Protokoll der Sitzung vom 18.05.2006

(Zuruf von der SPD: Könnte!)

und auch vorher schon umsetzen konnte. Da liegen wir fachlich gar nicht auseinander. Die Wahrheit ist nur, dass ein solches Kombilohnmodell bis heute in ganz Nordrhein-Westfalen keiner Arge und keiner Optionskommune eingefallen ist und von daher auch nicht umgesetzt worden ist.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Falsch! – Hanne- lore Kraft [SPD]: Das ist falsch!)

Da Sie mir ja sagen, das hätte schon jeder vorher machen können, das sei alles nichts Neues, sage ich Ihnen nur: Umso unbegreiflicher ist die Attacke von Müntefering,

(Beifall von CDU und FDP)

zu glauben, er könne dieses verbieten, wenn es denn der Gesetzeslage entspricht. Hätte es dafür noch eines Beweises bedurft, dann haben Sie den heute selber erbracht.

(Helmut Stahl [CDU]: Exakt! – Rudolf Henke [CDU]: Genau so! – Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

Die Wahrheit ist, dass wir in Deutschland und auch in Nordrhein-Westfalen aus meiner Sicht eine sehr – ich sage das jetzt sogar sehr bewusst – verzweifelte Lage am Arbeitsmarkt haben. Hartz ist arbeitsmarktpolitisch gescheitert.

(Beifall von der CDU – Helmut Stahl [CDU]: Jawohl!)

Das ist die bittere Wahrheit, die wir einfach feststellen müssen. Das betrifft diese ganzen großen Instrumente, 300.000 Leute über staatliche Zeitarbeit in Arbeit zu bringen durch einen Klebeeffekt. Können Sie sich noch daran erinnern? Das Instrument der PSAs wird zurzeit eingestampft, weil es teuer war, aber keinen Erfolg hatte. Wir wissen, dass viele Ich-AGs den Menschen kein Einkommen ermöglichen, von dem sie leben können. Dann wundern wir uns darüber, dass der Anteil der Selbstständigen, die zusätzliche HartzLeistungen bekommen, ständig steigt.

(Zuruf von Dr. Axel Horstmann [SPD])

Es ist interessant, sich die Situation in der Arbeitsverwaltung einmal anzusehen. Wo bleiben die Menschen, die aus dem Arbeitslosengeld I herausfallen? Ein Drittel geht in Arbeit, ein Drittel ist nach der Aussteuerung der Laufzeiten des Arbeitslosengeldes bei Hartz und ein weiteres Drittel ist erwerbslos, bekommt aber keine Hartz-Mittel,

weil zum Beispiel Partnereinkommen vorhanden ist. Das heißt, die Bundesagentur bringt von drei Menschen, die bei ihr zurzeit verschwinden, einen in Arbeit und zwei in Erwerbslosigkeit. Das ist die verzweifelte Lage am Arbeitsmarkt, die wir in Deutschland haben.

(Beifall von CDU und FDP)

Ein weiterer Punkt: Wir haben – das wissen wir alle; dabei liegen wir doch gar nicht weit auseinander – eine Situation, dass Menschen, die eine einfache Arbeit brauchen, überhaupt keine Chance mehr haben, eine Arbeit zu finden, und zwar selbst dann, wenn wir einmal einen wirtschaftlichen Aufschwung haben.

Ich will Ihnen sagen, was für ein Bild bei mir und bei meiner Fachabteilung eine Rolle gespielt hat, als wir über den Kombilohn nachgedacht und unser Konzept erstellt haben: Wir hatten die Kinder und Jugendlichen vor Augen, die zum Beispiel aus Schulen für Lernbehinderte entlassen werden. Das waren in Nordrhein-Westfalen im letzten Jahr 10.400 Lernbehinderte. Davon hatten nur 2.700 den auf der Sonderschule etwas abgespeckten Hauptschulabschluss; 7.700 hatten nicht einmal den.

