Protokoll der Sitzung vom 06.04.2006

(Beifall von Christian Weisbrich [CDU] und Dietmar Brockes [FDP])

Meine Damen und Herren, wir wollen auch die modernste Kraftwerkstechnik hier im Land haben. Aber hier wird debattiert – das steht auch in dem Antrag –, man würde den Modernisierungsbedarf oder die Investitionsabsichten hier im Lande dann gefährden, wenn man noch einmal vernünftig überlegt, ob es tatsächlich beim Ausstieg aus der Kernenergie bleiben soll. Aber wer aus etwas aussteigt, der muss doch wenigstens beschreiben, wo er einsteigen will und welche Konsequenzen das für den Umweltschutz und die Preise hat. Diese Frage kann ich doch nicht verdrängen, wenn es um 30 % der Stromerzeugung geht. Dann hier so zu tun, als ob die geplanten Investitionen für neue Kraftwerke im Land von der Frage abhängen, ob in anderen Bundesländern Kernkraftwerke abgeschaltet werden, ist doch falsch. Das kann man zwar immer wieder aufschreiben, aber es wird deshalb nicht richtiger.

Ich rufe der SPD an dieser Stelle noch einmal zu: Bitte nehmen Sie, wenn Sie schon mit uns nicht darüber reden können, wenigstens Kontakt zu Herrn Clement und Helmut Schmidt auf. Vielleicht hilft das bei der Wahrheitsfindung.

(Beifall von der CDU – Zuruf von der SPD: Oh, oh!)

Die globale Entwicklung zeigt wenigstens, dass viele Länder sich völlig anders entschieden haben als wir und dass nicht geringe Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen, zum Beispiel im Turbinenbau, im Moment davon leben, dass es ihnen zumindest noch nicht verboten wurde, bei geplanten Kernkraftwerken im Ausland zuzuliefern. Soweit wir dazu beitragen können, wird das auch nicht passieren.

Meine Damen und Herren, für ein möglichst hohes Maß an Versorgungssicherheit in Deutschland brauchen wir den Energiemix; dazu werde ich Ihre Zustimmung haben. Aber wir müssen auch noch einen Punkt bedenken, der mir immer viel zu kurz kommt. Ich habe eingangs gesagt: Energiepolitik ist Industriepolitik. Das gilt in einem Land, das so viele stromintensive Branchen und

damit Arbeitsplätze hat wie Nordrhein-Westfalen, ganz besonders.

Mir hat auf dem Energiegipfel sehr gut gefallen, dass gerade ein Vertreter, der nachhaltige Energieversorgung propagiert und in einem solchen Gremium an führender Stelle sitzt, gesagt hat, ihm sei sehr wohl bewusst, dass es eine Gratwanderung sei, die wirtschaftlichen Wirkungen steigender Energiepreise, die auch zu sparsamem Umgang oder zur Rentabilität von Technologien führen können, die sich bisher nicht gerechnet haben – Stichwort wie heute Morgen: Teile von Wärmepumpen –, abzuwägen mit den Wirkungen, die das auf der anderen Seite bei Arbeitsplätzen hat, die prozessbedingt nur mit sehr, sehr viel Energie hier am Standort gehalten werden können.

Den Weg müssen wir auch noch einmal anhand von Instrumenten diskutieren, die wir haben, um Preiswirkungen zu dämpfen, zu erhöhen oder den Wettbewerb zu verstärken. Da bin ich sehr bei Ihnen. Aber auch das war Gegenstand des Gipfels. Dort ging es sehr wohl zum Beispiel um die Frage: Sind denn die Kuppelstellen, also die Investitionen beim Übergang zwischen den einzelnen Ländern, so organisiert, dass man auch international frei wählen kann, wenn man denn ein preiswerteres Angebot in Aussicht hat?

Sie finden uns immer an Ihrer Seite, wenn es darum geht, diese Instrumente, den Wettbewerb im Netz, den Ausbau des Netzes über die Grenze, voranzutreiben und zusätzliche Anbieter hier im Land sesshaft werden zu lassen. Wir brauchen uns gegenseitig nichts vorzumachen: Im oligopolistischen Markt ist die Frage des Wettbewerbs sehr begrenzt wirksam; insofern brauchen wir keine Glaubensbekenntnisse. Da haben Sie uns an Ihrer Seite.

