Protokoll der Sitzung vom 15.03.2006

5 Keine Kürzungen bei den Mitteln für Busse und Bahnen

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/1428

Ich weise auf den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 14/1479 hin und eröffne die Beratung. Als erster Redner hat der Abgeordnete Oliver Keymis für die antragstellende Fraktion das Wort. Bitte schön.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, Herr Keymis möchte erst anfangen, wenn sich die Unruhe gelegt hat. Ich wäre deswegen dankbar, wenn Sie dem Redner zuhören würden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will Ihnen sagen, worum es heute geht. Mich hat heute Morgen eine Meldung in der Zeitung beunruhigt, die ich gerne in dem Zusammenhang, den wir heute anhand unseres Antrags diskutieren wollen, zitieren will.

Es ist die Meldung, dass die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre laut eines Berichts der UN-Klima- und Wetteragentur WMO im Jahr 2004 auf ein Rekordniveau gestiegen ist. Im weltweiten Mittel stieg die CO2-Konzentration im Jahr 2004 gegenüber dem Vorjahr um fast 1 %. Es wurde auch mehr Stickoxid und Methan nachgewiesen als je zuvor. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das beunruhigt mich sehr, beunruhigt auch sicherlich nicht nur mich. Solche Entwicklungen machen sicherlich auch Sie nachdenklich. Wenn wir über den Antrag reden, den wir heute eingebracht haben, sollten wir auch solche Dinge im Blick haben.

Unsere Abhängigkeit vom Öl und die immer höheren Feinstaubbelastungen in unseren Städten werfen grundsätzliche Fragen auf, auf die wir nach meiner Ansicht in Zukunft verstärkt Antworten finden müssen. Sie können nicht nur darin liegen, dass wir einzelne Maßnahmen zur Einschränkung treffen. Wir müssen insgesamt beim Verkehr in eine Richtung steuern, die stärker auf den öffentlichen Personennahverkehr und weniger auf die Straße und auf das einzelne Individualfahrzeug setzt. Aus grüner Sicht muss insbesondere auf die Schiene gesetzt werden.

Herr Minister, deshalb ist es so bedauerlich, dass Sie seit Ihrem Amtsantritt immer wieder betonen, dass Sie die – wie Sie sagen: ideologische – Schienenvorrangpolitik abbauen und dem Individual- und Straßenverkehr stärker das Wort reden wollen. Sie glauben, damit populistisch die staugeplagten Menschen zu erreichen, anstatt uns im Schienenverkehr und in der Fortsetzung einer Schienenvorrangpolitik stark zu machen, wie sie in den letzten zehn Jahre im Land vorangetrieben wurde.

Dieser traurige Rekord der Treibhausgaskonzentration hat aus meiner Sicht nichts mit Ideologie zu tun. Er ist das nüchtern festgestellte Ergebnis einer weltweit verfehlten Energie- und Mobilitätspolitik. Aus unserer Sicht ist das Motto „Weg vom Öl“

kein verblendetes Motto, sondern eine nackte Überlebensstrategie für diesen Planeten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vor dem Hintergrund ist die Diskussion über die Frage von Kürzungen im Bereich der Regionalisierungsmittel, also im Bereich der Unterstützung des öffentlichen Personennahverkehrs, völlig fatal. Ich sage ganz offen, ich bin der Sonderministerkonferenz vom vergangenen Sonntag dankbar, weil sie die Pläne, die am 22. Februar in Berlin von der großen schwarz-roten Koalitionsregierung beschlossen wurden, aus Sicht der Landesverkehrsminister einstimmig als nicht akzeptabel angesehen hat. Das ist gut so. In unserem Antrag steht, dass wir es so halten sollen. Deswegen haben Sie dem Antrag in diesem Punkt sozusagen schon folgen können.

Wenn es so beschlossen wurde, wie man es gestern schon hörte, gibt der Verkehrsverbund RheinRuhr in diesen Minuten eine Pressemitteilung heraus, in der deutlich gemacht wird, dass die Preise schon zum 1. August dieses Jahres um 4,9 % angehoben werden.

