Protokoll der Sitzung vom 16.02.2006

Aber, meine Damen und Herren, schon der Titel „Hochschulfreiheitsgesetz“ ist irreführend. Ich

stimme dem Kölner Politikwissenschaftler Christoph Butterwege ausdrücklich zu, wenn er sagt …

(Christian Lindner [FDP]: Der gehört doch der SPD gar nicht mehr an! Der ist doch nach links abgewandert!)

Mit kritischen Geistern haben Sie, Herr Lindner, leider nichts zu tun, denn für Sie gibt es nur einen Tunnelblick: Augen zu und durch. Für mich ist Christoph Butterwege, auch wenn er nicht mehr Mitglied der SPD ist, ein interessanter, wichtiger und kompetenter Gesprächspartner, und ich finde es gut, was er sagt – ich zitiere –:

„Bei dem Hochschulfreiheitsgesetz, das die wirklichen Absichten der Landesregierung schon im Namen durch einen wahrhaft Orwell’schen Neusprech verdeckt, geht es um die Marktgängigkeit der nordrhein-westfälischen Hochschulen, was aber mehr Marktabhängigkeit und für die Beschäftigten weniger Freiheit bedeutet.“

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

So weit Christoph Butterwege.

Noch einmal: Sie missbrauchen den Freiheitsbegriff. Dies gilt übrigens auch für den Begriff Gerechtigkeit. Denn Ihr sogenanntes Gesetz zur Sicherung der Finanzierungsgerechtigkeit im Hochschulwesen bedeutet eben nicht mehr Gerechtigkeit, sondern weniger Gerechtigkeit, bedeutet nicht mehr Chancengleichheit, sondern weniger Chancengleichheit.

(Christian Lindner [FDP]: Blablabla!)

Aber Sie missbrauchen nicht nur den Freiheitsbegriff und den Gerechtigkeitsbegriff, Sie verwechseln auch die Inhalte. Privatisierung bedeutet eben nicht automatisch Freiheit. Und: Hochschulen sind keine Unternehmen, Herr Lindner.

Um es hier ganz klar zu machen: Das ist kein Widerspruch zu wichtigen Stichworten wie Wettbewerb, Profilbildung, Aufgabenentwicklung, Stärken- und Schwächenanalyse.

Keine Frage: Die SPD will wettbewerbsfähige Hochschulen. Aber wir verwechseln nicht Unternehmen mit Hochschulen und Hochschulen mit Unternehmen. Uns geht es um verlässliche Rahmenbedingungen, Chancengerechtigkeit und fairen Wettbewerb.

Ich frage Sie, Herr Minister Pinkwart: Wie stellen Sie sicher, dass unsere vielfältige Hochschullandschaft erhalten bleibt? Wie stellen Sie sicher, dass wir nicht nur in vermeintlich profitablen Zukunftsfeldern Exzellenz haben, sondern auch Exzellenzen im Bereich der Geistes- und Kulturwissen

schaft? Wie stellen Sie sicher, dass es in Nordrhein-Westfalen auch zukünftig ein umfassendes Fächerangebot geben wird? Wie stellen Sie sicher, dass es einen fairen Wettbewerb auch um Drittmittel gibt? Was bedeutet Ihr Wettbewerb für die Hochschulen, die andere Ausgangsbedingungen haben, zum Beispiel Duisburg/Essen? Nicht alle haben die gleichen Bedingungen. Darauf muss es unterschiedliche Antworten geben.

(Christian Lindner [FDP]: Das war eine Zwangsheirat!)

Was bedeutet das für Siegen und Wuppertal? Sie nennen es Freiheit, und tatsächlich ist es Verantwortungslosigkeit, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen.

(Beifall von der SPD)

Jetzt, Herr Lindner, zitiere ich Herrn Ronge, und zwar aktueller, als Sie es mit diesem Zeitungsbericht getan haben.

Professor Ronge trifft mit seiner Kritik vom 9. Februar 2006 – das ist die Mitteilung der Bergischen Universität – unter der Überschrift „Befreiung vom Staat …“ – ein sehr interessanter, sehr bemerkenswerter Beitrag – den Nagel auf den Kopf, wenn er schreibt:

„Die politische Idee hinter der Philosophie der gesamten Neuerung stammt aus der Wirtschaft. Nur: Sie passt überhaupt nicht auf die Funktion von Lehre, Studium, Bildung. Größere Autonomie – aber Befreiung vom Staat? Das Hochschulbefreiungsgesetz wird im Zeichen von ‚Autonomie’ verkauft, bedeutet aber faktisch überzogene ‚Liberalisierung’.“

So lautet das vollständige Zitat von Professor Ronge. Herr Lindner, schauen Sie nach, was die Leute sagen, bevor Sie sie hier mit Zeitungsausschnitten missbrauchen.

Professor Ronge hat Recht. Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen, und deswegen fordern wir Sie auf: Nehmen Sie sich die Freiheit, eine Trendwende Ihrer bislang angekündigten Politik einzuleiten.

(Christian Lindner [FDP]: Nein!)

Mit der Einführung von Studiengebühren bauen Sie neue Hürden auf. Das bedeutet mehr Ungerechtigkeit und weniger Chancen.

