Protokoll der Sitzung vom 01.02.2006

Vielleicht ist das ja das Motto für Ihre nächste sogenannte Regierungserklärung.

(Christian Lindner [FDP]: Eine Büttenrede!)

Die Spirale nach oben in Sachen Studiengebühren ist längst in Gang gesetzt. Manche meinen jetzt schon, 500 € seien viel zu wenig. Der Markt sei eben so, wird es dann lapidar heißen. Doch was heißt das, wenn Hochschulen Fachbereiche schließen, weil sie unrentabel sind, Herr Ministerpräsident?

Ich frage Sie: Wie stellen Sie sicher, dass es in Nordrhein-Westfalen auch zukünftig ein umfassendes Fächerangebot und Exzellenzen im Bereich Geistes- und Kulturwissenschaften gibt? Nur zur Erinnerung: Bei Ihrem Stellvertreter findet dies nur an einer Stelle in der sogenannten Regierungserklärung von heute Morgen zwischengeschoben Erwähnung. Findet das Ihre Zustimmung? Wohin führt diese vermeintliche Freiheit?

Pleite ist übrigens nicht ausgeschlossen. Stimmt’s, Herr Pinkwart? Auf Ihrer Pressekonferenz hier im Landtag haben Sie das nicht ausgeschlossen, und in Ihrer Ideologie ist das ja auch

eine denkbare Folge: Hochschulen sind Unternehmen, sie können am Markt bestehen oder auch Pleite gehen. Was heißt das nun konkret? Was heißt das für kleinere Universitäten und Fachhochschulen? Können diese im Wettbewerb um Drittmittel mit den großen Universitäten bestehen? Was bedeutet dieser Wettbewerb für die Hochschulen, die andere Ausgangsbedingungen haben, zum Beispiel Duisburg/Essen? Was bedeutet das für Siegen und Wuppertal? Das mag die FDP wenig interessieren, aber zumindest direkt gewählte CDU-Abgeordnete sollten sich wenigstens einen Augenblick damit beschäftigen.

(Hannelore Kraft [SPD]: Herr Kuhmichel!)

Welche Empfehlung geben Sie Duisburg/Essen für den Wettbewerb mit Aachen, Herr Kuhmichel? Faire Chance für alle? – Nein, das ist weder „fair“ noch „fairer Wettbewerb“. Sie nennen es Freiheit. Tatsächlich ist es Verantwortungslosigkeit.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ich stelle mir gerade vor, wie Ihre zukünftigen Zielvereinbarungen aussehen werden, zum Beispiel Schließung von Hochschulen, die es nicht geschafft haben, ganz nach dem Slogan „Die Freiheit nehm ich mir!“. Sie schütteln mit dem Kopf. Aber wie sieht es denn in den Ländern aus, denen Sie jetzt mit Tempo nacheifern wollen? In Hamburg beispielsweise hat der Wissenschaftssenator Dräger alles dichtgemacht, was er nicht für wirtschaftlich rentabel hielt. Die berühmte Fakultät für Altertumsgeschichte war plötzlich weg.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Als weiteres Beispiel nenne ich Göttingen. Dort arbeiten drei der bekanntesten Politologen der Republik, nämlich Lösche, Tibi und Walter. Was macht der Universitätspräsident mit seiner neuen Freiheit? – Er beschließt das Ende. Wirtschaftssoziologie ist eben rentabler. Ist das wirklich so? Werden dadurch die besten Köpfe gefördert? Schafft das das viel zitierte Innovationsklima, Herr Lindner? – Nein. Es gibt viele Beispiele, die dieses Nein mit Namen füllen, übrigens auch in diesem Landtag.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Ich nenne nicht welche aus diesem Landtag – Herr Lindner, Sie sollten aufmerksam zuhören –, sondern ich nenne Alfred Herrhausen, der einen Abschluss in Philosophie hat, und Olaf Henkel – aus unserer Perspektive wahrlich unverdächtig –, der mit einem Realschulabschluss in Hamburg dank sozialdemokratischer Bildungspolitik doch noch studieren konnte. Diese Durchlässigkeit erschweren Sie.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Alles, was nicht marktkonform ist, hat es schwer. Diejenigen, die eine zweite und manchmal auch eine dritte Chance brauchen, werden es unter dieser Regierung in diesem Land schwerer haben.