Warum? Es gibt drei ganz entscheidende Gründe. Das eine ist die immer noch sich auswirkende Kürzung im Rahmen des so genannten KochSteinbrück-Papiers. Sie wissen, wir mussten in den Jahren 2004 bis 2006 Kürzungen in Höhe von vier, acht und zwölf Prozent hinnehmen.

Der zweite sehr wesentliche Punkt aus Sicht der Verbünde liegt in den gestiegenen Kraftstoffverbrauchskosten, die für den VRR von 62,4 auf 98,7 Mio. € gestiegen sind. Ich nehme den VRR als Beispiel, weil er der größte Verbund ist. Das Thema „Weg vom Öl“ habe ich gerade angesprochen. Das ist Ausdruck dessen, was einen Teil der Not ausmacht.

Der dritte Punkt ist, dass die Reduzierung der Anzahl der Nutzungstage von 240 auf 200 in Bezug auf die Ausgleichszahlungen nach § 45a des Personenbeförderungsgesetzes bei dem größten Verbund in NRW, dem VRR, mit rund 12 Millionen € als Fehlbetrag zu Buche schlägt.

Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ellerbrock?

Gerne.

Bitte schön.

Herr Kollege, aufgrund Ihrer Äußerungen zu den Kostensteigerungen, die der VRR jetzt vornehmen will, stelle ich die Frage: Teilen Sie meine Auffassung, dass es dringend notwendig ist, nach der Einführung von Emission Trading die Begriffe „Ökosteuer“, „Kraft-WärmeKopplung“ und „Erneuerbare-Energien-Gesetz“ zu streichen, und dass wir zu einem Aufräumen im Instrumentenkasten kommen müssen?

Nein, Herr Kollege Ellerbrock, ich teile Ihre Meinung nicht. Meiner Meinung nach sind das genau die Instrumente, mit denen wir die Strategie „Weg vom Öl“ unterstützen können. Wir brauchen eine Konzentration auf erneuerbare Energien. Wir brauchen eine Konzentration auf alternative Antriebstechniken. Dazu müssen Mittel herbeigeschafft werden, die wir in diesem Zusammenhang aus meiner Sicht dringend benötigen. Insofern teile ich Ihre Einschätzung überhaupt nicht. Ich halte das für ziemlich ideologisch verbrämtes Zeug, was Sie von sich geben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Richtig ist dagegen, dass wir Kürzungsdiskussionen führen. Wir haben in unserem Antrag ausgewiesen, warum wir das für falsch halten. Nordrhein-Westfalen würde bei der Umsetzung der Vorschläge aus Berlin in den Jahren 2006 bis 2010 insgesamt rund 526 Millionen € weniger zugewiesen bekommen. Angesichts der Tatsache, dass wir in Nordrhein-Westfalen eines der dichtesten ÖPNV-Netze betreiben, ist das eine Zahl, die uns erschaudern lässt.

Die Vorschläge aus Berlin bedeuten bundesweit, dass jeder siebte Zug im Nahverkehr gestrichen werden muss. Die Menschen wissen sehr genau, was dies für sie im täglichen Verkehr bedeutet, wenn sie zur Arbeit müssen und wieder nach Hause fahren wollen. All das steht unter solchen Gesichtspunkten aus unserer Sicht infrage. Es muss das Gegenteil dessen geschehen, was hier zur Politik erklärt wurde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, Ihr Entschließungsantrag greift zu kurz. Wir haben deutlich gemacht, dass eine effiziente Mittelverwendung der Regionalisierungsmittel durch die Länder gefördert werden kann. Wir haben auf vier Punkte hingewiesen. Das eine ist der Nachweis über die Mittelverwendung, die Transparenz. Das entspricht auch der Beschlusslage der Sonderministerkonferenz vom Sonntag. Als zweites kommt die Einführung einer erfolgsorientierten Komponente nach der Zahl der Fahrgäste bei der Mittelaufteilung hinzu. Die Aus

schreibung aller Zugleistungen im Wettbewerb ist der dritte Punkt. Der vierte Punkt besteht in der Ermöglichung regionaler Betreibermodelle der Schieneninfrastruktur. Das sind konkrete Vorschläge, die wir im Antrag unterbreitet haben.

