Der Petitionsausschuss reagierte sofort. Es wurden erneut Erörterungsgespräche geführt. Alle Beteiligten signalisierten sofort ihre Bereitschaft, die Familie bei der Bewältigung ihrer finanziellen Probleme zu unterstützen. Es sollte eine Lösung gefunden werden, damit zum einen der Familie ihr Wohnraum erhalten bleibt und zum anderen der Sohn auch auf lange Sicht hin gemeinsam von der gesamten Familie zu Hause gepflegt werden kann. Nach langen Verhandlungen konnten ein Teilverzicht auf die Forderungen und eine weitere Tilgung der Restverbindlichkeiten im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten der Familie erreicht werden. Die Petition konnte also, wie die Familie selbst schreibt, äußerst erfolgreich abgeschlossen werden.
Das zeigt einmal mehr, dass unsere Stärken unter anderem in der Funktion des Vermittelns, des Schlichtens und des Ausgleichens liegen.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, im letzten halben Jahr ist die Zahl der Eingaben aus dem Bereich „Befreiung von den Rundfunk- und Fernsehgebühren“ deutlich angestiegen. Die Zunahme hängt insbesondere mit dem In-Kraft-Treten des 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrages vom 1. April 2005 und den damit verbundenen Verfahrensänderungen zusammen.
Die Beschwerden der Bürgerinnen und Bürger rund um die Gebührenbefreiung sind vielfältig. Der Großteil der Eingaben richtet sich konkret gegen den Wegfall der Gebührenbefreiung wegen geringen Einkommens.
Insbesondere viele Rentnerinnen und Rentner können nicht nachvollziehen, dass sie nach dem jetzt geltenden Staatsvertrag nicht mehr wie jahrelang zuvor befreit werden können, obwohl sie über kein höheres Einkommen als bisher verfügen. Aber auch zahlreiche Menschen, die ein geringes Arbeitseinkommen haben und Wohngeld erhalten, können nach der neuen Regelung keine Befreiung
mehr bekommen. Außerdem schildern viele Studenten, die keine BAföG-Leistungen erhalten, sondern während des Studiums von ihren Ersparnissen oder durch finanzielle Unterstützung der Eltern leben oder Empfänger eines Stipendiums sind, dass sie nach den nunmehr geltenden Bestimmungen nicht befreit werden.
Ich möchte die Problematik kurz an zwei Beispielen erläutern. Eine Frau aus Bielefeld schreibt dem Petitionsausschuss, sie beziehe Arbeitslosengeld II. Daneben erhalte sie einen befristeten Zuschlag von 50 Cent monatlich, was zur Folge habe, dass die Voraussetzungen für eine Befreiung nicht mehr vorliegen.
Weiter schreibt ein junger Mann aus Paderborn, der nach seinem Abitur ein freiwilliges soziales Jahr in einem Heim für geistig behinderte Menschen absolviert und dafür neben freier Kost und Unterkunft monatlich die Kosten für eine Heimfahrt und ein Taschengeld in Höhe von 170 € erhält. Von diesem Taschengeld muss er jetzt rund 10 % für die Rundfunkgebühr verwenden. Nach Meinung der GEZ liegt auch hier kein Härtefall vor.
Die jetzige Härtefallregelung wird ebenfalls kritisch gesehen. Erste Voraussetzung ist, dass der Antragsteller keine der im Staatsvertrag genannten Sozialleistungen erhält. Die GEZ fordert als Nachweis für einen Härtefall die Vorlage eines entsprechenden Ablehnungsbescheides. Das hat zur Folge, dass Antragsteller, die bisher keine der benannten Leistungen erhalten haben und auch noch nie einen derartigen Antrag gestellt haben, zunächst einen aussichtslosen Antrag auf Bewilligung beispielsweise von Arbeitslosengeld II stellen müssen, um einen Ablehnungsbescheid vorlegen zu können. Die Beschwerden der Menschen richten sich insoweit dagegen, dass sie in ein unnötiges Verwaltungsverfahren gedrängt werden. Das ist Bürokratieaufbau pur.
