Protokoll der Sitzung vom 16.02.2006

Eine weitgehende Gestaltungsfreiheit haben die Hochschulen überdies bei der Binnenorganisation, also dem Zuschnitt der wissenschaftlichen Organisationseinheiten.

Darüber hinaus haben sie schon länger die Wahl zwischen Rektorats- und Präsidialverfassung.

Mit anderen Worten: Es ist genau so, wie Ihr Ministeriumsvertreter im Oktober 2005 vor dem Institut für Hochschulforschung München betonte – ich zitiere –:

„Es mag Sie überraschen, wenn ich behaupte, dass in keinem anderen Bundesland die Hochschulen so viele Freiheiten genießen wie in Nordrhein-Westfalen.“

Wo ist also der Autonomiegewinn, den Sie jetzt noch durch Hochschulfreiheitsgesetz erreichen wollen? Die Einführung von Hochschulräten bedeutet sicherlich nicht mehr Entscheidungsfreiheit für die Rektorate oder die Senate an den Hochschulen. Ganz im Gegenteil: Durch den Hochschulrat erfolgt eine völlige Umorientierung von Verantwortlichkeit in Richtung einer Unternehmensstruktur mit Auswirkungen auf die Profilbildung der Hochschule und die Freiheit in Forschung und Lehre. Der Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz sieht darin sogar – ich zitiere noch einmal – „eine ganz erhebliche Machtmonopolisierung und Steuerungsmonopolisierung“. Ist dies nicht exakt das Gegenteil von dem, was Freiheit an den Hochschulen bedeutet?

Zweiter Punkt: die Dienstherreneigenschaft der Hochschulen. Die Beamt(inn)en und Angestellten werden dann nicht mehr dem Land, sondern den Hochschulen gehören. Damit werden im Ergebnis die Möglichkeiten des Landes für Versetzungen massiv beeinträchtigt. Bezüglich des Tarifrechts ist dies ganz klar auch ein Versuchsballon für den Ausstieg aus dem öffentlichen Dienst.

Drittens. Wenn Sie die Fachaufsicht des Ministeriums komplett abschaffen, wird zukünftig niemand mehr zentral darüber wachen, ob die Hochschulen ihre Aufgaben sachgemäß erfüllen. Im Ergebnis führt dies zu einem großen Verlust an Steuerungsmöglichkeiten im Sinne einer Landesplanung. Aber das scheinen Sie auch gar nicht mehr zu beabsichtigen. Das schreiben Sie in Ihrem Antrag auch ganz deutlich, Herrn Lindner:

„Jede einzelne Hochschule soll in die Lage versetzt werden, für sich selbst den besten Weg zu einem starken Profil, zu mehr Exzellenz sowie zu bester Ausbildung und Lehre zu beschreiten.“

Ich versuche jetzt, das aus meiner Sicht auf den Punkt zu bringen: Sie lassen die Hochschulen alleine und verlassen den Weg eines landesplanerischen Konzeptes. Das nennt sich dann „Verantwortung à la Pinkwart“ für eine Hochschullandschaft mit fast 500.000 Studierenden und über 50 Fachhochschulen und Universitäten.

Was ich in diesem Zusammenhang beleidigend finde, meine Damen und Herren von der Regierung, das ist die Aufforderung an die Hochschulen, für unsere Gesellschaft jetzt endlich Impulsgeber für Forschung, Entwicklung und Innovationen zu werden. Was meinen Sie denn, was unsere Hochschulen eigentlich tun und was sie in den vergangenen Jahren geleistet haben?

Aufgabe der Hochschulpolitik und des Ministeriums ist es vielmehr, Vorschläge zu machen für eine Bündelung und Vernetzung von Lehre und Forschung, von Wissenschaft und Wirtschaft sowie für eine Profilierung von Forschungs- und Entwicklungsschwerpunkten. Auch sollen strukturelle Vorschläge gemacht werden, wie wir in Nordrhein-Westfalen Innovationen in Technologien zur Marktreife führen.

Der Staat muss seine Fürsorgepflicht für die Bildung im Land behalten. Die Hochschulautonomie ist nämlich kein Wert an sich. Herr Lindner, wenn Sie meinen, dass Sie Nordrhein-Westfalen dadurch an die Spitze bringen, dass Sie die Hochschulen einem ungebremsten Wettbewerb ausliefern, heißt das, dass Sie die Freiheit von Forschung und Lehre in der Tat auf dem Altar der Marktwirtschaft opfern. Das ist ein Freiheitsverständnis, das sich vielleicht mit den Worten von Janis Joplin ausdrücken lässt – vielleicht hat sie es auch so gemeint –: „Freedom is just another word for nothing left to loose.“ – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Dr. Seidl. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Dr. Pinkwart das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte die Gelegenheit gerne nutzen, die zentralen Ziele des Hochschulfrei

heitsgesetzes noch einmal in den Vordergrund meiner Ausführungen zu stellen. Dies sind zwei, nämlich mehr Gestaltungsfreiheit für die Hochschulen und mehr Gestaltungsverantwortung. Damit das gelingt, wollen wir das freiheitlichste Hochschulgesetz in Deutschland schaffen.

