Es ist die klare Haltung dieser Landesregierung, dass wir eine Mehrwertsteuererhöhung isoliert zum Stopfen von Haushaltslöchern überhaupt nicht wollen und ablehnen. Das sage ich ganz klar und deutlich.
Sie versuchen uns eine isolierte Mehrwertsteuerdiskussion aufs Auge zu drücken. So konnte ich Sie auch verstehen, Frau Kraft. Das ist auch nahe liegend. Stellen Sie sich einmal vor, die Debatte hätte erst nächste Woche stattgefunden, nachdem wir das Konzept vorgelegt haben. Dann hätten Sie überhaupt kein Spielmaterial gehabt. Das wäre ja furchtbar gewesen.
Frau Kraft, nun komme ich zu Ihren Vokabeln wie: „Da findet Verteilung von unten nach oben statt“, und zu Ihrem lauten Klagelied über das Schicksal der kleinen Leute. Nun stellen Sie sich doch das alles einmal am Beispiel der Ökosteuer illustriert vor. Wenn Sie im Energiesektor 1998 2,3 Milliarden an Steuern und Abgaben hatten und heute 12,3 Milliarden, kann ich nur fragen: Wer hat denn wohl die 10 Milliarden bezahlt? - Also schenken wir uns das lieber und widmen uns ganz einfach der Tatsache, vor welchen Fragen wir heute stehen.
Wir stehen vor der Frage, wie wir Wirtschaft beleben. Sie teilen vermutlich alle den Satz: „Sozial ist, was Arbeit schafft.“ Ist es nicht auch richtig, zum Zwecke der Senkung der Lohnnebenkosten die Vorteile dieses Instruments abzuwägen gegenüber den Nachteilen, die eine Mehrwertsteuererhöhung selbstverständlich hat? Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Die Erfahrung zeigt, dass, wenn man 1 % drauflegt, 0,5 % durchschlagen auf die Preise, wenn Unternehmer in der Lage sind, diese Preiserhöhungen durchzuziehen. Das ist in einer so schwierigen konjunkturellen Situation wie heute sicherlich schwer möglich, aber trotzdem muss man damit rechnen.
Die Wirkungen einer Senkung der Lohnnebenkosten sind vor allen Dingen in einem Papier exzellent beschrieben worden, das der Chef des Bundeskanzleramtes Steinmeyer im Dezember 2002 vorgelegt hat. Sie erinnern sich an dieses „Nonpaper“, das durch die Welt geisterte und das Vorbereitung auf die Agenda 2010 war?
Ich habe mir das noch einmal herausgesucht. Da schreiben Ihre Leute: „Faustformel: 1 Prozentpunkt mehr Sozialversicherungsbeiträge - kostet im ersten Jahr rund 20.000 und im dritten Jahr schon rund 100.000 Arbeitsplätze.“ Bei einer Senkung verläuft das natürlich spiegelbildlich anders.
Dann schreibt Herr Steinmeyer in diesem Papier, das sich der Kanzler ja dann zu Eigen gemacht hat oder auch nicht zu Eigen gemacht hat - je nachdem, wie die Lage gerade war -:
Deswegen und vor dem Hintergrund des demographischen Wandels (immer weniger Junge müssen in Zukunft immer mehr Alte unterstüt- zen) ist eine der Kernstrategien der Bundesregierung die auf eine Absenkung der Lohnnebenkosten abzielende Modernisierung der sozialen Sicherungssysteme.
Genau das steht heute an. Wir müssen versuchen, die Lohnnebenkosten zu senken, damit wir zu einer Belebung der Wirtschaft kommen. Finanzpolitik hat immer etwas mit Wirtschaftspolitik zu tun. Deshalb kann man das nur im Zusammenhang sehen. Deshalb ist es richtig, wenn vor allen Dingen unter den großen Volksparteien sehr intensiv darüber gestritten, diskutiert und abgewogen wird, ob die Vorteile gegenüber den Nachteilen überwiegen. Da werden Sie sicherlich Anfang der nächsten Woche ein geschlossenes Konzept erleben.
