Protokoll der Sitzung vom 01.02.2006

Es gibt viele, viele weitere Beispiele: ThyssenKrupp und das Dortmunder Oberflächenzentrum oder auch die von Ihnen angesprochene Zusammenarbeit von Eon mit der Aachener Hochschule. Aber da sind andere Weltunternehmen vorangegangen. Ich erinnere nur an Microsoft. Sie alle wissen und haben es auch zitiert: Aachen ist nicht aus dem Nichts entstanden. Es macht Sinn, sich dort als Unternehmen anzusiedeln.

All diese Beispiele zeigen, Herr Professor Pinkwart: Sie fangen nicht bei null an, vor allem müssen Sie nicht entschlossen umsteuern, wie Sie es vollmundig formuliert haben. Setzen Sie auf die Menschen und das, was sie geleistet haben und leisten werden. Aber Menschen spielen keine so große Rolle bei Ihnen. Nur ganz am Ende Ihrer sogenannten Regierungserklärung spannen Sie den großen Bogen. Übrigens: Auch Fehlanzeige beim Thema „wissenschaftlicher Nachwuchs“ in Ihrer sogenannten Regierungserklärung.

Ich meine, meine Damen und Herren, es wäre redlich gewesen, wenn Sie Folgendes festgehalten hätten: Wir haben eine Menge interessanter Projekte, viele tragfähige Kooperationen, Cluster, Kompetenzfeldansätze und vieles andere mehr vorgefunden. NRW ist ein starkes Land mit qualifizierten Menschen; darauf wollen wir aufbauen.

Stattdessen verkünden Sie eine Trendwende und knüpfen klammheimlich überwiegend dort an, wo Ministerpräsident Steinbrück mit seinem ZehnPunkte-Plan „Mit Innovationen die Zukunft gewinnen“ und die ehemalige Wissenschaftsministerin vor allem mit dem Forschungskonzept 2010 Wichtiges geleistet haben – so wie Wolfgang Clement, so wie Johannes Rau und Heinz Kühn und auch so wie Franz Meyers. Zu alledem sagen Sie kein Wort.

Aber auch wenn Sie es nicht sagen: Jeder und jede kann es nachlesen, zum Beispiel im Jahres

wirtschaftsbericht 2006 bei Frau Thoben. Ich zitiere:

„Nordrhein-Westfalen ist auch als attraktiver Standort von Zukunftsbranchen gut aufgestellt. Ob Kulturwirtschaft, Logistik oder Life-Science, Umweltschutz oder Medienwirtschaft, in allen zukunftsträchtigen Bereichen sind starke Cluster im Land entstanden.“

So wurde es im Wirtschaftsbericht von Frau Thoben vor wenigen Wochen vorgestellt.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Michael Vesper)

Meine Damen und Herren, richtig ist: Schönreden hilft nicht weiter. Nur: Das tut niemand. Schlechtreden schadet, und das tun Sie immer noch und immer wieder. Da ist Ihr Hinweis, dass es nicht darum gehe, schwarzzumalen, verräterisch; denn Sie tun es ja und versuchen daraus Ihr politisches Kapital zu schlagen. Nochmals: Sie vergessen die Menschen, Sie nehmen Sie nicht mit. Dabei ist klar: Menschen machen Innovationen. Nur wenn die Politik Menschen mitnimmt, gelingen diese Innovationen.

Aber da ist ja auch schon Sand im Getriebe, wie man dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ am Wochenende entnehmen konnte. Ich zitiere:

„Das Wort klingt vielen noch im Ohr. ‚Wir müssen die Menschen mitnehmen’, hatte Jürgen Rüttgers auf dem Sprung an die Macht in Düsseldorf wieder und wieder im Wahlkampf versprochen. Inzwischen hat sich die Euphorie längst gelegt …“

Ihr Parteifreund Frithjof Kühn sagt, Herr Ministerpräsident, wie man im Rheinland formuliert: „Versprechen und Halten sind zwei Paar Schuhe.“ Wer Bedenken äußere, werde vom Ministerpräsidenten und insbesondere vom Fraktionschef Stahl als lästiger Kritikaster gerügt. – So ist das eben.

Noch einmal die Frage, meine Damen und Herren: Warum jetzt diese sogenannte Regierungserklärung mit so vielen Allgemeinenplätzen, so viel Abgeschriebenem und nicht wirklich Neuem? – Offenbar wurden von Ihnen, Frau Ministerin Thoben, ja noch nicht einmal die Brennstoffzelle und das Max-Planck-Zentrum für Systembiologie für diese sogenannte Erklärung überlassen. Das wäre wenigstens ein Neuigkeitswert gewesen. Aber das haben Sie ja gestern schon verkündet und heute wiederholt.

(Beifall von der SPD)

Auch beim Innovationsfonds, den schon der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung er

wähnt hat, sind Sie offensichtlich keinen Schritt weitergekommen. Heute wäre die Gelegenheit gewesen, konkret zu beschreiben, wie der Fonds ausgestattet werden soll. Im Haushaltsentwurf findet er sich auch nicht wieder. Privatisierungserlöse sollen es sein; so weit waren wir bei der Regierungserklärung von Herrn Rüttgers auch schon. Geht es nicht noch weniger konkret, Herr Pinkwart? – Sie hatten heute die Chance, etwas dazu zu sagen, konkret und verbindlich. Das Ergebnis ist ernüchternd und lautet schlicht „Fehlanzeige“.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Verständnis hätten wir dafür gehabt, wenn beispielsweise Frau Sommer eine Regierungserklärung gehalten hätte – in einer Zeit, in der Schüler, Eltern und Lehrer ihr Schulgesetz heftig kritisieren. Da helfen übrigens auch nicht ihre Selbsthypnoseversuche, Herr Kollege Lindner. Oder lesen Sie gar keine Zeitung mehr? Wenigstens die Überschriften, wie in der „Aachener Zeitung“. Ich zitiere:

„Sommer nimmt viel Kritik mit nach Hause

Die NRW-Schulministerin sucht beim Bildungsforum der AZ die Nähe zu den Lehrern, doch die Gräben sind sehr tief.“

So titelt die „Aachener Zeitung“.

