Protokoll der Sitzung vom 01.06.2006

Erstens. Ich finde es bemerkenswert, wie man über 20 Minuten lang über einen Antrag reden kann, der sich ausweislich seines Titels an die Bundesregierung richtet. Es geht um die „von der Bundesregierung beschlossenen Mittelkürzungen“. Aber Sie haben nicht eine einzige Forderung in Richtung Berlin formuliert – weder schriftlich in diesem Antrag, Herr Kollege Wißen und Herr Kollege Horstmann, noch in dieser Debatte. Das ist in der Tat atemberaubend. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie nordrhein-westfälische Interessen auch gegenüber Ihren Freunden in Berlin wahrnehmen.

(Beifall von CDU und FDP)

Herr Minister Wittke, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, bitte nicht. – Eine letzte Bemerkung: Frau Kraft, ich habe gerade mit großer Freude gehört, dass Sie in Berlin Gespräche in Sachen Regionalisierungsmittel geführt haben. Wären Sie dann bitte so freundlich, dieses Hohe Haus über die Ergebnisse dieser Gespräche zu informieren? – Herzlichen Dank.

(Beifall von CDU und FDP – Christian Lind- ner [FDP]: Dabei ist nichts herausgekom- men!)

Vielen Dank, Herr Minister Wittke. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss der Beratung.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags mit der Drucksache 14/1976 einschließlich des Entschließungsantrags, der Ihnen mit der Drucksache 14/2029 – Neudruck – vorliegt, an den Ausschuss für Bauen und Verkehr; die abschließende Beratung und Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dieser Überweisungsempfehlung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist diese Überweisungsempfehlung mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen worden.

Ich lasse zweitens über den Eilantrag mit der Drucksache 14/2011 abstimmen. Über ihn ist direkt abzustimmen, sodass wir sofort zur Abstimmung kommen können. Wer diesem Eilantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt, und wir sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunktes.

Ich rufe auf:

4 Menschenhandel bekämpfen – Opferrechte weiter ausbauen

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/1987

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollegin Düker das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Das Thema „Zwangsprostitution und Menschenhandel“ ist durch die Weltmeisterschaft in unserem Land einmal mehr in den Blick der Öffentlichkeit gelangt.

Einen wesentlichen Beitrag zur öffentlichen Debatte liefert die Kampagne „Abpfiff – Schluss mit Zwangsprostitution“ des deutschen Frauenrats. Sie nutzt die Fußballweltmeisterschaft, um eine breite Öffentlichkeit im In- und Ausland auf das Problem der kriminellen Machenschaften und der Zwangsprostitution aufmerksam zu machen. Ziel der Kampagne ist es aber auch, die politisch Verantwortlichen mit Nachdruck dazu aufzufordern, konsequenter und erfolgreicher gegen diese schweren Verletzungen von Menschen- und Frauenrechten vorzugehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Menschenhandel ist ein schwerwiegender Verstoß gegen die Menschenrechte. Opfer sind insbesondere Frauen, die sexuell ausgebeutet werden. Sie sind physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt. Sie werden vergewaltigt. Ihnen wird gedroht, dass ihren Familienangehörigen im Heimat- und Herkunftsland Gewalt angetan wird. Sie werden unter Vortäuschung falscher Tatsachen angeworben: Nur ein Drittel der Frauen ist bei der Anwerbung damit einverstanden, dass sie zum Zweck der Prostitution angeworben werden. Selbst diese Frauen wissen nichts über die – in Anführungszeichen – „Arbeitsbedingungen“, die sie hier erwarten.

Die Frauen kommen zu einem großen Teil aus Osteuropa. Ursachen sind die steigende Armut und insbesondere natürlich auch die steigende Frauenarmut in diesen Ländern. Die sich öffnenden Grenzen nach Osteuropa verstärken das Problem. Der Anteil der Minderjährigen steigt in einem dramatischen Maße an. Laut Lagebericht des Landeskriminalamts zum Menschenhandel aus dem Jahr 2004 war das jüngste Opfer 14 Jahre alt. Mit menschenverachtenden Methoden erzielen die Hintermänner hohe Profite, die laut Landeskriminalamt inzwischen mit denen des internationalen Drogenhandels konkurrieren.

