Protokoll der Sitzung vom 18.05.2006

Herr Abgeordneter Engel, würden Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Löhrmann zulassen?

Gerne, Frau Löhrmann.

Herr Engel, hätten Sie die Freundlichkeit, uns zu sagen, wie viele Jahre die FDP an diesen 39 Regierungsjahren beteiligt war?

Herr Engel.

Die SPD war die regierungstragende, die stärkste Fraktion in diesen 39 Jahren, die FDP

(Zurufe von der SPD)

in Teilen auf dieser Strecke auch, aber nur in Teilen.

(Horst Becker [GRÜNE]: Aber nicht die stärkste Partei! – Thomas Kutschaty [SPD]: Haben Sie sich nicht durchsetzen können?)

Noch einmal: 687 Behörden mit über 413.000 Bediensteten!

(Thomas Kutschaty [SPD]: Die FDP hat im- mer Ja gesagt!)

Ihr Staat, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, hat sich in beinahe jede Lebensritze hineingedrängt und kultiviert die kollektive Unverantwortlichkeit. Dieser Staat ist nicht lebensfähig. Er ist gescheitert: 112 Milliarden € Landesschulden sprechen eine deutliche Sprache. Es muss endlich Schluss sein mit der Realsatire in den Behörden, in den Ämtern – nach dem Motto: Ach, Sie wollen sich selbstständig machen? Da wollen wir doch mal gucken, ob Sie das schaffen.

Die Idee, Kommunen von Standards zu befreien, ist nicht neu. Einige andere Bundesländer wie

Baden-Württemberg – das ist schon gesagt worden – und das Saarland haben ebenfalls ein Standardbefreiungsgesetz auf den Weg gebracht. Völlig richtig! Wir haben uns alle im Internet und darüber hinaus damit befasst, meine Vorredner auch. Das ist völlig in Ordnung. Aber Herr Körfges, Sie irren. Sie haben hier vorhin erklärt, das sei abgeschrieben. Nein, das entscheidende Instrument ist nämlich völlig anders. Bei unserem Standardbefreiungsgesetz geht es nicht um die Genehmigung, sondern nur um eine Anzeige. Unkomplizierter kann man das ja gar nicht machen: Man zeigt einfach an. Wir glauben, dass das Anreiz genug sein wird, dass die kommunale Ebene tatsächlich motiviert ist, anzuzeigen, auf diesen oder jenen Standard verzichten zu können, weil sie der Meinung ist, dass man das Ziel auch ohne diesen Standard erreichen kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir stimmen der Überweisung zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Nun hat sich der Abgeordnete Töns für die SPD-Fraktion noch einmal zu Wort gemeldet.

Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Landesregierung, vertreten durch ihren Innenminister Herrn Wolf, legt uns jetzt ein sogenanntes Standardbefreiungsgesetz NRW vor, das – so war heute schon zu hören – den Kommunen einen erheblichen Handlungsspielraum im Rahmen ihrer Selbstverwaltung zurückgeben soll. Es ist vollkommen unstrittig, dass kommunal belastende landesrechtliche Standards auf den Prüfstand gehören. So könnte man glauben, die Landesregierung überprüfe diese Standards und stelle sie anschließend zur Diskussion. Kurz gesagt: Sie täte was! – Aber weit gefehlt!

Lassen Sie mich die Bemerkung machen, Herr Wüst: Sie vertrauen den Menschen. Das ist sehr löblich, das finde ich auch gut. Aber die Kommunen und die Menschen in diesem Land vertrauen Ihnen nicht mehr. Das zeigen alleine 480.000 Unterschriften bei den Landesinitiativen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Christian Lindner [FDP]: 62 % unterstützen die Lan- desregierung!)

Ja, das mag so sein.

Doch weit gefehlt! Stattdessen legt der Innenminister ein Standardbefreiungsgesetz vor, das den Namen nicht verdient: nicht nur, dass es eine

neue Bürokratie aufbaut, nein, es wälzt die Verantwortung des Landes zum wiederholten Male auf die Kommunen ab.

Meine Damen und Herren, dieses Verfahren kennen wir schon aus anderen Politikfeldern. Die Landesregierung und auch Innenminister Wolf sind nicht Manns genug, Entscheidungen zu treffen. Viel schlimmer noch: Sie unternehmen erst gar nicht den Versuch, Standards zu reformieren. Das ist viel heiße Luft um nichts, Herr Wolf.

Natürlich geben Sie, Herr Innenminister, den Kommunen die Möglichkeit an die Hand, im Einzelfall von landesrechtlichen Standards abzuweichen, nachdem sie dem zuständigen Ministerium angezeigt wurden und der Zweck auch auf andere Art und Weise sichergestellt ist. Natürlich dürfen auch andere Rechte dem nicht entgegenstehen. Aber – so frage ich Sie – was haben die Kommunen davon?

(Zuruf von der CDU: Mehr Freiheit!)

Ja? – Da bin ich mir nicht so sicher.

Vielmehr stellen sich in diesem Zusammenhang mehrere Fragen, die gerade für die Kommunen unbeantwortet bleiben. So frage ich: Kann zum Beispiel die Landesregierung über ihre Kommunalaufsicht Städte und Gemeinden, die unter Haushaltssicherung stehen, zwingen, landesrechtliche Standards zu senken? – Es wäre doch durchaus vorstellbar, dass die Kommunalaufsicht im Hinblick auf die finanzielle Situation der Kommune darauf drängt, Kindergartengruppen mit mehr als 40 Kindern einzurichten.