Hier im Landtag – genauso wie auf den Zuschauerplätzen – sitzen viele Menschen, die Väter oder Mütter sind. Sie können sich in folgende Situation hineindenken: Hat man ein behindertes Kind, das in eine Behindertenwerkstatt gehen muss, mag man das als einen Schicksalsschlag empfinden. Aber ein solches Kind hat eine Perspektive, hat eine Zukunft und hat eine Teilhabe am Arbeitsmarkt. Haben Sie aber ein Kind, das für die Behindertenwerkstatt „zu qualifiziert“ ist, aber keine Lehre machen kann und keinen Beruf bekommt und dadurch, dass es lernbehindert ist, auch in der Motorik etwas langsam ist, haben Sie zurzeit überhaupt keine Chance, für ein solches Kind eine Teilhabe an Arbeit zu organisieren. Das ist die bittere Wahrheit in diesem Land!

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Das ist ein Problem von vielen!)

Ich entschuldige mich weder bei Herrn Müntefering noch hier im Landtag dafür, dass ich für diese Menschen ein Modell geschaffen habe, das Ihnen helfen könnte.

(Beifall von CDU und FDP)

Dafür entschuldigt sich der Arbeitsminister von Nordrhein-Westfalen nicht, um das ganz klar zu sagen!

Auch die Geschichte, mir dieses Modell zu verbieten, wird notfalls vor Gerichten ausgefochten. Er kann es mir gar nicht verbieten, um das ganz klar zu sagen.

(Beifall von der CDU)

Denn hier geht es mir darum, dass wir zusätzliche Arbeitsplätze für diese Bereiche generieren. Das wird schwer genug werden, weil zum Beispiel die Wohlfahrtsverbände lieber die billigen Ein-EuroJobber nehmen, als überhaupt noch ein Entgelt für irgendeine Leistung zu zahlen. Das ist die Wahrheit. Ein-Euro-Jobber sind eine Konkurrenz in jedem Kombilohnbereich. Nehmen wir das einfach einmal zur Kenntnis. Ich war nicht der Erfinder eines Modells, das vorsieht, dass die Leute für 1 € pro Stunde arbeiten sollen. Das war jemand anderes, der sich zurzeit mit der Staatsanwaltschaft auseinander setzen muss, nicht deswegen, aber wie der denkt, weiß man deswegen.

(Beifall von der CDU – Rainer Schmeltzer [SPD]: Wer hat dafür im Bundestag seine Hand gehoben, Herr Minister?)

Wir haben die Ein-Euro-Jobs abgelehnt. Es gibt Hartz I bis IV. Das waren unterschiedliche Abstimmungen.

Ich will Ihnen einen weiteren Punkt ganz deutlich nennen: Das Ärgerliche an dem, was am Wochenende passiert ist, besteht darin,

(Zuruf von Harald Schartau [SPD])

dass Herr Müntefering mit diesem Interview und mit dieser Ankündigung bei denjenigen, die das vor Ort umsetzen müssen, für viel Verunsicherung gesorgt hat und wir es deswegen noch schwerer haben, einen ohnehin schon schwierigen komplexen Bereich für die Kinder, von denen ich eben gesprochen habe, umzusetzen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Quatsch!)

Dafür trägt Herr Müntefering die Verantwortung und nicht der nordrhein-westfälische Arbeitsminister.

(Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmelt- zer [SPD]: Sie haben keine Ahnung, was vor Ort geredet wird!)

Deswegen bin ich froh, dass wir viele Argen und Trägerversammlungen haben, die mein Kombilohnmodell umsetzen werden. Etliche haben das schon beschlossen und sagen, dass das eine gute Idee und eine gute Blaupause für ihre Aktivitäten sei.

Noch einmal: Ich habe mir nichts angemaßt, ich habe nämlich nichts angewiesen. Wir haben ein Konzept entwickelt und es in Gesprächen mit verantwortlichen Akteuren der Arbeitsmarktpolitik vor Ort erörtert und sehr viel Zustimmung bekommen. Es ist doch wohl auch mein Job und der Job einer Fachabteilung in einem Ministerium, Ideen zu produzieren, mit denen man in den Regionen etwas umsetzen kann. Wenn das nicht mehr die Aufgabe einer Fachabteilung eines Ministeriums ist, verstehe ich nicht, warum wir überhaupt noch solche Fachabteilungen unterhalten.

