Protokoll der Sitzung vom 01.02.2006

Dies hat auch für die Bereiche Konsequenzen, in denen unser Land traditionell stark ist: Chemie, Energie, Verkehr und Maschinenbau. Wir werden auch künftig auf diese Stärken setzen. Und wir müssen genau beobachten, wo sich hier neue Potenziale auftun. Dabei müssen wir diejenigen Bereiche stärker in den Focus nehmen, die eine besondere Dynamik entfalten: die innovativen Durchstarter, die vom Erkenntnisfortschritt besonders profitieren und ihn besonders gut in Markterfolg umsetzen können – sei es in der Medizintechnik, in der Biotechnologie oder auf dem Gebiet der neuen Werkstoffe.

Das bedeutet in der Konsequenz: Weg von der Fiktion der Egalität, mutig Differenzierung zulassen, offen sein für Neues und mehr Unterstützung für die Tempomacher in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von CDU und FDP)

Um unser Profil als Forschungs- und Innovationsstandort zu schärfen, muss unsere Wissenschaftslandschaft an Attraktivität für leistungsstarke außeruniversitäre Forschungseinrichtungen gewinnen. Dann werden wir hier die Unternehmen auch wieder mehr forschen und entwickeln sehen, weil sie die Exzellenz des Forschungsumfeldes überzeugt.

Gemeinsam mit dem Bund und den Ländern finanzieren wir die überregionalen Einrichtungen der Spitzenforschung wie zum Beispiel die MaxPlanck-Institute. Von allen Ländern trägt Nordrhein-Westfalen den höchsten Finanzierungsanteil, ohne jedoch bislang am meisten davon zu profitieren.

Die Gewinnung zusätzlicher Institute, und zwar nicht aus Regionalproporzgesichtspunkten, sondern im harten Wettbewerb mit anderen Standorten um die beste Leistung, ist deshalb ein wichtiges Ziel der Landesregierung. Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass wir hier erste Erfolge erzielt haben.

Ich freue mich, den Landtag darüber unterrichten zu können, dass die Verhandlungen der Landes

regierung mit der Max-Planck-Gesellschaft über die Errichtung eines neuen Max-Planck-Instituts in Köln zur Molekularbiologie des Alterns auf sehr gutem Wege sind. Dieses neue Institut würde Köln als Standort für die Lebenswissenschaften sehr weit voranbringen. Im Haushaltsentwurf für 2006 haben wir bereits die entsprechende Kofinanzierung in Höhe von 30 Millionen € für dieses Institut vorgesehen.

(Beifall von CDU und FDP)

Ich freue mich, Sie zweitens darüber unterrichten zu können, dass wir durch den Aufbau einer lebenswissenschaftlichen Innovationsplattform in Dortmund die Voraussetzung dafür schaffen können, dass die Max-Planck-Gesellschaft am Standort Dortmund ein Max-Planck-Zentrum für Systembiologie errichten wird. Hierfür stellen wir 37 Millionen € Fördermittel zur Verfügung.

Dabei geht es keineswegs nur um Grundlagenforschung. Im Zentrum für Chemische Genomik, einem Teil dieser Plattform, werden Wissenschaftler der Pharmaindustrie und des Dortmunder MaxPlanck-Instituts gemeinsam Grundlagen für neue Arzneimittel und Therapieansätze erforschen, zum Beispiel zur Bekämpfung von Krebs- und HIV-Erkrankungen. Im Zentrum für angewandte Proteomik, einem anderen Teil dieser Plattform, werden in enger Kooperation mit der Wirtschaft Methoden der Proteinanalytik und Proteinbiochips anwendungsnah weiterentwickelt.

