Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Körfges, ich finde, wir haben es hier mit einem ganz besonders schönen Fall aus der Kategorie zu tun: Wir sagen, was wir tun, und wir tun, was wir sagen. – CDU und FDP haben im Koalitionsvertrag verabredet, dass wir Standards abbauen und den Kommunen mit einem Gesetz zur Standardflexibilisierung Entscheidungsspielraum zur Abweichung von kostspieligen Standards geben. Es ist kein Jahr ver
Dieses Gesetz zeigt auch die Philosophie dieser Koalition: Erstens. Wir setzen auf weniger Staat. Zweitens. Wir vertrauen den Menschen. Drittens. Wir nehmen die Betroffenen mit.
Erster Punkt: weniger Staat. Für eine sinnvolle Norm braucht es zwei Dinge: einen Normzweck, irgendetwas, was man regeln möchte, und die Realisierbarkeit in der Praxis. Ohne Realisierbarkeit in der Praxis nützt das schönste Gesetz nichts. Meine Damen und Herren, da ist in der Vergangenheit etwas auseinander gelaufen. Kaum ein noch so guter Verwaltungsfachmann, keine noch so gute Verwaltungsfachfrau kommt selbst mit den Normen und den Gesetzen in seinem/ihrem Bereich noch zurande. Daraus ist an vielen Stellen Unsicherheit erwachsen. Diese Unsicherheit mündet in den Amtsstuben in Nordrhein-Westfalen vielfach in der Aussage: Lieber streng nach Vorschrift, bevor man Fehler macht, für die man nachher vielleicht sogar noch haftbar ist. – So kommt es dazu, dass selbst begründete Ausnahmefälle kaum noch eine Chance haben, auch als solche behandelt zu werden. Wir geben den Praktikern vor Ort wieder die Sicherheit und den Spielraum, entscheiden zu können, um der Unterschiedlichkeit der Lebenssachverhalte im täglichen Leben Rechnung zu tragen.
Zweiter Punkt: Wir vertrauen den Menschen. Herr Körfges, wenn Sie von weißer Salbe und Placebo sprechen, dann misstrauen Sie offensichtlich den kommunalen Praktikern vor Ort und trauen ihnen nicht zu, mit diesem Gesetz etwas anzufangen.
Wir glauben, dass wir auf diesen unerschöpflichen Erfahrungsschatz der Praktiker zurückgreifen sollten, den wir mit diesem Gesetz nutzbar machen und den wir, glaube ich, auch für die Menschen in diesem Land nutzbar machen müssen. Wir werden da wahrscheinlich am Ende noch die tollsten Dinge erleben, was die uns alles vorschlagen, wovon man abweichen kann. Es gibt nämlich einen entscheidenden Unterschied zu BadenWürttemberg – da haben Sie bei Ihrer Synopse nicht genau hingeguckt –: Es gibt keine Genehmigungspflicht, sondern eine Anzeigepflicht.
Ich glaube, dass sich unsere kommunalen Praktiker ziemlich auf die Socken machen und wir noch überrascht sein werden, wie kreativ die auch ein
mal etwas auslegen können, um uns nachzuweisen, dass der Zweck ebenso gut erfüllt wird, wie das zuvor der Fall war. Genau diese Kreativität wollen wir fördern und wollen wir im wahrsten Sinne des Wortes sogar provozieren. Wir setzen die Kreativität der kommunalen Praktiker gegen den Regelungswahn der rot-grünen Vergangenheit hier in Nordrhein-Westfalen.
Dritter Punkt: Wir nehmen die Betroffenen mit. Auf Anregung des Städte- und Gemeindebundes haben wir uns den gerade beschriebenen Unterschied zwischen dem baden-württembergischen und unserem Gesetz noch einmal genau angeguckt und folgen dem Vorschlag, dass wir es so machen, wie jetzt verfahren worden ist. Das ist auch eine gute Art und Weise, damit umzugehen.
