Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie Sie wissen, ist dies ein für Grüne ganz, ganz wichtiges Thema. Ich sage das auch persönlich; es ist einer der Gründe, warum ich damals Mitglied der Grünen geworden bin – mit motiviert übrigens durch Diskussionen im katholischen Religionsunterricht. So bunt ist die Welt, und so prägend sind manchmal schulische Diskussionen. Es ist ein Thema, das auch im Moment aktuell ist und wozu es viele Botschaften gibt.
Seit Weihnachten beglücken uns christdemokratische Politikerinnen und Politiker mit der x-ten Auflage einer Debatte über die Atomkraft. In den letzten Wochen verging kaum ein Tag, an dem nicht ein CDU-Ministerpräsident oder andere Funktionsträger der Partei die Verlängerung der Laufzeiten für deutsche Atomkraftwerke oder sogar den Neubau gefordert haben. Manche in der CDU überlegen tatsächlich, eine Übertragung von Laufzeiten auf ältere Meiler gegen den zuständigen Umweltminister durchzusetzen. Nicht einmal drei Monate nach ihrem Amtsantritt demontiert die große Koalition in Berlin ihre eigenen Minister. Das kannte ich bislang in Deutschland noch nicht. Das schafft echt Vertrauen in Deutschland.
Meine Damen und Herren, auch in NRW wird munter mitdiskutiert. Dabei hatte der Ministerpräsident am 5. Januar ähnlich wie die Bundeskanzlerin erklärt: Pacta sunt servanda. Die Debatte ist beendet. – So weit, so gut. Doch am selben Tag schlägt die Wirtschaftsministerin vor, man solle doch mal über einen Hochtemperaturreaktor zum Zwecke der Wasserstoffherstellung diskutieren;
das ist in der Wirtschaftsdebatte vorhin schon angeklungen. Und eine unzählige Zahl von Damen und Herren von CDU und FDP und auch der stellvertretende Ministerpräsident führen die Debatte, die der Ministerpräsident gerade für beendet erklärt hat, munter weiter. Es interessiert offenbar auch in der NRW-Landesregierung niemanden, ob der Regierungschef eine Debatte für beendet erklärt oder nicht. Unser Ministerpräsident ist für freundliche Worte zuständig. Harte Politik machen andere. Dies gilt in Düsseldorf und erst recht in Berlin.
Ohne Zweifel ist es richtig und absolut notwendig, die Sicherung und nachhaltige Ausrichtung unserer Energieversorgung zum Thema zu machen. Wir Grünen tun das zum Beispiel mit unserer Strategie „Weg vom Öl“ oder mit der von uns beantragten Enquetekommission zu den Konsequenzen und Schlussfolgerungen für ein Industrieland NRW angesichts weltweit begrenzter Verfügbarkeiten von Öl und Gas. Es gibt viel zu tun, um unser von Öl- und Gasimporten abhängiges Land von diesen Energierohstoffen unabhängiger zu machen.
Da haben wir in Nordrhein-Westfalen wahrlich genug schlechte Erfahrungen gemacht. Wenn Sie und Ihre Kollegen ernst machen, dann treffen wir uns auf dem Acker wieder; das kann ich Ihnen hier versprechen.
Meine Damen und Herren, haben Sie schon Hamm-Uentrop, das Synonym für die kläglich gescheiterte Hochtemperaturtechnologie in NRW, vergessen? Von 1984 bis 1988 war hier der einzige zur Stromversorgung gedachte Reaktor in Betrieb, wenn er nicht gerade wie meistens wegen einer Panne oder technischer Baumängel stillstand. Am 4. Mai 1986 – demnächst haben wir einen denkwürdigen Jahrestag –, nur wenige Tage nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, kam es in Hamm-Uentrop zu einem folgenschweren Störfall, bei dem Radioaktivität freigesetzt wurde. Das war letztlich der Auslöser dafür, das Kapitel Hochtemperaturreaktor zu beenden. Mehrere Milliarden Euro hat die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler allein dieses atompolitische Abenteuer gekostet. Davon kann man ziemlich viele Solaranlagen bauen, und dies störfallfrei, Frau Thoben.
