Protokoll der Sitzung vom 31.05.2006

Wenn man sich das vorstellt, dann finde ich, dass diejenigen, die fordern, sich dieses Themas erneut zu widmen, weil es alle diese Instrumente nicht mehr gibt, und sich zu überlegen, wie man in Zukunft damit umgehen sollte – wobei die Grundidee der Zusammenführung der Hilfen in einer Hand richtig bleibt –, nichts Unrechtes tun, sondern nur versuchen, eine Situation in den Griff zu bekommen, die wir alle beklagen.

Ein weiterer Punkt ist: Wir haben früher eine Schnittstelle zwischen Sozial- und Arbeitslosenhilfe gehabt, an der immer ein bisschen hin und her geschoben worden ist. Man hat in der Sozialhilfe gerne so lange beschäftigt, bis ein Arbeitslosengeldanspruch entstanden war. Die Leute bekamen dann ein paar Monate lang Arbeitslosengeld, dann Arbeitslosenhilfe und waren damit dauerhaft außerhalb der kommunalen Zuständigkeit.

Die Wahrheit ist doch – Herr Garbrecht, Sie wissen das genauso gut wie ich; ich habe auch keine Patentlösung –: Heute verläuft die Schnittstelle zwischen Bundesagentur für Arbeit und Hartz.

(Zuruf von Günter Garbrecht [SPD])

Es treibt mich um, dass immer mehr Menschen zwölf Monate lang Arbeitslosengeld bekommen und dass in diesen ersten zwölf Monaten, die eigentlich die besten wären, um wieder in den Arbeitsmarkt integriert zu werden, für viele zu wenig getan wird. Und die Bundesagentur kann schön glänzen, wenn diese Menschen anschließend in der Statistik nicht mehr auftauchen, weil sie dann in einem anderen Wegekreislauf sind. Von ungefähr drei Menschen, die bei der Bundesagentur nicht mehr geführt werden, geht – wenn meine

Information zutrifft – einer in Arbeit, zwei bleiben in der Erwerbslosigkeit.

Dann gibt es noch ein grundsätzliches Problem, bei dem man sich entscheiden muss: Die Organisationsstruktur und die Steuerung Arge – ein Teil Kommune, ein Teil Bund – knirscht und knackt es an jeder Stelle.

(Beifall von der FDP und Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Ich glaube einfach nicht, dass dieser Konflikt aufzulösen ist, solange wir in dem alten Denken verharren, sondern es muss eine neue Sache her. Man muss sich entscheiden: Ist es die Kommune oder ist es der Bund?

(Hannelore Kraft [SPD]: Was wollen Sie denn!)

Ich bin für eine Regionalisierung und Kommunalisierung. Dafür war ich immer, um es ganz klar zu sagen. – Dieses alte Konstrukt funktioniert also nicht.

Die Wahrheit, Frau Steffens, ist: Was habt ihr denn in Berlin erreicht? Es sollten jetzt mit diesem Fortentwicklungsgesetz die Durchgriffsrechte des BMA über Nürnberg unter völliger Aushebelung der Kommunen und der Länder zu 100 % umgesetzt werden.

Es ist im Ausschuss von Ihnen, Herr Schmeltzer, oder von jemand anderem von der SPD gesagt worden: Der Laumann und das Land haben mit Arbeitsmarktpolitik nichts mehr zu tun; wir haben mit Müntefering gesprochen; das Ganze wird so verabschiedet.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das ist von kei- nem so gesagt worden!)

Das ist vom Tisch. Damit haben wir einen entscheidenden Punkt erreicht, dass nämlich die Frage der Organisationsstruktur, die wichtig ist, um es von der Administration her möglich zu machen, zumindest erst einmal offen gehalten worden ist.

(Zurufe von Barbara Steffens [GRÜNE] und Hannelore Kraft [SPD])

Und in der Debatte um die Höhe des Schonvermögens haben wir immerhin erreicht – das ist zwar noch nicht befriedigend; ich hätte gerne mehr gesehen; auch das wird im Herbst dazu gehören –, dass 50 € pro Lebensjahr für die Älteren dazu gekommen sind. Nehmen Sie es einfach zur Kenntnis.

(Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE])

Wir wären gut beraten, wenn wir in einem Land, wo wir vor allen Dingen im Ruhrgebiet in diesem Punkt überdimensionale Probleme haben, mehr die Gemeinsamkeit herausarbeiten würden, denn wir reden immerhin über einen großen Prozentsatz unserer Bevölkerung.

(Beifall von der CDU)

Hier soll nicht gestraft werden, aber es muss ein System her, das funktioniert. Ein funktionsfähiges System ist auch die Voraussetzung, um die Missbrauchsdiskussion endgültig an die Seite zu legen. Denn unter einer Missbrauchsdiskussion leiden immer diejenigen, die die Leistungen wirklich brauchen. Deswegen müssen wir so stark werden, dass wir die Spreu vom Weizen trennen können. – Danke schön.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Es liegt eine weitere Wortmeldung des Abgeordneten Schmeltzer, SPDFraktion, vor.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Zunächst möchte ich herausstellen, dass Kollege Wilp der Einzige gewesen ist – außer mir und dem Kollegen Garbrecht –, der „wir“ gesagt hat. Herzlichen Dank, Herr Wilp, Sie haben verstanden: Wir haben die Hartz-Gesetze verabschiedet.

(Zuruf von der FDP)

Dann haben Sie dichtgemacht. Genau. – Ich möchte das eine oder andere noch einmal klarstellen und in Erinnerung rufen. Gestern habe ich in der „Stuttgarter Zeitung“ gelesen:

„Auch die Union muss sich kritische Fragen gefallen lassen. Im Vermittlungsausschuss war es der hessische Ministerpräsident Roland Koch, CDU, der den Kompetenzwirrwarr aushandelte. Der heutige nordrhein-westfälische Sozialminister Karl-Josef Laumann setzte später eine Regelung durch, die Arbeitslosen einen höheren Zuverdienst belässt.“

Heute Morgen hören wir im Radio im Westdeutschen Rundfunk, wie der Ministerpräsident beklagt, dass sich viel zu viele Aufstocker ihre Arbeitszeiten aussuchen würden, anstatt einen vollen Arbeitsplatz auszufüllen. Der Verdienstausfall würde aus Arbeitslosengeld-II-Mitteln ausgeglichen.

Der Arbeitsminister hat in seinem ersten Redebeitrag hier und heute dargestellt, dass drei Viertel

aller Aufstocker einer Vollbeschäftigung nachgingen.

Herr Ministerpräsident, Herr Minister, einer von Ihnen betreibt hier Meinungsmache. Was stimmt denn jetzt: das, was der Ministerpräsident im Radio sagt, oder das, was Sie hier im Plenum sagen?

(Beifall von der SPD)

Ministerpräsident Roland Koch war es auch, der im Vermittlungsausschuss – die „Stuttgarter Zeitung“ hat es als Kompetenzwirrwarr bezeichnet – anschließend die Urheberschaft für diesen Kompromiss für sich in Anspruch genommen hat. Auch daran will ich erinnern.

Das, was wir heute unter anderem debattieren, und das, was wir, die Kollegin Steffens und ich, Ihnen heute aufgezeigt haben, ist doch der Wirrwarr, der im Bund seitens CDU/CSU läuft. Ministerpräsident Rüttgers und Arbeitsminister Laumann fordern Dinge, die letztlich nichts anderes als eine Mehrbelastung sind. Ihre Kolleginnen und Kollegen im Land wollen aber weniger Belastung. Ordnen Sie doch erst einmal Ihre Meinung innerhalb der CDU, Herr Ministerpräsident! Sie sind stellvertretender Bundesvorsitzender; davon merkt man hier überhaupt nichts.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Regeln Sie das in Ihren Gremien und gehen Sie erst dann nach draußen und nicht heute hui und morgen pfui!

Herr Minister Laumann, Sie haben das Schonvermögen jetzt zweimal angesprochen. In Ihrem ersten Redebeitrag kam heraus: Das muss geregelt werden. In Ihrem zweiten Redebeitrag haben Sie das schon etwas relativiert.

