Protokoll der Sitzung vom 06.04.2006

gebot nach den Bedürfnissen seiner Kundinnen und Kunden. Vermutlich steht er damit auch nicht alleine da.

Ich bin sehr dankbar, dass Herr Hipp hingegangen ist – wie später auch viele andere – und sich öffentlich geäußert hat; denn dadurch haben wir als Politik auch die Chance, darauf zu reagieren. Ich denke, dass einigen von uns erst dadurch wirklich klar wird, dass eine Absenkung des Schutzniveaus für die gentechnikfreie Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion sowohl für die Verbraucherinnen und Verbraucher als auch für die Landwirte als auch für einen Teil der Unternehmen wirklich eine Bedrohung sein kann.

Ich möchte Claus Hipp und den vielen anderen Unternehmerinnen und Unternehmern, die sich entsprechend geäußert haben, heute von hier aus sagen: Die SPD wird auf Bundesebene dafür sorgen, dass weiterhin gentechnikfrei angebaut werden kann. Die Unternehmen werden weiterhin gentechnikfrei produzieren können. Kundinnen und Kunden werden weiterhin ihre Ware aus gentechnikfreien Rohstoffen auch aus Deutschland kaufen können.

Wir als Politik müssen sehr genau prüfen, ob und wie es überhaupt eine Koexistenz von gentechnikfreier Lebensmittelproduktion und Genfood geben kann. Wir müssen sicherstellen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Landwirte weiterhin Wahlfreiheiten haben und dass es hier nicht zu Zuständen wie in den USA kommt, wo die Farmer inzwischen von wenigen Chemiefirmen abhängig sind. Darunter sind übrigens keine Firmen aus Nordrhein-Westfalen. Das sollte uns als Chemiestandort auch zu denken geben.

Deshalb ist es gut, dass wir heute im Landtag die Diskussion beginnen. Deswegen ist es auch gut, dass wir sie in dem zuständigen Fachausschuss weiterführen – obwohl das auch ein Thema für den Wirtschaftsausschuss wäre; auch dort sollten wir einmal weiter diskutieren.

Wir fordern schon von hier aus die Landesregierung auf, hier im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher, der Landwirte und auch der Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen tätig zu werden. – Danke schön.

(Beifall von der SPD)

Danke schön, Frau Schulze. – Für die FDP spricht nun Herr Kollege Ellerbrock.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag der Grünen ist ein Recycling-Antrag. Das stellt man fest, wenn man die Überschrift liest. Der Nachweis ist wie folgt zu führen: Am Ende steht ein Ausrufezeichen. Ein Ausrufezeichen war immer das Signum des ehemaligen Staatssekretärs und Chefs der Staatskanzlei Georg Wilhelm Adamowitsch. Dieser Antrag ist also aus irgendeiner Kiste herausgefallen und jetzt wieder hier nach vorne gebracht worden.

Herr Remmel, diesen Antrag, den Sie begründet haben, kann ich kaum nachvollziehen. Die Debatte um die Nutzung der Gentechnik und Biotechnik bewegt sicherlich die Menschen. Die Menschen wollen aber auch eine nachvollziehbare Argumentation haben, die sachlich letztendlich auch ergebnisoffen ist. Sie wollen nicht, wie in Ihren Anträgen gerne deutlich wird, in Urängste versetzt werden, ohne dass aus meiner Sicht letztendlich eine Beweisführung erfolgt. Das ist ja das Grundproblem, das wir beide miteinander haben.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)

Meine Damen und Herren, Gentechnik ist auch Zukunftstechnologie. Hier nenne ich nur die sogenannte rote Gentechnik. Ich weiß, wovon ich rede: Ich bin Diabetiker; ohne Gentechnik hätte ich große Probleme. In diesem Bereich der Gentechnik, nämlich bei den Arzneimitteln, sind wir wie selbstverständlich aufgeschlossen und sagen: Jawohl, darin liegt die Zukunft. Im Bereich der Nahrungsmittel sind wir auf einmal zurückhaltend. Das Gleiche, was wir positiv für uns selbst sehen, wenn wir es in geringen Dosen vom Arzt verschrieben bekommen, sehen wir negativ, wenn wir es essen sollen, und sagen dann: Um Gottes willen! Das darf nicht sein; das ist Zeug des Teufels.

Sie machen hier eine Politik mit der Angst der Menschen. Das ist das, was uns beide unterscheidet.

