Protokoll der Sitzung vom 06.07.2005

(Beifall von der CDU - Hannelore Kraft [SPD]: Im Ruhrgebiet redet man ehrlich!)

Sie können davon ausgehen, dass wir den Ausbildungskonsens in Nordrhein-Westfalen fortführen und erneuern werden. Sie können davon ausgehen, dass diese Landesregierung - es gibt dazu auch einen zentralen Punkt in der Koalitionsvereinbarung - alles tun wird, damit die jungen Menschen eine gute Ausbildung erhalten. Denn darüber sind wir uns hier im Plenum wohl einig: Eine

gute Ausbildung ist und bleibt die beste Voraussetzung für ein selbstbestimmtes und zufriedenes Leben.

Wenn wir einmal genau hinschauen, glaube ich, dass wir in der Frage, wie wir dies erreichen, unter den Fraktionen in diesem Hause die wenigsten Unterschiede haben - am Ende wird man mit unterschiedlichen Programmen sehr pragmatisch handeln müssen -, die Probleme zu lösen. Denn wir wissen alle: Es gibt nichts Schlimmeres als ein Schüler, der jetzt im Sommer aus der Schule entlassen wird und dessen erste Erfahrung mit der Arbeitswelt und mit unserer Gesellschaft die ist: Ich werde eigentlich nicht gebraucht.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Sie halten doch den Deckel drauf!)

Dabei sage ich Ihnen: Für die Situation, die wir zurzeit haben, ist nicht der verantwortlich, der seit einer Woche im Amt ist, sondern diejenigen, die hier 39 Jahre die Verantwortung hatten. - Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Laumann. - Das Wort hat für die SPDFraktion Herr Sören Link.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich eines vorweg feststellen: Von der Problematik des Antrags haben Sie offensichtlich keine Ahnung. Deswegen sagen Sie dazu nichts, sondern winden sich herum. Das gilt für die Vertreter der Regierung, für die Vertreter der Koalition und leider auch für den Vertreter der Grünen. Das ist bedauerlich, weil das an den Interessen der Jugendlichen vorbeigeht, die Besseres bei diesem Thema verdient hätten.

(Beifall von der SPD - Rudolf Henke [CDU]: Das ist schlechter Stil!)

- Es kommt noch besser. - Politik trägt Verantwortung für die Menschen in einem Land. Und so tragen auch wir als Parlamentarier in diesem Hause die Verantwortung für das Wohl der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen. Unsere Verantwortung ist umso größer, wenn es um die Jugendlichen dieses Landes geht, um die Jugendlichen, die die nächste Generation darstellen, und ihre ganz persönlichen Zukunftsperspektiven.

Wir als Parlamentarier sind gehalten, alles in unserer Kraft Stehende zu tun, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass junge Menschen in diesem Land eine bestmögliche schulische, a

ber auch berufliche Ausbildung erhalten. Denn nur mit einem soliden Fundament lässt sich ein gutes Haus bauen. Ebenso ist eine solide Ausbildung der Garant für einen erfolgreichen Start ins Berufsleben.

Doch was tut die neue Landesregierung, meine Damen und Herren? - Sie spielt mit der Zukunft vieler junger Menschen, insbesondere im Ruhrgebiet, und setzt gleich zu Beginn viele hundert Ausbildungsplätze leichtfertig aufs Spiel. Und nicht wir hier an diesem heutigen Tag verunsichern die Beschäftigten und die Auszubildenden im Steinkohlenbergbau, nicht wir verbreiten Angst und Schrecken, sondern Sie mit Ihrer Politik.

(Beifall von der SPD)

Ich spreche heute von den Ausbildungsplätzen, die die Deutsche Steinkohle AG Jahr für Jahr in NRW zur Verfügung stellt. Im laufenden Jahr werden es 2.700 sein.

Diese Landesregierung ist mit dem Anspruch angetreten, neue Akzente zu setzen. Doch ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wie sehen diese neuen Akzente insbesondere in der Energiepolitik denn aus? - Ich will gar nicht auf die gravierenden Konsequenzen Ihrer Politik eines Auslaufbergbaus für die Bergbauspezialtechnik, die Zulieferindustrie und den lokalen Einzelhandel eingehen, wo auch Arbeits- und Ausbildungsplätze in nicht unerheblichem Maße betroffen sind.

Ich mache es einmal konkret: Ich bin Abgeordneter aus Duisburg-Walsum im Duisburger Norden. Allein 32 junge Mitarbeiter der Steag werden derzeit am Bergwerk Walsum ausgebildet. Auch diese Ausbildungsplätze sind durch Ihre Politik in Gefahr.