Viele Eingaben beziehen sich auch auf die Arbeitsweise der GEZ. Kritisiert wird zum Beispiel, dass die GEZ telefonisch nur schwer zu erreichen sei, dass sie textbausteinartige Ablehnungsbescheide verschicke, dass sie teilweise Unterlagen mehrfach anfordere und dass die Bearbeitung zu lange dauere. Diese Arbeitsweise führt dazu, dass vielfach ein finanzieller Verlust für die Antragsteller entsteht.
Zudem wird in zahlreichen Fällen beklagt, die GEZ fordere Gebühren, obwohl die Rundfunkgeräte längst abgemeldet seien.
Kurios ist auch die Eingabe eines Bürgers, dessen bereits 1996 verstorbene Großmutter von der GEZ regelmäßig aufgefordert wurde, zu überprüfen, ob vorhandene Radios oder Fernsehgeräte angemeldet werden müssen. Wie der Enkel schildert, hat er die GEZ über den Tod der Großmutter unterrichtet. Gleichwohl erfolgte ein weiteres Schreiben an die Großmutter, mit dem die GEZ erneut an die Anmeldepflicht erinnerte.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich könnte Ihnen noch viele solcher Beispiele aus unserer Arbeit vortragen. Ich bin sicher, dass das auch nicht langweilig wäre.
Die uns vorgetragenen Sachverhalte sind oftmals so, dass einem nicht zum Lachen zumute ist. Manchmal können aber auch wir uns das Schmunzeln nicht verkneifen, so zum Beispiel in dem Fall eines PKW-Fahrers, der sich gegen ein Bußgeld wegen Geschwindigkeitsüberschreitung mit dem durchschlagenden Argument wandte, er sei nicht sehr groß und könne deswegen den Tacho seines Wagens nicht sehen, weil das Lenkrad die Sicht behindere.
Dieses Beispiel macht aber eines sehr deutlich: Mit der Petitionsarbeit steht man wirklich voll im Leben. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich danke der Vorsitzenden des Petitionsausschusses, der Abgeordneten Inge Howe, sehr herzlich für ihren Bericht. Ich hätte es auch begrüßt, wenn der Kreis der Abgeordneten, der diesen Bericht zur Kenntnis genommen hat, etwas größer gewesen wäre.
Meine Damen und Herren, bei dieser Gelegenheit möchte ich auch allen Mitgliedern des Petitionsausschusses sowie allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landtagsverwaltung für ihre engagierte Arbeit in diesem Gremium zum Wohle und im Interesse unserer Bürger sehr herzlich danken.
9 Deutschland muss sich am Modellversuch „Reduzierter Mehrwertsteuersatz für arbeitsintensive Dienstleistungen“ beteiligen
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Ecofin-Rat hat am 14. Februar 2006 beschlossen, den Modellversuch zum reduzierten Mehrwertsteuersatz bis zum 31. Dezember 2010 zu verlängern. Dieser Versuch läuft schon länger. Die Bundesrepublik Deutschland hat daran bisher nicht teilgenommen. Die EU hat mit der Verlängerung den Ländern, die bisher nicht teilgenommen haben, die Möglichkeit eingeräumt, in den Versuch einzusteigen. Dazu müssen diese Länder bis zum 31. März eine entsprechende Anmeldung bei der EU-Kommission einreichen. Nach meinem Kenntnisstand nehmen 20 von 25 Mitgliedsländern der Europäischen Union an diesem Versuch teil.
Wir Grüne begrüßen diese Entscheidung der EUKommission und würden uns wünschen, dass die Bundesrepublik an diesem Modellversuch teilnimmt.
Wir sehen in dem Modellversuch einen vielversprechenden Weg, Schwarzarbeit einzudämmen und zusätzliche Beschäftigung zu schaffen. Dabei geht es um zusätzliche Beschäftigung vor allen Dingen im Bereich des qualifizierten Handwerks, zusätzliche Beschäftigung aber auch in Bereichen mit niedrigeren Qualifikationsanforderungen. Es geht genau um die Bereiche, in denen bedingt durch hohe Sozialabgaben die am Arbeitsmarkt angebotene Arbeitskraft die nachgefragte Arbeitskraft deutlich übersteigt.