Damit bin ich wieder bei Ihrer Schul- und Bildungspolitik. Sie kürzen beim GTK. Heute mussten wir lesen, dass die Kommunen gleichzeitig die Möglichkeit haben sollen, auf die Elternbeiträge zu verzichten. Das, meine Damen und Herren, ist zynisch, und zwar nicht nur vor dem Hintergrund, dass mehr als die Hälfte der NRW-Kommunen in der vorläufigen Haushaltsführung sind oder ein Haushaltssicherungskonzept aufgestellt haben und das gar nicht dürfen; denn sie sind leider auf die Elternbeiträge angewiesen.

(Beifall von der SPD)

Sie kürzen entgegen Ihrer Zusagen im Parlament im Bereich Jugendförderung. Sie erschweren die Durchlässigkeit im Schulsystem und beim Hochschulzugang. Sie bauen mit den Studiengebühren neue Hürden auf. Sie setzen auf Auslese. Das ist ein bildungspolitischer und gesellschaftspolitischer Irrweg, ein volkswirtschaftlicher Irrweg im Übrigen auch. Da beißt die Maus keinen Faden ab.

Natürlich gibt es Schwierigkeiten, die auch mit dem Strukturwandel zusammenhängen. Es gibt Schwierigkeiten trotz großer Anstrengungen, trotz anerkannter Erfolge bei den Graduiertenschulen und Existenzclustern, um nur zwei aktuelle Beispiele zu nennen. Das RWI hat in seiner Studie, die Sie heute an den Anfang gestellt haben, darauf nachdrücklich hingewiesen und im Übrigen auch nachvollziehbare Ursachen für den Rückstand beschrieben. Auf Seite 17 der Kurzfassung dieser Studie ist Folgendes nachzulesen:

„Die in NRW beheimateten Großunternehmen … zeigen sich demgegenüber in ihrer Forschung und Entwicklung recht abstinent.“

Es werden Ursachen genannt. Und Sie verschweigen eins: Bei den öffentlichen Ausgaben liegen wir im Ländervergleich in der Spitzengruppe, nicht jedoch bei den Privaten. Wie geht das mit Ihrem Credo „Privat vor Staat“ zusammen, Herr Pinkwart? Auch in diesem Bereich sind Sie heute unkonkret geblieben oder schmücken sich wie beim Beispiel Degussa mit fremden Federn; denn Sie wissen: Harald Schartau hat sich wie kein anderer in diesem Land dafür eingesetzt, dass wir an diesem Standort dieses wunderbare Projekt haben. Wir freuen uns mit Ihnen, denn es

ist gut für Nordrhein-Westfalen. Aber schmücken Sie sich nicht mit fremden Federn.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, Innovationen sind der Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Mit innovativen Produkten, Verfahren und Dienstleistungen wird NRW auch zukünftig nachhaltiges und ökologisch verträgliches Wachstum, Arbeitsplätze und gesellschaftlichen Wohlstand erreichen können. Das Wichtigste ist: Menschen machen Innovationen. Nur wenn es uns gelingt, die Menschen mitzunehmen, haben wir die Chance, unseren Weg in die wissens- und informationsbasierte Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft der Zukunft weiter erfolgreich voranzugehen. Deswegen appellieren wir an die Landesregierung:

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Nehmen Sie sich die Freiheit, eine Trendwende Ihrer bislang angekündigten Politik einzuleiten. Das gilt insbesondere für die Studiengebühren und Ihr sogenanntes Hochschulfreiheitsgesetz.

(Christian Lindner [FDP]: Daumenschrauben wieder zudrehen!)