Dieses Land, meine Damen und Herren, ächzt unter zu viel Bürokratie. Die Landesregierung hat in den ersten Monaten ihres Tuns für dieses Land am laufenden Bande Behörden abgeschafft: von der staatlichen Prüfstelle für Feuerlöscher bis zur Oberfinanzdirektion. Die Landesregierung hat die Abschaffung fast aller Landesbeauftragten vollzogen. Sie hat Schluss gemacht mit dem rot-grünen Beauftragtenwesen. Wir haben eine Konzentration in den Widerspruchsverfahren angepackt. Wir haben Sonderbehörden eingegliedert und die Reform der Versorgungsverwaltung angepackt. Wir haben uns zur Teilnahme an einem länderübergreifenden Pilotprojekt zur Ermittlung von Bürokratiekosten entschlossen. Wir haben das Landesinstitut für Qualifizierung eingegliedert. Ganz Nordrhein-Westfalen ist jetzt Modellregion Ostwestfalen-Lippe: Es wird 1:1 übertragen, was früher nur in Ostwestfalen lief. Wir haben die Strukturen bei den Studienseminaren weiterentwickelt. Wir haben Stellen zur Kontrolle der Verwendung von EU-Finanzmitteln zusammengeführt, die es früher mehrfach gab. Die Fehlbelegungsabgabe ist Vergangenheit.
Mit all diesen Beschlüssen setzen wir unser Ziel um, mit weniger Staat neue Spielräume für die Menschen, aber auch für den Staat zu erschließen, die wir für andere Dinge dringender brauchen.
Wir geben mit dem nun zu beratenden Gesetz allen Verwaltungspraktikern vor Ort eine scharfe und starke Machete. Wir hoffen, dass sie damit die nötigen Schneisen in den Bürokratiedschungel schlagen. Es tut sich was in NRW, und das ist gut so. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Land mag an der ein oder anderen Stelle über Bürokratie ächzen, Herr Kollege Wüst. Aber wenn ich das Ächzen der letzten Wochen richtig vernommen habe, ächzt es zunächst einmal über die schwarz-gelbe Landesregierung.
Da ächzt es auch in Ihren Reihen, bei den Landräten und Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern der CDU ganz gewaltig. Ich wundere mich immer wieder, dass Sie das nicht wahrnehmen.
Meine Damen und Herren, dafür, die Selbstverwaltung der Kommunen nicht durch einen Wust von Verwaltungs- und Verfahrensstandards zu belasten, ist selbstverständlich auch der Landesgesetzgeber verantwortlich. Für Überprüfung spricht vieles. Gleichzeitig muss es in der Landespolitik aber auch darum gehen, Einheitlichkeit in der Ausführung von Gesetzen zu gewährleisten und – ein übergeordnetes Ziel – dafür sorgen, dass gleiche oder annähernd gleiche Lebensverhältnisse für alle Bürgerinnen und Bürger des Landes möglich werden.
Insofern will ich ausnahmsweise mit einem positiven Aspekt beginnen: Herr Minister, ich teile ausdrücklich Ihre Ansicht, dass es nicht darum gehen kann, durch die Hintertür Standards abzusenken, sondern dass die Frage nach der Höhe und dem Sinn von Standards an anderen Stellen entschieden werden muss.
Meine Damen und Herren, im Allgemeinen verbindet man mit Standards Verwaltungs- und Personalstandards. Ich nenne zum Beispiel den Personalschlüssel in der Kinderbetreuung oder Auflagen für den effektiven Arbeits- und Umweltschutz. Das allein macht deutlich, dass das Wort Standard nicht per se mit etwas Schlechtem verbunden sein muss, sondern auch damit verbunden sein kann, dass ein Standard für die Bevölkerung, für die jeweils Betroffenen erreicht wird.