Das betrifft genau die Bereiche, in denen sich Schwarzarbeit natürlich sehr stark breit macht und in denen wir zusätzliche Beschäftigung dringend brauchen.
Ich will keine grüne Quelle als Zeugen benennen, sondern das an der Universität Mannheim angesiedelte Institut für Mittelstandsforschung des Lan
des Baden-Württemberg. Das IFM hat die Auswirkungen einer Mehrwertsteuerreduzierung in den einzelnen Segmenten des europäischen Modellversuchs unter Zugrundelegung verschiedener Szenarien jeweils mit einem worst-case- und einem best-case-Szenario durchgerechnet und ist zu folgendem Fazit gekommen:
„Aufgrund der Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes von 16 auf 7 % für konsumnahe und arbeitsintensive Dienstleistungen ist mit einem Arbeitsplatzzuwachs von ca. 250.000 Arbeitsplätzen für die genannten Bereiche zu rechnen.“
Überall dort, wo eine erhöhte Preiselastizität unterstellt werden kann, werden sich nach Ansicht des IFM signifikante Effekte einstellen: 100.000 zusätzliche Arbeitsplätze im Bau- und Ausbaugewerbe, 20.000 zusätzliche Arbeitsplätze im Frisörgewerbe, 10.000 Plätze in handwerksähnlichen Gewerben, 20.000 Plätze im Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen sowie 70.000 Plätze im Gaststättengewerbe. – Das sind im Saldo die bereits genannten 250.000 Plätze. Selbst wenn man das Gaststättengewerbe herausnimmt, weil es nicht Gegenstand des Modellversuchs ist, ist trotzdem aufgrund der genannten Bereiche insgesamt mit 180.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen zu rechnen.
Wissend, dass die Bundesregierung entgegen vieler Ankündigungen beabsichtigt, in Kürze die Mehrwertsteuer auf 19 % zu erhöhen, wird natürlich das Gefälle zwischen mehrwertsteuerpflichtigen Arbeitsplätzen im Handwerk und dem reduzierten Mehrwertsteuersatz noch größer.
Aus der Diskussion mit Aachener Handwerksunternehmen kann ich berichten, dass in grenznahen Gebieten in Belgien ein ausgesprochener Boom im Baugewerbe herrscht. Dort verzeichnen die Handwerksbetriebe eine ganz, ganz rege Nachfrage. Deshalb wäre es aus unserer Sicht empfehlenswert, genau das in der Bundesrepublik Deutschland auch zu machen und an diesem Modellversuch teilzunehmen.
Das ist unsere Einschätzung. Wir bedauern, dass die Bundesregierung die zu erwartenden Beschäftigungseffekte nicht wahrnehmen will. Wir würden uns freuen, wenn auch bei uns – wie in 20 von 25 anderen EU-Ländern – dieser Modellversuch stattfinden könnte. Wir wären auch offen dafür,
Letztendlich brauchen wir die Arbeitsplätze – gerade im Handwerksbereich – dringend, weil das Risiko, dass bei einer Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 19 % weitere Arbeitsplätze im Handwerk verloren gehen, sehr groß ist. Wir haben in den letzten Jahren in diesem Sektor über eine Million Arbeitsplätze verloren. Das Risiko, dass sich das fortsetzt, ist für alle ausgesprochen hoch. Es wäre schöner, wir könnten an dem Modellversuch teilnehmen. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Priggen. – Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Schittges das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU-Fraktion steht dem Antrag, die Bundesregierung zu einer Beteiligung am Modellversuch, der hier und heute zur Debatte steht, aufzufordern, nicht unkritisch gegenüber. Der Beweis ist der vorliegende Entschließungsantrag.
Wir haben viel Verständnis für die Anträge anderer Fraktionen. Sie wissen aber, dass die ablehnende Haltung der Bundesregierung in dieser Frage bereits seit vielen Jahren feststeht, nämlich bereits seit dem Jahre 1999, als die Europäische Union das Modellprojekt gestartet hat. Sie wissen, wie die damalige Bundesregierung aufgestellt war.