Das, was Sie hier heute als Schulgesetzentwurf einbringen, ist alles andere als ein Gesetzentwurf. Es ist ein politisches Programm. Wir erinnern uns: Mein Gesetz ist der Koalitionsvertrag – so Frau Ministerin Sommer letztes Jahr. Spätestens jetzt wird allen klar, dass das kein Versprecher einer politisch bis dahin unerfahrenen Ministerin war. Diese Ministerin ist nicht frei, fachpolitisch angemessen zu handeln.
Wenn die CDU und die FDP jetzt mit aller Macht die begabungsgerechte Schule umsetzen wollen, verhindern sie jede ergebnisoffene fachliche Diskussion um die beste Schule für unsere Kinder und Jugendlichen. Meine Damen und Herren, Sie verfestigen mit Ihrer Bildungspolitik ein längst überholt geglaubtes Klassensystem mit nur einem einzigen Gewinner: dem Gymnasium.
Sie begeistern sich selbst an der Vorstellung, das modernste Schulsystem in Deutschland zu entwickeln. Aber Meinungen von Fachleuten, Meinungen von Praktikern, wissenschaftliche Erkenntnisse und internationale Erfahrungen sind in diesem Prozess für Sie anscheinend eher lästig. Anders kann ich mir nicht erklären, dass hier im Landtag vier Anhörungen stattgefunden haben, aus denen Sie nichts, aber auch gar nichts in eine Novellierung Ihres Gesetzentwurfes hineingenommen haben.
Die CDU ist übrigens gar nicht bis zum Schluss dabeigeblieben. Darauf möchte ich auch einmal hinweisen. Sie waren gar nicht an der Meinung der Experten interessiert. Ich sage Ihnen: Man braucht Partner, wenn man Schule qualitätsorientiert weiterentwickeln will. Das kann man nicht mit einem Gesetzentwurf regeln. Das kann man auch nicht mit Sonntagsreden regeln.
Zur Einbringung des Gesetzes möchte ich einen Punkt herausgreifen, und zwar Ihren Umgang mit der kommunalen Familie in Nordrhein-Westfalen. Wir erinnern uns: Der Bund, das Land und die Kommunen haben in der letzten Legislaturperiode in Nordrhein-Westfalen in zwei Jahren 1.400 offene Ganztagsgrundschulen aufgebaut. Die Kommunen haben sich als unverzichtbare bildungspolitische Akteure hervorragend bewährt. Schule und Jugendhilfe kooperieren außerordentlich erfolgreich. Und was machen Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen und von der Landesregierung? Diesem wichtigen Partner stellen Sie den Stuhl vor die Tür. Sie schränken jede kommunale Mitbestimmung und Mitgestaltung ein.
Sie sagen, dass Sie die Kommunen als Partner wollen. Bei der Wahl von Schulleiterinnen und Schulleitern sind die Städte und Gemeinden demnächst aber Statisten. Warum? Sollten sie nicht eigentlich viel stärker eingebunden werden, wenn wir von der Fortentwicklung von selbstständigen Schulen sprechen?
Sie reden über die Eigenverantwortung von Schulen. Sie reden über die Eigenverantwortung von Kommunen. In Wahrheit schieben Sie die Verantwortung ab und von sich weg. Reden und Handeln klaffen bei Ihnen völlig auseinander.
Warum dürfen die Kommunen nicht weiterhin selbst über die Gestaltung der Schulbezirke befinden? Warum beschneiden Sie die gerade erst eingerichteten und sehr begrüßten Möglichkeiten zur Gestaltung von regionalen und kommunalen Bildungslandschaften – auch vor dem Hintergrund der jetzt gültigen Gesetzesgrundlage für die Gründung von Verbundschulen? Vor dem Hintergrund der Diskussion von eben müssten Ihnen eigentlich die Ohren klingeln, weil Sie die Kommunen als Partner brauchen.
Sie stehlen sich aus der Verantwortung und nehmen diesem wichtigen Partner jeglichen Gestaltungsspielraum. Sie versprechen die Sprachprüfung bei allen Vierjährigen in NordrheinWestfalen. Aber mit den Sprachstandsüberprüfungen von 185.000 Kindern jährlich lassen Sie Städte, Gemeinden und Schulen alleine. Sie versprechen eine Lösung bei den Ausgaben für Lehr- und Lernmittel für Arbeitslosengeld-II-Bezieher. Und dann – schauen wir einmal in den Gesetzentwurf – lassen Sie die Kommunen im Regen stehen. Sie begehen offensichtlichen Wortbruch.