Ich will stattdessen hier und heute auf die große Verunsicherung vieler junger Auszubildender auf dem Bergwerk am Standort Duisburg-Walsum zu sprechen kommen. Hier werden in diesem Jahr über 500 Jugendliche in verschiedensten Berufen ausgebildet. Es wurde schon mehrfach erwähnt: Das Bergwerk bildet nicht in erster Linie den klassischen Bergmann aus, sondern in zukunftsfähigen Ausbildungsberufen, die auch in anderen Industriezweigen rege nachgefragt werden. In Walsum werden über 500 Jugendliche - das heißt: ein Fünftel der gesamten Ausbildungskapazität der DSK - ausgebildet. Damit bildet das Bergwerk seit Jahren über den eigenen Bedarf hinaus aus und kommt seiner gesellschaftspolitischen Verantwortung in vorbildlicher Weise nach.

Ich weiß nicht, ob Sie sich, meine Damen und Herren von der Landesregierung, überhaupt über

Folgendes im Klaren sind: Auf der Zeche Walsum werden eben, wie gesagt, nicht in erster Linie Bergleute ausgebildet, die man möglicherweise als Begründung für Ihr Handeln anführen könnte, sondern hauptsächlich junge Leute in Berufsbildern, die auch in der Industrie im Umfeld rege nachgefragt werden. Dadurch haben diese jungen Menschen Chancen auf sichere Arbeitsplätze.

(Beifall von der SPD)

Mit dieser Ausbildung bildet die DSK nicht in die Vergangenheit aus, sondern in die real greifbare Zukunft junger Menschen. Das ist mit Ihrer Politik in Gefahr.

Was soll mit den jungen Menschen in den nächsten Monaten geschehen, die gerade erst ihre Ausbildung in Walsum begonnen haben und nicht wissen, ob sie diese Ausbildung in Walsum beenden werden? - Nach den Zechenschließungen der letzten Jahre lassen sich die Ausbildungsplätze eben nicht mehr wahllos durch das Ruhrgebiet verschieben - ganz abgesehen davon, dass an keinem der umliegenden Bergwerke auch nur annähernd die erforderliche Ausbildungskapazität vorhanden wäre.

Wir diskutieren hier nicht über anonyme Zahlen, sondern reden von jungen Menschen und konkreten Einzelschicksalen. Ich freue mich, dass ein paar von den jungen Menschen aus Walsum heute hier auf der Tribüne sitzen und mit Sicherheit interessiert zuhören, was Sie so von sich geben. Sie werden bestimmt darüber nachdenken und es auch behalten.

(Beifall von der SPD)

Und was sagen Sie den Jugendlichen, die in der Region Duisburg im nächsten Ausbildungsjahr eine freie Stelle suchen? - Schauen Sie sich einmal den Ausbildungsmarkt in Duisburg an. Derzeit kommen auf 2.000 freie Stellen, die noch zur Verfügung stehen, über 4.000 Bewerber. Allein auf der Zeche Walsum ist das Verhältnis von angebotenen Ausbildungsplätzen zur Bewerberzahl 1:11.

Und was soll mit den durchschnittlich 6 % schwer behinderten Auszubildenden geschehen, die in Duisburg-Walsum auf dem Bergwerk eine Stelle bekommen haben? - Wenn Sie sich den Ausbildungsstellenmarkt für diese benachteiligten jungen Menschen ansehen, dann wissen Sie, dass deren berufliche Zukunft mit Schließung des Werks vorbei ist, bevor sie richtig begonnen hat. Bislang finden nämlich genau diese Jugendlichen trotz ihrer Behinderung nach abgeschlossener Ausbildung zu 80 bis 90 % einen Arbeitsplatz in der Region, was wiederum für die gute Ausbil

dung am Bergwerk und am Standort spricht. Wir reden hier von der Übernahme vollwertiger Tätigkeiten in regulären Betriebsabläufen.

Auch dies ist eine Sache, die Sie mit Ihrer Politik nachhaltig gefährden, wenn nicht sogar zerstören. Sie gefährden damit vorsätzlich die Zukunft von derzeit 17 jungen Menschen am Bergwerk Walsum, und das, obwohl Sie zeitgleich vor allen Kameras immer wieder betonen, dass Ihnen die Förderung behinderter Menschen eine wahre Herzensangelegenheit sei, Herr Rüttgers. Darin entblößt sich aus meiner Sicht die ganze Verlogenheit Ihrer Politik.

