Protokoll der Sitzung vom 16.02.2006

Ich darf an einen Antrag unserer Fraktion vom 12. Januar 1996 erinnern, gut zehn Jahre her, in dem wir diese Leitlinien schon gefordert hatten. Sie haben mindestens diese zehn Jahre - ich meine, eher noch länger – der Hochschullandschaft Zeit gestohlen und damit den jungen Menschen Chancen verbaut.

Wir haben damals, am 12. Januar 1996, Thesen der Hochschulrektorenkonferenz zu einem Antrag erhoben und sie hier vorgetragen, mit dem Ziel, Sie darauf aufmerksam zu machen, dass die Hochschullandschaft mehr Freiheit begehrt.

Wir haben zum Beispiel gefordert – wie gesagt, im Januar 1996 –, der Landtag möge die damalige rot-grüne Landesregierung auffordern, im Dialog mit den Hochschulen unseres Landes ein abgestimmtes Strukturkonzept für die Weiterentwicklungen der Hochschullandschaft NordrheinWestfalen zu erarbeiten und vorzulegen. Das Konzept soll das Leitziel verfolgen, die Eigenverantwortung der Hochschulen zu stärken und die staatliche Einflussnahme zurückzudrängen. Ich wiederhole: Das war am 12. Januar 1996.

Weitere Stichworte sind: autonome Steuerung, Änderung und Aufhebung von Fachbereichen, Studiengängen, Studienfächer in die Kompetenz der Hochschulen, Selbstrekrutierung der Wissenschaftler, Bereitschaft fördern, sich verstärkt auf Marktmechanismen einzulassen, freie Auswahlprozesse beim Hochschulzugang für Studierende und Hochschulen, Orientierung der Hochschulfinanzierung in Lehre und Forschung an Kriterien wie Grundbedarf, Leistungen und Innovation, Abbau der staatlichen Regulierung usw. All das sind Forderungen aus dem Januar 1996.

Die dazu gehörige Debatte am 25. Januar 1996 habe ich noch einmal nachgelesen – vor allen Dingen das, was Kollege Dietrich Kessel für die SPD vorgetragen hat –: ein Beitrag, wie gesagt, vor gut zehn Jahren, geprägt und durchdrungen von Misstrauen und Zweifel an der Kompetenz der Hochschulen, Angst vor jeglichem Neuen in der Hochschulpolitik und vor allem von der Sorge um den Verlust staatlicher Einflussnahme.

Ich will aus der Debatte nur einige Sätze des ansonsten geschätzten Kollegen Kessel wiedergeben. Er sagte, es sei lediglich eine in die Zeit – 1996 – passende Behauptung, dass mehr Eigenverantwortung und weniger Staat die Leistungsfähigkeit der Hochschulen automatisch verbesserten. Der Nachweis, ob dies tatsächlich zutreffe, sei in den nächsten Jahren zu erbringen. Dann hat er gesagt: Wir warten es ab. – Anschließend wurde der Antrag abgelehnt.

Dann haben wir gewartet und gewartet und gewartet – bis heute. Heute kommt der Paradigmenwechsel durch unsere Beantragung. Was ist bei dem Warten herausgekommen? Wir haben doch jetzt ein Ergebnis, ein Ergebnis der Vorauswahl für die NRW-Hochschulen zur ersten Runde der Exzellenzinitiative. Schlimmer konnte die Bilanz von 39 Jahren rot-grüner Hochschulpolitik nicht ausfallen. Trotz der immer wieder zitierten dichtesten Hochschullandschaft in Europa sind die Hochschulen bei uns bis auf wenige Ausnahmen im bundesweiten Vergleich bestenfalls Mittelmaß, weil sie gewartet und gewartet und der

Autonomie immer wieder die kalte Schulter gezeigt haben.

