Protokoll der Sitzung vom 16.03.2006

Zur wirtschaftlichen Vernunft gehört es aber auch, dass Nordrhein-Westfalen nichts unternimmt, was den geplanten Börsengang der RAG verhindern oder verzögern könnte.

Ich fange einmal mit dem banalsten Argument an: Wer könnte größeres Interesse daran haben, dass die Altlasten des Bergbaus über einen Börsengang des weißen Bereichs abgedeckt werden, als die Bergbauländer? Es wäre doch der Optimalfall – gerade für Nordrhein-Westfalen –, wenn die Ewigkeitskosten des Steinkohlenbergbaus sicher in einer Stiftung untergebracht werden könnten. Natürlich sollte die Stiftung sie auch tragen und abdecken können. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, was haben Sie ohne eine Stiftung? – Sie haben dann den allergrößten Teil dieser Risiken über zukünftige Landeshaushalte von Nordrhein-Westfalen abzudecken. Das wissen doch die Eingeweihten, und deswegen haben Sie allen Anlass, den Börsengang der RAG zu befördern und nicht zu behindern, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD)

Das gilt aber auch im Hinblick auf die Zukunftschancen des weißen Bereichs der RAG. Die RAG hat ihren Sitz in Nordrhein-Westfalen und – das ist das Besondere – benimmt sich wie ein nordrheinwestfälisches Unternehmen, was man zuletzt bei der strategischen Entscheidung für den Behalt der Steag gesehen hat. Das ist nicht selbstverständlich, aber es ist gut für Nordrhein-Westfalen.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Michael Vesper)

Deshalb ist es auch gut für Nordrhein-Westfalen, wenn dieser Konzern neue Expansionsmöglichkeiten erhält. Jeder weiß doch, dass die Wachstumschancen besonders im Bereich der Chemie liegen. Aus diesem Grunde ist es sicher nützlich, wenn dieses Unternehmen, das 44.000 Arbeitsplätze weltweit – davon etwa 10.000 in NordrheinWestfalen – hat, fest an den Standort NordrheinWestfalen gebunden bleibt.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Deshalb, Frau Ministerin Thoben, ist es ausdrücklich gutzuheißen, dass Ihr Haus der Übernahme der Degussa durch die RAG in diesen Tagen zugestimmt hat, nachdem die RAG 95 % der Anteile übernommen hat. Aber wenn Sie in diesen Tagen der Übernahme der Degussa durch die RAG zustimmen, was soll dann dieser Antrag, in dem die Zerschlagung der RAG, die gerade erst als Konzern entstanden ist, erwogen wird? Wo ist die Logik einer solchen Veranstaltung? Können Sie mir

das einmal erklären, meine sehr verehrten Damen und Herren?

(Beifall von der SPD)

Die Landesregierung scheint das Ziel einer Zerschlagung der RAG ja wohl nicht ernstlich zu verfolgen, denn sonst hätte sie der Entstehung des Konzerns ja gar nicht erst zugestimmt. Wenn das aber so ist, dann frage ich Sie, Herr Ministerpräsident: Wie können Sie zulassen, dass die Sie tragenden Fraktionen gemeinsam mit den Grünen einen solchen Anschlag auf nordrheinwestfälische Wirtschaftsinteressen überhaupt öffentlich diskutieren?

Es ist doch so: Es gibt sicher Argumente dafür, eine Veräußerung der Einzelunternehmen des Konzerns ins Auge zu fassen. Die Aktionäre der RAG könnten daran interessiert sein; verschiedene potenzielle Erwerber der RAG-Einzelunternehmen könnten interessiert sein, auch die Banken; womöglich hätte sogar der Bundesfinanzminister ein fiskalisches Interesse. Aber wer in keinem Fall ein Interesse an der Zerschlagung der RAG haben kann, das ist doch Nordrhein-Westfalen, meine Damen und Herren. Es geht doch nicht nur um das Geld internationaler Investoren, sondern doch auch um die Arbeitsplätze am Standort in NRW!

(Beifall von der SPD – Edgar Moron [SPD]: Richtig!)