Meine Damen und Herren, es hat keinen Zweck, isoliert diese Steuerdiskussion zu führen. Es hat auch keinen Zweck, isoliert über eine Reichen- und Millionärssteuer zu diskutieren, vor allen Dingen nicht, wenn man vorher - das sage ich jetzt in Richtung SPD - den Spitzensteuersatz von 48 % auf 42 % gesenkt hat und dann auf einmal auf die Idee kommt, in Anbetracht eines Wahlkampfes jetzt wieder 3 % drauf zu tun.
Darum geht es, glaube ich, heute. Es geht darum, dass die Menschen wissen: Das ist eine verlässliche Linie. Auf die können wir uns verlassen. Es sind insgesamt - und nicht nur wieder isoliert eine Lohnnebenkostensenkung - transparente Steuer- und bessere Sozialsysteme.
Ich meine, dass wir nur dann wieder Vertrauen bekommen werden, die Konjunktur wieder laufen wird und damit auch die Einnahmeseite des Staates gestärkt wird. Darauf haben Sie früher immer großen Wert gelegt. Sie haben hier immer vorgetragen: Wir haben kein Ausgabenproblem, sondern wir haben ein Einnahmeproblem.
Wir haben beides, sage ich Ihnen. Es kommt sehr darauf an, dass wir ein geschlossenes Konzept vorstellen, damit Menschen wieder die Ärmel aufkrempeln, mitmachen und die Konjunktur wieder flott wird.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich halte drei Punkte deutlich fest:
Zweitens. Es gibt erkennbar einen deutlichen Dissens zwischen den Aussagen des neuen Ministerpräsidenten und seines neuen Finanzministers;
denn Herr Dr. Rüttgers hat - wir können es nachlesen; ich darf es aus der „Rheinischen Post“ vom 24. Juni 2005 zitieren, Frau Präsidentin - eine klare Position. Sie lautet:
„Ich halte überhaupt nichts von einer Debatte über höhere Steuern. Und ich halte erst recht nichts davon, diese Steuer dann gleich dreimal auszugeben: für die Rente, für die Gesundheit, fürs Sozialsystem.“
Meine Damen und Herren, das ist der Widerspruch zu Dr. Linssen, der gerade klar angedeutet hat, man könne sich ja vorstellen, unter Umständen die Lohnnebenkosten abzusenken. Es ist hier an dieser Stelle also ganz deutlich und klar, dass Dr. Rüttgers eine Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht will, während der Finanzminister sagt, man könne sich das zur Finanzierung der Lohnnebenkosten vorstellen. Ich finde, das muss in diesem Land deutlich werden. Die Bevölkerung hat einen Anspruch darauf, das zu hören.
Es gibt aber noch einen anderen Punkt, den ich hier sehr gerne aufgreifen möchte. Offensichtlich gibt es in der neuen Landesregierung nämlich eine Illusion - ich halte Ihnen das durchaus zugute; denn Sie sind ja erst wenige Tage im neuen Amt -, die damit zu tun hat, was eine mögliche Mehrwertsteuererhöhung denn für dieses Land bedeuten würde. Aus NRW-Sicht ist das ein echtes Problem, weil es - abgesehen von der konjunkturellen Situation in unserem Land - in NRW eine ganz besondere Situation gibt.
Sie wissen ja, dass die Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern aufgeteilt wird. Innerhalb der Länder gibt es den Finanzausgleich nach Finanzkraftstärke. Ich gehe davon aus, dass sich das auch in der neuen Landesregierung bald herumspricht. Nordrhein-Westfalen ist nach wie vor finanzstark, was dazu führt, dass unser Land aus einer möglichen Mehrwertsteuererhöhung nur ei
nen Bruchteil selbst behalten wird und der größte Anteil an die finanzschwachen Länder abzuführen ist. Das muss man wissen, wenn man hier Milliarden für den NRW-Landeshaushalt verplant. Einen echten Nutzen einer Mehrwertsteuererhöhung hätte Nordrhein-Westfalen erst dann, wenn wir wieder finanzschwach wären.