Daraus ergeben sich unsere konkreten Forderungen, die wir aufgestellt haben und zur Debatte stellen:

Erstens. Verweigerung der Zustimmung bezüglich der Kürzungsvorschläge – da sind wir uns meiner Meinung nach schon einig.

Zweitens. Bei der anstehenden Revision im Jahr 2008 fordern wir eine Verstetigung der Regionalisierungsmittel auf dem bisherigen Niveau. Wir haben in Nordrhein-Westfalen bewiesen, dass wir mit dieser Verstetigung in den letzten zehn Jahren rund 30 % mehr Verkehre auf die Schiene bringen konnten. Das ist für die Menschen ein spürbarer Erfolg und für das, was ich zu Beginn angesprochen habe, nämlich für die Fragen der Ökologie, aber auch der Ökonomie von entscheidender Bedeutung.

Die dritte Forderung in unserem Antrag ist die Erhöhung des Schlüssels von 15,8 % auf runde 20 %, was dem Anteil entspricht, den wir als bevölkerungsstärkstes Bundesland im Verbund mit den anderen Ländern eigentlich zu beanspruchen hätten.

Wenn Sie diesem Antrag folgen, freuen wir uns. Wenn Sie ihm nicht folgen, sondern Ihrem Entschließungsantrag, dann bleiben Sie leider hinter dem zurück, was wir hier beantragt haben. Das würden wir sehr bedauern.

Herr Wittke, ich habe übrigens in der Presseschau Artikel zum Thema „Kein Geld für MuseumsBahnen“ und „Wittke gegen Kürzungen bei der Bahn“ gelesen. Das war so gut, dass die Landesregierung es gleich zweimal in der Presseschau gedruckt hat. Glückwunsch dazu, Herr Minister! In der Richtung argumentieren Sie vom Prinzip her nicht verkehrt. Ich glaube aber, Sie sind nicht mutig genug, wenn es darum geht, für Bus und Bahn einzutreten. Deshalb fordern wir Sie auf: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Gehen Sie mutig den Schritt in die Richtung, die wir Grünen seit vielen Jahren gemeinsam mit der SPD hier im Land vertreten haben, aber auch künftig vertreten werden. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Bernd Schulte, CDU-Fraktion.

Herr Vizepräsident! Meine Damen und Herren! Bereits im Plenum am 1. Dezember 2005 hat der Landtag über die Auswirkungen des schwarz-roten Koalitionsvertrages in Sachen Nahverkehrsfinanzierung auf Nordrhein-Westfalen diskutiert.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen argwöhnte damals, dass NRW- Interessen in Berlin unter die Räder gerieten, bevor überhaupt feststand, um welche Größenordnung es sich bei dem Ausmaß der von Berlin beabsichtigen Kürzungen handelte. Damals war schon klar, weil wir den Koalitionsvertrag als solchen kannten, dass auch der Nahverkehr einen Beitrag zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes leisten muss. Auch dieser Bereich war und ist nicht sakrosankt.

Mit der Beschlussfassung über die Eckwerte zum Haushalt 2006 hat die Bundesregierung am 22. Februar massive Einsparungen im Bereich des Nahverkehrs beschlossen, die sich bis 2010 auf rund 3,2 Milliarden € saldieren sollen. Vor diesem Hintergrund ist es für eine Oppositionspartei auf Bundesebene wie Bündnis 90/Die Grünen natürlich einfach, diesem Hause einen Antrag vorzulegen, in dem steht, dass einer Revision der Regionalisierungsmittel nur bei einer Verstetigung auf dem bisherigen Niveau zugestimmt werden kann. Das ist Punkt 2 Ihres Antrages.