Diese Diskussion ist mehr als irritierend. Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, haben sich völlig verrannt. Ich weiß nicht, ob es Sie dabei bestärkt, dass Sie sich jetzt auch industriepolitisch mit den Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen auf einem gemeinsamen Kurs befinden. Ich habe eher den Eindruck: Sie setzen Ihren kohlepolitischen Blindflug als wirtschaftspolitische Amokfahrt fort.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Wenn Sie so weitermachen, dann bilden Sie nicht eine Koalition der Erneuerung, sondern der Verunsicherung für Nordrhein-Westfalen. Dem stellen wir uns entgegen, im Interesse des Landes und seiner Menschen.

(Beifall von der SPD – Edgar Moron [SPD]: Sehr gut!)

Als nächste Rednerin spricht für die Landesregierung Frau Ministerin Thoben.

Herr Präsident! Meine sehr

geehrten Damen und Herren! Zunächst, Herr Priggen, zu der Differenz, die Sie angesprochen haben: Wenn die Weltmarktpreise so explodieren, dann müsse doch etwas passieren.

Zum Sachverhalt: Die endgültige Abrechnung der Bewilligungen ist für das Jahr 2003 erfolgt, 2004 läuft gerade. Aber eine mögliche Rückforderung kann erstmals im Jahr 2006 gezogen werden. Das heißt: Das, was Sie zu Recht anmahnen, ist erst 2007 zu erreichen. So weit die derzeitige Rechtslage.

Am 8. Februar habe ich dem Wirtschaftsausschuss einen Sachbericht zur Steinkohlepolitik vorgetragen. In diesem Zusammenhang möchte ich nicht alles damals Vorgetragene wiederholen, aber ich muss schon unterstreichen – und tue dies mit Nachdruck –, dass die Landesregierung in den Kohleverhandlungen das Ziel der Einsparung von 750 Millionen € umsetzen will.

Der Anteil der Steinkohlehilfen beträgt im Haushalt des Wirtschaftsministers nun einmal deutlich über 50 %. Würden wir dieses in der Koalition vereinbarte Ziel aufgeben, so würde für die nächsten Jahre – die absehbare Haushaltslage ist Ihnen bekannt – der Anteil der Steinkohlehilfen an der gesamten Wirtschaftsförderung des Wirtschaftsministeriums noch weiter steigen.

Meine Damen und Herren, die anstehenden wichtigen Weichenstellungen in der Kohlepolitik und zur Verwertung des Beteiligungsbereiches der RAG können nur auf der Basis gesicherter Daten erfolgen. Ich teile gerne heute hier mit: Ich habe zwischenzeitlich mit dem Bundeswirtschaftsminister Gespräche geführt, und wir haben Einvernehmen darüber erzielt, dass ein Gutachten vergeben wird. Die gutachterlichen Ermittlungen werden auf der Grundlage verschiedener sozialverträglicher Auslaufszenarien erfolgen, wobei die Mitwirkung der DSK zwingend ist.

Ich unterstreiche hier heute gerne: Sie haben selber wahrgenommen, wie auskunftsfreudig Herr Tönjes in der Wirtschaftsausschusssitzung war. Offensichtlich bewirkt das Selbstbewusstsein des Parlaments schon, dass das Auskunftsverhalten sich ein Stück verändert. Wir begrüßen das. Aber es musste auch passieren; das will ich hier eindeutig unterstreichen.

Durch die Verabredung haben wir uns übrigens zusätzlich darauf verständigt, dass der interministerielle Ausschuss aus Wirtschafts- und Finanzressort gemeinsam mit der RAG eine Wertermittlung des sogenannten weißen Bereichs vornehmen soll. Mandatar der öffentlichen Hand ist hierbei die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC.

Die Landesregierung wird einer Aufhebung des bestehenden Haftungsverbundes zwischen dem weißen und dem schwarzen Bereich der RAG nur zustimmen, wenn ein angemessener Ersatz für das Beteiligungsvermögen geschaffen wird.

Ein wesentlicher Aspekt hierbei ist die Realisierung des bestehenden Vermögenswertes. Wir werden uns dafür einsetzen, dass nach der Wertermittlung auch verschiedene Verwertungsoptionen, Herr Horstmann, geprüft werden, und zwar nicht, weil wir verrückt geworden sind oder etwas zerschlagen wollten, sondern weil wir als im Lande Verantwortliche eine andere Vorgehensweise gar nicht rechtfertigen könnten.

Wir müssen doch wissen, auf was wir uns einlassen: ob zusätzliche Haushaltsrisiken auf uns zukommen.

Dr. Axel Horstmann [SPD]: Ich hoffe, Sie tun es auch! Ich hoffe, Sie wissen es wirklich!)