Dies ist ein Musterfall für erfolgreiche Kooperation, für Wirtschaft und Wissenschaft – und ein Projekt des Ruhrgebiets, das Frau Kollegin Thoben und ich für die Landesregierung gern unterstützen, weil es ein exzellentes Projekt für das Ruhrgebiet ist.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir führen darüber hinaus Gespräche, um zusätzliche starke Forschungspartner in den Life-Sciences für Nordrhein-Westfalen zu gewinnen. Schon jetzt zeichnet sich ab, das wir mit diesen neuen Vorhaben in Verbindung mit den Lebenswissenschaften bei Fraunhofer und der Helmholtz-Gemeinschaft und den Forschungseinrichtungen an den Hochschulen in der ABCD-Region sowie in Dortmund und Münster in unserem Land ein starkes Netz der Spitzenforschung in den Life-Sciences haben.

Das ist Profilbildung, wie wir sie für NordrheinWestfalen anstreben. Netzwerke und Cluster wie diese sind für die Profilbildung des Landes zwingend.

Wir müssen aber dafür sorgen, dass diese Modebegriffe nicht länger inflationär eingesetzt werden.

Nicht jedes Cluster ist ein exzellentes, und nicht jedes Konzept, das Vernetzung für sich reklamiert, verdient schon allein deshalb Unterstützung. Clusterbildung ist kein Selbstzweck. Sie muss dem Anspruch genügen, mindestens im nationalen Vergleich die kritische Masse auf einem relevanten Gebiet herzustellen.

Ebenso wie für die Forschungsförderung des Landes gilt auch hier: Wir brauchen dringend eine Besinnung auf die wirklichen Stärken. Bei deren Identifizierung sind uns die Experten hilfreich. Sie zeigen uns mit schöner Deutlichkeit weitere Cluster mit Potenzial.

Das RWI hebt in seiner Studie die RWTH Aachen und ihr Umfeld – übrigens in Übereinstimmung mit dem Ergebnis der nationalen Exzellenzinitiative – als „Juwel in der Forschungsszene“ hervor. Von Aachen – so die Experten – gehen starke Impulse in die Wirtschaft und in andere Forschungseinrichtungen des Landes aus.

Dortmund ist mit Universitätscampus, Technologiepark inklusive Biomedizinzentrum und einem Cluster von Unternehmen der Mikrostrukturtechnik und Mikroelektronik laut RWI ein „Beispiel für erfolgreichen Strukturwandel im Ruhrgebiet“.

Bundesweite Beachtung findet zudem das Kompetenznetzwerk zur Stammzellforschung NRW. Es konzentriert sämtliche Forschungsarbeiten auf den Gebieten der adulten und embryonalen Stammzellforschung, und, was uns wichtig ist, es begleitet die Forschung durch Integration der Expertise zu ethischen, rechtlichen und sozialwissenschaftlichen Fragen.

Ich engagiere mich dafür, dass dieses nordrheinwestfälische Konzept zur Blaupause für ein nationales Stammzellennetzwerk wird.

(Beifall von CDU und FDP)

All diesen Fällen gemeinsam ist die beispielgebende Kooperation zwischen verschiedenen Hochschulen, zwischen Hochschulen und außeruniversitärer Forschung, zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Davon brauchen wir mehr. Starke Ansätze wie diese verdienen unsere bevorzugte Förderung und Unterstützung. Wir sind hier bei einem Eckpfeiler für erfolgreiche Innovationsstrategie, der Verbesserung des Wissenstransfers und des Informationsaustauschs zwischen Wissenschaft und Wirtschaft.

Forschung und Lehre der Hochschulen müssen stärker transfer- und anwendungsorientiert ausgerichtet werden, sich enger mit Partnern aus der Wirtschaft verzahnen.

Für mittelständische Unternehmen sind unsere Fachhochschulen vielfach die am besten geeigneten Partner für konkrete Lösungen. Ziel der Landesregierung ist, gemeinsam mit der Bundesregierung für eine finanzielle Absicherung der Forschungsförderung an Fachhochschulen zu sorgen. Ich habe der Bundesbildungsministerin vorgeschlagen, zusätzlich zum Pakt für Forschung einen Pakt für angewandte Forschung aufzulegen. Den Hochschulen werden wir stärkere Anreize geben, den Wissenstransfer auszuweiten. Die Ziel- und Leistungsvereinbarungen mit den Hochschulen sind unser Instrument dafür.