Ebenfalls 1988 wurde der Versuchsreaktor AVR in Jülich außer Betrieb gestellt, mit dem die Hochtemperaturtechnologie entwickelt wurde. Auch da belasten uns die Folgen noch heute. Mehr als 15 Jahre nach seiner Stilllegung ist es nicht gelungen, diesen Minireaktor, der mit 18 Megawatt gerade einmal die Leistung von zwölf durchschnittlichen Windkraftanlagen erbringt, abzureißen. Es wird noch mehrere Jahre dauern und nach Schätzungen des Bundesrechnungshofs 500 Millionen € kosten, diesen atomaren Schrott zu beseitigen.
Doch das absurdeste Atomabenteuer in NRW war der Schnelle Brüter in Kalkar. Er ist heute als „Kernwasser-Wunderland“ ein beliebtes Freizeitzentrum am Niederrhein. Er ging zwar nie in Betrieb, verschlang für Bau und Unterhaltung aber immerhin 3,5 Milliarden €. Bezahlt haben das die Stromkundinnen und -kunden. Davon kann man ziemlich viele Biogasanlagen bauen. Die funktionieren dann wenigstens, Frau Thoben und Herr Uhlenberg.
Meine Damen und Herren, die atomaren Abenteuer früherer Jahrzehnte haben die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes Unsummen gekostet, aber für unsere Energieversorgung rein gar nichts gebracht. Noch heute müssen wir für die Altlasten dieses Irrwegs zahlen. Reicht Ihnen das immer noch nicht, Frau Thoben?
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein Wort zu den immer wieder beschworenen sichersten Atomkraftwerken der Welt sagen. Da zitiere ich gern Sigmar Gabriel aus dem „Spiegel“.
„Das Sicherheitsmanagement weist auch in deutschen Anlagen erhebliche Mängel auf. Es heißt immer, wir hätten die sichersten Atomkraftwerke. In der Technologie mag das für die neueste Generation noch stimmen. Für die alten stimmt das nicht. Biblis A und B haben nicht einmal eine unabhängige und gebunkerte Notstandswarte, um die Anlage in einem echten Störfall von außen fahren zu können.“
Den Betrieb dieser Schrottreaktoren wollen CDU und FDP jetzt gegen jede Vernunft verlängern. Klarer kann man doch nicht dokumentieren, wie unverantwortlich Ihre Energiepolitik tatsächlich ist.
In den letzten Jahren sind weltweit mehr Reaktoren vom Netz als in Betrieb gegangen. Neue Atomprojekte gibt es hauptsächlich in Ländern wie Pakistan, Nordkorea, Iran, Südafrika, China und eines in Finnland.
Weiten Sie bitte einmal Ihren Blick! Gerade das aktuelle Beispiel Iran zeigt doch deutlich, dass der Bau von Atomkraftwerken in diesen Ländern, die in vielen Bereichen nicht einmal über ein funktionierendes Stromnetz verfügen, nicht in erster Linie der Energieversorgung, sondern machtpolitischen und militärischen Interessen dient. Das muss man sich doch klarmachen, wenn man global denkt und gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge sieht.
Schon allein deshalb ist die Atomkraft keine sinnvolle Form der Energiegewinnung, wenn man hinzunimmt, dass die Entsorgungsfrage nach wie vor nicht gelöst ist. Die Sicherheitsrisiken sind angesichts eines weltweit operierenden menschenverachtenden Terrors gegenüber früheren Zeiten noch deutlich gestiegen. Technisch sind sie kaum abwehrbar und deshalb nicht zu verantworten.
Ich frage Sie im Ernst: Welche Energietechnologie wollen Sie nach Asien, nach Afrika oder nach Lateinamerika verkaufen -Technologie für Atomenergie oder für erneuerbare Energie? Die Antwort liegt doch wohl auf der Hand. Gerade deshalb ist der deutsche Atomausstieg, den die Grünen durchgesetzt haben, nicht nur richtig, sondern er hat weltweite Vorbildfunktion,
Meine Damen und Herren, ich hoffe sehr, dass die Sozialdemokraten hier und in Berlin diese Erkenntnis, die sie in den Koalitionsvertrag eingebracht haben, nicht vergessen, insbesondere dann, wenn es vielleicht einen Deal „Verlängerung der Laufzeiten gegen einen nationalen Kohlesockel“ gibt. Das wäre wahrlich nicht nur eine, sondern das wären gleich zwei energiepolitische Katastrophen für unser Land.
