu erfahren. Die Menschen in Nordrhein-Westfalen haben auch einen Anspruch darauf, dass Sie dies endlich einmal deutlich sagen.

Realpolitisch betrachtet kann es in der Diskussion – Sie haben die Entscheidung für 2006 ja gefordert – doch nur um die Frage gehen: Sollen die Restlaufzeiten der bestehenden Atomkraftwerke verlängert werden – ja oder nein? Sie gehen herum wie die Katze um den heißen Brei. Sie sagen es

nicht und meinen es vielleicht doch. Ich finde, Sie sollten sich dazu erklären, Frau Thoben.

Diese Landtagsdebatte bietet die Gelegenheit, dass die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen sich erklärt. Es kann doch nicht sein, meine Damen und Herren, dass in der ganzen Republik auf und ab darüber diskutiert wird, ob die Atommeiler in Deutschland länger laufen sollen, und das Energieland Nordrhein-Westfalen hat keine vernehmbare verständliche Stimme in einer solchen Diskussion!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das ist doch nicht hinnehmbar, wenn man das im Landesinteresse Nordrhein-Westfalens betrachtet.

Wenn Sie dem beipflichten wollen, will ich Ihnen Folgendes sagen, Frau Thoben: Die Diskussion über die Verlängerung der Restlaufzeiten der Atomkraftwerke wird auch innerhalb der Union nur von einigen geführt, wie man deutlich bemerkt. An der Spitze stehen immer die gleichen drei Herren: Der eine heißt Koch, der zweite heißt Oettinger und der dritte heißt Wulff. Das sind die Ministerpräsidenten der drei Länder in Deutschland, in denen die Mehrzahl der aktiven Atomreaktoren ihren Standort hat. Es sind auch die Ministerpräsidenten der Länder, in denen drei der vier in den nächsten Jahren stillzulegenden Atommeiler ihren Standort haben. Die handeln aus einem klaren Interesse.

Ich möchte wissen, was das Interesse NordrheinWestfalens ist, das Sie in dieser Diskussion wahrzunehmen haben, in der es erkennbar um etwas geht: um viel Geld beispielsweise, auch um die Standorte zukünftiger Kraftwerke, um Arbeitsplätze, um Wertschöpfung – um all das geht es. Welchen Kurs fährt die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen? Was wollen Sie in dieser Debatte eigentlich erreichen, und zu welchem Zweck schalten Sie sich ein?

Ich kann Ihnen nur raten, Frau Thoben: Unterstützen Sie nicht den Kurs derer, die gegen den Widerstand von Frau Merkel versuchen, doch verlängerte Restlaufzeiten für Atomkraftwerke durchzusetzen. Daran hat Nordrhein-Westfalen schon unter Sicherheitsgesichtspunkten kein Interesse.

Es geht um den Meiler Biblis A, das nächste stillzulegende Atomkraftwerk. Jeder weiß doch, dass es Bestandteil des Atomkompromisses mit der Energiewirtschaft unter Rot-Grün gewesen ist, dass im Gegenzug zu dem frühzeitigeren Stilllegungstermin in Biblis A auf Nachrüstungen der Anlage verzichtet wird. Beispielsweise geht es bei der hier angeführten eigenen verbunkerten Not

standswarte um einen Betrag von 450 Millionen €, wenn man den Experten Glauben schenken darf. Es ist auch kein Wunder, dass nicht einmal RWE als Betreiber dieses Reaktors an der Spitze der Bewegung derer steht, die sagen: Wir wollen Biblis A unbedingt weiter betreiben.

Es ist doch geradezu absurd, die Übertragungsregel, die der rot-grüne Atomausstiegsbeschluss vorsieht und die immer gemeint hat, Restlaufzeiten von alten auf jüngere Meiler zu übertragen, nun ins Gegenteil zu verkehren, indem noch nicht ausgenutzte Laufzeiten jüngerer Atomkraftwerke auf alte Meiler übertragen würden. Jeder, der die Sicherheitsdiskussion ernst nimmt, meine sehr verehrten Damen und Herren, muss doch erkennen, dass das geradezu gegen das Sicherheitsinteresse der Menschen in Deutschland – auch in Nordrhein-Westfalen – gerichtet ist, um es klar zu sagen.