Damit der Transfer in Fahrt kommt, brauchen wir aber auch neue Modelle für den Technologietransfer. Mit dem Science-to-Business-Ansatz, den die Landesregierung gemeinsam mit der Firma Degussa in Marl im Bereich der weißen Biotechnologie weiterentwickelt hat, erreichen wir eine neue Qualität der Interaktion zwischen Forschungskompetenzen und industrieller Umsetzung. In umgekehrter Richtung wird auch das Unternehmen frühzeitig in Überlegungen der Landesregierung zur Neustrukturierung einschlägiger Kompetenzen in Jülich einbezogen.

Was der Vorstandsvorsitzende der Degussa als „Bekenntnis zum Forschungsstandort Deutschland“ preist, können wir als ein Zeichen neuen Vertrauens in den Standort Nordrhein-Westfalen verbuchen. Es ist ein Erfolg der neuen Landesregierung, dass diese Investition, die nach heutigem Planungsstand bis zu 80 Millionen € betragen wird, nach Marl kommt und damit in der strukturschwächsten Region des Landes neue Impulse setzt.

(Beifall von CDU und FDP)

Auch dieses Konzept ist nicht wegen dieser Region entwickelt worden, sondern es ist ein Konzept, das sich aufgrund der Qualität, die sich in dieser Region vermittelte, im Wettbewerb mit anderen nationalen Standorten durchgesetzt hat. Daran zeigt sich auch hier beispielhaft, dass wir die 12 Millionen €, die die Landesregierung zusätzlich bereitstellt, nach rein wettbewerblichen Gesichtspunkten an den besten Standort des Landes gebracht haben.

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Das ist dann über Nacht gekommen!)

Der Wissens- und Technologietransfer ist allerdings kein Selbstläufer. Er muss angestoßen, moderiert und begleitet werden. Dies tun wir in der neuen Landesregierung auf Ministerebene im Interesse kurzer Wege und schneller Entscheidungen. Darüber hinaus arbeiten wir mit den

Hochschulen an Transfermodellen nach dem Vorbild der Steinbeis-Zentren, gegebenenfalls auch in Kooperation mit Steinbeis. Ziel ist die Entwicklung einer nordrhein-westfälischen Transferplattform. Sie soll für alle Hochschulen im Land offen sein und richtet sich insbesondere an den innovativen Mittelstand.

Wir brauchen uns nichts vorzumachen.

(Dr. Michael Vesper [GRÜNE]: Nein, das stimmt!)

Wir müssen die Trendwende in der Innovationspolitik schaffen, damit sich unser Land in der globalen Welt behaupten und gut platzieren kann. Es ist nicht mehr wie früher, als die Anwesenheit einer Universität oder Forschungseinrichtung automatisch als Standortvorteil gebucht werden konnte, dem die Ansiedlung forschungsintensiver Industrie ganz von selbst folgte. Dieser Automatismus funktioniert im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr. Forschungsleistungen stehen im globalen Wettbewerb.

Nur wenn unsere Hochschulen und Forschungseinrichtungen international mithalten können, wird die räumliche Nähe zu den Nutzern zum Standortvorteil. Große Forschungs und Innovationsvorhaben werden inzwischen weltweit ausgeschrieben. Da liegen die großen Etats, die wir brauchen, um Exzellenz herauszubilden und die Forschungslücke des Landes zu schließen.

(Beifall von CDU und FDP)

Mit dem Hochschulfreiheitsgesetz schaffen wir die notwendigen Voraussetzungen für unternehmerisches Handeln auch auf diesem Feld. Wir brauchen mehr internationale Verflechtung und mehr ausländische Investitionen in unserem Land. Bestehende Hemmnisse werden wir abbauen.

Wir stehen vor einer großen Herausforderung. Aber erste konkrete Erfolge unserer bisherigen Anstrengungen zeigen uns: Es kann gelingen. Wir wollen diese Herausforderung annehmen und erfolgreich bewältigen. International agierende Großunternehmen entscheiden sich bereits wieder für den FuE-Standort Nordrhein-Westfalen.

