Zweitens gilt: Nach 39 Jahren liegen wir im Ländervergleich auf einem Abstiegsplatz. Bessere Leistungen erreicht man eben nicht durch Leistungsnivellierungen.
Zunächst einmal gratuliere ich natürlich Ihnen, Frau Schäfer, sehr herzlich zur Wahl zur stellvertretenden Vorsitzenden. – Ich habe gelesen, dass die SPD im Herbst einen Neuanfang in der Bildungspolitik starten möchte. Ich glaube auch, dass dies bitter nötig sein wird.
Natürlich möchte ich Ihnen keinen Ratschlag geben; das hat offensichtlich – das habe ich den Medien entnommen – Peer Steinbrück auf Ihrem Parteitag in ausreichendem Maße getan.
Sie konnten – zumindest habe ich das so gelesen – auch erfahren, dass Ratschläge eben auch Schläge sind. Deshalb gebe ich Ihnen höchstens einen kleinen Tipp: Wenn Sie sich bildungspolitisch neu aufstellen wollen, vergessen Sie nicht die Bilanz Ihrer Arbeit.
Sie haben uns ein Bildungssystem hinterlassen, das sozial ungerecht ist und das zu wenig Qualität bringt. Genau hier setzen wir seitens der Koalition der Mitte an. Nach nur neun Monaten in der Regierungsverantwortung legen wir einen zugegebenermaßen ambitionierten Gesetzentwurf vor, der folgende schlichte Botschaft hat: Wir stellen das Bildungssystem im Nordrhein-Westfalen komplett neu auf.
Es ist der beherzte und mutige Ansatz für mehr soziale Gerechtigkeit, für mehr Bildungschancen für alle Kinder und Jugendlichen in unserem Land. Es ist der engagierte Beitrag, wieder zu besseren Ergebnissen an unseren Schulen zu kommen. Mit anderen Worten: Wir wollen vom Pisa-Verlierer zum Pisa-Gewinner werden.
Das von der alten Koalition im letzten Jahr verabschiedete Schulgesetz war nicht mehr als die technische Zusammenfassung von mehreren Gesetzen.
Es war kein programmatischer Aufbruch. Es war eben nur die bürokratische Zusammenfassung der bestehenden Rechtslage.
Der heute von Frau Sommer eingebrachte Entwurf spiegelt genau den Anspruch der Koalition der Mitte wider. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hat in seiner Regierungserklärung den Anspruch begründet, NRW wieder zur Nummer eins der deutschen Länder zu machen. Genau das ist unser Anspruch. Daran müssen wir uns messen lassen, daran messen wir unser Regierungshandeln. Deshalb erheben wir mit diesem Schulgesetz schlichtweg einen besonderen Anspruch: Wir möchten das modernste Schulgesetz und die modernste Schulverfassung in Deutschland schaffen.
Das bedeutet: Aufbruch, Neues und Veränderung. Veränderung bedeutet auch Widerspruch und Diskussion bei vielen Interessengruppen und natürlich auch Aufgeregtheit und Gekreische bei der Opposition. Für uns gibt es nur eine Leitlinie, um die es geht: Im Mittelpunkt aller Überlegungen steht das Wohl unserer Kinder.
Denn sie sind der wichtigste Standortfaktor, den wir in Nordrhein-Westfalen haben. Deshalb brauchen wir Konsequenz in der eigenen Gedankenführung und Konsequenz in der Formulierung der Ziele.
Erstens. Handlungsleitendes Prinzip dieses Schulgesetzes ist die individuelle Förderung jedes einzelnen Kindes – des leistungsstarken wie des leistungsschwachen, aber auch derjenigen Kinder, die im Mittelfeld sind. Wir müssen unser Schulsystem so organisieren, dass jeder Schüler sein Leistungspotenzial möglichst optimal entwickelt. Das führt zu einer besseren Leistungsspitze. Das führt aber auch zur Ausschöpfung der Potenziale von Kindern aus bildungsungewohnten Umfeldern.