(Beifall von der SPD)

Neben den Sicherheitsgesichtspunkten gibt es die manifesten NRW-Interessen als Standort. Sie sehen ja, was passiert: Niemand in Nordrhein-Westfalen artikuliert ein erkennbares Interesse an Atomkraft und will dafür Geld in die Hand nehmen. Es werden ein Kohlekraftwerk um ein Gaskraftwerk und ein Gaskraftwerk um ein Kohlekraftwerk in Nordrhein-Westfalen geplant, was zeigt, wie richtig es war, auch auf moderne fossile Energienutzung zu setzen und die moderne Kohleverstromung zu nutzen.

Herr Weisbrich, Sie schwadronieren. Aber die Energiewirtschaft investiert, und zwar in Kohle und Gas und nicht in das, was Sie uns erzählen: mit beiden Beinen fest in den Wolken. Anders kann ich Ihren Vortrag nicht deuten, Herr Kollege Weisbrich, den ich eben zur Kenntnis genommen habe.

Das sind die Interessen Nordrhein-Westfalens, ganz klar erkennbar. Die Bundesregierung wird zusätzlich in moderne Energiegewinnung aus fossilen Energieträgern investieren, auch in erneuerbare Energien. Und es wäre das Interesse Nordrhein-Westfalens, mit dem Finger aufzuzeigen: Hier, wir sind der Standort, an dem Forschungseinrichtungen und Wirtschaft in der Lage sind, moderne Verstromungstechnologien weiterzuentwickeln, moderne Energiegewinnung zukunftsgerecht zu betreiben.

Nun zur Steinkohle – der Satz soll da nicht fehlen, auch nach den einführenden Worten von Frau Löhrmann; übrigens gibt es da bei mir keine Triebverdrängung oder Ähnliches;

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Sie habe ich nicht gemeint!)

ich habe drei gut geratene Kinder, an denen ich mich sehr erfreue –: Wenn ein bayerischer Bundeswirtschaftsminister angesichts des Vertragskonflikts zwischen Russland und der Ukraine sagt, da muss man die Steinkohle neu bewerten – sicher hat der Glos das gesagt –, ist doch klar, was die Position Nordrhein-Westfalens sein müsste. Man müsste natürlich an die Bundesregierung appellieren, die Verantwortung für diese nationale Energiereserve wahrzunehmen, vielleicht noch stärker wahrzunehmen, als sie das gegenwärtig tut, und sollte nicht den Versuch machen, die Bundesregierung, die sich freundlich äußert, dazu zu nötigen, aus der Steinkohle auszusteigen – mit wenig Nutzen, aber allem Schaden in NordrheinWestfalen. Auch das wäre eine Diskussion, die mit der Bundesregierung zu führen wäre. – Ich bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit.

Herr Dr. Horstmann, würden Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Ellerbrock zulassen?

Herzlichen Dank.

Nein. Okay. – Als Nächster hat Herr Brockes von der FDPFraktion das Wort.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, mit Ihrem Antrag wollen Sie eine Debatte aufhalten, die sich gar nicht aufhalten lässt und die auch für dieses Land gut und wichtig ist.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Jetzt spricht Brockes gegen Frau Merkel und Herrn Dr. Rüttgers!)

Hören Sie einmal gut zu, Frau Löhrmann! Dann können Sie noch was lernen.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Ich lerne immer gerne!)

Meine Damen und Herren, wir führen diese Debatte – das ist der „Casus knacktus“ –, weil die ehemalige rot-grüne Bundesregierung die Frage offen gelassen hat, wie die durch den Ausstiegsbeschluss wegfallenden Kernenergiekapazitäten durch andere Energieträger aufgefangen werden sollen.

(Beifall von der FDP)

Über diese Grundfrage sprechen wir auch heute. Wie immer muss man bei dem Thema die drei Grundbedingungen für die Energieversorgung berücksichtigen: Wirtschaftlichkeit, Sicherheit und Umweltverträglichkeit. Daher können wir aus heutiger Sicht gar nicht auf die Kernenergie verzichten. Um die CO2-Ziele von Kyoto zu erreichen, brauchen wir die CO2-freie Kernenergie auch in Deutschland.

(Beifall von der FDP)

Wir haben eine Renaissance der Kernenergie in Europa und in anderen Ländern. Aber ich schließe mich den Worten von Herrn Weisbrich an: Wir wollen keine neuen Kernkraftwerke in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen bauen. Uns sind auch keine Unternehmen bekannt, die dies vorhaben. Aber wir sind nun einmal führend, was diese Technologie angeht. Sie und Herr Trittin haben auf Bundesebene alles dafür getan, um diese Technologie, gerade die Sicherheitstechnologie, aus diesem Lande zu verdammen. Das ist genau der falsche Weg.