Meine Damen und Herren, Sie sprechen auch ab, welche Probleme im Umweltschutz kommen würden. Und denken wir doch einmal an Folgendes: Wie wollten wir die Zukunft der Weltbevölkerung hinsichtlich der Ernährungslage garantieren, wenn wir keine grüne Gentechnik hätten? Wie wollten wir dieses Problem dann angehen?

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Schauen Sie einmal in die einschlägige Literatur! Dort steht das!)

Wir müssen uns auch mit den Vorteilen im Umweltschutz auseinander setzen. Grüne Gentechnik bedeutet letztendlich weniger Fungizide, weni

ger Pestizide, weniger Herbizide, höhere Erträge und viel mehr Chancen – letztendlich auch für den Naturschutz.

(Svenja Schulze [SPD]: Das stimmt nicht! Das wissen Sie auch!)

Alles das blenden Sie ganz bewusst aus. Wer sich wie Sie ausschließlich auf die Risiken konzentriert, der muss auch wissen, dass eine Diskussion über einen hundertprozentigen Ausschluss auch eine Diskussion über verpasste Chancen ist.

Wir als FDP sagen eindeutig: Es gibt Risiken. Diese sind zu beachten. Sie sind sorgfältig abzuwägen gegen den positiven Aspekt der Chancen, die wir haben.

Herr Ellerbrock, ich habe eine Zwischenfrage von Herrn Keymis. – Bitte, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Ellerbrock, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Art, wie Sie über Chancen und Risiken reden, der Diskussion über die Nutzung der Gentechnik in den verschiedenen von Ihnen angesprochenen Bereichen in keiner Weise gerecht wird?

(Beifall von den GRÜNEN)

Diese Beurteilung überlasse ich denjenigen, die hier zuhören und die darüber entscheiden werden. – Danke schön.

Meine Damen und Herren, ich bin mit Ihnen einer Meinung, dass wir sagen: Gentechnisch veränderte Produkte sollen gekennzeichnet werden. Darüber können wir reden. Gestern haben wir ja gemeinsam einen Antrag über das Bio-Siegel beschlossen. Warum sollte man das nicht ausweiten?

Wogegen wir uns wehren, ist der Ansatz, an diese Technik mit Denkverboten heranzugehen, wobei derjenige moralisch an den Pranger gestellt wird, der sich über die Ernährungssituation, über die Umweltsituation der Zukunft Gedanken macht und der einen Weg beschreiten will, über den Sie in ideologischer Verklemmung sagen: Darüber wollen wir noch nicht einmal reden. Das ist eine Sache, mit der wir überhaupt nicht klarkommen wollen.

Ihre ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin, Frau Künast, hat das Jahr – ich glaube – 2004 zum Jahr der Innovation ausgerufen, gleichzeitig aber alles dafür getan, um Gentechnik in Deutsch

land zu verhindern, was letztlich eine Abwanderung der gentechnischen Forschung ins Ausland zur Folge hatte. Das ist eine Sache, die wir ausdrücklich bedauern.

Herr Keymis, Sie haben gemeint, man gehe da so locker drüber hinweg, und versucht, einen ethischen, einen moralinsauren Ansatz hineinzubringen. – Wenn wir uns vor Augen halten, dass in den nächsten 30 Jahren weitere zwei Milliarden Menschen ernährt werden müssen, dann müssen wir uns fragen: Wie können wir das Problem denn angehen? Wir können nur begrenzt zusätzlich Fläche verfügbar machen. Wir müssen uns fragen: Wie können wir diese Menschen ernähren?

Ich bin mir sicher, dass die Gentechnik hier einen Schlüssel zur Zukunft darstellen wird, um unserer ethischen Verantwortung gerecht zu werden, als Industrie- und Forschungsnation einen Beitrag zur Lösung des Problems der Welternähungssituation zu leisten.

Sie machen es sich einfach, indem Sie erklären: Um Gottes willen! Wir wollen Gentechnik nicht.

Alle Institute, die darüber in der Bundesrepublik Deutschland zu entscheiden haben, sagen: Gentechnik ist verantwortbar. Es geht nicht um eine 100%ige Risikoausschlussmentalität; es geht um den Begriff der Verantwortbarkeit. Ich bin mir sicher: Gentechnik ist in der Anwendung in der Bundesrepublik Deutschland, auch in NordrheinWestfalen bei den strengen Sicherheitsanforderungen, die wir haben, verantwortbar. Das mögen wir unterschiedlich bewerten. Aber das ist unsere Bewertung. – Danke schön.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Ellerbrock. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Uhlenberg das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der hier im Landtag eingebrachte Antrag trägt den Titel: „Keine AgroGentechnik in NRW!“ Gleichzeitig wird in diesem Antrag das Recht auf Wahlfreiheit betont.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, hier gibt es einen Widerspruch. Die Landesregierung versteht unter Wahlfreiheit, dass Landwirte zwischen konventionellem, ökologischem und dem Anbau gentechnisch veränderten Pflanzen frei wählen können.