(Minister Karl-Josef Laumann: Nein!)

Ja, doch. Ich relativiere das ja. Das ist in Ordnung. Seien Sie doch froh, dass ich Ihre Redebeiträge relativiere und Ihnen ab und zu auch einmal Recht gebe. Ich habe Ihnen beim letzten Mal schon gesagt, nicht immer, wenn ich den Mund aufmache, ist das nur Kritik. – Aber es gehört zur Redlichkeit, an der Stelle deutlich zu machen, dass die Erhöhung des Schonvermögens für Ältere nicht wieder einmal ein Ergebnis ist, das einzig und allein auf die CDU zurückgeht, sondern gemeinsam ausgehandelt wurde, und Sozialdemokraten dieses Schonvermögen für Ältere auf ihrer Agenda hatten. Das gehört zur Redlichkeit.

(Beifall von der SPD)

Man darf nicht nach dem Motto vorgehen: gute Sachen – hui! – CDU, böse Sachen – pfui! – SPD. Das gehört sich bei gemeinsamen Sachen nicht.

Schauen wir uns einmal an, was hier derzeit passiert! Wir haben gerade die Jahresbilanz der Landesregierung vor Augen gehabt. Wirtschaftspolitik: gen null. Arbeitsmarktpolitik – in den Umfragen des WDR deutlich nachzulesen –: gen null. In NRW kriegen Sie etwas nicht hin, und in Berlin versuchen Sie, sich bundespolitisch als Opposition gegen die Koalition Gehör zu verschaffen. Herr Ministerpräsident, Herr Minister, das mag zwar im Rahmen des Populismus eine tolle Nummer sein, hilft aber keinem Menschen, keinem Arbeitslosen in diesem Land. Deswegen sollten Sie dieses Gezeter sein lassen und sich sachlich und fachlich ordentlich einbringen.

(Beifall von der SPD)

Sie wollen, Sie wollen, Sie wollen – hören wir immer wieder von Ihnen. Ich sage Ihnen, was die Basis davon hält. Gestern hat der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft in Düsseldorf auf die Frage, was er sich von den Arbeitsministern Müntefering und Laumann wünschen würde, geantwortet: Gelassenheit der Politik, um uns arbeiten zu lassen. Es ist zu früh, schadet der Motivation und hilft nicht, die Ziele der Reform zu erreichen, wenn jeden Tag ein neues Thema durchs Dorf getrieben wird.

Er hat Recht. Generalrevision hilft nicht. Wir müssen sehen, was geändert werden muss, und dass etwas geändert werden muss, ist hier öfter angesprochen worden. Das können wir auch gemeinsam. Dafür brauchen wir keine Generalrevision. Sie spielen zurzeit ausschließlich die Strategie, hier in Düsseldorf die Opposition Richtung Berlin zu treiben. Das hat schon einmal Franz-Josef versucht. Jetzt versucht es Karl-Josef, und das ist eine Strauß-Light-Nummer.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Schmeltzer. – Es liegt noch eine Wortmeldung des Abgeordneten Henke vor. Bitte schön.

Herr Präsident! Verehrte Damen, meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil Sie, Herr Schmeltzer, von „wir“ gesprochen haben, will ich noch einmal die Frage stellen: Was ist eigentlich die Aufgabe dieses Wir? Um was geht es?

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Um Menschen!)

Sie sagen, Generalrevision kommt nicht infrage. Sie sagen: Wer bei Hartz IV über Generalrevision redet, sorgt dafür, dass alle verunsichert werden. – Das, was Sie alle verunsichert, ist die Feststellung der Fakten.

Was war denn mit der Vorstellung der HartzKonzeption angekündigt? Erinnern wir uns doch daran, was passiert ist, als man die HartzKonzeption angekündigt hat! Damals ist in Aussicht gestellt worden, dass als ein Ergebnis der Hartz-Gesetzgebung die damals in Deutschland bei 4 Millionen liegende Arbeitslosigkeit innerhalb eines Zeitraums bis zum Sommer 2005 halbiert werden würde. Das waren damals die Ankündigung und das Versprechen.