Wir werden uns als Landesregierung auf jeden Fall in die weitere Debatte in den Facharbeitsgruppen einbringen. Übrigens bestehen die aus all den Aspekten, Herr Priggen, die Sie anmahnen. Das ist alles fest verabredet. Aber man kann nicht in einem Aufschlag in einem Prozess, für den man sich aus guten Gründen ungefähr ein Jahr, wenn nicht etwas länger vornimmt, bereits alle Antworten anmahnen, die dann nach drei Stunden nicht gegeben sind.

Seien Sie versichert: Wir werden zwischendurch selbstverständlich auch immer wieder den Landtag und den Ausschuss informieren. NordrheinWestfalen wird seine Interessen in einem Energiemix wahrnehmen. Wir werden ohne Scheuklappen alles abwägen und uns auch nicht verbieten lassen, neu und anders zu denken.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Frau Ministerin Thoben. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe noch eine Wortmeldung vorliegen. Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Stinka das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich Ihnen zu Beginn eine Frage stellen: Wissen Sie noch, was Sie vor 20 Jahren zu diesem Zeitpunkt gemacht haben? – Ich vermute, nein. Um ehrlich zu sein: Ich kann es mir auch nicht mehr so richtig vorstellen. 20 Jahre sind eine lange Zeit, um sich an Einzelheiten aus dem Alltag zu erinnern.

Für einige von Ihnen sind 20 Jahre aber auch so lange, dass sie ein Ereignis verdrängen – besonders Herr Weisbrich hat heute Morgen deutlich diesen Verdrängungswettbewerb eröffnet –, das uns damals unvermittelt und mit roher Gewalt aus dem trügerischen Alltag gerissen hat.

Am 26. April 1986 kam es in Tschernobyl zum GAU, dem größten anzunehmenden Unfall in einem Atomkraftwerk. Die Illusion von billiger, sicherer Energie war damit gestorben. Das hat sich leider nicht bis in die CDU- und die FDP-Fraktion im NRW-Landtag herumgesprochen. Aber diese Illusion gibt es nicht mehr, meine Damen und Herren.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

20 Jahre sind eine lange Zeit, und Tschernobyl ist weit weg. Trotzdem hat sich diese Erkenntnis auch hier in Deutschland kollektiv ins Gedächtnis der Bevölkerung getragen. Viele Menschen haben Angst davor. Das ist kein Denkverbot, Herr Weisbrich, sondern das die Basis der Bevölkerung. Diese Sorgen sollten sehr ernst genommen werden.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Diese Angst ist jedoch offenbar nicht bei allen schwer genug aufgekommen. Es ist wichtig, dass man dann noch einmal auf Herrn Rüttgers blickt, der vor ein paar Tagen einige ganz beeindruckende Beispiele brachte, wie schnell man Dinge vergessen kann, nämlich zum einen Aussagen zum Atomausstieg und zum anderen die Aussage, dass am Ausstieg nicht gerüttelt wird. Er hat den Irrweg in der „WAZ“ erwähnt.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Michael Vesper)

Herr Rüttgers scheint seine bevorzugte Strecke jedoch vor allem im Irrweg zu suchen. Das Ziel, das Land Nordrhein-Westfalen ordentlich und zu seinem Nutzen zu regieren, hat er nach unserer Auffassung aus seinem Augenmerk verloren.

NRW ist Energieland Nummer eins, Herr Weisbrich – ohne Kernkraftwerk. Darauf sind wir stolz. Das ist auch eine große Basis der Menschen hier in Nordrhein-Westfalen gewesen. Hier läuft kein Kernkraftwerk, Frau Thoben.

