Protokoll der Sitzung vom 05.04.2006

Das heißt – für Sie gerne zur Wiederholung, Frau Abgeordnete Düker –: Wir treiben die Binnenmodernisierung voran, wir betreiben eine Reform auch in der äußeren Struktur und wir bauen innerbehördlich Bürokratie ab. Das sind die drei Säulen, auf denen das Gesamtkonzept beruht.

Frau Düker zu ihrer dritten Zusatzfrage.

Da sich mir das Gesamtkonzept, das Herr Minister dargestellt hat, nicht erschließt, noch einmal konkret nachgefragt. Im Koalitionsvertrag ist zu lesen, dass Sie die Zuständigkeit der Bezirksregierungen für die Polizei abschaffen wollen, also für die Autobahnpolizei, aber auch die Zuständigkeit der Dezernate 25 und 26 in den Bezirksregierungen, die nach wie vor für die Polizei zuständig sind. Mit diesem Gesetzentwurf vollziehen Sie den ersten Schritt und verlagern die Zuständigkeit für die Autobahnpolizei.

Wenn ich davon ausgehe, dass das Gesamtkonzept im Koalitionsvertrag verzeichnet ist, alle Sachverständigen aber die Auffassung vertreten, angesichts von noch 47 verbleibenden Behörden, die Sie durch Ihr Gesetz schaffen, könne man die Zuständigkeiten der Dezernate 25 und 26 gar nicht abschaffen, weil dadurch die Führungsspanne zu groß würde: Halten Sie weiterhin an diesem „Gesamtkonzept“ fest, dass auch bei 47 Behörden im Land im nächsten Schritt die Dezernate 25 und 26 der Bezirksregierungen abgeschafft werden?

Herr Minister.

Frau Abgeordnete Düker, Sie haben ein richtiges Zitat aus dem Koalitionsvertrag genommen. Es ist Teil der Verwaltungsstrukturreform, dass die Bezirksregierungen ihre Aufgaben für den Bereich Polizei verlieren. Das ist nach wie vor unser politisches Ziel. Es wird Inhalt eines nächsten Gesetzentwurfes sein,

die Frage der Wahrnehmung der in den Dezernaten 25 und 26 angesiedelten Aufgaben zu klären, wobei das vornehme Anliegen ist, dort wahrgenommene Aufgaben soweit wie möglich herabzuzonen.

Sie entsinnen sich vielleicht, dass wir gerade im Hinblick auf die Bezirksregierungen das Thema Widerspruchsverfahren sehr intensiv bearbeiten. Je weniger Aufgaben auf der bisherigen Ebene der Bezirksregierungen verbleiben, umso weniger schwierig wird es, die Aufgaben zu verteilen. Wir werden Ihnen dazu zeitnah entsprechende Vorschläge machen.

Vielen Dank. – Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. In diesem Moment ist die Fragestunde beendet.

Ich frage Frau Abgeordnete Beer, die Fragestellerin der Mündlichen Anfrage 56 zu dem Thema „Naiver Umgang der Schulministerin mit Augen auf – Werbung“, ob sie schriftliche oder mündliche Beantwortung wünscht.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Schriftlich!)

Schriftliche Beantwortung. (Siehe Anlage)

Sie sind auch die Fragestellerin für die Mündliche Anfrage 57. Ebenfalls schriftlich?

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Schriftlich!)

Ebenfalls schriftlich. (Siehe Anlage)

Meine Damen und Herren, damit ist die Fragestunde erledigt.

Wir kommen zu:

7 Gesetzliche Mindestlöhne: Nordrhein-Westfalen unterstützt nationale Regelung

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/1563

Ich eröffne die Beratung. Als erster Redner hat für die SPD-Fraktion der Abgeordnete Schmeltzer das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! In den letzten Wochen ist fast täglich über die Einführung eines Mindestlohnes geredet oder geschrieben worden. Das Thema hat zuletzt Aktualität durch den von SPE und EVP-ED gefundenen Kompromiss im EU-Parlament zur europäischen Dienstleistungsrichtlinie gewonnen.