Ich sage in aller Freundschaft an die Kolleginnen und Kollegen der SPD: Wenn es um die Steinkohle geht, dann schlägt bei Ihnen irgendein Gen durch, das andere nicht haben. Das Gen ist bei Ihnen stärker als fast alles, was es sonst so an Prägungen gibt, bei manchen ist es sogar stärker als der Sexualtrieb, glaube ich.
Meine Damen und Herren, die Zukunft der Energieversorgung besteht aus erneuerbaren Energien, Einsparungen und Effizienz, weil nur das ökologisch vertretbar ist und nur das auf Dauer ökonomisch ist und für bezahlbare Preise sorgt.
Statt den atompolitischen Irrsinn mit Phantastereien über Wasserstoffproduktion von Hochtemperaturreaktoren wieder aufleben zu lassen, sollte die Landesregierung endlich ein seriöses und umsetzbares energiepolitisches Konzept vorlegen. Konkrete Ansatzpunkte und Notwendigkeiten zu handeln gibt es genug.
Ich wünschte mir, der Ministerpräsident würde dafür sorgen, dass Sie Ihre Hausaufgaben machen, statt die Schlachten der Vergangenheit zu wiederholen. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Löhrmann. – Als nächster Redner hat für die CDU-Fraktion Herr Kollege Weisbrich das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Löhrmann, die Bilderstürmer im Mittelalter oder die Maschinenstürmer zu Beginn der Neuzeit hatten im Vergleich zu Ihnen überhaupt kein Temperament. Aber wenn wir hier in Stromkreisterminologie reden, empfehle ich Ihnen: Bauch ausschalten, Kopf einschalten!
Der erste Gliederungspunkt des Antrages, über den wir hier reden, heißt „überflüssige Atomdebatte“. Überflüssig, meine Damen und Herren, scheint mir nicht die Debatte. Überflüssig ist dieser Antrag. Denn in Nordrhein-Westfalen gibt es kein Atomkraftwerk, in Nordrhein-Westfalen liegt kein Antrag auf Errichtung eines Atomkraftwerks vor, niemand, aber auch niemand in NordrheinWestfalen plant die Errichtung eines Atomkraftwerks. Ministerpräsident Rüttgers hat das im Rahmen seiner Erfolgsbilanz Anfang des Jahres ausdrücklich bestätigt. Und, wie könnte es überhaupt anders sein, die Wirtschafts- und Energieministerin hat dieser Feststellung zu keinem Zeitpunkt und in keiner Weise widersprochen.
Überflüssig ist deshalb nicht nur dieser Antrag, überflüssig sind vor allem – gestatten Sie mir diesen Ausdruck – die primitiven Angriffe auf Frau Ministerin Thoben. Geradezu unanständig ist der Versuch, die Fachkompetenz der Ministerin in Zweifel zu ziehen, nur weil sie daran erinnert hat, dass man mit Hochtemperaturreaktoren nicht ausschließlich Strom erzeugen kann, sondern dass sie auch geeignet sind, um in großtechnischem Maßstab Wasserstoff herzustellen.
Ich finde, meine Damen und Herren, es muss endlich Schluss sein mit ideologisch bestimmten Denkverboten, mit überheblicher Arroganz und dem Anspruch, dass nur eine einzige Partei den allein selig machenden Weg zu einer sicheren Energieversorgung kennt. Standortverträgliche Energiepolitik braucht einen langen Atem, und sie verträgt keine ideologische Denkverkürzung. Politiker, Energieunternehmen und Bürger misstrauen sich gegenseitig immer mehr und blockieren auf diese Weise jede vernünftige Lösung unserer Energieprobleme. Wenn wir als Industrienation im globalen Wettbewerb bestehen wollen, dann müssen wir diese Vertrauenskrise schnellstmöglich überwinden.