Das Wort „Eigenverantwortung“ bekommt in Ihrer Regierungszeit eine ganz neue Dimension. Die Landesregierung verspricht nämlich vollmundig Lösungen, Umsetzung und Finanzierung sollen andere erledigen, aber ohne die notwendigen Ressourcen. Bei wem werden denn die Gymnasien vorstellig, wenn die im Gesetz vorgeschriebene Unterrichtszeitverdichtung in der Sekundarstufe I quasi eine Ganztagsschule aus dem Gymnasium macht? Die gehen zum Bürgermeister. Bei wem werden die Eltern vorstellig, wenn ihr Kind nicht den gewünschten Platz an einer Grundschule nach freier Wahl bekommt? Die gehen zum Bürgermeister.
Und das ist auch der Grund, warum viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen Resolutionen gegen Ihre Schulgesetznovelle verfassen, und zwar auch solche Kommunen, die von der CDU geführt werden. Solche Resolutionen kommen bei uns jedenfalls reihenweise an. Ich weiß nicht, ob Sie keine bekommen.
Eigenverantwortliche Schule reduzieren Sie auf die Dienstvorgesetztenfunktion des Schulleiters oder der Schulleiterin. Gleichzeitig entziehen Sie dem System die Möglichkeiten der Qualifikation für diese wichtige Aufgabe und lassen die Schulen dieses natürlich „eigenverantwortlich“ regeln. Ihnen, meine Damen und Herren, fehlt der bildungspolitische Kompass für Nordrhein-Westfalen.
Ich möchte eines noch ganz deutlich machen – wir haben eben viel über Zahlen und Ziele diskutiert –: Die Ministerin hat zu neuen Stellen für die Schulen in NRW am 22. März gesagt:
„Klar ist auch, dass die neue Landesregierung alle Lehrerstellen, die durch zurückgehende Schülerzahlen zur Verfügung stehen, im Schulbereich erhalten wird.“
Ich möchte nur noch einmal deutlich machen: Im Hauptschulbereich werden 1.300 Stellen gestrichen. – Danke schön.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, jetzt hat Frau Abgeordnete Beer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt haben wir sie also auf dem Tisch liegen: die Vorlage, den Gesetzentwurf zur Schulgesetznovelle der schwarzgelben Landesregierung. Darin wird in ungewöhnlicher Offenheit die Ausgangslage beschrieben, die uns dieses Fehlkonstrukt beschert hat.
Wir können dort also unter „A Problem“ lesen, dass der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung vom 13. Juli 2005 eine Schulreform angekündigt hat. Also: Das Problem für die nordrhein-westfälischen Schulen und Schulträger ist der Ministerpräsident, lese ich aus der Vorlage des Schulministeriums.
Wenigstens diese fachliche Einschätzung kann ich voll und ganz teilen. Das kommt dabei heraus, wenn jemand versucht, richtige Begriffe wie „individuelle Förderung“, „Durchlässigkeit“, „Bildungsbeteiligung“ und „soziale Gerechtigkeit“ mit überholten Konzepten zu unterlegen, die auf einem wissenschaftlich unhaltbaren, fatalen „Begabungsgeschwirmel“, das schon den Koalitionsvertrag durchsetzt, und damit verbunden auf einem ständischen Gesellschaftsmodell aus dem vorletzten Jahrhundert fußen.
Dazu wurde das Ganze noch marktradikal eingewickelt, damit es doch irgendwie ein bisschen neu aussieht.
So weit, so schlecht – war die Schulministerin bis dahin ja außen vor. Ihr ist nach endgültiger Vorlage des Gesetzentwurfs, den sie jetzt mitzuverantworten hat, vorzuwerfen, dass sie kein fachliches Standing im Amt entwickelt hat. Ihre am Anfang aufblitzende kritische Haltung zu der Auflösung der Grundschulbezirke ist ja schnell kassiert worden. Von Herrn Laschet hört man ja auch nichts mehr. Der war da ein bisschen standhafter. Aber inzwischen darf er wohl auch nicht mehr.