(Beifall von der SPD)

Nach unserer Meinung hat Bundesumweltminister Gabriel Recht, wenn er Atomenergie mit einer Droge vergleicht. Atomenergiefans klingen wirklich oft wie Süchtige: „Noch ein bisschen mehr“, „Lass uns noch ein bisschen davon nehmen“ und „So schlimm ist das alles nicht“. – Das ist Augenwischerei; denn die Frage der Endlagerung ist nicht gelöst, meine Damen und Herren. Sie haben vorhin von Wegen gesprochen. Das ist, als ob man in ein Flugzeug einsteigt, aber nicht weiß, wo die Landebahn liegt. So etwas kann man den Kindern nicht zumuten; das ist nicht nachhaltig. Diese Augenwischerei ist Selbstbetrug. Der Entzug von Atomenergie ist die bessere Alternative – und auch die billigere, meine Damen und Herren.

Wir müssen jetzt deutliche und klare Aussagen machen, wohin wir im Bereich der Energiepolitik wollen: Ja zum Atomausstieg, Ja zur stärkeren Unabhängigkeit von Einfuhren und nicht zuletzt Ja zum Klimaschutz. Dieses Wort kommt sehr selten vor, wenn die Regierungsfraktionen hier sprechen. All das ist vereinbar. Wer das Gegenteil behauptet, verspielt die globale Zukunft, meine Damen und Herren, und nicht nur die Zukunft zwischen Emsdetten und Aachen.

(Dietmar Brockes [FDP]: Wie sieht denn Ihre Lösung aus?)

Nordrhein-Westfalen und Deutschland haben viel Energie. Wir müssen diese Energie nutzen. Wir sollten von Lippenbekenntnissen Abkehr halten und auch im Haushalt deutlich machen, dass uns Energieeffizienz und Energiesparen wichtig sind.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen zu einer innovativen Energiepolitik, die den Menschen nichts vormacht und den Begriff Nachhaltigkeit mit Leben erfüllt, anstatt auf dem Rücken der Kinder Abfallberge in Ahaus zu lagern.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag. – Danke sehr.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Herr Papke, wünschen Sie noch das Wort?

(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Ja, bitte!)

Dann haben zunächst Sie das Wort und anschließend Frau Thoben.

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich will nur noch zwei kurze Bemerkungen machen.

Erstens. Die Ergebnisse des sogenannten Energiegipfels sind – das hat die Debatte auch herausgearbeitet – aus Sicht des Landes NordrheinWestfalen enttäuschend. Das müssen wir klar feststellen.

(Beifall von der FDP)

Der Berg kreißte, und heraus kam noch nicht einmal eine Maus.

Zweitens zu den Ausführungen des Kollegen Priggen, der darauf abstellte, wo denn die Initiative der Landesregierung für mehr Wettbewerb bleibe: Herr Kollege Priggen, es ist schon bemerkenswert, dass die Grünen allen Ernstes versuchen, sich hier als Wettbewerbshüter aufzuspielen. Das ist so, als ob man einen Mops auffordert, auf eine Bratwurst aufzupassen.

(Allgemeine Heiterkeit)

Sie haben doch gerade hier in der nordrheinwestfälischen Energiepolitik über Jahre und Jahrzehnte unter Beweis gestellt, dass die Frage der wettbewerbsfähigen Energie gerade für das Industrieland Nordrhein-Westfalen Sie überhaupt nicht interessiert.

(Beifall von der FDP)

Ich darf Sie …

Herr Abgeordneter Papke, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Priggen?

Sobald ich den Satz zu Ende gebracht habe, sehr gerne.

Ich darf Sie an Ihr Engagement gegen den Braunkohletagebau erinnern, während wir – und zwar in einem partei- und fraktionsübergreifenden Konsens ohne die Grünen – hier immer gesagt haben,

dass die Braunkohle als subventionsfrei verfügbarer Energieträger in Nordrhein-Westfalen für unseren Energieträgermix unverzichtbar ist. Ich könnte Ihnen jetzt noch eine Reihe von anderen Beispielen nennen, wie Sie Wettbewerb im Energiebereich massiv bekämpft haben. Versuchen Sie also bitte nicht, sich hier als Kraft für mehr Wettbewerb in der Energiepolitik aufzuspielen. – Jetzt freue ich mich auf Ihre Frage.

Ja, da war ein Punkt. – Herr Priggen, bitte schön.