Das ist eine wirklichkeitsfremde Position, die durch nichts in Berlin ihre Berechtigung findet, vor allem nicht in der Grundlage der von Ihnen hinterlassenen Haushaltskonsolidierungspolitik nach sieben Jahren Rot-Grün in Berlin. Diese Forderung ist wirklichkeitsfremd und deswegen auch ein Grund für die Ablehnung Ihres Antrages.

Aber – ich muss auch sagen – über bemerkenswerte Passagen in Ihrer Begründung hinaus sind die Punkte 1 und 3 deckungsgleich mit der Beschlussfassung der Länderverkehrskonferenz. Das betrifft die Ablehnung des Haushaltsbegleitgesetzes in der vorgelegten Fassung und die Verbesserung der NRW-Position bei der ohnehin fälligen Revision, die zum 1. Januar 2008 in Kraft treten soll.

Der Entwurf des Haushaltsbegleitgesetzes der Bundesregierung zeigt unverkennbare Verhaltensmuster von Bundesfinanzminister Steinbrück, wie wir sie aus seiner NRW-Zeit kennen: Augen zu, Mundwinkel runter, mit dem Kopf vor die Pumpe, und Verwunderung über das Scheitern der Mission! Genau wie wir das beim Metrorapid in diesem Hause erlebt haben.

(Beifall von der CDU)

Es ist ein Erfolg der Vernunft innerhalb des föderativen Systems, dass die 16 Landesverkehrsminister gegen diesen Entwurf Stellung beziehen und dem Bundesfinanzminister das Mandat für die Verkehrspolitik entziehen. Aber auch der Bundesverkehrsminister sollte aus der Deckung kommen und in dieser Frage eindeutig die Position des Fachministers beziehen. Die Bundesregierung wird wohl einlenken müssen, da eine Anrufung des Vermittlungsausschusses eine für die Konjunktur und die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik unzuträgliche Verzögerung der Verabschiedung des Bundeshaushaltes mit sich bringen würde.

Maßgeblich ist es Nordrhein-Westfalen, Verkehrsminister Wittke und seinem vielfältigen Einsatz zu verdanken, dass die Weichen in Richtung der ohnehin vorgesehenen gesetzlichen Revision des Regionalisierungsgesetzes gestellt und ihre Voraussetzungen erneut geschaffen wurden.

Es ist auch beim Antragsteller daran zu erinnern: Die letzte Revision im Jahre 2002 ist für Nordrhein-Westfalen grottenschlecht gelaufen, weil noch schlechter verhandelt worden ist. Herr Keymis, das lag nicht zuletzt in Ihrem Verantwortungsbereich. Denn Nordrhein-Westfalen bildet mit 60 € Regionalisierungsmitteln pro Kopf der Bevölkerung das Schlusslicht in der Bundesrepublik als flächengrößtes Land.

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Das ist es doch gar nicht!)

Brandenburg, Sachsen-Anhalt, und MecklenburgVorpommern erhalten jedenfalls mehr als das Doppelte. Und das ist das Ergebnis Ihrer Politik, die Sie uns hinterlassen haben. Wir sind uns mit Ihnen als antragstellender Fraktion einig, dass Transparenz in den Nahverkehrsstrukturen aller Bundesländer eine unabdingbare Voraussetzung für eine bedarfsgerechte Ausstattung als Ergebnis der Revision ist,...

Herr Abgeordneter.

… weil Missbräuche erkannt werden müssen und nicht weiterhin Gegenstand der Regionalisierungsfinanzierung sein dürfen. – Bevor Sie den Saft abdrehen, unterbreche ich.

Das nehme ich jetzt einmal als Scherz, Herr Schulte. Immerhin hören Sie mir zu. Das darf ein Präsident schon

von einem Redner erwarten. Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Horstmann?