Protokoll der Sitzung vom 19.01.2006

Um diesen Problemen entgegenzuwirken, aber auch um Kindern in einer ihren Begabungen gerechten Schulform bessere Entfaltungsmöglichkeiten zu geben, wollen wir, wie in der Koalitionsvereinbarung angekündigt, die Grundschulempfehlung verbindlicher machen. Sie entscheidet ja nicht alles am Ende. Wir wollen sie verbindlicher machen, als sie das heute ist.

Das Verfahren, insbesondere die künftige Ausgestaltung des Grundschulgutachtens, wird im Einzelnen in der Ausbildungsordnung für die Grundschule geregelt werden.

Wir werden das Übergangsverfahren so gestalten, dass die Befürchtungen der Opposition eben nicht eintreten. Für die Landesregierung ist der Elternwille ein hohes Gut. Auch in Zukunft werden grundsätzlich die Eltern darüber entscheiden, welche weiterführende Schule ihr Kind besuchen soll.

Wenn die Eltern allerdings nach Beratung mit der abgebenden sowie der aufnehmenden Schule vom Grundschulgutachten abweichen wollen, soll dieser dreitägige Prognoseunterricht zur Feststellung der Eignung durchgeführt werden. Das ist eben keine Aufnahmeprüfung. Da es sich um Unterricht handelt, der in pädagogischer Verantwortung von Lehrerinnen und Lehrern durchgeführt wird, ist diese Situation einem neunjährigen Kind nach in der Regel 3 ½ Jahren Schule durchaus vertraut. Es sind abgebende Lehrer und aufnehmende Lehrer, ganz unterschiedliche Menschen, die dieses Kind dann im Prognoseunterricht kennen lernen.

Wir trauen den Lehrerinnen und Lehrern zu, dass sie diese dem Kind gerecht werdende Kompetenz haben. Wenn Sie aber das bisherige Verfahren für besser halten, dann zeigt sich darin auch ein Misstrauen gegenüber den Lehrerinnen und Lehrern.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Beer?

Ja.

Herr Minister Laschet, würden Sie bitte noch einmal erläutern, wie Sie damit umgehen, wenn das Kind nach Empfehlung der Grundschullehrkräfte und nach Prognoseunterricht gymnasialgeeignet ist, aber die Eltern das nicht wollen. Werden dem Kind dann trotzdem diese Chancen eröffnet?

Es wird kein Kind zwangsweise ins Gymnasium gesteckt.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Aber umgekehrt zwangsweise in die Hauptschule?)

Wie Sie wissen, vertrete ich nur die Schulministerin. Es wird, glaube ich, nicht festgelegt, dass das Kind zwangsweise ins Gymnasium muss. Es geht aber doch auch nicht darum, ob das Kind zwangsweise in eine bestimmte Schulform kommt. Es gibt eine abgebende Schule und eine aufnehmende Schule, und es gibt Stellungnahmen dazu. Es werden doch nur ganz wenige Fälle sein, bei denen es vielleicht wirklich strittig ist und bei denen die Eltern darauf bestehen – entgegen dem Willen der Grundschule und entgegen dem Willen der aufnehmenden Schule –, dass ihr Kind so außergewöhnlich begabt ist, dass es doch auf eine bestimmte Schulform gehen soll.

Herr Minister, mir liegen noch Zwischenfragen der Kollegin Hendricks und des Kollegen Solf vor. Die Beantwortung der Fragen wird nicht auf Ihre Redezeit angerechnet. Gestatten Sie diese beiden Zwischenfragen?

Ja, bitte.

Frau Kollegin Hendricks, bitte.

Herr Minister Laschet, nachdem die verbindlichen Gutachten in den 90er-Jahren in Nordrhein-Westfalen aufgehoben worden sind, haben die Lehrer in Nordrhein-Westfalen sich dafür ausgesprochen, diese Regelung beizubehalten. Wie bewerten Sie, dass die Lehrer sich dafür aussprechen, diese Regelung beizubehalten, und jetzt nicht mit fliegenden Fahnen auf Ihr neues Programm umschwenken?

Liebe Frau Kollegin, ich kann mich nicht daran erinnern, dass es eine Volksabstimmung unter 165.000 Lehrern gegeben hat, um festzustellen, was die Lehrer sagen. Es mag Experten gegeben haben, die das gesagt haben. Es mögen auch Lehrerverbände gesagt haben. Wir sind aber heute auf einem anderen Sachstand und erkennen, dass eine höhere Verbindlichkeit richtig ist. Das Passstück dazu wird ja mit beschlossen, nämlich die klarere Durchlässigkeit in den nachfolgenden Jahren von einer Schulform zur anderen. Wir wollen jetzt auch zur Pflicht machen, dass die Lehrer dieses untersuchen müssen, wenn die Kinder begabter sind.

(Beifall von der FDP)

Ich glaube, dass so mehr Durchlässigkeit erzeugt wird als bisher.

(Beifall von CDU und FDP)

Nebenbei: Sie verteufeln das hier als neoliberale, von der FDP aufgedrückte, rückwärts gerichtete Schulpolitik. Wenn Sie mir sagen, dass das bis 1996 in diesem Land gegolten hat, dann muss ich entgegnen, dass damals Sie und die Grünen regiert haben und es anscheinend über Jahrzehnte kein Problem war, dass man eine höhere Verbindlichkeitsrate hatte.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Wir gehen zu dem Kern zurück, den Sie einmal abgeschafft haben.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Solf, die ich schon angekündigt hatte?

Ja.

Bitte, Herr Solf.