Warum mehr Gestaltungsfreiheit? Weil wir auf die Kreativität und die Kraft zur Gestaltung unserer Hochschulen setzen und weil wir ihnen gegenüber in der Pflicht sind, Rahmenbedingungen herzustellen, die es ihnen erlauben, ihr Potenzial auch wirklich auszuschöpfen!

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Deshalb streichen Sie 800 Stellen?)

Unser bisheriges Abschneiden in der Exzellenzinitiative von Bund und Ländern kann doch nicht alles gewesen sein, meine Damen und Herren. Wir haben mehr Potenzial zu Spitzenleistung in unseren Hochschulen. Aber wer Höhenflüge erwartet, muss die Hochschulen auch aus dem goldenen Käfig entlassen.

(Beifall von CDU und FDP)

Schon jetzt sorgt allein die Ankündigung für Aufbruchstimmung – nicht nur bei uns in NordrheinWestfalen. Manchmal wundere ich mich, mit welchen Vertretern von Hochschulen die Opposition im Land spricht, wenn ich das hier bilanziert bekomme. Meine Aufnahme ist eine ganz andere. Ich kann Ihnen dazu gleich auch noch Zitate vortragen. Ich kann Ihnen das aber auch glaubwürdig aus meinen Gesprächen vermitteln.

Aber nicht nur in Nordrhein-Westfalen ist eine andere Aufnahme gegeben, als Sie sie hier vortragen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Fahren Sie doch einmal in andere Bundesländer! Reden Sie doch einmal mit Hochschulvertretern in Bayern oder Baden-Württemberg! Die schauen neidisch auf das, was hier in Nordrhein-Westfalen möglich wird.

In der „Zeit“ – Sie können es nachlesen – ist unlängst ein Gespräch mit Hochschulvertretern aus Sachsen wiedergegeben worden, die sich Gedanken darüber machen, wie es in den neuen Ländern gelingen könnte, in der nächsten Runde der Exzellenzinitiative besser abzuschneiden. Dort wird die Prorektorin der TU Dresden mit folgenden Worten zitiert – mit Genehmigung der Präsidentin darf ich Ihnen das vortragen –:

„Wir könnten zu den Besten gehören. … Man lässt uns nur nicht!“

In diesem Beitrag wird auch darauf abgestellt, dass wir in Nordrhein-Westfalen mit dem Hoch

schulfreiheitsgesetz gerade die Voraussetzung dafür schaffen wollen, dass die Hochschulen sich besser entfalten können.

Meine Damen und Herren, mit der Gestaltungsfreiheit verabschieden wir uns aber auch von der Fiktion der Ergebnisgleichheit. Das ist auch bitter nötig. Dass alle irgendwie auf allen Gebieten gleich gut sind, ist niemals wahr gewesen. Die Hochschulpolitik auf eine solche Fiktion zu gründen hat in Wahrheit auch noch nie irgendjemandem genützt, am wenigsten den Hochschulen.

Wir wollen unsere Hochschulpolitik auf die Wahrheit gründen, dass die Hochschulen unterschiedliche Stärken und Profile haben. Wir wollen jede einzelne Hochschule in die Lage versetzen, für sich selbst den geeigneten Weg zu einem starken Profil, zu mehr Exzellenz, zu bester Ausbildung und Lehre zu beschreiten. Mit dem Hochschulfreiheitsgesetz geben wir ihnen endlich die Chance, sich strategisch zu entwickeln, ihre Stärken auszubauen und sich als Forschungspartner der Wirtschaft zu etablieren. Dabei sollen drei Bereiche den Kern der Reform ausmachen.

Der erste Bereich: Die Hochschulen werden als Körperschaften des öffentlichen Rechts verselbstständigt und sind künftig keine staatlichen Einrichtungen mehr. Wir lösen damit die Hochschulen aus dem staatlichen Weisungsrecht und übertragen ihnen weitreichende Kompetenzen und die Verantwortung für Finanz-, Personal- und Organisationsentscheidungen.