Und so stellt sich mir die nächste Frage: Was würde dann der zuständige Fachminister, also Herr Laschet, dazu sagen? – Das wäre – auch im Kabinett – eine interessante Diskussion. Wo liegen die Grenzen beim Senken der Standards, wenn es um die Interessen der Menschen, insbesondere der von Kindern und Jugendlichen in den Städten und Gemeinden geht?

Vor diesem Hintergrund ist zu befürchten, dass sich die Schere zwischen reichen und armen Gemeinden in unserem Land noch weiter öffnet und ein Verdrängungswettbewerb einsetzt. Dies kann nicht Sinn und Zweck von verantwortlicher Landespolitik sein. Hier werden Standards sehr wahrscheinlich nur rasiert.

Meine Damen und Herren, wir werden diesen Entwurf zum sogenannten Standardbefreiungsgesetz aus den eben genannten Gründen ablehnen. Mit Freiheit hat dieses Gesetz wenig zu tun, Herr Wolf. Ebenso wenig ist es ein Entfesselungsprogramm für die Kommunen. Vielmehr ist es ein

weiteres Beispiel und symptomatisch für die chaotische Politik dieser Regierung.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Herr Minister Wolf, ich kann Sie nur bitten: Stehen Sie endlich zu Ihrer Verantwortung für die Städte und Gemeinden in unserem Land, und lassen Sie sie nicht alleine im Regen stehen. Glück auf!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Nächster Redner ist der CDU-Abgeordnete Löttgen. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Körfges, Herr Becker, Herr Töns, bei Ihren Reden kam mir Wilhelm Busch in den Sinn. Er hat gesagt: „Wer durch des Argwohns Brille schaut, sieht Raupen selbst im Sauerkraut.“

(Beifall von der CDU)

Sie müssen sich doch einmal daran gewöhnen, dass Sie dann, wenn hier etwas Gutes verkündet wird, dies auch zustimmend zur Kenntnis nehmen können.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Dann fangen Sie bitte an!)

Meine Damen und Herren, ich möchte dem etwas entgegensetzen. Am 9. Juli werden wir zusammen feiern. Deutschland wird dann in Berlin Fußballweltmeister geworden sein; davon bin ich fest überzeugt.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Welch seriöse Vorhersage!)

Ebenso sehr bin ich allerdings davon überzeugt, dass die nordrhein-westfälischen Anstrengungen zum Bürokratieabbau in der Vergangenheit wenig weltmeisterlich waren, Herr Körfges. Die Vorgängerregierungen haben verschiedene Versuche gestartet, diesem Problem zu begegnen. Im Bereich Standardabbau hat sich das Ganze Standardcontrolling genannt, und damit sollte die Belastung der Kommunen verringert werden. Das Ergebnis dieser Bemühungen – hören Sie gut zu, Herr Körfges – hat der Städtetag 2001 in dürren Worten mit „ein kleiner Schritt“ zusammengefasst. Das ist Ihnen gelungen, Herr Körfges.

Ebenfalls 2001 – im Dezember des Jahres – schreibt der damalige Innenminister in der Vorlage 13/1208 an den Innenausschuss in einem Bericht zum Thema Verwaltungsmodernisierung, aus dem

ich mit Genehmigung des Präsidenten zitieren möchte:

„Eine Vereinfachung und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren kann daher dazu beitragen, die Attraktivität des Landes für Investitionen zu erhöhen. Deshalb sollten auch in Nordrhein-Westfalen die Genehmigungsverfahren einfacher und kürzer werden.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, Sie hatten kein Erkenntnisproblem. Die Umsetzung der logischen Schritte, die Umsetzung für die Bürger, die Konsequenzen in Richtung Bürokratieabbau, die haben Sie nicht vollzogen, Herr Körfges, und das ist traurig.

Hendrik Wüst hat bereits darauf hingewiesen: Die Koalition der Erneuerung hat seit dem 22. September 2005 in 28 klar dokumentierten und nachlesbaren Schritten bereits eine Menge auf dem Gebiet der Verwaltungsstrukturreform erreicht.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Die Gemeinden freuen sich!)

Damit unterscheiden wir uns schon jetzt deutlich von der Politik der vergangenen Jahre und Jahrzehnte.

Der Koalitionsvertrag aus dem Juni des vergangenen Jahres nennt als Ziel klipp und klar die Abweichungsmöglichkeit von gesetzlich vorgegebenen Standards für Kommunen, wenn – und das sollten Sie vielleicht noch einmal nachlesen – der damit verbundene Zweck auch auf einem anderen Weg belegbar erreicht werden kann. Ergebnis dieses Arbeitsauftrages ist das jetzt vorliegende Standardbefreiungsgesetz.

Herr Becker, da geht es nicht um Standardabbau. Herr Töns, da geht es nicht darum, dass etwas rasiert oder abgesenkt wird. Da geht es vielmehr darum, dass etwas sinnvoll anders gemacht wird. Wie sehen die Chancen für dieses Gesetz aus?