Hier besteht Regierungserklärungsbedarf. Oder ist schon Koalitionsnotstand?

„Notstand“ ist zumindest, meine Damen und Herren, das passende Stichwort zum Thema Hochschulfreiheitsgesetz, das Sie auch in den Mittelpunkt gerückt haben, Herr Pinkwart. Es ist hier nicht der Ort, um mit Ihnen über das Verhältnis zwischen Freiheit und Verantwortung zu diskutieren. Deshalb nur so viel: Sie missbrauchen den Freiheitsbegriff. Denn Privatisierung bedeutet nicht automatisch Freiheit, und Hochschulen sind keine Unternehmen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das ist, meine Damen und Herren, im Übrigen keine neue Erkenntnis. Das wusste auch schon der „königlich-großbritannische Hofrat“ und ordentliche Lehrer der Weltweisheit in Göttingen, Christoph Meiners, als er 1801 in seinem Buch über die „Verfassung und Verwaltung deutscher Universitäten“ schrieb:

„Unter allen öffentlichen Anstalten, welche entweder auf die Erhaltung der Gesundheit und des Lebens oder der Sicherheit und des Eigen

tums der Staatsbürger oder auf die Bildung des Körpers, Geistes und Herzens oder auf die Vermehrung des häuslichen und allgemeinen Wohlstandes abzielen, ist keine, die bei einer guten Einrichtung in Verwaltung so viel Nutzen, bei einer schlechten so viel Schaden stiftete, als Universitäten stiften.“

So weit das Zitat. – Übersetzt auf heute heißt dies: Ihre Politik, Herr Pinkwart, stiftet Schaden.

(Beifall von der SPD)

Die SPD will wettbewerbsfähige Hochschulen in staatlicher Verantwortung. Wir wollen, dass die Absolventinnen und Absolventen, die Lehrenden und Forschenden mit ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten etwas unternehmen. Aber wir verwechseln nicht Unternehmen mit Universitäten und Universitäten mit Unternehmen. Das tun wir nicht.

(Beifall von der SPD)

Für die neoliberale Papke-Pinkwart-WesterwelleNRW-FDP gilt immer und überall: Privat vor Staat, und alles regelt der Markt. – Es geht aber nicht alles über den Markt.

(Christian Lindner [FDP]: Aber fast alles!)

Bildung braucht verlässliche Rahmenbedingungen, Chancengerechtigkeit und fairen Wettbewerb. Leistung, Talent und Können sollen die Eintrittskarten sein, nicht der Geldbeutel der Eltern oder die soziale Herkunft.

(Beifall von der SPD)

Es mag diese Papke-Pinkwart-Westerwelle-NRWFDP freuen, wenn ihr der Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz der Universitäten bei der Anhörung zum sogenannten Gesetz zur Sicherheit der Finanzierungsgerechtigkeit im Hochschulwesen – schon der Titel ist irreführend; das gilt erst recht für den Inhalt – vergangenen Donnerstag ins Stammbuch schreibt – ich zitiere –:

„Die Autonomie den Hochschulen zu geben, Studiengebühren zu erheben oder auch nicht, ist mindestens illusorisch, wenn nicht zynisch.“

Dies sollte zumindest die Kolleginnen und Kollegen der CDU nachdenklich machen, zumindest aber Sie, Herr Ministerpräsident. In Ihrem verteilten Redemanuskript zum CDU-Neujahrsempfang standen so richtige Sätze wie – ich zitiere –:

„Ein kruder Neoliberalismus führt nicht weiter.“

„Der totale Markt war niemals das Programm der Väter der sozialen Marktwirtschaft.“

(Christian Lindner [FDP]: Unseres auch nicht!)

Herr Ministerpräsident, es wird höchste Zeit, Ihren Stellvertreter und seine entfesselte Partei wieder einzufangen,

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

oder, Herr Kollege Kuhmichel, wenigstens das zu tun, was Bundespräsident Köhler gestern in Duisburg gefordert hat – ich zitiere –:

„Bedingung für die Einführung von Studiengebühren muss zudem ein funktionsfähiges Stipendiensystem sein, das es auch weniger begüterten jungen Menschen ermöglicht, ein Studium aufzunehmen.“

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ein Blick in Ihren Gesetzentwurf schafft Klarheit und bittere Gewissheit zugleich: Fehlanzeige! Von Stipendien ist keine Rede. Stattdessen soll es Kredite und Ausfallfonds zulasten der Studierenden und Universitäten geben. Das ist eine interessante Variante des Freiheitsbegriffs: Null Risiko für die Bank, null Risiko für die Landesregierung, hundert Prozent Risiko für die Hochschulen, hundert Prozent Risiko für die Studierenden. Da bekommt der Slogan „Die Freiheit nehm ich mir!“, Herr Pinkwart, eine ganz neue Bedeutung.

(Beifall von der SPD)

Vielleicht ist das ja das Motto für Ihre nächste sogenannte Regierungserklärung.