Protokoll der Sitzung vom 15.02.2006

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Sie wollen etwas anderes. Sie wollen Freiheit von staatlichen Regeln statt Freiheit für mehr Selbstbestimmung.

(Zuruf von der FDP: Quatsch!)

Sie wollen dieses Land verändern. Sie werden es kälter, und Sie werden es weniger gerecht gestalten. Für uns ist das Politik ohne Herz und Verstand.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, dieses andere Staatsverständnis kann man in diesem Haushalt deutlich ablesen. Bei Ihnen zieht sich der Staat fast überall zurück. Sie schieben die Verantwortung ab: auf Kommunen, Hochschulen, Verbände, Kirchen, Selbsthilfeorganisationen und im schlimmsten Fall sogar auf die Betroffenen, die Hilfesuchenden selbst. Um im Bild des Zuges zu bleiben: Sie nehmen die Lasten aus Ihrem Waggon des Zuges und laden sie in die Waggons der anderen. Aber damit wird der Zug NRW nicht schneller fahren. Das ist Ihr Denkfehler dabei.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Eine Politik nach der Maxime „Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht“ reißt stattdessen tiefe Löcher in das soziale Netz. Die bittere Wahrheit ist, dass oftmals gerade die, die Hilfe besonders brauchen, durch diese Löcher fallen werden. Beispiele hierfür gibt es in Ihrem Haushalt viele.

Nur exemplarisch: Was bedeuten 7,8 Millionen € Kürzungen bei der Familienbildung? – Die Familienbildung ist ein wichtiges Standbein der Elternarbeit. Und die halten Sie in Ihrer Idee der Familienzentren doch hoch! Die wollen Sie doch mit einbinden! Warum kürzen Sie sie dann in diesem Haushalt an dieser Stelle?

(Beifall von der SPD)

Was ist mit einer Frau, die sich am Wochenende in höchster Not mit ihren Kindern an ein Frauenhaus wendet und dort keine qualifizierte Hilfe mehr findet, weil 3,5 Millionen € bei der Finanzierung der Frauenhäuser und dem Programm „Gewalt gegen Frauen“ gestrichen wurden? Was ist mit diesen Frauen? Was sagen Sie ihnen in Zukunft?

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Von den vier Stellen fällt eine weg. Das heißt, es gibt nur noch eine qualifizierte Fachkraft. Auch diese hat einmal Wochenende und auch diese ist einmal im Urlaub. Was passiert dann mit diesen

Frauen? Sagen Sie das den Menschen draußen im Land!

(Wolfgang Hüsken [CDU]: Das tun wir! Habe ich gestern noch gemacht!)

Deshalb demonstrieren die morgen ja auch! – Ich nenne ein weiteres Beispiel.

(Zuruf von der CDU)

Wie mögen sich die Behinderten fühlen, die auf die Zusagen gerade des Ministerpräsidenten, aber auch des Sozialministers vertraut haben, dass ihnen die Belange der Behinderten besonders am Herzen liegen? Jetzt sehen diese, dass die Mittel für die Integration der Behinderten um 12,9 Millionen € zurückgefahren werden. Das ist die Realität, Herr Laumann. Das ist etwas anderes. Die Taten sehen anders aus als die Worte.

(Beifall von der SPD)

Die Krankenhäuser im Land leiden nicht nur unter dem von Ihnen verhängten Investitionsstopp, nein, in 2006 fehlen ihnen jetzt auch noch 3,5 Millionen €, weil die fällige Anpassung der Pauschalen an die Kostenentwicklung um zwei Jahre hinausgeschoben wird. Das sind Realitäten in diesem Lande. Das trifft die Menschen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Zuruf von Rudolf Henke [CDU])

Sie können es ja gleich richtig stellen.

Solche Kürzungen sind schon für sich gesehen nicht akzeptabel. Was uns aber wirklich alarmiert, ist die Tatsache, dass viele dieser Maßnahmen mit einer Neuorientierung der Sozialpolitik begründet werden. Der Rückzug des Landes aus der Verantwortung wird öffentlich als Stärkung der Selbstverantwortung der Betroffenen verkauft. Für die Menschen, die auf diese Einrichtungen und die bisherige Hilfe, auf diese Netzwerke angewiesen sind, muss das zynisch klingen. Ihr Grundsatz „Privat vor Staat“ erhält an dieser Stelle seinen bittersten Beigeschmack, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, Sie haben mit Ihren Wahlversprechungen die Wahl gewonnen. Bereits jetzt erkennen viele Menschen, die Ihnen die Stimme gegeben haben, …

(Zuruf von Christian Weisbrich [CDU])

Hören Sie zu! Hören Sie den Menschen im Land zu. Ich komme in meiner Funktion ziemlich viel im Land herum. Es sind auch Ihre Leute, die bei den

Punkten, die ich gleich aufliste, inhaltlich auf unserer Seite sind.