Nun ist unbestritten, dass es immer wieder einmal nötig ist, zu überprüfen, ob Standards noch angemessen sind oder ob sie tatsächlich zu übermäßigem bürokratischen Aufwand führen. Das ist übrigens auch nicht neu, denn die alte Landesregierung hat bereits in der letzten Wahlperiode mit dem Gesetz für ein Kommunalisierungsmodell neue Modelle für Aufgabenerledigung in definier
Dieses Vorgehen war erfolgreich, denn in der Folge wurden erprobte Regelungen zum Beispiel in der Gemeindeordnung, im Vermessungs- und Katastergesetz, im Heimgesetz oder im GTK verankert. Das heißt, es wurde ein konkretes, ein aufgabenbezogenes Verfahren gewählt, das in der Folge zur Verschlankung von Fachgesetzen geführt hat. Wir haben sehr genau und konkret geprüft, wie Aufgaben weniger verwaltungsaufwendig und bei gleicher Qualität der Leistung erbracht werden können.
Meine Damen und Herren, im Grunde hätten Sie an dieses Vorgehen anknüpfen und weitere Felder sondieren können und sollen, auf denen sich modellhafte Regelungen erproben ließen, die dann bei gutem Erfolg gezielt auf Gesetze übertragen würden. Das haben Sie nicht getan – unter anderem deswegen, weil Sie sich ein Stück weit ein bestimmtes Image geben wollen, weil Sie sich regelmäßig noch als halbe Oppositionspartei gerieren. Sie haben vielmehr getan, was in CDURegierungen zurzeit üblich ist: Sie haben ein sogenanntes Standardbefreiungsgesetz aufgelegt.
Sie müssen sich dann im Übrigen auch einmal überlegen, wie Sie die Sachen benennen. Im Gesetz heißt es: „eine abstrakt-generelle Regelung in Form einer Experimentierklausel“. Wenn das nicht schon an sich ein bürokratischer Begriff ist, weiß ich es nicht. Sie müssen sich also überlegen, ob Sie sich nun dafür loben, dass Sie auf der einen Seite sehr viel Freiheit gewähren oder auf der anderen Seite tatsächlich sinnvolle Standards erhalten wollen.
Herr Wüst, wenn Sie darauf ansprechen, dass Kollege Körfges Sie in einem Punkt vielleicht nicht ganz präzise angesprochen hat – nämlich mit dem Hinweis auf Baden-Württemberg, weil Sie hier nur noch die Anzeigepflicht wollen –, muss ich Sie umgekehrt fragen, ob nicht die Anzeigepflicht im Widerspruch zu dem steht, was Minister Wolf eben beschrieben hat: dass es nämlich nicht um eine Standardabsenkung geht, sondern dass die Frage der Höhe von Standards und die Frage der Aufgabendurchführung ehrlicherweise an anderer Stelle diskutiert gehört.
Wenn Sie es bei einer reinen Anzeigepflicht belassen, glaube ich als jemand, der seit 20 Jahren in der Kommunalpolitik tätig ist und das sehr genau kennt, dass der Finanzdruck, der auf den Kommunen lastet – unter anderem von Ihrer Regierung noch einmal verschärft –, dazu führen wird, dass Sie durch die Hintertür das Maß an
Qualität und die Höhe von Standards denen überlassen, die möglicherweise gar nicht mehr anders können, als die Standards abzusenken. Das wird dem Anspruch nicht mehr gerecht, dass wir für eine ordentliche Aufgabenerfüllung bestimmte Standards brauchen und dass wir für eine ordentliche Leistungserbringung gegenüber den Menschen im Lande auch einen Mindeststandard brauchen.
Meine Damen und Herren, ich möchte darauf verweisen, dass das Gesetz in Baden-Württemberg – der Farbenlehre nach übrigens nicht etwa nach 20 Jahren Rot-Grün zustande gekommen, sondern nach einer durchgängigen CDURegierung – jedenfalls nicht dazu geführt hat, dass massenweise solche Projekte gefunden worden wären, bei denen diese abstrakten Regelungen am Ende zu Ergebnissen geführt hätten.
Deswegen kann ich Sie nur fragen: Wie bewerten Sie die Erfahrungen mit dem entsprechenden Gesetz aus Baden-Württemberg, wo ausweislich eines Antrages des Abgeordneten Heinz – wohlgemerkt von der CDU – und der Stellungnahme des Innenministeriums ein Jahr nach der Einführung des Gesetzes kein einziger Antrag vorlag und jetzt – zwei Jahre danach – kaum welche.