Mit ihrem sogenannten Hochschulfreiheitsgesetz leiten Sie eine Ökonomisierung der Hochschulen ein, die nur auf den ersten Blick mehr Freiheit bedeutet. Am Ende stehen weniger Hochschulen,

ein geringeres Fächerangebot und weniger Chancengerechtigkeit in diesem Land.

Meine Damen und Herren, nehmen Sie sich die Freiheit und ziehen Sie Ihr sogenanntes Hochschulfreiheitsgesetz zurück! – Herzlichen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Eumann. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Dr. Seidl.

(Christian Lindner [FDP]: Herr Eumann, wis- sen Sie, dass Herr Butterwege einmal aus der SPD ausgetreten ist? – Marc Jan Eu- mann [SPD]: Ja, das weiß ich doch alles! – Christian Lindner [FDP]: Vor allen Dingen deshalb, weil er die Hochschulpolitik der SPD als neoliberal eingestuft hat?)

Meine Herren, wenn Sie sich unterhalten wollen, setzen Sie sich doch zusammen. Das brauchen Sie doch nicht durch den ganzen Saal zu brüllen. Das ist doch gar nicht nötig.

Genau. Außerdem bin ich jetzt dran.

(Christian Lindner [FDP]: Entschuldigung!)

Bitte, Frau Seidl.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, ich kann ja verstehen, dass Sie Minister Pinkwart mit seinen Eckpunkten zur Hochschulfreiheit nicht allein im Regen stehen lassen wollen und dass Sie ihn mit Ihrem Antrag unterstützt haben.

Er braucht nämlich tatsächlich Rückendeckung, wenn man sich die Reaktionen auf den noch nicht vollendeten Referentenentwurf zu dem sogenannten Hochschulfreiheitsgesetz vor Augen führt. Das freiheitlichste Hochschulgesetz weit und breit, wie Sie es so gerne nennen, wird von den Hochschulen mit großer Skepsis begleitet. Das zeigen doch die öffentlichen Stellungnahmen sehr deutlich, meine Damen und Herren. Da macht sich doch ganz klar die Angst vor einem ungebremsten Marktradikalismus breit, der die Freiheit von Forschung und Lehre an unseren Hochschulen gewaltig einschränken wird.

Wer trägt denn die Verantwortung, wenn Hochschulen Pleite gehen? Wer garantiert für eine koordinierte Landesplanung in der dichtesten Hochschulregion Europas? Wer sorgt dafür, dass wir ein ausgewogenes Fächerspektrum behalten, bei

dem die kleinen oder eben nicht drittmittelstarken Fächer nicht schon bald baden gehen? Wer wirkt dem Einfluss von Hochschulräten entgegen, die die Geschicke der Hochschulen zukünftig unter unternehmerischen Gesichtspunkten lenken sollen?

Diese falsch verstandene Freiheit für die Hochschulen will niemand, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierung. Das meint unter anderem der Sprecher der Landesrektorenkonferenz, Prof. Ronge. Ich zitiere ihn hier noch einmal. Dieses Interview hat nur wenige Tage vor dem Erscheinen der Mitteilung stattgefunden, aus der der Kollege Eumann zitiert hat.

„Aus meiner Sicht ist das Ganze ja nicht eine veränderte Autonomie im Rahmen der bisherigen Beziehungen zwischen Hochschulen und Staat, sondern durch die Auskoppelung aus dem Staat bedeutet es im Grunde eine Liberalisierung, eine politische Liberalisierung.“

Das sagt er immer wieder. Er ist der Sprecher der Hochschulen, der Universitäten in diesem Land.

In diesem Zusammenhang ist interessant, dass gerade Ihr Ministerium, Herr Pinkwart, im Oktober 2005, also noch dem ersten Entwurf des Hochschulfreiheitsgesetzes, bei einer IHF-Tagung in München hat verlauten lassen – ich zitiere –, „dass in keinem anderen Bundesland die Hochschulen so viele Freiheiten genießen wie in Nordrhein-Westfalen“.

Das Ministerium lässt weiter verlauten:

„Unsere Hochschulen genießen in hohem Maße Planungssicherheit im Bereich von Haushalt und Finanzierung, die sie dem so genannten Qualitätspakt verdanken.“

Da kann ich nur sagen: Wem verdanken die Hochschulen denn den sogenannten Qualitätspakt, der seit 1999, mit zehnjähriger Laufzeit, vertraglich abgesichert ist? Der ist doch nicht von Ihnen auf den Weg gebracht worden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es ist schon ganz schön heftig: Sie schmücken sich mit fremden Federn und preisen im Grunde die Verdienste der alten Landesregierung.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)

Auch die neue Steuerung, von der Sie schwärmen, geht auf unsere Initiative zurück: weg von der staatlichen Detailsteuerung, hin zu neuen Steuerungselementen wie Globalhaushalt, Zielvereinbarungen und leistungsorientierter Mittelvergabe. Eine staatliche Fachaufsicht gibt es nur

noch bei der Personalverwaltung, beim Haushalt, bei der Hochschulzulassung und den Gebühren. Wir haben die Berufung von Professorinnen und Professoren sowie die Einrichtung, Aufhebung und Änderung von Studiengängen vollständig an die Hochschulen delegiert.

Eine weitgehende Gestaltungsfreiheit haben die Hochschulen überdies bei der Binnenorganisation, also dem Zuschnitt der wissenschaftlichen Organisationseinheiten.