(Beifall von der SPD)

Die Menschen erkennen, dass Ihre Wahlversprechen nichts mehr wert sind: „Versprochen – gebrochen“. – Sie machen Politik gegen die Menschen in diesem Lande. Das ist auf vielen Feldern mittlerweile schon Ihr Markenzeichen.

Beispiel: Schulpolitik. – Nicht nur bei der Aufhebung der Grundschulbezirke und der Aushebelung des Elternwillens löst Ihr Schulgesetz Empörung, Wut und Entsetzen bei Lehrerinnen und Lehrern, bei Eltern, aber auch bei Schülern aus.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Mit der Vorfahrt beim Abitur nach zwölf Jahren Gymnasium wird die Durchlässigkeit des Systems verstopft. Daran ändert auch Ihre Versicherung des Gegenteils nichts, Herr Ministerpräsident. Vielleicht haben Sie die Realitäten noch gar nicht zur Kenntnis genommen. Wer denn soll den Aufstieg in diesem System noch schaffen, wenn die zweite Fremdsprache am Gymnasium schon in der Klasse sechs beginnt und in den anderen Schulformen erst ein Jahr später?

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das ist doch das Problem, was dahinter steht.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Alles das verbinden Sie dann noch mit einer marktradikal geprägten Politik der Ökonomisierung der Schulen. Herr Ministerpräsident, auch in Ihrer Partei hat dieses Zündeln bei der Chancengerechtigkeit längst einen flächendeckenden Schwelbrand ausgelöst. Es sind längst nicht mehr einzelne Kritikaster, wie Sie sagten.

Beispiel: Kommunalpolitik. – Ich fürchte, das Land wird die Kommunen daran hindern, ihre wirtschaftliche Betätigung zum Nutzen der Bürgerinnen und Bürger im selben Umfang wie bisher fortzusetzen. Auch in diesem Fall von der FDP getrieben, betreiben Sie den Ausverkauf städtischer Betriebe aus Prinzip.

(Beifall von der SPD)

Jede Form wirtschaftlicher Betätigung der Kommunen ist Ihnen suspekt. Es kommt nicht darauf an, wer die Leistungen günstiger oder besser erbringt. Aus Prinzip sollen sie privat erbracht werden. Die Folge ist absehbar, meine Damen und Herren. Bisherige Einnahmen gehen verloren. Sie werden dann privat erzielt. Die Kosten verbleiben aber bei den Steuerzahlern. Das ist ein Parade

beispiel übertriebener ideologiegeprägter Politik. Als Ergebnis werden die Gewinne privatisiert und die Verluste sozialisiert.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Herr Papke, Ihnen es geht schon lange nicht mehr um den schlanken Staat. Ihr Staat ist schon magersüchtig. Den können sie bei Heidi Klum anmelden!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Beispiel: Strukturpolitik. – Herr Ministerpräsident, Sie haben beim politischen Forum Ruhr nette Worte gesagt: NRW braucht ein starkes Ruhrgebiet.

(Zuruf von der CDU: Sie waren doch gar nicht da!)

Aber ich habe den Text gelesen. Ich bin durchaus in der Lage, mir das zu besorgen und zu lesen. Haben Sie keine Bange. Das tue ich auch.

(Zurufe von der CDU)

Schwarze Wolken über der Ruhr gibt es aber wirklich, wenn im Haushalt die Mittel für die Kofinanzierung der EU-Gelder um 60 Millionen € gekürzt werden. Das lässt sich nicht durch einen Wettbewerb wettmachen. Ich bin ein Freund des Wettbewerbs. Ich bin Ökonomin.

Es ist aber ein Wettbewerb, bei dem die Startchancen nicht gleich sind. Bei der Winterolympiade in Turin starten auch nicht die einen auf dem Rennrodel und die anderen auf einem Holzschlitten. Das wäre die Parallele dazu.

(Beifall von der SPD)