Vielen Dank, Frau Abgeordnete Schulze. – Ich habe gehört, dass sich Herr Brockes noch einmal zu Wort gemeldet hat. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Ihre Redezeit außerordentlich kurz ist.
Erstens. An der heutigen Debatte können Sie erkennen, dass wir als Koalitionsfraktionen nicht über jedes Stöckchen, das Sie uns hinhalten, springen.
Zweitens. Im Gegensatz zu Ihnen wissen wir genau, dass das Geld, das dort ausgegeben wird, nicht wie Manna vom Himmel fällt, sondern dass dies von den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes kommt, weshalb man zweimal hinschauen muss, bevor man es ausgibt. – Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die antragstellende Fraktion hat direkte Abstimmung beantragt. Das ist auch der Grund, weshalb sich der Plenarsaal schlagartig gefüllt hat, was ich sehr begrüße.
Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags der SPD-Fraktion in Drucksache 14/1660. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um sein Handzeichen. – Das ist die SPD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Das sind CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Enthält sich jemand der Stimme? – Nein. Dann ist dieser Antrag mit deutlicher Mehrheit abgelehnt.
3 Gesetz zur Befreiung von kommunalbelastenden landesrechtlichen Standards für das Land Nordrhein-Westfalen (Standard- befreiungsgesetz NRW – StaBefrG NRW)
Zur Einbringung des Gesetzentwurfs erteile ich für die Landesregierung Herrn Innenminister Dr. Wolf das Wort. Herr Minister, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Koalitionsvereinbarung von CDU und FDP zur Bildung einer neuen Landesregierung haben wir vereinbart, den Kommunen mehr Entscheidungsspielräume zu geben. Wir haben verabredet, den Kommunen mit einem Gesetz zur Flexibilisierung landesrechtlicher Standards die Möglichkeit einzuräumen, von gesetzlich vorgegebenen Standards
abzuweichen, wenn der damit verbundene Zweck auch auf einem anderen Weg belegbar erreicht werden kann.
Dieses Versprechen lösen wir nun ein. Das Gesetz zur Befreiung von kommunalbelastenden landesrechtlichen Standards für das Land Nordrhein-Westfalen liegt Ihnen im Entwurf vor.
Bisher kreisten die Bemühungen um Standardabbau immer darum, diese Standards generell und für den Regelfall insgesamt aufzuheben. Wir wollen einen anderen Weg gehen. Mit dem Standardbefreiungsgesetz wird erstmals die Möglichkeit geschaffen, standardgebende Vorschriften für den Regelfall bestehen zu lassen, gleichzeitig aber im Einzelfall Ausnahmen von diesen Standards zuzulassen, ohne dass dies ausdrücklich in den speziellen Einzelgesetzen geregelt sein muss.
Uns kommt es darauf an, sinnvolle Möglichkeiten alternativer Aufgabenerledigungen vor Ort zu eruieren und wenn schon nicht die Aufhebung oder Rückführung eines Standards im Spezialgesetz zu veranlassen, so doch zu einer Ausnahmeregelung für den Einzelfall zu gelangen.
Ist es vor Ort im konkreten Einzelfall angezeigt, von einem Standard abzuweichen und neue Formen der Aufgabenerledigung zu erproben, wollen wir dies mit dem Standardbefreiungsgesetz auch ermöglichen. Kann der Zweck eines Fachgesetzes auch auf andere Art und Weise als durch die Erfüllung eines Standards sichergestellt werden, wollen wir dies unter den Voraussetzungen des Standardbefreiungsgesetzes auch zulassen.
Damit setzt der Gesetzgeber großes Vertrauen in die Landesregierung und in die Kommunen. Er räumt den Kommunen das Recht ein, im Einzelfall eigenverantwortlich von gesetzlichen Bestimmungen abzuweichen, ohne hierfür eine ausdrückliche Öffnungs- oder Ermächtigungsklausel zum Beispiel zum Erlass einer Rechtsverordnung in das Gesetz zu schreiben.
Ich setze darauf, dass die Kommunen in Nordrhein-Westfalen ihre eigene Situation vor Ort am besten kennen und innovativ genug sind, um alternative Formen der Aufgabenerledigung entwickeln zu können. Mit diesem Gesetz erhalten sie die Möglichkeit dazu. Gerade bei Vorgaben für die Erstellung und Fortschreibung von Bilanzen, Plänen und Konzepten, bei organisationsrechtlichen Vorgaben sowie bei Anforderungen an die berufliche Qualifikation oder das Erfordernis einer besonderen Ausbildung stehen die Chancen gut, vor Ort zu individuellen Lösungen zu gelangen.