Ihre jetzige Situation haben unsere Hochschulen nicht zu verantworten, sondern sie ist Ausdruck jahrzehntelanger verfehlter Hochschulpolitik. Jahrzehntelang konnten die Hochschulen ihr Potenzial nicht ausschöpfen. Ziel der neuen Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen ist es, die Hochschulen wieder zu Impulsgebern für Forschung, Entwicklung und Innovation zu machen. Der internationale Wettbewerb stellt unsere Hochschulen vor immense Herausforderungen. Sie wissen das seit vielen Jahren und haben es unterlassen zu handeln.

Diese Herausforderungen sind nur dann zu bestehen, wenn die Hochschulen neben einer hinreichenden finanziellen Ausstattung zugleich mehr Freiheit erhalten für schnellere Entscheidungen, unbürokratische Handlungsmöglichkeiten, effektiven Ressourceneinsatz und strategische Eigenverantwortung.

Die neue Landesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen von CDU und FDP schaffen mit dem geplanten Hochschulfreiheitsgesetz die notwendigen Rahmenbedingungen. Dieses Gesetz, zu dem wir jetzt den Auftrag erteilen, wird auf der Basis der eben noch einmal vorgestellten Eckpunkte die Grundlage für einen Systemwechsel in der Hochschulpolitik sein – hin zu mehr Freiheit und mehr Verantwortung.

Wir geben den Hochschulen ein Höchstmaß an Gestaltungs- und Entfaltungsfreiheit, Freiheit für Forschung und Lehre, echte Autonomie, eine verlässliche Hochschulfinanzierung sowie ein klares Bekenntnis zu Wettbewerb und Spitzenleistung. Das sind die Eckpfeiler des neuen Hochschulfreiheitsgesetzes. Jede einzelne Hochschule soll in die Lage versetzt werden, selbst den besten Weg zu einem starken Profil, zu mehr Exzellenz sowie zu bester Ausbildung und Lehre zu beschreiten.

Ich würde mir wünschen, meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie diesen Weg weitestgehend mitgehen könnten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kuhmichel. – Für die FDP-Fraktion, die zweite antragstellende Fraktion, hat Herr Lindner das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Freiheit ist konstitutiv für das Hochschulwesen, und das Wort

„Freiheit“ führen Hochschulpolitiker aller Couleur im Mund. Das war bei den Vorgängerministerinnen von Herrn Pinkwart so, bei Anke Brunn, bei Frau Behler, bei Frau Kraft, und das ist auch heute so. Aber es stellt sich die Frage, was gemeint ist, wenn von Freiheit im Wissenschafts-, im Hochschulsystem die Rede ist.

Die heutige Opposition – die früheren Regierungsparteien – versteht unter Freiheit im Bildungssystem vor allen Dingen die Freiheit von Markt, wie sie sagt, die Freiheit, auf Ergebnisse, die aus dem Wettbewerb erzielt worden sind, verzichten zu wollen.

Wer oder was steuert aber dann Entwicklungen im Hochschul-, im Wissenschaftssystem, von wem gegen Impulse aus? In einem Wissenschaftssystem, das so verfasst ist, müssen Impulse notwendigerweise von Bürokratien ausgehen, von planmäßigen Festlegungen, die in Ministerien und öffentlichen Verwaltungen getroffen werden.

Die Ergebnisse dieses Wissenschaftssystems haben wir in Nordrhein-Westfalen bei den Abbrecherquoten und bei der Studiendauer, mithin der Qualität der Ausbildung im tertiären Bereich besichtigen können. Zuletzt haben wir durch die Ergebnisse der nationalen Exzellenzinitiative ein Signal bekommen, dass die dichteste Hochschullandschaft in Europa noch nicht die beste ist. Dieser Vorstellung setzen wir unseren Freiheitsbegriff als Koalition der Erneuerung entgegen: Das ist die Freiheit zur Verantwortung.

Wir haben uns hier bereits über ein Element dieses Kulturwechsels intensiv miteinander austauschen können: über die Einführung von Studienbeiträgen. Auch das ist Freiheit zur Verantwortung. Denn auch die Freiheit etwa der Studierenden, sich selbst zu bilden, findet dort eine Grenze, wo es die Verantwortung für die eigene Lebenszeit und die Inanspruchnahme öffentlicher Ressourcen betrifft.

