Protokoll der Sitzung vom 31.05.2006

Herr Minister, ich frage Sie, ob Herr Kuschke eine Frage stellen darf, weil Sie gerade die Frage schon zugelassen hatten. – Bitte.

Herr Minister Laschet, im Gesetzentwurf wird geregelt, dass die Bestimmungen für Lehrerinnen und Lehrer analog auf die im Landesdienst stehenden pädagogischen und sozialpädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern angewandt werden sollen. Das heißt, der Geltungsbereich geht über Lehrerinnen und Lehrer hinaus.

Was die Unterschiede der Lehrerinnen und Lehrer zu den Erzieherinnen und der Erzieher anbelangt, stimme ich Ihnen zu, aber ich frage Sie trotzdem: Denkt die Landesregierung darüber nach, zukünftig auch das Kopftuchverbot für Erzieherinnen ins Auge zu fassen, unabhängig vom Schulgesetzentwurf?

Die Landesregierung denkt nicht darüber nach, ein Kopftuchverbot für Erzieherinnen einzuführen.

(Norbert Römer [SPD]: Das ist inkonse- quent!)

Was ist konsequent und was nicht? Wir sind dauernd konsequent, und Sie verstehen dauernd nicht, wieso wir konsequent sind.

(Beifall von der CDU)

Unsere Politik ist konsequent und jede Debatte in diesem Landtag hat das Problem, dass Sie nicht erkennen, wie konsequent wir sind.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Edgar Mo- ron [SPD])

Was heißt hier also „Das ist inkonsequent“?

(Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE])

Diese Politik ist konsequent. Lehrerinnen sollen neutral sein, Lehrerinnen sollen ihren Kindern in ihrer besonderen Aufgabe kein Vorbild geben, indem sie ein Kopftuch tragen und Schülerinnen damit beeinflussen. Bei Erzieherinnen ist der Fall anders.

(Ute Schäfer [SPD]: Warum eigentlich?)

In unserem Ministerium arbeiten übrigens auch Frauen mit Kopftuch. Es geht nicht um den öffentlichen Dienst, es geht nicht um Kopftuchdiskreditierung. Es gibt viele Frauen, die aus ganz anderen Gründen ein Kopftuch tragen.

Ich war diese Woche in Solingen, Frau Löhrmann. Die Frau Genc trägt immer Kopftuch.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das habe ich schon zitiert!)

Ja, ich weiß, dass Sie das zitiert haben. Aber es geht heute nicht um Diskreditierung von Kopftuch, sondern es geht um

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Doch, es geht darum!)

nein! – die Neutralitätspflicht des Lehrers, und diese Klarheit führt der Gesetzentwurf von CDU und FDP ein. Insofern hilft er der Integrationspolitik und schadet ihr nicht.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Laschet. – Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Deshalb kommen wir zum Schluss der Debatte.

Wir stimmen ab. Der Hauptausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung Drucksache 14/1927, den Gesetzentwurf Drucksache 14/569 unverändert anzunehmen. Wer dieser Beschlussempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Dann ist diese Be

schlussempfehlung angenommen und der Gesetzentwurf in zweiter Lesung verabschiedet.

Wir kommen zu:

4 Stammzellforschung fördern – Stichtagsregelung zum Embryonenschutz erhalten

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/1990

Ich eröffne die Debatte und erteile Frau Dr. Seidl von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 30. Januar 2002 hat der Deutsche Bundestag mit der Verabschiedung des Stammzellgesetzes das Verbot der Herstellung humaner embryonaler Stammzellen in Deutschland bekräftigt und sich darüber hinaus grundsätzlich gegen den Import menschlicher embryonaler Stammzellen entschieden. Gleichzeitig wurde eine Importmöglichkeit für solche Stammzelllinien eröffnet, die vor der Verabschiedung des Gesetzes hergestellt wurden. Der Stichtag ist der 1. Januar 2002.