In diesem Zusammenhang unausweichlich ist die Frage nach Beispielen für einen möglichen generellen Standardabbau. Um es an dieser Stelle klar und deutlich zu sagen: Aus der inneren Logik des Gesetzes heraus verbietet es sich, Beispiele dafür zu benennen. Hätten wir solche Beispiele, würden wir nicht zögern, unnötige Standards in den einzelnen Fachgesetzen – also dort, wo sie geregelt sind – anzupacken und abzuschaffen.
„Standard“ und „überflüssig“ bilden zwar ein im modernen Sprachgebrauch gleichsam ein Begriffspaar; dabei wird jedoch häufig übersehen, dass mit der Forderung nach Standardabbau oft genug die Forderung nach Qualitätsabbau gemeint ist, weil die Qualität, die durch Standards festgeschrieben wird, nicht mehr finanzierbar sei. Dies ist aber eine Frage, mit der wir uns im Rahmen des Standardbefreiungsgesetzes nicht befassen können. Die Senkung von Qualitätsstandards aus fiskalischen Gründen verfolgt andere Zwecke als die Überprüfung von Standards, welche einen vermeidbaren bürokratischen Aufwand mit sich bringen. Hier sollte ein Stück Ehrlichkeit die Diskussion begleiten. Man muss klar bekennen, was gewollt ist. Wer Standards unter der Maßgabe angeht, bürokratische Hemmnisse zu beseitigen, tatsächlich aber gesetzlich vorgegebene Qualität reduzieren will, muss dies auch deutlich benennen.
Ich bin mir sicher, dass wir auch auf diesem Gebiet Handlungsbedarf haben. Der vorliegende Gesetzentwurf ist hierbei jedoch die falsche Baustelle. Wir wollen bürokratische Erschwernisse vor Ort und im Einzelfall tatsächlich beseitigen können. Wir bitten um die Mithilfe der Kommunen und natürlich des Gesetzgebers, der dieses Gesetz zu verabschieden hat. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Problembeschreibung des vorliegenden Gesetzentwurfs wird festgestellt, dass „der Handlungsspielraum der kommunalen Selbstverwaltung unter anderem wegen der von den Kommunen zu beachtenden gesetzlichen Personal-, Sach- und Verfahrensstandards beeinträchtigt“ wird.
Ich denke, dass man das erst einmal wertfrei angehen kann. Allerdings ist genauso richtig, dass der Handlungsspielraum der Kommunen und damit das verfassungsgemäße Recht zur Selbstver
waltung in Nordrhein-Westfalen auch aus anderen Gründen extrem eingeschränkt sind. Die Landesregierung – da wende ich mich an Herrn Minister Wolf persönlich – gibt sich offensichtlich alle Mühe, diese Handlungsspielräume in zahlreichen Bereichen einzuschränken. Ich nenne beispielhaft nur die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen.
Das, was Ihnen jetzt einfällt, ist ein sogenanntes Standardbefreiungsgesetz, das in den Gesamtzusammenhang eines Entfesselungsprogrammes für Nordrhein-Westfalen gestellt wird. Ich frage mich angesichts der gesamten Umgangsweise mit den Kommunen, ob Sie aus der Nummer wirklich als Houdini herauskommen oder ob der Kollege Palmen und Sie sich nicht im Laufe der weiteren Beratungen zur Frage, wie wir mit unseren Kommunen umgehen, eher als Laokoon-Gruppe darstellen. Aber das wird sich herausstellen, meine Damen und Herren!
Richtig ist, dass Bürokratie und damit auch belastende Standards einer gründlichen Überprüfung bedürfen. Insoweit gehören kommunalbelastende Standards selbstverständlich auf den Prüfstand. Nur fragt man sich bei genauerer Betrachtung, ob das, was Sie uns in der vorliegenden Form zur Beratung an die Hand geben, tatsächlich ein geeignetes Mittel für die Kommunen ist.
Wir haben uns einmal umgeschaut, ob und gegebenenfalls wo es schon Vergleichbares gibt. Es drängt sich ein bisschen der Eindruck auf, als habe die Landesregierung in Ermangelung konzeptioneller Vorstellungen einmal mehr den Versuch unternommen, Probleme auf Dritte abzuwälzen. Das ist sicher auch ein Kunststück, aber gerade kein Entfesselungsversuch für die Gemeinden und die Städte in unserem Land.
Ich habe ein bisschen den Eindruck, als würden Sie das, was früher in der preußischen Armee üblich war, an dieser Stelle den Kommunen verschreiben, nämlich die berühmte weiße Salbe, meine Damen und Herren. Das ist ein Medikament gewesen, das zwar in seiner Wirkung ausgesprochen begrenzt war, das aber mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Nebenwirkungen hervorgerufen hat. Im modernen Medizinerdeutsch würde man von einem Placebo sprechen. So ähnlich muss man an das, was Sie da vorhaben, herangehen. Denn das ist in Deutschland beileibe nicht so einzigartig, wie Sie es hier darzustellen versuchen.