Ein Beispiel: Aus Gesprächen mit der Bayer AG, dem forschungsintensivsten Großunternehmen in unserem Land, kann ich Ihnen berichten: Die Bayer AG plant die Entwicklung eines Biotechnologieclusters in Nordrhein-Westfalen. Es soll die biotechnologische Entwicklungs- und die Produktionsinfrastruktur des Unternehmens in Wuppertal durch Kooperationsverträge mit den umliegenden Forschungseinrichtungen vernetzen.

(Beifall von CDU und FDP)

Ein weiteres Beispiel: Die Deutsche Telekom plant den Aufbau eines leistungsstarken Hochgeschwindigkeitsnetzes für die superschnelle Internetkommunikation. Ziel der Landesregierung ist es, dass nach Düsseldorf und Köln auch die anderen Ballungsräume Nordrhein-Westfalens bevorzugt an dieses Netz angedockt werden. Um dafür die Rahmenbedingungen herzustellen, wurde auf Initiative von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers im Berliner Koalitionsvertrag festgelegt, die entsprechenden gesetzlichen Regelungen zu schaffen. Mit dem Hochgeschwindigkeitsnetz können wir auf so unterschiedlichen Gebieten wie Gesundheit, Medien und E-Learning einen unschätzbaren globalen Standortvorteil für die nordrhein-westfälische Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung gewinnen und damit die Grundlage für neue, zukunftssichere Arbeitsplätze schaffen.

Ein drittes Beispiel: Die Firma Henkel wird in diesem Jahr ein Hautforschungszentrum im Life-ScienceZentrum am Merowinger Platz in Düsseldorf einrichten. Einer der Arbeitsschwerpunkte wird die Erforschung von In-vitro-Testsystemen zum Ersatz von Tierversuchen sein. Auch mit dieser Investition baut Henkel sein externes Forschungsnetzwerk konsequent weiter aus.

Jüngste Nachricht: Vor wenigen Tagen hat der in Nordrhein-Westfalen beheimatete Konzern Eon bekannt gegeben, er werde das Kernstück seiner groß angelegten konzernweiten Forschungs- und Entwicklungsinitiative auf dem Gebiet der Energieforschung in Aachen ansiedeln. Hierzu stellt Eon der RWTH Aachen für ein Energieinstitut der Spitzenforschung 40 Millionen € zur Verfügung. Die RWTH will in den nächsten Jahren selbst 30 Millionen € in das Energieinstitut investieren. Damit erhält Nordrhein-Westfalen die Chance, führender Standort in der Energieforschung zu werden.

(Beifall von CDU und FDP)

Alle diese Beispiele werten wir als Signal: Die forschungs- und entwicklungsorientierten Unternehmen fassen neues Vertrauen in unser Land. Das ermutigt uns. Da machen wir weiter.

Meine Damen und Herren, wir werden die Innovationsstrategie der Landesregierung in den nächsten Monaten gemeinsam mit unseren Partnern in Wissenschaft, Wirtschaft und in den Regionen weiterentwickeln. Wir werden sie eng mit der Hightech-Strategie der Bundesregierung verzahnen, die bis zum Sommer auf dem Tisch liegen soll; denn wir brauchen die Unterstützung von Europa und dem Bund, um die Trendwende in Nordrhein-Westfalen zu vollziehen.

Wir werden zur Evaluation dieser Fortschritte erstmals im Herbst dieses Jahres und künftig jährlich einen Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit vorlegen.

(Beifall von CDU und FDP)

Er wird von unabhängigen, wissenschaftlich ausgewiesenen Instituten erstellt. Damit sorgen wir für die notwendige Transparenz im Hinblick auf den Investitionsstandort und überprüfen regelmäßig unser politisches Handeln. Zudem erhalten wir wichtige Daten und Hinweise, wie wir unsere Innovationsstrategie fortschreiben müssen.