In der letzten Anhörung hat Herr Prof. Leutner darauf hingewiesen, wie sehr es möglich ist, die Potenziale der Kinder zum Beispiel aus Migrantenfamilien erheblich besser zu fördern. Das ist das programmatische Grundbekenntnis dieses
Zweitens. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. Die SPD hat uns ein Bildungssystem mit zu vielen Bildungsverlierern hinterlassen. Das müssen wir umdrehen. Wir müssen ein Bildungssystem von Bildungsgewinnern entwickeln. 14.000 Rückläufer im Jahr sind nicht akzeptabel; 60.000 Sitzenbleiber sind zu viel und vor allem viel zu teuer. Das Geld ist bei zusätzlicher Förderung und bei Lernstudios wesentlich besser angelegt. Wir wollen die konsequente Reform des dreigliedrigen Systems. Das heißt für uns aber auch erheblich mehr Durchlässigkeit von der Hauptschule zur Realschule und zum Gymnasium.
Im Schulgesetz ist dieser Grundsatz festgehalten und beschrieben. Es macht konkrete Festlegungen bei den Bestimmungen zu den Zeugniskonferenzen, bei den Lernstudios und auch bei den Grundschulgutachten. Höhere Durchlässigkeit nach oben heißt eben: bessere Förderung für Leistungsstarke und mehr Zeit zur Förderung der Leistungsschwachen.
Drittens. Wir setzen auf die eigenverantwortliche Schule. Selbstständigkeit für wenige Modellschulen reicht nicht. Wir brauchen und wollen die Eigenverantwortlichkeit für jede einzelne Schule im Land. Das heißt: Wir lassen die Schulen in diesem Neuerungsprozess nicht allein. Wir beginnen damit am 1. August.
In diesem Schulgesetz sind wichtige Bestandteile dieser Eigenverantwortlichkeit geregelt. Mehr Eigenverantwortlichkeit heißt: mehr Freiheit für die einzelne Schule. Das heißt auch: Jede Schule wählt ihren Schulleiter. Ich freue mich, dass ich für dieses von der SPD so hart kritisierte Vorhaben eine Kollegin der SPD-Fraktion als Kronzeugin zitieren darf, und zwar aus dem „General-Anzeiger“, Bonn, vom 12. Juli 1994. Damals sagte unsere heutige Kollegin, Frau Renate Hendricks:
„Der Schulleiter würde unter Beteiligung von Eltern, Lehrern und Schülern auf Zeit gewählt mit der Möglichkeit zur Wiederwahl.“
Das war damals ja ganz schön fortschrittlich. Schade, dass Sie dabei nur einen vergessen haben. Sie haben den Schulträger nämlich nicht erwähnt. Ich glaube, dass das ganz wichtig ist. Wir
können den Schulträger nicht außen vor lassen. Wir brauchen ihn bei der Ausschreibung der Schulleiterposition. Wir brauchen ihn bei der Schulträgerschaft vor allem auch insoweit, als dass dem Schulträger nicht ein Schulleiter vor die Nase gesetzt werden kann. Wir brauchen die Kommunikation miteinander. Eigenverantwortlichkeit heißt: Schule sucht die Lehrer selber aus, Schule hat ein eigenes Budget.
Vierter Punkt. Wir brauchen mehr Qualität wie Zentralabitur, Reform der Oberstufe, mehr Wettbewerb und mehr Chancen durch Aufhebung von Schuleinzugsbezirken. Wir brauchen vor allem aber auch Qualitätsanalyse. Diese Qualitätsanalyse sorgt dafür, dass selbstständige Schulen im Hinblick auf die Ergebnisse kontrolliert werden; denn wir müssen die Ergebnisse verbessern – im sozialen Bereich wie im Leistungsbereich.
Meine Damen und Herren, mit diesem Schulgesetz legt die Landesregierung einen ambitionierten Entwurf vor. Dadurch wird der Neuanfang in der Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen gesetzlich verankert. Das ist erforderlich. Das wird auch gelingen. Bei der Umsetzung sagen wir Ihnen, Frau Sommer, unsere volle Unterstützung zu.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Augen zu und durch!“ – So titelte die „Neue Rhein-Zeitung“ am 30. März dieses Jahres in einem Kommentar zur Schulgesetznovelle der schwarz-gelben Landesregierung und bescheinigt der Ministerin – ich zitiere – „eine verblüffende Immunität … gegenüber dem Rat von Fachleuten“.
„Die Abgeordneten von CDU und FDP hätten alle Hände voll damit zu tun, die neue Philosophie der Landespolitik vor Ort publik zu machen.“
genötigt fühlt, alle Parteigliederungen anzuschreiben und sie aufzufordern, sich voll hinter das neue Schulgesetz zu stellen.
Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der CDU: Wenn etwas wirklich gut ist, warum müssen Sie es dann mit so viel Mühe im gesamten Land in Nordrhein-Westfalen erklären?