Dabei hätte die Schulministerin nicht nur in dieser Frage durch die Expertinnen und Experten in den Landtagsanhörungen schon seit Januar fast 14tägig zu schulgesetzrelevanten Fragestellungen hier im Plenarsaal reichlich Argumente und Fundierung erhalten, um die unsinnigen Regelungen aus dem Schulgesetzentwurf zu streichen, die fatale Wirkung entfalten werden. Die Ministerin legt ausgerechnet als Grundschulfrau durch einen erhöhten Selektionsdruck die Axt an die erfolgreiche
an die Schulform, der es auch im internationalen Vergleich im deutschen Schulsystem noch am besten gelingt, den Zusammenhang von Schulerfolg und sozioökonomischem Familienhintergrund möglichst klein zu halten.
Unbeirrt fährt Schwarz-Gelb auch den Konfrontationskurs gegen die Kommunen weiter: Verstärkung der sozialen Segregation durch Auflösung der Schulbezirke. – Machen Sie den Kommunen und Eltern doch nichts vor! Vielleicht sollten Sie in den Mitteilungsblättern des Städte- und Gemeindebundes den Hinweis auf ein aktuelles OVGUrteil nachlesen, das sich mit der Frage der Bevorzugung von Wohnortschülern beschäftigt hat. Das OVG stellt zum Beispiel fest, dass das Aufnahmekriterium „Wohnsitz“ nicht so einfach Bestand habe und die Aufnahmeentscheidung in der Befugnis der Schulleitung liege und eben nicht bei der Kommune. Als Steuerungselemente der Kommune werden ausdrücklich die Schuleinzugsbezirke und -bereiche genannt. Wenn diese wegfallen, fehlen den Schulträgern auch im Hinblick auf eine überörtliche Schulentwicklungsplanung jegliche Steuerungselemente.
Ob vor dem Hintergrund dieses OVG-Urteils die Beruhigungspille für die Eltern rechtlich Bestand hat, sie hätten auf jeden Fall einen Rechtsanspruch auf einen Platz in der nächstgelegenen Grundschule, stelle ich hiermit infrage.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Eltern lassen sich von den neuen abwiegelnden Formulierungen zu den Grundschulempfehlungen übrigens auch nicht auf den Leim führen. Die sind ja auch so verwirrend, dass selbst die Ministerin mit der Interpretation reichlich zu tun hat, wie die Berichterstattung aus ihrer Pressekonferenz das deutlich abbildet.
Eigentlich meint die Ministerin, dass die Grundschullehrkräfte die Empfehlung richtig abgeben würden. Fehlerquote maximal zwei von 1.000, sagt sie in Paderborn. In Düsseldorf sagt sie in ihrer Pressekonferenz, es gebe keine zweifelsfreien Entscheidungen, aber dann doch durch den Prognoseunterricht zweifelsfrei zwangsweise – natürlich nur für die Zuweisung zur Hauptschule, nicht zum Gymnasium. Und nach einem halben Jahr wird dann geguckt, ob man sich bei der zwei
felsfreien Prognose nicht vielleicht doch vertan hat. Dann ist dem Kind aber allein durch die Prozedur schon vermittelt worden, dass es zu denen gehört, die es nicht bringen.
Wird dem Kind neben einer Schulformempfehlung eine eingeschränkte Empfehlung für eine weitere Schulform gegeben, ist es jetzt an den Eltern, herauszubekommen ob eine weiterführende Schule den Förderbedarf abdecken kann, sodass das Kind dann doch an der gewünschten Schulform unterkommen kann. Wenn die Realschule A oder das Gymnasium B es nicht kann, können die Eltern auch noch die anderen Schulen abklappern, ob es da vielleicht ein passendes Förderkonzept gibt.
Nein, die Eltern gehen der Schulministerin auch mit den neuen Verschleierungsversuchen nicht auf den Leim. Martin Depenbrock von der Landeselternschaft Grundschulen bringt es auf den Punkt: Die Eltern bleiben bei der Ablehnung der verbindlichen Gutachten und beklagen das geplante unzumutbare Schaulaufen der Kinder. Mit dem Schulgesetz und dem Abkoppeln des Gymnasiums verabschiedet sich Schwarz-Gelb von der Durchlässigkeit im System.