Dieser Beschluss wurde nach einer intensiven und qualitätsvollen Debatte von einer breiten und fraktionsübergreifenden Mehrheit des Deutschen Bundestages gefasst – aus unserer Sicht ein Kompromiss, der die Argumente sowohl von Befürwortern als auch von Gegnern einer Forschung an embryonalen Stammzellen berücksichtigt.

Das Stammzellgesetz ist Ausdruck der hohen Verantwortung, mit der die Debatte im Bundestag geführt wurde. Es verhindert den weiteren Verbrauch von Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen und schafft verbindliche Regelungen für den Umgang mit bereits etablierten Stammzelllinien. Mit der Stichtagsregelung sollte vermieden werden, dass von Deutschland aus Signale für eine Tötung weiterer Embryonen ausgehen. Ich erinnere daran, dass dieser ernsthafte Diskussionsprozess im Deutschen Bundestag in der Öffentlichkeit als Sternstunde des Parlamentarismus gewürdigt wurde.

Deshalb ist es sehr irritierend, dass nun Minister Pinkwart hingeht und diesen von der Mehrheit des Bundestages getragenen Kompromiss auf dem Jahreskongress des Netzwerks „Stammzellforschung“ am 15. Mai dieses Jahres infrage stellt.

Viele von Ihnen werden sich gefragt haben: Wie kann er das so einfach machen?

(Viele Abgeordnete verlassen den Raum. – Unruhe – Johannes Remmel [GRÜNE]: Das ist doch unmöglich! – Glocke)

Wer unterstützt ihn, in dieser Weise vor die Öffentlichkeit zu treten? Mit Blick auf die Stichtagsregelung hat er

(Unruhe – Glocke)

laut dpa-Mitteilung vom 15. Mai Folgendes gesagt – ich zitiere –: „Wir meinen, das macht so keinen Sinn.“ Da frage ich mich: Wer ist denn „wir“, Herr Minister Pinkwart? Ist das die derzeit regierende große Koalition im Bund? Deren Forschungsministerin heißt Frau Schavan, und die hat sich vor kurzem noch eindeutig für den Erhalt der Stichtagsregelung ausgesprochen. Oder ist das doch eher die schwarz-gelbe Regierung in Düsseldorf, in der sich die CDU bislang sehr deutlich anders positioniert hat? Oder ist es vielleicht nur die FDP, die eine solch isolierte Meinung vertritt?

In der Tat gibt es eine Reihe von Forscherinnen und Forschern, auch in Nordrhein-Westfalen, die eine Lockerung des Embryonenschutzgesetzes fordern. Insbesondere die Stichtagsregelung ist vielen ein Dorn im Auge, erhofft man sich doch von frischen Stammzelllinien bessere Ergebnisse, zumindest in der Grundlagenforschung. Denn – das hat der Kongress in Münster sehr deutlich gemacht – alles andere sind bislang Ziele und Visionen. Therapien für Parkinson, Herzinfarkt oder Diabetes liegen noch in weiter Ferne. Deshalb sagt selbst der renommierte deutsche Wissenschaftler Prof. Rudolf Jaenisch, der seit vielen Jahren in Boston forscht: Wir müssen ehrlich sein zu den Menschen. Und er fordert neben größeren Freizügigkeiten auch eine Versachlichung der Debatte.

Deshalb fragen wir Sie, Herr Minister Pinkwart, ob Ihnen bekannt ist, dass trotz der Restriktionen im Stammzellgesetz in Deutschland inzwischen 16 Anträge auf Import genehmigt wurden, darunter fünf von Forschergruppen aus NordrheinWestfalen. Dies sind mehr Projekte als in Großbritannien, wo es keine Stichtagsregelung gibt und wo das therapeutische Klonen erlaubt ist.