Herr Minister, erlauben Sie mir, Ihnen insoweit zu helfen, als ich sage, dass es in Baden-Württemberg mehrere hundert Fälle pro Jahrgang gegeben hat, bei denen erst durch die Empfehlung der Lehrer die Eltern – es waren Migranten – darauf hingewiesen wurden,

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Das ist keine Frage!)

dass ein Gymnasium für diese Kinder gut ist, und sich aufgrund dieser Empfehlung in allen Fällen die Eltern

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Das ist doch keine Frage! – Minister Karl-Josef Laumann: Aber eine wichtige Aufklärung! Es war eine der Sache dienliche Auskunft!)

dazu haben bringen lassen, das Kind auf das Gymnasium zu schicken.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Das ist keine Frage! – Minister Karl-Josef Laumann: Si- cher war das eine Frage!)

Ich beantworte die Frage mit Ja und erlaube Ihnen, mir geholfen zu haben. Danke.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Wir haben in der grundsätzlichen Schulgesetzdebatte das Ganze schon einmal erörtert. Ich darf auf Herrn Prof. Bos vom Institut für Schulentwicklungsforschung an der Universität Dortmund verweisen, der betont hat, dass in der Regel die Rede nur von Eltern, die ihr Kind gegen die Empfehlung der Schule auf dem Gymnasium anmelden wollen, ist. Häufig erleben wir allerdings auch, dass Eltern aus Scheu und Unkenntnis ihren Kindern trotz Eignung den Besuch einer Realschule oder eines Gymnasiums vorenthalten.

Frau Kollegin Beer, es gibt keinen Zwang dazu, aber es gibt die Eröffnung von neuen Möglichkeiten. Das schreibt Herr Prof. Bos nicht in einem unbedingt der Union nahe stehenden Organ, nämlich in der „taz“. Ich glaube, dass in der „taz“ und in vielen anderen Kreisen die Debatte wesentlich weiter ist, als Grüne und SPD es heute gezeigt haben.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Minister.

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit kommen wir zum Schluss der Beratung und zur Abstimmung über die Empfehlung des Ältestenrates, den Antrag Drucksache 14/1016 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung zu überweisen. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dann dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Findet das die Zustimmung dieses Hauses? – Gegenstimmen! – Enthaltungen? -Somit ist einstimmig die Überweisungsempfehlung des Ältestenrates angenommen.

Wir kommen zu:

5 Antrag auf Behandlung einer Volksinitiative gemäß Artikel 67a Landesverfassung NRW

Drucksache 14/612

Beschlussempfehlung und Bericht des Hauptausschusses Drucksache 14/1034

Ich eröffne die Beratung und erteile dem Kollegen Biesenbach für die Fraktion der CDU das Wort. Bitte.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns heute in wenigen Wochen zum zweiten Mal mit einer Volksinitiative, die zum Anliegen hat, die Öffnung der Videotheken an Sonn- und Feiertagen zu erreichen. Es gebührt ihr, dass wir uns ein zweites Mal damit beschäftigen; denn sie ist die erste erfolgreiche Volksinitiative in diesem Lande.

Wir haben, was meine Fraktion angeht, dieses Thema und dieses Anliegen ernst genommen, haben es erneut intensiv diskutiert und kommen – die Beschlussvorlage hat die Spannung bereits vorweggenommen – zu einem Ergebnis, das möglicherweise die Volksinitiative nicht zufrieden stellt, denn der Beschlussvorschlag des Hauptausschusses nach der gestrigen Sitzung lautet: Der Landtag lehnt das Anliegen der Volksinitiative ab.

Wir verkennen dabei nicht den Wettbewerbsdruck, dem sich Videotheken ausgesetzt sehen. Ich habe dies bereits bei meiner Rede am 30. November in diesem Plenum vorgetragen.

Im Einzelfall mag dieses Anliegen verständlich sein. Wenn wir es nur auf die Frage Videotheken fokussieren, dann gäbe es nur schwer Gründe, Nein zu sagen, und es wäre vielleicht auch nicht schädlich. Doch wir haben sehr viele Begehren nach Einzelfallbetrachtung vorliegen. Allein diese Vielzahl von Überlegungen und Wünschen macht es erforderlich, das Thema ein wenig grundsätzlicher zu betrachten. Die grundsätzliche Betrachtung heißt immer: Wie sieht unsere Markordnung aus?

Wir sagen, dass die soziale Marktwirtschaft nicht nur ein ökonomisches Organisationsprinzip ist, sondern auch und gerade eine werteorientierte Ordnung. Sie lebt von ethischen Grundsätzen, die sie selbst nicht schaffen kann. Märkte sind unentbehrlich – da sind wir uns einig –, aber im Markt erschöpft sich nicht das Wesen einer freiheitlichen und sozial gebundenen Gesellschaftsverfassung.

(Beifall von Johannes Remmel [GRÜNE])

Die Welt der Wirtschaft muss aus sittlichen Reserven schöpfen, mit denen sie steht oder fällt.

In einer Zeit, in der Tendenzen sichtbar werden, die darauf abzielen, soziale Normen zu verändern, die angeblich Fortschrittsprozesse behindern, muss die Politik der sozialen Marktwirtschaft die Menschlichkeit und Übersichtlichkeit der Lebensverhältnisse bewahren.

Wir bekennen uns ausdrücklich dazu, dass die kleineren Lebenskreise in Familie und Lebensgemeinschaften, in Nachbarschaften, Stadtteilen, Gemeinden, Kirchen, Vereinen und Initiativen auch in unserer Wissensgesellschaft in Zukunft eine unentbehrliche Funktion haben werden. Eine Gesellschaft darf sich nicht ausschließlich als Konsum- und Erlebnisgemeinschaft verstehen.