Meine Damen und Herren, diesen Fragen müssen Sie sich heute stellen. Hier können Sie sich nicht hinter Ihren Koalitionsvertrag wegducken und plötzlich auf die Verantwortung des freien Marktes verweisen. Hier tragen allein Sie die Verantwortung für die Zukunft einiger hundert junger Menschen im Revier. Und hier erwarten diese Jugendlichen schnellstens Antworten von Ihnen. Deshalb wird die SPD-Fraktion gleich namentliche Abstimmung beantragen, damit jedem klar ist, wer für die Verunsicherung der jungen Menschen und die Vernichtung von Ausbildungsplätzen in Walsum verantwortlich ist. - Ich danke Ihnen.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Link. - Jetzt hat die Wirtschaftsministerin, Frau Thoben, das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich muss man sich zu Beginn einer Debatte darüber verständigen, über was man überhaupt reden will.

(Zuruf von der SPD: Über den Antrag!)

Frau Kraft, wollen Sie über Ausbildungsprobleme insgesamt reden? Wollen Sie über Ausbildungsprobleme im Steinkohlenbergbau reden? Oder wollen Sie über Ausbildungsprobleme am Standort Walsum reden? Und die Grünen muss ich fragen: Haben Sie Ihren Antrag vielleicht deshalb zu diesem Tagesordnungspunkt gestellt, weil Ihnen der andere Antrag, zu dem Ihr Antrag passen würde, zeitlich zu spät am Nachmittag liegt? – Hier ist eine große Konfusion eingetreten. Ich will versuchen, sie aus meiner Sicht aufzulösen.

Mir liegt bei allen Problemen - das sage ich nicht nur heute, sondern dauerhaft - daran, dass wir uns an Sachverhalten orientieren und nicht an Ideologien.

(Beifall von CDU und FDP - Hannelore Kraft [SPD]: Das sind Sachverhalte!)

Meine Damen und Herren, tun Sie doch nicht so, als ob sich über unsere Koalitionsvereinbarung die Ausbildungssituation in der deutschen Steinkohle dramatisch geändert hätte! Das ist einfach nicht wahr.

(Beifall von CDU und FDP - Widerspruch von der SPD - Zuruf von der SPD: Selbstver- ständlich ist das wahr!)

Ihre Verabredung aus der letzten Kohlerunde, die länger gilt als bis zu diesem Frühsommer, beinhaltet einen kontinuierlichen Rückgang der Ausbildungsleistung und -erwartung im deutschen Steinkohlenbergbau. Das haben Sie verabredet, das kann man sogar auf der Zeitschiene beschreiben. Es war für Sie, so lange Sie auf der Regierungsbank gesessen haben, immer unstrittig, dass damit ein großes Stück unternehmerischer Verantwortung verbunden ist, um das, was vereinbart wurde, im Detail auszufüllen.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Michael Vesper)

Ich möchte einen Punkt, den die Regierungskoalition im Zusammenhang mit der Zukunft des Steinkohlenbergbaus festgestellt hat, deutlich herausheben, weil er nach unserer Überzeugung die Verunsicherung wegnehmen kann - aber Sie wollen ja gar nicht, dass die Verunsicherung beseitigt wird -: Die erteilten rechtsverbindlichen Zuwendungsbescheide an die Deutsche Steinkohle gelten. Vor diesem Hintergrund vertrete ich die Auffassung, dass es dem Unternehmen möglich sein muss, eine verantwortliche und verantwortbare Ausbildungslösung, und zwar im Sinne der Auszubildenden, zu finden.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Die Verantwor- tung nehmen andere wahr!?)

Meine Damen und Herren, diese Verabredungen gelten. Und nun zu den Zahlen.

(Hannelore Kraft [SPD]: Zu Walsum!)

- Zu Walsum komme ich sehr gerne. Sie geben mir das Stichwort.

Also: Kurzfristig droht überhaupt nichts für den gesamten Steinkohlenbergbau durch unsere Koalitionsvereinbarung. Das wollen wir doch einmal festhalten.

(Beifall von der CDU)

Mittel- und langfristig steht Folgendes an: In der Koalitionsvereinbarung haben wir festgelegt, dass wir mit allen Beteiligten einschließlich der Anteils

eigner über die Rahmenbedingungen für den sozialverträglichen Auslauf übrigens des subventionierten Steinkohlenbergbaus verhandeln und entscheiden werden. Ich gehe davon aus, dass wir im Laufe des nächsten Jahres zu Ergebnissen kommen werden. Diese Verhandlungen sind exakt der richtige Rahmen, auch über die weiteren Aktivitäten der RAG und der Deutschen Steinkohle auf dem Ausbildungssektor zu reden, so wie Sie das bei der letzten Vereinbarung doch auch getan haben.