Mit anderen Worten: Obgleich wir die biomedizinische Forschung nur da unterstützen, wo Menschenwürde und Menschenrechte respektiert werden, hat das dem biomedizinischen Forschungsstandort Deutschland bisher nicht geschadet. Er nimmt in der biomedizinischen Grundlagenforschung bei der Erforschung wichtiger Krankheiten

vielmehr einen Spitzenplatz ein. Erst vor wenigen Wochen veröffentlichte der Deutsche Industrieverband Biotechnologie einen Bericht, wonach sich Deutschland nach den USA zum stärksten Standort für die biotechnische Entwicklung und Produktion emporgearbeitet habe.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, neue Forschungen aus den USA zeigen, dass sich Körperzellen von Erwachsenen in den embryonalen Zustand zurückversetzen lassen. Diese Grundlagenforschung, die auch in Deutschland möglich ist, würde den Weg für Stammzellen mit den Eigenschaften embryonaler Zellen öffnen, ohne dass Embryonen verbraucht oder Eizellen von Frauen benötigt werden. Aus unserer Sicht müssen hohe ethische Standards kein Hindernis für einen Forschungsstandort sein – ganz im Gegenteil.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vor diesem Hintergrund fordern wir Sie, Herr Minister Pinkwart auf, den gesellschaftlichen Konsens zum Embryonenschutz ernst zu nehmen und die Debatte auf Bundesebene nicht neu anzuheizen. Gleichzeitig erwarten wir von der Landesregierung, keine Initiative für eine Veränderung der Stichtagsregelung zu ergreifen oder zu unterstützen, sondern sich aktiv für den Erhalt des Embryonenschutzes einzusetzen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Danke schön, Frau Dr. Seidl. – Für die CDU spricht Herr Dr. Brinkmeier.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn in der Gesellschaft und in unseren Parlamenten über ein Thema Debatten geführt werden sollen, die die Grundlagen des Menschseins als solches betreffen, ist man gut beraten, sich in solche Debatten sehr überlegt und auch mit einer gewissen Demut einzubringen. In diesem Hause führen wir in großer Anzahl und mit großer Leidenschaft Debatten über die vielen großen und kleinen Dinge des gesellschaftlichen Miteinanders, und wir treffen Entscheidungen zumeist auf der Grundlage unserer Partei- oder Fraktionszugehörigkeit.

Dies ist vom Grundgesetz so möglich gemacht worden und hat vor allem den großen Wert, dass man auf diese Weise einen bestmöglichen Kompromiss zwischen der Summe individueller Meinungen von Entscheidern, also von uns Parlamentariern, und der Berechenbarkeit, Durchführbarkeit und Stringenz von politischen Projekten erzielen kann. Das Grundgesetz sieht aber auch

vor, dass wir Abgeordnete nur unserem eigenen Gewissen unterworfen sind, und dies aus gutem Grund, um nämlich die Letztinstanzlichkeit der Parlamentarier, die als Personen und nicht als Platzhalter ins Parlament entsandt werden, zu gewährleisten.

In der politischen Praxis hat es sich etabliert, dass bei grundsätzlich reversiblen Entscheidungen – Steuern rauf oder runter, Generalrevision von Hartz IV ja oder nein – der sogenannte Fraktionszwang zum Tragen kommt.

Gewissensentscheidungen sind meist irreversible Entscheidungen. Zu ihnen gehören auch alle Entscheidungen, die das Leben des Menschen selbst betreffen, weil aller Erfahrung nach einmal getroffene Entscheidungen in diesem Bereich nie wieder rückgängig gemacht werden können. Deswegen ist man gut beraten, solche Debatten unabhängig vom parteipolitischen Hintergrund zu führen und sich auf die Kraft der guten Argumente zu konzentrieren.

Die Stammzellenfrage ist ohne Zweifel eine Frage, die das Dasein des Menschen aufs Innerste betrifft. Die öffentliche Debatte läuft seit Ende der 90er-Jahre, in der Wissenschaft schon viel länger. Der nordrhein-westfälische Landtag hat vor fast genau fünf Jahren in einer der besten Debatten, die dieses Haus je erlebt hat, das Für und Wider der Stammzellenfrage abgewogen – ohne Fraktionszwang. Parallel fand im selben Jahr in dem in dieser Frage entscheidenden Gremium, dem Deutschen Bundestag, die Debatte statt. Am 30. Januar 2002 – wir haben es eben von Kollegin Seidl gehört – hat sich der Deutsche Bundestag für die Stichtagsregelung entschieden – auch ohne Fraktionszwang.