Zweitens schaffen wir neue, starke Leitungsstrukturen in den Hochschulen mit klarer Aufgabenverteilung zwischen Hochschulleitung und hochschulinterner Selbstverantwortung sowie mit einer engeren Anbindung an das gesellschaftliche Umfeld. Die Handlungsfähigkeit und Beweglichkeit der Hochschulen wird auf diese Weise nachhaltig erhöht.

Drittens. Wir stellen das Verhältnis von Staat und Hochschule auf eine völlig neue Basis. Auf der Grundlage konkreter Zielvereinbarungen mit dem Land werden die Hochschulen ihre eigene Strategie- und Entwicklungsplanung vornehmen können. Der Staat zieht sich aus der Detailsteuerung zurück und stärkt die Eigenverantwortung der Hochschulen. Über die Zielvereinbarung kommt der Staat seiner Gewährleistungsverantwortung für ein funktions- und leistungsfähiges Hochschulsystem und für ein ausgewogenes Studienangebot nach.

Damit ist es – anders, als es gerade unter anderem von Frau Seidl thematisiert worden ist – eben nicht so, meine Damen und Herren, dass sich der

Staat aus seiner Verantwortung zurückziehen würde. Er verteilt die Verantwortung vielmehr so, dass jede Ebene, die Verantwortung trägt, sie auch tatsächlich erfüllen kann, weil Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung in diesem Land endlich zusammengebracht werden, wie es auch notwendig ist.

(Beifall von CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, diese neue Dimension von Gestaltungsfreiheit ist kein Selbstzweck. Sie ist untrennbar mit Gestaltungsverantwortung verbunden. Mit gesicherten Ressourcen und mehr Gestaltungsfreiheit übernehmen die Hochschulen einen klaren Auftrag zur Profilbildung, zur Ausbildung von Exzellenzspitzen und zur Internationalisierung des Studiums.

Auf dieser Basis muss auch der Transfer von Forschungsergebnissen der Wissenschaft in die Wirtschaft eine neue Qualität erreichen. Exzellente Wissenschaft, hochwertige Ausbildung und intensive Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft sind das Fundament für die Innovationsfähigkeit des Landes, für zukunftssichere Arbeitsplätze sowie für die kulturelle und die wirtschaftliche Wertschätzung Nordrhein-Westfalens.

Sicherlich – das ist angesprochen worden –, das Hochschulfreiheitsgesetz ist ein mutiger Schritt: für die Hochschulen, aber auch für uns, die Landesregierung, das zuständige Ministerium und den Landesfinanzminister, und auch für Sie, das Parlament. Der Staat verabschiedet sich mit diesem Gesetz von der Idee, fast alles besser zu wissen, im Zweifel überall mitzumischen und jeden Schritt kontrollieren zu können. Trotz alledem gibt es in den Hochschulen unseres Landes bereits heute international geschätzte und nachgefragte Exzellenz. Denken Sie nur an die RWTH Aachen.

Meine Damen und Herren, der Staat darf sich aber nicht damit begnügen, dass Exzellenz trotzdem möglich ist. Wir wollen Exzellenz nicht nur an wenigen Plätzen möglich machen. Wir wollen nicht, dass die Hochschulen sagen: „Trotzdem geht etwas“, sondern wir wollen, dass sie sagen können: Es geht, weil die Rahmenbedingungen so sind, dass wir uns hier entsprechend entfalten können.

(Beifall von CDU und FDP)

Lassen Sie mich Ihnen mitteilen – weil hier so viel zitiert worden ist –, was drei Rektoren in den letzten Tagen zum Hochschulfreiheitsgesetz gesagt haben.

Eine Aussage des Vorsitzenden der Landesrektorenkonferenz, Ronge, vom 9. Februar ist bereits

zitiert worden. Ich möchte eine Aussage von ihm vom 10. Februar aus der wichtigen „Deutschen Universitätszeitung“ zitieren: Insgesamt sind wir sehr einverstanden.

(Beifall von der CDU)

Der Rektor der Universität zu Köln sagte in der „Kölnischen Rundschau“ vom 11. Februar – ich zitiere –:

„Die geplante Reform eröffnet uns eine Reihe von Chancen und Möglichkeiten zu größerer Selbstständigkeit und Flexibilität.“

Er fährt fort:

„Ich finde es sehr wichtig, dass wir autonomer und freier agieren können.“

Und schließlich:

„Das ist eine spannende Herausforderung.“

Meine Damen und Herren, das ist die Botschaft des Hochschulfreiheitsgesetzes. So wird sie draußen wahrgenommen.

(Beifall von CDU und FDP)