Protokoll der Sitzung vom 06.04.2006

(Beifall von der CDU)

Sie reden von der preistreibenden Wirkung endlicher Ressourcen, aber Sie blenden völlig aus, dass die abgewählte rot-grüne Bundesregierung einen explosionsartigen Anstieg von Steuern und Abgaben auf Energieprodukte zu verantworten hat.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Zurück in die Ver- gangenheit!)

Allein im Zeitraum von 1998 bis 2004 stiegen die administrierten Kosten von 2,2 auf 12,2 Millionen € oder um unverschämte 538 %. Damit, meine Damen und Herren, gehen 40 % der heutigen Strompreise auf die staatliche Kappe, sprich: auf die Kappe von Rot-Grün.

(Minister Dr. Helmut Linssen: Ja!)

Wer diese Tatsache ausblendet, der versündigt sich an dem Ziel einer nachhaltigen Energieversorgung nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch in Deutschland.

Sie lehnen einen zügigen Ausstieg aus dem subventionierten Steinkohlenbergbau unter anderem mit dem Argument ab, dass kein funktionsfähiges Anlagevermögen vernichtet werden darf. – Aber genau das fordert die Umsetzung Ihres Kernenergieausstiegsbeschlusses von der Kraftwerkswirtschaft zum Schaden der Verbraucher und der ganzen Volkswirtschaft. Wer mit derartigen Scheuklappen durch die Gegend läuft, der versündigt sich an dem Ziel einer nachhaltigen preiswerten Energieversorgung.

Meine Damen und Herren, Sie verweigern eine Diskussion über längere Laufzeiten für Atomkraftwerke, aber Sie haben immer noch nicht den Schimmer einer Ahnung, wie und womit Sie den Ausfall von 30 % der Stromerzeugung – Herr Leuchtenberg, der Stromerzeugung und nicht des Primärenergieverbrauchs –

(Marc Jan Eumann [SPD]: Haben Sie mal in die Koalitionsvereinbarung von Berlin ge- guckt?)

bzw. von 60 % des Grundlaststroms in einem Zeitraum von nur noch wenigen Jahren kompensieren können. Sie wissen es nicht. Deswegen ist es die Erbsünde des von Ihnen verteidigten Aus

stiegsbeschlusses, dass Sie ihn gefasst haben, ohne eine belastbare Alternative aufzuzeigen.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Was hat denn Frau Merkel unterschrieben in Berlin?)

Wer so leichtfertig in den bewährten Energiemix eingreift, Herr Eumann, der versündigt sich an dem Ziel einer nachhaltigen, einer preiswerten und einer umweltverträglichen Energieversorgung.

(Beifall von der CDU – Marc Jan Eumann [SPD]: Umweltverträglich?)

Wir haben heute Dank Ihrer Naivität tatsächlich die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entweder treibt der Einsatz erneuerbarer Energien die Preise auf ein international nicht mehr wettbewerbsfähiges Niveau, oder die Klimaschutzziele werden massiv verfehlt oder aber wir begeben uns in eine kaum erträgliche Abhängigkeit von ausländischen Gaslieferanten; bei einem von ihnen hat ja der ExBundeskanzler angeheuert.

(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Seit wenigen Tagen bietet nun die Kraftwerkswirtschaft – Herr Leuchtenberg, ich habe Ausführungen dazu von Ihnen vermisst – einen überraschenden Ausweg aus diesem Dilemma an. Angeblich soll es möglich sein – die SPD-geführte Landesregierung hat immer behauptet, das gäbe es nicht –, ein CO2-freies Kohlekraftwerk nicht erst nach 2020, sondern bereits bis 2014 ans Netz zu bringen. Sollte dies zutreffen, würde es mit einem Schlag die Abhängigkeit von Gasimporten drastisch reduzieren, die Erreichung der Kyotoziele befördern und die heimische Braunkohle zur zentralen Energiereserve aufwerten.

Allerdings gibt es ein paar Nebenwirkungen: Die Erneuerbare-Energienbranche müsste weitgehend sofort umdenken und sich ab sofort nur noch auf den Mobilitätssektor sowie den Wärmemarkt konzentrieren. Jetzt passen Sie gut auf: Denn ohne eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke hätte die Erneuerbare-Energienbranche kaum noch eine Eintrittschance in den Strommarkt, weil die großtechnische Anwendung erst lange nach 2020 möglich ist, während die Entscheidungen für den Ersatz von Kraftwerken deutlich vor 2020 fallen und dann aus Abschreibungsgründen für 40 Jahre das Energiesystem in Deutschland festgeschrieben ist.

(Hannelore Kraft [SPD]: Die Entscheidung ist doch schon gefallen! Wir haben ein Kraft- werkserneuerungsprogramm!)

Ich bin ziemlich sicher, dass eine frühe Entscheidung für CO2-freie Kohlekraftwerke massive Auswirkungen auf die künftige Stromnetzstruktur hätte. Die könnte dann noch für lange Zeit kraftwerksorientiert bleiben und brauchte nicht mit zweistelligen Milliardenbeträgen auf die dezentrale Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energieträgern umgerüstet zu werden. Der Aufwand der Netzumrüstung für eine dezentrale Stromerzeugungsstruktur, so hat es mir neulich ein Experte erklärt, sei durchaus mit dem Versuch vergleichbar, als wolle man aufgrund des demographischen Wandels eine ganze Großstadt im Raum parallel verschieben.

Sie sehen also: Wir stehen vor einem ganzen Sack schwierigster, ungelöster Probleme, die wir ganz bestimmt nicht mit Denkverboten à la SPD oder à la Gabriel in den Griff bekommen.