Anschließend, am 22. März, hat das Bundeskabinett die geltende Einschränkung der Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus den osteuropäischen Mitgliedstaaten bis zum 30. April 2009 verlängert. Diese Inanspruchnahme der Übergangsfrist für weitere drei Jahre ist arbeitsmarktpolitisch geboten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Zeit müssen wir in Deutschland nutzen. Die Grundlagen dafür sind im Berliner Koalitionsvertrag gelegt worden. Dieses Konzept wird Regelungen zum Entsendegesetz, zum Kombilohn und zum Mindestlohn enthalten. Das ist gut so. Gerade im internationalen Vergleich dürfen wir uns dieser Diskussion nicht entziehen. Wenn ich „wir“ sage, meine ich auch und gerade Nordrhein-Westfalen als das größte Bundesland. Wir müssen uns auf Bundesebene aktiv an dieser Diskussion beteiligen.

Die ökonomische Funktion des Lohnes als bedeutende Komponente der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage darf nicht in den Hintergrund treten. Die Lohnhöhe entscheidet wesentlich über den Lebensstandard und damit auch darüber, ob ein Leben in Würde möglich ist. Nicht umsonst wurde schon in der EU-Sozialcharta ein definiertes Arbeitsentgelt festgelegt, das einen angemessenen Lebensstandard erlaubt. Deshalb gilt für uns: Löhne müssen existenzsichernd sein. Löhne müssen so vereinbart sein, dass sie auch Anreize für bisher nicht erwerbstätige Bezieher von Transferleistungen sind.

Ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer soll von seinem Lohn oder Gehalt anständig leben können. So steht es im CDA-Beschluss der Bundeskonferenz des vergangenen Jahres. Ich begrüße ausdrücklich aus der damaligen Rede des Herrn Ministers Laumann, der leider bei dieser Debatte nicht anwesend ist …

(Werner Jostmeier [CDU]: Der sitzt vor der Tür!)

“Vor der Tür sitzen“ ist nicht „bei der Debatte anwesend sein“, Herr Kollege Jostmeier. – Mit Erlaubnis des Präsidenten darf ich zitieren:

„Lohndumping darf und kann mit der Christlich Demokratischen Union in diesem Land nicht stattfinden.“

Er führt weiter aus:

„Denn Lohndumping, Löhne, von denen man beim besten Willen nicht leben kann, sind mit der Würde des Menschen schlicht und ergreifend unvereinbar.“

(Minister Karl-Josef Laumann nimmt seinen Platz auf der Regierungsbank ein.)

Herr Minister, ich freue mich, dass Sie wieder da sind. Ich habe Sie gerade zitiert, und das waren gute Zitate.

(Minister Karl-Josef Laumann: Ja, kannst du mal sehen! – Allgemeine Heiterkeit)

Herr Minister, genau an dieser Stelle treffen wir uns: Die Löhne dürfen nicht ohne Netz und doppelten Boden ins Freie fallen. Wir alle hier haben eine gesamtpolitische Verantwortung gegenüber den Menschen in unserem Land. Wir dürfen nicht zulassen, dass Löhne unterhalb der Armutsgrenze zum Arbeitsleben gehören wie die Arbeitsleistung, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unverändert erbringen müssen.

(Beifall von der SPD)

Circa 2,5 Millionen Beschäftigte – so schätzen Experten – verfügen derzeit trotz Vollzeitjobs über kein existenzsicherndes Einkommen. Das gilt wohl auch für die Gebäudereinigerbranche. Ich bin froh, dass die Koalitionäre in Berlin das erkannt haben und das Entsendegesetz auf diese Branche ausweiten wollen.

Das muss uns dazu anhalten, auch über Mindestlöhne ernsthaft nachzudenken. Das muss uns den Mut und die Verpflichtung geben, ein abgestimmtes Gesetzeswerk zu Mindest- und Kombilöhnen in Kombination mit den Regelungen des Entsendegesetzes zu entwickeln. Arbeitsrechtliche Regelungen sind nichts Außergewöhnliches. Sie sind etwas Gutes. Überall in Europa gibt es Regelungen zu Mindestlöhnen. Hier in Deutschland gibt es auch gesetzliche Mindestvorgaben bei der Arbeitszeit, beim Urlaub oder anderen Arbeitsbedingungen, die den Arbeitnehmern zugute kommen und sie und ihre Arbeitskraft für das Unternehmen schützen.