Ich frage Sie des Weiteren: Was müssen wir eigentlich unter „organisationsrechtlichen Vorgaben“ verstehen? Der Gesetzentwurf bleibt in seiner Begründung ausgesprochen sparsam hinsichtlich irgendeiner Erläuterung dazu.
Ich frage Sie des Weiteren: Wäre es nicht folgerichtig, konkrete Vereinfachungsvorschläge zu erproben, wie ich es eben angesprochen habe, und sie dann in den Fachgesetzen durchzusetzen? Denn wenn Sie schon selber sagen, dass Sie keine Beispiele haben und es systemimmanent sei, dass Sie keine Beispiele haben, diese sich aber schon finden würden, wäre die aufgabenbezogene Überprüfung von Standards doch eigentlich der richtige Weg gewesen.
Meine Damen und Herren, welches Verfahren am Ende auch immer gewählt wird, wie es am Ende auch immer ausgeht: Ich glaube, dass wir sehr genau beobachten müssen, ob es hier nicht ausgeht wie in Baden-Württemberg oder ob der einzige Unterschied zu Baden-Württemberg darin besteht, dass Sie über das schwarz-gelbe Modell von Baden-Württemberg noch hinausgehen und die Genehmigungspflicht durch eine Anzeigepflicht ersetzen mit der Folge, die ich eben beschrieben habe.
Während Sie auf der einen Seite den finanziellen Spielraum der Kommunen immer weiter strangulieren, geben Sie ihnen auf der anderen Seite die Freiheit, Standards zulasten der Bevölkerung abzubauen. Das ist keine Freiheit, sondern das ist ein Manko. Das wäre eine schlechte Politik. Wir werden also sehen, in welchem Feld sich das abspielt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Standardbefreiungsgesetz verwirklichen wir unsere im Koalitionsvertrag verankerten Ziele. Wir wollen die wirtschaftliche und bürgerschaftliche Initiative sowie die Selbstbestimmung der Menschen in unserem Land fördern und stärken. Das Standardbefreiungsgesetz leistet dazu einen Beitrag.
Der Staat muss nicht alles im Detail regeln. Dadurch überfordern wir ihn und schwächen ihn zugleich. Deshalb freue ich mich, dass wir heute am Beginn einer Parlamentsdebatte über einen Gesetzentwurf stehen, der zu mehr Gestaltungsfreiheit unserer kommunalen Familie führt, und zwar ausdrücklich der kommunalen Familie – dies im Rahmen unserer ordnungspolitischen Leitlinien. Man sollte sie verinnerlichen, deshalb wiederhole ich sie noch einmal: Freiheit vor Gleichheit, Privat vor Staat, Erarbeiten vor Verteilen, Verlässlichkeit statt Beliebigkeit. Diese Leitlinien stehen für die Abkehr von der Unkultur staatlicher Gängelungen und für die Hinwendung zur Kultur der Freiheit, der Selbstbestimmung, der Selbstständigkeit und des Vertrauens. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist einer der essenziellen Unterschiede zwischen Rot-Grün, der Koalition des alten NRW, und Schwarz-Gelb, der Koalition für das neue NRW.
Wir machen Ernst mit Bürokratieabbau und Verwaltungsstrukturreform, uns zwar auf allen Ebenen. Wir drehen nicht an kleinen und kleinsten Stellschrauben, so wie es früher Tradition war, sondern wir packen richtig zu.
Neben dem Standardbefreiungsgesetz sind weitere Gesetze durch die Landesregierung in Vorbereitung; das wissen Sie, das haben wir hier bereits besprochen. Ich möchte nur an die Reform der Versorgungsverwaltung oder auch an die Eingliederung der 46 Sonderbehörden in die Bezirksregierung erinnern.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie von der Opposition haben uns nach 39 Regierungsjahren – ich habe das gestern bereits erwähnt – sage und schreibe 687 Behörden hinterlassen.