Heute beraten wir über die Eckpunkte für ein Hochschulfreiheitsgesetz, das diese Ordnungsvorstellung auch auf die Organisation und die Struktur des Hochschulwesens übertragen will. Die Hochschulen können seit diesem Jahr – insoweit war die Vorgängerregierung auch schon auf dem Weg – mit ihren Mitteln freier wirtschaften, weil sie über einen Globalhaushalt verfügen. Zukünftig werden die Hochschulen bei der Auswahl ihrer Studierenden und der dort tätigen Lehrpersonen Freiheit gewährt bekommen.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Hatten wir auch schon!)

Sie werden frei über Strukturen und Organisation entscheiden können, werden sehr viel effizienter mit ihrem Vermögen umgehen können und werden sich unternehmerisch dort engagieren dürfen, wo es für die Hochschule sinnvoll ist.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Und Pleite ge- hen!)

Herr Eumann, Sie sagen, sie gingen Pleite. Natürlich droht in einem solchen System in der Theorie auch der Wettbewerbsnachteil, droht das Scheitern. Aber gerade der Wettbewerb und das Wissen darum, dass im Wettbewerb auch negative, nachteilige Ergebnisse erzielt werden können, setzen Kräfte frei und motivieren die Menschen zu Höchstleistungen, weil sie sich im Hochschulsystem nicht mehr an Plänen, sondern an den Entscheidungen von Menschen orientieren, zum Beispiel von Studierenden oder Hochschullehrern, die sich in der Regel für mehr Qualität entscheiden, die bessere Leistungen entwickeln, die besser mit knappen Ressourcen umgehen wollen und die immer wieder neue Impulse für die Anwendung von bestehendem Wissen erhalten.

Deshalb hat der Vorsitzende der Landeshochschulrektorenkonferenz, Herr Ronge, völlig zu Recht davon gesprochen, dass hier nicht weniger geplant ist als eine Revolution des Hochschulwesens, die Ihresgleichen in Deutschland sucht.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Den zitiere ich gleich auch!)

Sie zitieren ihn auch? Dann zitieren Sie vollständig, wenn Sie ihn etwa aus der Westdeutschen Zeitung zitieren.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Ich zitiere ihn vollständig! Keine Sorge, Herr Lindner, das habe ich an der Hochschule gelernt!)

Meine Damen und Herren, noch nie ist mit den Hochschulrektoren so früh über die Eckpunkte eines solchen Gesetzes gesprochen worden. Bereits bevor die Eckpunkte öffentlich vorgestellt worden sind, haben der Ministerpräsident und der Fachminister das Gespräch mit den Rektoren der Hochschulen und der Fachhochschulen geführt.

Wir alle wissen aus den Gesprächen, die wir mit einzelnen Rektoren geführt haben, dass es dort eine positive Aufnahme der Pläne der Landesregierung gegeben hat. Vielleicht mag es im Detail noch Anregungen geben, die auch willkommen sind. Deshalb können wir als Koalitionsfraktion die Landesregierung nur ermutigen, den couragierten Weg, den sie sich vorgenommen hat, weiterzugehen und dem Landtag ein Gesetz auf der Grundlage der hier formulierten Eckpunkte vorzulegen.

Zum Schluss möchte ich noch eine persönliche Bemerkung -an Sie gerichtet, Herr Eumann – machen: Ich will mich an dieser Stelle noch einmal dafür bedanken, dass Sie mir bei der letzten Gelegenheit, die wir hier zur wissenschaftspolitischen Debatte nutzen können, das Buch „Willy Brandts Erinnerungen“ geschenkt haben. Ich habe zwischenzeitlich noch ein wenig darin gelesen, und deshalb möchte ich – aber auch zum letzten Mal, Herr Vesper – in einer wissenschaftspolitischen Rede Willy Brandt zitieren – mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident. Willy Brandt hat in seiner berühmten Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 gesagt:

„Wir wollen eine Gesellschaft, die mehr Freiheit bietet und mehr Mitverantwortung fordert.“