Gleiches gilt für die Verbraucher und Verbraucherinnen. Auch sie wollen frei wählen können, welche Produkte sie kaufen.

Das bedeutet in der Konsequenz, dass man keine Anbauform ausschließen darf. Das suggeriert jedoch der Titel des Antrages: Keine Argo-Gentechnik in NRW!

Das Nebeneinander aller Anbauformen, die Koexistenz, ist auch erklärtes Ziel der Europäischen Union. Lassen Sie mich hinzufügen, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Grünen, Ihr Verhalten ist schon doppelbödig. Denn zunächst stimmt man dieser Richtlinie auf europäischer Ebene zu, wie das Frau Künast im Gegensatz zu anderen Mitgliedsländern der Europäischen Union – Italien zum Beispiel hat damals dagegen gestimmt, Deutschland unter rot-grüner Bundesregierung allerdings dafür –, getan hat. Man hat also erst einmal den Rahmen für eine solche Diskussion, die wir jetzt hier führen, gesetzt, und nun tut man so, als wenn man damit überhaupt nichts mehr zu tun hätte. Das ist meiner Meinung nach doppelbödig.

Ziel der Koexistenzmaßnahmen ist es, meine Damen und Herren, diese Wahlfreiheit der Produzenten und Konsumenten zu sichern. Koexistenzmaßnahmen zielen primär auf die wirtschaftlichen Aspekte und Folgen bei Anteilen von GVO in konventioneller Ware inklusive Ökoware.

Ein generelles Anbauverbot gentechnisch veränderter Pflanzen, meine Damen und Herren, ist auch mit dem EU-Recht nicht vereinbar. Nationale Maßnahmen dürfen den freien Warenverkehr gemäß Freisetzungsrichtlinie, denen die Grünen zugestimmt haben, nicht behindern.

In der Europäischen Union dürfen nur zugelassene gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut beziehungsweise entsprechende Lebens- und Futtermittel gehandelt werden. Deren Sicherheit für Mensch und Umwelt wurde zuvor in einem EUweiten Zulassungsverfahren geprüft.

Ich möchte nun für die Landesregierung auf die einzelnen von Ihnen gestellten Forderungen eingehen:

Erstens. Verzicht auf den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen auf landwirtschaftlichen Flächen im Eigentum des Landes. – Die Landesregierung tritt, wie bereits zuvor erwähnt, für die Wahlfreiheit der Anbauer ein und lehnt daher ein generelles Verbot des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen auf landwirtschaftlichen Flächen im Landeseigentum ab.

Ein Anbau soll nach dem Willen der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen unter Berücksichti

gung der gesetzlichen Auflagen und unter Wahrung von Wahlfreiheit und Koexistenz grundsätzlich möglich sein.

Zweitens. Sie fordern: Keine Unterstützung von Forschungsvorhaben und Projekten zum Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen. – Mir ist bewusst – das ist auch deutlich geworden –, dass die Gentechnik in der Öffentlichkeit unterschiedlich bewertet wird. Wir werden die Chancen und Risiken gründlich ausloten. Daher brauchen wir eine solide Forschung, die Antworten auf die Fragen und Ängste der Bevölkerung findet.

(Beifall von Holger Ellerbrock [FDP])

Vielen Dank, Herr Kollege Ellerbrock. – Gemäß unserer Koalitionsvereinbarung sollen im Interesse der Landwirte sowie der Verbraucherinnen und Verbraucher die verantwortbaren Potenziale der grünen Gentechnik weiterentwickelt und für die Nutzung auch zugelassen werden.

Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen verfügt über exzellente Grundlagenforschung in Bio- und Gentechnologie. Daher bekräftigt die Landesregierung ihren Willen, die Forschung auf diesem Gebiet zu unterstützen, um die Innovationsfähigkeit des Landes auszubauen.

Drittens. Sie fordern eine Verstärkung der Kontrollen auf Verunreinigungen mit gentechnisch verändertem Material bei Saatgut. – Sie wissen, dass die staatlichen Umweltämter, das LEJ und die Kreisordnungsbehörden die auf dem Markt vertriebenen gentechnisch veränderten Produkte inklusive Saatgut, Lebens- und Futtermitteln überwachen.