Ich würde es mir allerdings nicht wünschen - einfach aus Sympathie zu diesem Land und als gewählte Abgeordnete.
Meine Damen und Herren, ganz abgesehen davon, dass die SPD-Fraktion eine klare Position hat, was die Mehrwertsteuer betrifft, ist das Ganze im Moment ein untaugliches Argument, weil die konjunkturelle Belastung deutlich stärker wäre als der Nutzen, den wir aus einer Mehrwertsteuererhöhung hätten. Wenn Sie die Kosten für die sozialen Sicherungssysteme abfedern wollen, müssen Sie eine klare Haushaltspolitik betreiben, die sagt, wie Sie das machen wollen.
Außerdem müssen Sie schauen - und das ist das Thema hier in NRW -, wie Sie Ihre Wahlversprechen finanzieren. Wenn Sie glauben, mit einer Mehrwertsteuererhöhung und der daraus resultierenden Auswirkung auf den Landeshaushalt die Wahlversprechen finanzieren zu können, dann irren Sie, glaube ich. Dann werden Sie in den nächsten Wochen und Monaten hier noch manches Desaster erleben, und manche Deckungslücke wird sich auftun. Dann bin ich gerne bereit, auch wieder an dieser Stelle zu diskutieren und Ihnen das klar zu machen.
Wenn Sie in die Zahlen schauen, sehen Sie auch sehr deutlich, dass der Mai - der Finanzminister hat es leider verschwiegen; fragen Sie Ihren Finanzminister doch einmal - zum ersten Mal deutlich höhere Steuereinnahmen gebracht hat. Wir haben zum ersten Mal deutlich weniger Firmeninsolvenzen. Das ist ein Indiz dafür, dass die Wirtschaft auch in NRW langsam anspringt. Und ge
nau aus diesem Grund ist es zurzeit völlig falsch, die Mehrwertsteuer zu erhöhen oder sich auf eine solche Debatte einzulassen.
Lassen Sie mich abschließend jemanden fachlich zitieren, der außer Verdacht steht, meiner Partei zugetan zu sein, nämlich den Präsidenten des Instituts für Wirtschaftsförderung Halle, den Wirtschaftsforscher Professor Ulrich Blum. Er warnt davor - das richte ich gerne noch einmal an die Adresse von Herrn Dr. Linssen -, die Lohnnebenkosten mit den Einnahmen aus einer erhöhten Mehrwertsteuer drastisch abzusenken, und sagt, damit setze man Länder wie beispielsweise Italien und Spanien massiv unter Druck. Wenn die realwirtschaftlichen Spannungen zu groß würden, könnte das eines Tages die Währungsunion sprengen. Zudem könne der Einzelhandel zurzeit eine Mehrwertsteuererhöhung nicht an die Konsumenten weitergeben.
Diese Argumente machen meines Erachtens deutlich, wie wichtig in diesem Lande zurzeit eine Ablehnung der Mehrwertsteuererhöhung ist; denn wir wissen, was Handelsbetriebe wie Karstadt, Quelle, Metro oder Aldi dann mit entsprechend weniger Gewinnsteuern wiederum an staatlichen Auswirkungen produzieren.
Meine Damen und Herren, abschließend noch ein Hinweis - auch in Richtung CDU; die Arbeitnehmer in ihren Reihen haben sich ja nun auch deutlich geäußert, übrigens auch zum Thema „ermäßigter Mehrwertsteuersatz“ -: Der neue Minister hier im Kabinett, Herr Laumann, hat im „Handelsblatt“ deutlich gesagt:
Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 7 % ist Gift für unsere Wirtschaft. Ich rate davon ab, einen solchen Mehrwertsteuersatz anzuheben.
Meine Damen und Herren, daran sehen Sie: Es gibt eine Reihe von Fachleuten - auch in der Opposition bzw. heute in der Regierung -, die hoffentlich mit uns gemeinsam diese Position beschließen werden. Wir stehen für eine klare Ablehnung der Mehrwertsteuererhöhung. Wir sagen: Das wird es mit uns nicht geben. - Herzlichen Dank.