Genau das ist auch unser Anspruch. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Lindner. – Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Eumann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lindner, Sie sind noch nicht auf Seite 244 bei den Erinnerungen angekommen. Da werden Sie lesen, was Willy Brandt damit genau gemeint hat. Ich kann Ihnen zusagen: Er meint nicht Ihren Freiheitsbegriff; denn Sie missbrauchen den Freiheitsbegriff. Er meint einen anderen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Er meint nämlich, dass jeder in diesem Land eine Chance haben soll – unabhängig von der sozialen Herkunft, unabhängig vom Einkommen der Eltern – und dass Leistung, Talent und auch Ehrgeiz zählen. Das ist das, was Willy Brandt mit Freiheit und Verantwortung gemeint hat. Sie, Herr Lindner, missbrauchen den Freiheitsbegriff – Sie und Ihre FDP.

(Rudolf Henke [CDU]: Das war damals eine sozial-liberale Koalition!)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen stehen vor großen Herausforderungen. Sie müssen den Bologna-Prozess umsetzen. Sie müssen mithelfen, die Lissabon-Ziele zu erreichen. Sie müssen im nationalen, europäischen und internationalen Wettbewerb bestehen.

Klar ist auch: Lehre und Forschung, die Umsetzung in Technologie, Produkte und Dienstleistun

gen sind künftig der entscheidende Wettbewerbsvorteil, um den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wohlstand in unserem Land zu sichern.

Auch deshalb tragen die Forschenden, die Lehrenden, die Studierenden und auch die nichtwissenschaftlich Beschäftigten eine große Verantwortung. Auch deshalb gilt es, ihnen allen Rahmenbedingungen zu bieten, damit sie ihren Beitrag leisten können.

Es geht darum, Forschung gezielt mit Mitteln zu unterstützen, Forschungsmittel wettbewerblich zu verteilen, Leistung und Erfolg zu honorieren, die Zusammenarbeit von Forschern zu fördern, universitäre und außeruniversitäre Forschung zu vernetzen, Nachwuchsforscher heranzubilden und auch gezielt anzuwerben. Es gilt, aus der Fülle der globalen Trends genau die Themen zu identifizieren, mit denen wir in Nordrhein-Westfalen weiter exzellent sein können. Es geht um die Schwerpunkte in den Feldern Life-Sciences, Energie und Umwelt, Logistik und Verkehrssysteme, neue Materialien und Innovationen in der Produktion, Informations- und Kommunikationstechnologie, neue Medien und Mikrosystemtechnik. Es geht um die Fragen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels.

(Christian Lindner [FDP]: Aber wer hat die denn? – Ja, die Menschen!)

Nordrhein-Westfalen ist heute schon auf vielen Feldern gut aufgestellt. Das belegt unter anderem das überdurchschnittlich erfolgreiche Abschneiden der NRW-Hochschulen und Forschungseinrichtungen beim aktuellen 6. EU-Forschungsrahmenprogramm. Ich frage die Landesregierung: Wo bleibt Ihre Position zum siebten? – Darauf warten wir. Unser Problem ist nur: Brüssel wartet darauf nicht.

Klar ist auch, meine Damen und Herren: Wir müssen und wir können noch besser werden. So gilt es auch, die richtigen Schlussfolgerungen aus den bisherigen Ergebnissen der nationalen Exzellenzinitiative zu ziehen. Da sind wir gar nicht weit voneinander entfernt.

Minister Pinkwart hat Eckpunkte für ein sogenanntes Hochschulfreiheitsgesetz vorgelegt und ein Gesetz angekündigt. Die Koalitionsfraktionen haben die erstaunliche Leistung vollbracht, diese Eckpunkte abzuschreiben und daraus einen Antrag zu machen. Es steht in dem Antrag nichts Neues, was ich nicht schon am 25. Januar in dem sehr viel umfangreicheren Sprechzettel von Herrn Pinkwart habe lesen können.

Aber, meine Damen und Herren, schon der Titel „Hochschulfreiheitsgesetz“ ist irreführend. Ich