(Svenja Schulze [SPD]: Das sind doch keine Denkverbote!)

Wenn sich der abgewählte Ministerpräsident von Niedersachsen politisch erneut profilieren will, wird ihm das bestimmt nicht dadurch gelingen, dass er seinen allseits beliebten Amtsvorgänger Trittin an Sturheit noch übertrifft.

Ihre Energiepolitik und Ihre Vorstellungen vom Energiegipfel, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, haben viel mit Ihrer verfehlten Strukturpolitik in Nordrhein-Westfalen gemeinsam.

(Beifall von der FDP)

Sie klammern sich an das Gestern und verpassen damit die Zukunft.

Wir haben auf unserem Landesparteitag 2004 durchaus die richtige Weichenstellung getroffen und entsprechende Beschlüsse gefasst. Für uns bleibt Kernenergie als Option für die Zukunft aus ökonomischen und ökologischen Gründen unverzichtbar. Vorrangig ist die Frage der sicheren Endlagerung zu lösen. Aber kerntechnische Kompetenz und kerntechnisches Sicherheitsknowhow müssen in Deutschland bewahrt bleiben. Wir wollen nicht, dass eine ganz Technologiegeneration und mit ihr eine ganze Generation von Technikern aus Deutschland vertrieben wird.

(Beifall von der FDP)

Wir brauchen Energieforschung, die keine Option ausklammert. Denn Energieforschung ist das strategische Element einer zukunftsorientierten und nachhaltigen Energieversorgung, die den angestrebten Effizienz- und Klimaschutzzielen genügt. Clean-Coal-Technoloige, regenerative Energiequellen – wie Solar-Brennstoffzellen – und Was

serstofftechnik, die Fusionsforschung und inhärent sichere Kernkraftwerke sind aus unserer Sicht die entscheidenden Stichworte. Es geht um Energietransportmedien und neue leistungsfähige Energiespeichertechnologien.

Herr Priggen, Sie haben gestern Flüssiggas erwähnt. Das alles gehört in unser Spektrum hinein, das erforscht und in das investiert werden soll, weil wir dort Verbesserungen brauchen.

Meine Damen und Herren, auf diesen Feldern entscheidet sich die Zukunft des Energielandes Nordrhein-Westfalen. Erfolge hier haben Auswirkungen auf Beschäftigung, wirtschaftliche Entwicklung, Wettbewerbsfähigkeit und damit auf den Wohlstand unseres Landes.

Deshalb bin ich froh, dass der Energiegipfel ganz anders verlaufen ist, als Sie sich das vorgestellt haben, Herr Leuchtenberg. Es hat sich nämlich gezeigt, dass die Perspektiven der Energiepolitik nicht auf das kleine Karo einer Koalitionsvereinbarung verengt werden können.

(Lachen von der SPD – Widerspruch von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Die Laufzeitoption der Kernkraftwerke wird weiter geprüft. Entscheidungen über die energiepolitische Grundausrichtung, und zwar nicht bis 2009, sondern bis 2020, fallen erst im Jahre 2007, nachdem drei Arbeitsgruppen die Gesichtspunkte der Effizienz sowie der nationalen und internationalen Implikationen energiepolitischer Weichenstellungen in Deutschland geprüft haben.

Herr Weisbrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Danke, ich bin sofort fertig.

Sie sind fertig.

Wenn Sie in diesem Konzept mit uns übereinstimmen, habe ich nichts dagegen: Machen Sie mit! Aber Ihren heutigen Antrag können Sie getrost dem Papierkorb anvertrauen. – Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Weisbrich. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Herr Priggen das Wort. Bitte sehr.

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Das war jetzt das gespaltene kleine Karo!)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es war ein Stück weit ein Erlebnis, wie eine große Koalition in Berlin von Sozialdemokraten und CDU hier über das gleiche Thema redet, zu meinem Bedauern – ich wiederhole es – ohne die fachlich dafür zuständige Ministerin. Ich finde das schade.

(Beifall von den GRÜNEN)

Denn es geht um den Diskurs mit der Ministerin, die an dem Energiegipfel teilgenommen hat. Man kann zwar in einem Parlament die Mehrheit haben, sollte die Arroganz aber nicht so weit treiben, dass man den anderen – selbst wenn man für eine Entscheidung eine Mehrheit hat – nicht einmal mehr eine qualifizierte Debatte über ein Thema gönnt.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

In der Vergangenheit haben Sie das immer kritisiert. Ich finde, dass man das so nicht machen kann. Die Tagesordnung wird doch abgesprochen. Es gibt großen Konsens, dass man, falls jemand einen Termin bei einer Bund-LänderKommission oder etwas Ähnlichem hat, flexibel ist, aber dann muss man bei Debatten wie dieser auch hier sein. Das gebietet auch die Fairness gegenüber den anderen, sitzt man doch hier nicht nur als Staffage. – Das als Vorbemerkung.

(Ministerin Christa Thoben betritt den Ple- narsaal. – Minister Dr. Helmut Linssen: Sie ist da!)

Herzlich willkommen, Frau Thoben. – Das, was wir an Debatte gehabt haben, würde ich gerne – anders als der Kollege Weisbrich – in Parameter einordnen, die für uns wirksam werden, die die Energiepolitik bestimmen und die wir zum Teil nicht beeinflussen können.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Hier die wichtigsten Parameter: Es kommt niemand mehr daran vorbei – egal, ob wir in zehn oder 20 Jahren das Maximum der Ölförderung erreicht haben –, dass die fossilen Energiestoffe in diesem Jahrhundert zu Ende gehen. Unter Umständen wird es zu einer dramatischen Knappheit mit weitreichenden Folgen für alle Bereiche kommen.