Ja, Herr Horstmann, wenn Sie es gewusst hätten, dann hätten Sie doch schon, da Sie ja das PwC-Gutachten vom Februar 2005 angesprochen haben …

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Erzählen Sie doch mal ein bisschen!)

Ich will Ihnen mal erzählen, was Sie damit gemacht haben. Sie haben es in die Schublade gesteckt, der IMA hat es einmal gesehen und festgestellt: Das reicht vorne und hinten nicht zur Bewertung von irgendwelchen Szenarien oder Vorhaben. Es ist eine Abzinsungsrechnung, die man im Schnellverfahren durchführen kann, aber kein Ersatz.

(Beifall von CDU und FDP)

Dass das so ist, können Sie daran erkennen, dass vom Bundesfinanzminister bis zum Bundeswirtschaftsminister und den entsprechenden Ressorts hier im Land ein zusätzliches Gutachten für erforderlich gehalten wird.

Durch die von mir mit dem Wirtschaftsministerium getroffenen Verabredungen haben sich also im Kern einige Forderungen aus dem Antrag hier erledigt. Aber ich will Ihnen gerne noch zusätzlich sagen: Wenn Sie den weißen Bereich bewerten, der ein Stück Surrogat für den Haftungsverbund darstellen soll …

Frau Ministerin Thoben, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Horstmann?

Bitte.

Bitte schön.

Wenn Ihnen, Frau Ministerin Thoben, das Gutachten von PwC nicht gefällt, warum beauftragen Sie dann gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsminister abermals das gleiche Unternehmen mit weiteren Begutachtungen?

Zweite Frage: Wenn Ihnen die Angaben nicht reichen – welche konkreten Rechnungen und Zahlenangaben haben Sie von der RAG seither zusätzlich verlangt?

Eine ganze Menge, und die RAG weiß das auch. Sie wird sie jetzt im Rahmen der Bundeserhebungen liefern. Sie hat ihre Position in dieser Frage – das sage ich auch als Konsequenz aus den Beratungen im Wirtschaftsausschuss – verändert.

Sie können zum Beispiel, Herr Horstmann, das wissen Sie doch genau, anhand der Abzinsungsrechnung überhaupt nicht feststellen, wie die personalpolitischen Entwicklungen aussehen und ob sie unseren Festlegungen entsprechen. Sie hätten ja sonst irgendwas mit dem Gutachten gemacht.

Zur zweiten Frage, warum überlegt wird, an dieselbe Einrichtung zu vergeben! Herr Horstmann, wir müssen abwägen – das muss ich Ihnen doch auch nicht erklären –: Können wir jemanden ganz Fremdes in die totale Aufarbeitung der letzten 20 Jahre mit der Aussicht auf Erfolg einbeziehen, wenn wir im Zuge eines Jahres, vielleicht auch ein bisschen mehr, eine Antwort haben wollen? Das abzuwägen, dafür spielt das eine Rolle.

Frau Ministerin, Herr Horstmann möchte gerne noch einmal nachfragen.

Bitte.

Sie haben zur Begründung ausgeführt, dass Sie zum Beispiel nicht wissen, ob die Zahlen der RAG beziehungsweise von PwC Ihren personellen Festlegungen entsprächen. Welche personellen Festlegungen haben Sie getroffen?

Wir haben gesagt, wir wollen einen sozialverträglichen Auslauf. Dafür müssen wir die personellen Entwicklungen kennen – je nach Schlusspunkt oder je nach Restmenge. Und diese Szenarien sind nicht Gegenstand der Untersuchungen durch PwC gewesen. Das wissen Sie doch.

Noch einmal: Wir sind haushaltsrechtlich gehalten, dafür Sorge zu tragen, dass das, was man durch Verwertung des weißen Bereichs erhöht, so groß wie möglich sein wird. Deshalb diskutieren wir nicht über Zerschlagung, sondern wir sind verpflichtet, uns mit der Frage zu befassen, ob es neben dem Weg, den die RAG gerne gehen möchte, andere Wege gibt, die aus der Sicht des Landes Haushaltsrisiken stärker reduzieren.

Frau Ministerin, entschuldigen Sie, ich muss Sie noch einmal unterbrechen. Nun möchte der Abgeordnete Priggen Ihnen gern eine Frage stellen.

Bitte schön.