Ich will noch etwas zum Geld sagen: Es ist schon eine spannende Debatte zu sagen: Das ist Bundesgeld; dazu hat Nordrhein-Westfalen gar nichts zu sagen. – Ich kann Ihnen nur sagen: Der Bund schickt rund 1 Milliarde € Eingliederungsmittel nach Nordrhein-Westfalen. Das ist Geld, das Nordrhein-Westfalen aufgrund des Verteilungsschlüssels, der auf Bundesebene festgelegt worden ist, und unseren Regionen zusteht. Dafür brauchen wir uns gar nicht zu entschuldigen. Dieses Geld ist von nordrhein-westfälischen Bürgerinnen und Bürgern bezahlt worden.

(Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmelt- zer [SPD]: Warum schicken Sie es dann zu- rück?)

Ich sage Ihnen noch etwas: Sie haben mir eben vorgeworfen, dass ich in der Landeskofinanzierung Landesmittel für ESF einspare. Das ist wahr. Wie soll ich denn den Haushalt konsolidieren, wenn ich nicht in diesen Bereichen schaue, was geht und was muss nicht mehr gehen?

(Lachen von Gisela Walsken [SPD])

Nur dass ich mir in einer Situation, in der die Argen von 1 Milliarde €, die sie in Nordrhein-Westfalen hatten, nur 400 Millionen € ausgegeben und 600 Millionen € an den Bund zurückgegeben haben, demnächst die Kofinanzierung für ESF-Mittel dort hole, ist doch wohl ziemlich verständlich. Selbst im ersten Quartal dieses Jahres haben die Argen und die Optionskommunen etwa 150 Millionen € weniger ausgegeben, als sie eigentlich hätten ausgeben müssen. Wir können davon ausgehen, dass die Mittelbewirtschaftung wieder nicht klappt.

Das ist der Beweis dafür, dass Hartz einen weiteren grundsätzlichen Fehler hat, nämlich zu glauben, dass der Bund die Arbeitsmarktpolitik in allen Regionen Deutschlands steuern kann. Das ist der fatalste Fehler in der Arbeitsmarktpolitik. Das Haus Müntefering ist zurzeit dabei, die Instrumente eher noch anzuziehen, als mehr Regionalisierung und auf die örtliche Situation passende Modelle zuzulassen. Das ist typisch für das alte Den

ken der Sozis: Zentralismus, Zentralismus, Zentralismus!

(Anhaltender lebhafter Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Dann brin- gen Sie sich doch da ein und schreien hier nicht so rum! – Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Über so etwas kann man ja nur la- chen! Sie echauffieren sich hier!)

Danke schön, Herr Minister Laumann. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Schartau.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst ein paar Feststellungen dazu, wo ich Übereinstimmungen sehe:

In einer Situation, in der die Langzeitarbeitslosigkeit zunimmt – auch in Nordrhein-Westfalen nimmt die Arbeitslosigkeit nicht besonders ab –, ist es ein Unding, dass die Bundesagentur für Arbeit sich Überschüssen rühmt. Überschüsse müssen eingesetzt werden, damit Leute in Arbeit kommen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Der zweite Punkt, der vollkommen richtig ist: Wenn über Ideen gesprochen wird, wie man Langzeitarbeitslose, also Menschen, die besonders hohe Barrieren auf dem Arbeitsmarkt haben, wieder in den Arbeitsmarkt bringt, dann sind neue Wege gefragt. Die muss man sich ansehen. Niemand hat die Weisheit mit Löffeln geschluckt. Wenn eine gute Idee da ist, wird sie im Allgemeinen fraktionsübergreifend nach normalem Geplänkel auch anerkannt. Das ist auch in Ordnung.

(Beifall von der SPD)

Dann kommt der dritte Punkt, bei dem ich den Arbeitsminister des Landes Nordrhein-Westfalen in Schutz nehmen muss. Ich komme zu der PfeilGeschichte, bei der unten ganz süffisant drunter stand: 10.000 in vier Jahren, das sei ja nicht viel. Selbst wenn es 5.000 wären, wäre es gut, wunderbar. Wenn es 5.000 weniger sind, kann man das nicht hoch genug anerkennen.

(Zuruf von Minister Karl-Josef Laumann)

So weit die wichtigen Sachen. Das musste ich einmal sagen.