Johannes Rau hat als Wissenschaftsminister am 9. Mai 1974 im Landtag von Nordrhein-Westfalen gesagt – ich zitiere –:

„Immer wieder sollten wir uns vergegenwärtigen, meine Damen und Herren, dass die Hochschulorganisation, von der wir so viel reden und über die wir so viel sprechen müssen, nicht Selbstzweck ist, dass sie so wenig Selbstzweck ist, wie die Hochschulautonomie es sein kann, dass sie vielmehr Mittel zu dem Zweck ist, dass die Hochschule ihre Aufgaben in Forschung und Lehre erfüllen kann.“

Darum ging es damals, darum geht es heute und auch in Zukunft. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das Wort hat nun der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Herr Abgeordneter Stahl.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Wer ist der Mann? – Weitere Zurufe von der SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Das Thema Selbstgespräch kam gerade auf, weil die Bänke da leer sind.

(Norbert Römer [SPD]: Wenn so wenige da sind, muss man Selbstgespräche führen!)

Ich verstehe sehr gut, dass die Bänke leer sind.

(Zurufe von der SPD)

Herr Eumann, hinsichtlich dessen, was Sie hier geboten haben, ist jede sprichwörtliche Klippschule ein Institut für Grundlagenforschung.

(Edgar Moron [SPD]: Unterstes Niveau! Nicht pöbeln! – Weitere Zurufe von der SPD)

Frau Kraft, ich bitte Sie, sich beim Landtag für diesen Beitrag zu entschuldigen. Der war so etwas von unterirdisch, dass ich meinen Kolleginnen und Kollegen, die gleich noch reden, rate, darauf nicht einzugehen. Das ist ein Niveau, auf das man nicht sinken darf.

(Norbert Römer [SPD]: Arroganz der Macht!)

Entschuldigung, aber das lohnt nicht mal zu ignorieren.

(Beifall von der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin mir sicher, dass heute sehr viele Menschen in unserem schönen Bundesland, die Wissenschaft und Forschung interessant finden – die sogenannte Society –, ob in Universitäten, Fachhochschulen oder wirtschaftsnahen Einrichtungen, die Debatte verfolgt haben. Diese Menschen werden die Regierungserklärung, die Herr Minister Prof. Pinkwart heute Morgen abgegeben hat, nachlesen. Und ich bin mir sicher, dass sich diese Menschen darüber freuen, dass endlich wieder Schwung in die Bude kommt, Schwung in dieses Land, Schwung in die Wissenschafts- und Forschungspolitik, Schwung in die Innovationspolitik.

(Beifall von CDU und FDP – Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Er hat nichts Neues er- zählt!)

Ich bin sicher, dass diese Menschen das Niveau dieser Debatte einzuschätzen wissen.

Aber mit diesen Worten wollte ich eigentlich gar nicht einsteigen. Ich wollte vielmehr mit einem Erlebnis einsteigen, das ich am Wochenende hatte. Ich war – das machen Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit auch – auf einem der vielen Neujahrsempfänge. Ich besuchte ein Unternehmen in Lemgo, das eine unglaublich gute Position in der Beleuchtungstechnologie nicht nur auf dem europäischen, sondern sogar auf dem Weltmarkt einnimmt.

Schon beim Hineingehen konnte man spüren: Hier herrscht Aufbruchstimmung. Hier handelt es sich um ein Unternehmen, das nach vorne schaut,

ein Unternehmen, das nicht nach Kleinigkeiten fragt, die Innovationen behindern könnten. Dieses Unternehmen hat in den letzten Jahren konsequent innovative Produkte entwickelt und auf den Markt gebracht. Über 40 % der Produkte und Dienstleistungen, die dieses Unternehmen absetzt, sind jünger als fünf Jahre. Das hat mir imponiert.

Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass es in Nordrhein-Westfalen viele dieser Hidden Champions gibt, und diese Hidden Champions brauchen wir. Wir brauchen nicht nur Einzelunternehmen, die wir fördern und denen wir Ansporn geben, sondern wir brauchen Innovationen und eine Aufbruchstimmung in der Breite. Und den Auftakt zu genau dieser Aufbruchstimmung, die sich nicht darauf beschränkt, Broschüren zu drucken, sondern die Unternehmen mitnimmt, haben wir heute Morgen hier erlebt. Vielen Dank, Minister Pinkwart.