Das wird unter anderem auch der Grund dafür gewesen sein, dass Edmund Stoiber sagte, man müsse sich ernsthaft über einen gesetzlichen Mindestlohn Gedanken machen. Und Sie, Herr Minister Laumann, werden in dem Zusammenhang mit den Worten zitiert: „Ich begrüße den Vorstoß Stoibers ausdrücklich.“

Vor der Bundestagswahl äußerte sich bereits Gerald Weiß, der Vorsitzende der CDU-Arbeitnehmergruppe im Bundestag, mit den Worten:

„Ein staatlicher Mindestlohn ist eine diskussionswürdige Alternative. Die einzige Alternative die nicht geht, ist nichts zu tun.“

Recht hat Ihr Berliner Kollege. Ebenso wie auch Laurenz Meyer Recht hat, der als wirtschaftspolitischer Sprecher das Thema Mindestlohn ideologiefrei angehen will.

Wissenschaftler in aller Welt haben sich mit der Thematik des Mindestlohns auseinander gesetzt. Interessant sind unter anderem die Meinungen aus den USA. In diesem Land, das doch immer wieder als Musterland bezeichnet wird, gibt es seit rund 70 Jahren bereits gesetzliche Mindestlöhne. Durchweg wurden positive Erfahrungen gesammelt. Das gilt ebenso für das europäische Ausland.

Nirgendwo war der Mindestlohn schädlich für die Beschäftigung. Im Gegenteil: Vielfach sank die Arbeitslosigkeit. Lohnunterschiede und Lohndiskriminierung von Frauen konnten reduziert werden. Überall dort, wo sogenannte Experten vor Einführung des Mindestlohnes davor warnten, dass die Arbeitslosigkeit steigen würde und die Firmen ins Ausland gingen, hat sich dies nicht bestätigt. Auch diese Experten haben größtenteils im Laufe der Zeit ihre Position aufgrund der positiven Erfahrungen korrigiert oder sind in Vergessenheit geraten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gesetzliche Mindestlöhne sind kein Teufelswerk und für sich nicht beschäftigungsfeindlich. Gerade vor dem Hintergrund eines gemeinsamen europäischen Binnenmarktes und einer zunehmend integrierten europäischen Wirtschaft ist eine europäische Mindestlohnpolitik dringend geboten, und zwar mit und in Deutschland. Die Koalitionsfraktionen in Berlin, CDU/CSU und SPD, wollen sich auf ein Gesamtpaket einigen. Gerade dieses Gesamtpaket muss auch als solches diskutiert werden.

Da nützen keine Schnellschüsse aus West oder Ost, da brauchen wir für die gemeinsame gute Sache keine Profilierungen aus Nord oder Süd. Eine einsame Konstruktion eines einsamen Instrumentes in Hamburg, Hessen oder NordrheinWestfalen brauchen wir genauso wenig. Wir brauchen keine Länderkonzepte, sondern ein Gesamtsystem aus Entsendegesetz, Mindest- und Kombilohn, das bundeseinheitlich getragen und unterstützt wird. Deshalb muss sich auch die nordrhein-westfälische Landesregierung erklären und in die bundesweite Diskussion in Berlin einbringen,

(Beifall von Wolfram Kuschke [SPD])

und zwar mit einer sachlichen Analyse und nicht mit Schnellschüssen oder Teillösungen.

Herr Minister Laumann, welche Erkenntnisse haben Sie zum Beispiel über die Entwicklung von Dumpinglöhnen hier in Nordrhein-Westfalen? Und wenn Sie Erkenntnisse haben, dann lassen Sie uns an diesen Erkenntnissen teilhaben. Wir sollten gemeinsam dafür Sorge tragen, dass unsere Erkenntnisse in Berlin einfließen. Das meine ich im Sinne einer gemeinsamen Sache sehr ernst. Lassen Sie uns den Einstieg wagen und in die Diskussion einbringen.

Egal, ob wir über eine schrittweise Einführung branchen-, personen- oder regionenbezogen diskutieren – all das sind Dinge, die mit dem Diskussionsstoff nach Berlin geleitet werden sollten und derzeit nichts in den Gazetten zu suchen haben.

Der Niedrigstlohnsektor und wie wir damit politisch umgehen sollte und darf kein Profilierungsthema für Sie oder uns sein. Einzelne kursierende Papiere, die rein zufällig bei der Presse landen, sind kontraproduktiv und meist zu hart und nicht hilfreich in der Sache.