Bei der Vorbereitung auf diesen Tagesordnungspunkt habe ich mir einmal die Mühe gemacht, im Internet und bei den Kolleginnen und Kollegen aus anderen Landtagsfraktionen ein bisschen zu recherchieren. Und siehe da: In Baden-Württemberg zum Beispiel gibt es ein vergleichbar innovatives Gesetzesvorhaben. „Vergleichbar“ ist ein wenig untertrieben: Bei genauerer Betrachtung des Gesetzes zur Befreiung von kommunalbelastenden landesrechtlichen Standards – so heißt es in BadenWürttemberg in der Drucksache 13/3201 – fällt auf, dass sich die Landesregierung von NordrheinWestfalen hier offensichtlich bestehender Standards bedient hat. Man könnte es auch etwas platter ausdrücken und den Schluss ziehen, dass es weitestgehend – bis auf wenige Ausnahmen – abgeschrieben ist, und zwar 1:1, meine Damen und Herren.
Herr Kollege Palmen, wenn Sie meinen, das stimmt nicht, empfehle ich Ihnen, die §§ 1 und 2 der entsprechenden baden-württembergischen Regelung zu lesen. Ich habe die einmal in einer Synopse verglichen. Da fällt wenig Unterschiedliches auf. Sie können das gerne auch einmal machen. Ich habe die Unterlagen bei mir und kann sie Ihnen gleich geben.
Aber alleine das wäre ja kein Grund zur Kritik, wenn dieses monumentale Gesetzeswerk in Baden-Württemberg nach Inkrafttreten tatsächlich segensreiche Folgen für die Kommunen gehabt hätte; denn es spricht auch aus unserer Sicht nichts dagegen, gute Ideen und gute Vorschläge zu übernehmen.
Aber es hat zwischenzeitlich auch und gerade in Baden-Württemberg eine interessante Diskussion über die Wirkung dieses Gesetzes gegeben. Ich zitiere aus einem Bericht des Innenausschusses von Baden-Württemberg. Da hat ein Abgeordneter der SPD angemerkt, dass dieses Gesetz auf Drängen auch der kommunalen Familie zustande gekommen sei. Ihn interessierte dann, welchen Schluss die Landesregierung aus der Tatsache ziehe, dass bisher keinerlei Befreiungsanträge – das Gesetz war ein Jahr in Kraft – seitens der Kommunen vorlägen.
Am 4. Juli 2005 hat der Innenminister des Landes Baden-Württemberg umfassend Stellung genommen. Grundlage war eine kurzfristig durchgeführte
Länderumfrage zu diesem Thema, meine Damen und Herren. Das Ergebnis ist aus meiner Sicht mehr als ernüchternd: In Mecklenburg-Vorpommern gibt es seit 2000 eine vergleichbare gesetzliche Regelung. Dort sind zehn Fälle bekannt, in denen die Kommunen sich darum bemüht haben, von Standards befreit zu werden. Allerdings ist nicht die Zahl der Fälle bekannt, in denen es zu einem positiven Ergebnis gekommen wäre. Im Saarland gibt es seit 2003 ein sehr vergleichbares Gesetz. Dort sind sieben Anträge bekannt. Einem Antrag wurde entsprochen.
Meine Damen und Herren, ich will zusammenfassen: Es fragt sich, ob wir den Kommunen mit einem so gestrickten Gesetz tatsächlich helfen. Angesichts der schwierigen Situation der Städte und Gemeinden sind weder Aktionismus noch Scheinlösungen angezeigt.
Wir sollten uns zu dem vorliegenden Gesetzentwurf mit der kommunalen Familie zusammensetzen und gemeinsam beraten, was den Kommunen auch bezogen auf bürokratische Hemmnisse und Standards tatsächlich hilft.
Kommunalfreundliche Politik, meine Damen und Herren, zeigt sich eben nicht in Sonntagsreden und in Schaufensteranträgen. Statt Sprechblasen zu produzieren, könnten Sie den Kommunen eine Reihe ernsthafter Gefallen tun. Nehmen Sie Ihre Pläne zur Änderung der Gemeindeordnung zurück! Systematisieren Sie Ihre Überlegungen zur Verwaltungsstrukturreform! Und verbessern Sie die finanziellen Rahmenbedingungen für das kommunale Handeln! Wenn Sie sich Gedanken über Standardbefreiung machen, tun Sie es bitte ernsthaft und verschreiben Sie unseren Städten und Gemeinden keine Placebos. – Ich bedanke mich.