Die SPD hat auf ihrem Nürnberger Parteitag am 26. August 1986 einen Ausstieg aus der Kernenergie innerhalb von zehn Jahren beschlossen. Begründet wurde diese Entscheidung unter dem Eindruck des Unglücks von Tschernobyl kurz zuvor, mit der Gefahr von Nuklearunfällen und mit der ungelösten Frage der Entsorgung radioaktiven Abfalls. Später kamen argumentativ die hohen tatsächlichen Kosten bei der Einbeziehung aller Sicherungsmaßnahmen und Entsorgungsaufwendungen sowie die angeblich begrenzten globalen Vorräte an Kernbrennstoffen hinzu.
Trotz dieser Beschlusslage der SPD hat sich die Bundesregierung im Juni 2000 mit der Kernkraftwirtschaft auf eine durchschnittliche Gesamtlaufzeit aller Kernkraftwerke von 34 Jahren geeinigt.
Meine Damen und Herren, ganz so unverantwortbar, wie von Ideologen immer wieder behauptet, kann die Kernenergie also nicht sein. Lassen Sie mich das einmal an einem plastischen Beispiel deutlich machen: Wenn ich merke, dass ich einen hochgiftigen Knollenblätterpilz in den Mund gesteckt habe, dann spucke ich den sofort aus, aber ich lutsche keinesfalls 34 Jahre lang darauf herum. Wenn ich das aber doch tue, dann glaube ich nicht wirklich an seine Giftigkeit, sprich: an die Wahrscheinlichkeit eines Nuklearunfalls in den weltweit sichersten und bestkontrollierten deutschen Kernkraftwerken.
Ähnlich, meine Damen und Herren, verhält es sich mit dem Argument der Endlagerung. Frau Löhrmann, wenn die Menschen Angst haben, weil sie nicht wissen, wo die radioaktiven Abfälle sicher gelagert werden können, dann sind wir als Politiker doch verpflichtet, schnellstmöglich für Klarheit zu sorgen.
Dann darf ich den Findungsprozess doch nicht ständig verzögern und behindern, wie die rot-grüne Bundesregierung durch Umweltminister Trittin das bis zuletzt immer wieder mit konstanter Bosheit getan hat. Sichere Endlager brauche ich mit und ohne Atomausstieg – je schneller, desto besser –, um den Menschen die Angst zu nehmen.
Wenn die zentralen Ausstiegsargumente Unfallgefahr und Endlagerung schon auf tönernen Füßen stehen, dann ist das Argument der begrenzten Vorräte an Kernbrennstoffen, wie es unter anderem Herr Gabriel jüngst vorgetragen hat, komplett unsinnig. Wenn es denn zuträfe, brauchten wir uns um den weltweiten Totalausstieg aus der Atomwirtschaft überhaupt keine Gedanken mehr zu machen. In 40 Jahren wäre der Spuk dann weltweit komplett weg. Dann hätten alle Nationen, die jetzt noch neue Kernkraftwerke bauen, mit Zitronen gehandelt.
Aber, meine Damen und Herren, es ist eben nicht so, wie Herr Gabriel behauptet. Ähnlich wie beim Öl ist die Reichweite der Uranvorräte eine Funktion der Abbaukosten. Wenn wir die Möglichkeiten der Urangewinnung aus Phosphaterzen und Meerwasser in die Kalkulation einbeziehen, erhöht sich die Reichweite gut und gern auf mehr als 1.000 Jahre. Wir brauchen uns über die Verfügbarkeit von Kernbrennstoffen also überhaupt keine Sorgen zu machen.
Was mich an der augenblicklichen Argumentationslage am meisten ärgert, Frau Löhrmann, ist, dass man die technisch-physikalischen Unterschiede einzelner Reaktortypen nie zum Thema gemacht hat. Weitsichtige Atomforscher fordern seit langem, dass Reaktoren inhärent sicher sein müssen, dass sie also auch durch Unfälle unzerstörbar sein müssen, dass es zu keiner unkontrollierten Kettenreaktion kommen darf.