Die Strafverfolgung ist aufwendig, es gibt abgeschottete Bandenstrukturen, die Dunkelziffer ist hoch. Die Frage ist, wie man an die Täter kommt. Aus dem Lagebericht Menschenhandel des Landeskriminalamtes hierzu ein Zitat:

„Die Detailinformationen zu den Verfahren beruhen ausschließlich auf den Angaben der Opfer. Diese Angaben wurden auf der Basis inten

siver Ermittlungen im Rotlichtmilieu, einer engen Zusammenarbeit zwischen Polizei und den spezialisierten Fachberatungsstellen … sowie einer umfassenden Begleitung und Betreuung der Opfer erlangt.“

Die Situation der Opfer ist dadurch gekennzeichnet, dass sie Opfer und Zeuginnen sind, aber auch Beschuldigte, weil sie oft mit einem illegalen Aufenthaltsstatus in Deutschland leben. Ihre Familien und Freunde werden Drohungen ausgesetzt, sie haben schlechte Erfahrungen in ihren Herkunftsländern mit Polizei und staatlichen Institutionen gemacht. Was wir brauchen, meine Damen und Herren, ist ein verstärkter Schutz, mehr Sicherheit für diese Opfer. Das müssen wir ausbauen. Dann werden wir auch bei der Strafverfolgung und bei der Ermittlung mehr Erfolge erzielen. Wir müssen die Frauen rechtlich absichern, finanzielle Hilfen, Hilfsmöglichkeiten und psychosoziale Beratung anbieten. Hier leisten die Fachberatungsstellen in unserem Land eine wichtige Arbeit.

Die derzeitige Situation ist besser als in vielen anderen Bundesländern, aber noch immer nicht so, dass wir sagen können, wir haben ein ausreichendes Schutzprogramm für die Frauen, sodass für sie ein besonderer Anreiz zu einer Aussage im Strafverfahren besteht, wie es im Übrigen die EURichtlinie vom April 2004 fordert. So werden nach wie vor auch nach dem Lagebericht Menschenhandel des Landeskriminalamtes über ein Drittel der von Zwangsprostitution betroffenen Frauen abgeschoben oder sie reisen aus. Unter Umständen hätten diese Frauen wertvolle Informationen für das Ermittlungsverfahren liefern können.

Was also muss verbessert werden? – Wir brauchen für die Opfer, wenn sie aufgegriffen werden, eine relativ lange Bedenkzeit, einen Aufenthaltstitel. Wir sagen, wir brauchen einen Aufenthaltstitel für sechs Monate als Bedenkzeit, als Stabilisierungszeit für diese Frauen. Wenn sie sich entschließen, im Verfahren auszusagen, dann brauchen wir nicht wie bisher eine Duldung, sondern eine vernünftige Aufenthaltsberechtigung für die Dauer des Verfahrens. Nach dem Verfahren – das ist uns ganz wichtig – brauchen wir eine Härtefallregelung, damit die Frauen, denen durch ihre Aussage eine Gefährdung in ihrem Herkunftsland droht – es sind nicht wenige, die akut gefährdet sind, wenn sie nach einer erfolgreichen Aussage wieder in ihre Herkunftsländer zurückgehen –, einen gesicherten Aufenthaltsstatus haben.

Wir brauchen eine soziale Absicherung für die Dauer ihres Aufenthaltes. Zurzeit verfügen sie, wie gesagt, nur über eine Duldung. Wir brauchen

einen Zugang zum Arbeitsmarkt sowie nicht nur eine medizinische Notversorgung, sondern die notwendige medizinische Versorgung. All dies trägt zur Stabilisierung der Frauen und dazu bei, dass sie in den Verfahren aussagen, sodass wir an die Täter herankommen.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Ich komme zum Schluss.

Der Referentenentwurf, der zurzeit zum Aufenthaltsgesetz in Berlin diskutiert wird, bleibt hinter diesen Forderungen weit zurück. Wir sagen heute: Ein verbesserter Opferschutz ist nicht nur wichtig für die Opfer, sondern auch für eine bessere Strafverfolgung und mehr Erfolge im Kampf gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU der Kollege Schittges das Wort.

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sie alle wissen, dass die Rechte der Opfer von Menschenhandel ein sensibles Thema sind. Leider wird der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dieser Sensibilität nicht gerecht, weil dieser Antrag erstens populistisch und zweitens überwiegend überflüssig ist.

Überflüssig ist er deshalb, weil die in dem Antrag aufgestellten Forderungen entweder in dem Referentenentwurf, Frau Kollegin Düker, bereits enthalten sind oder über die Erfordernisse der Richtlinien hinausgehen. Es dürfte hinlänglich bekannt sein, dass die Koalition in Nordrhein-Westfalen erneuern will und wird und sich vor allem darauf geeinigt hat, EU-Richtlinien 1:1 umzusetzen. Aber das scheint Ihnen – das erlebe ich immer wieder – entgangen zu sein.

Herr Kollege Schittges, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Düker?

Immer, aber heute nicht – ich bitte herzlich um Verständnis –, weil ich meine, sachlich auf diese Position eingehen zu müssen, und weil ich, wenn Frau Kollegin Düker mir zuhört, wahrscheinlich Gelegenheit habe, alle ihre Fragen in ausreichender Weise zu beantworten.

Meine Damen und Herren, die Erforderlichkeit für ein Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union ergibt sich aus der Verpflichtung zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft in das nationale Recht. Es handelt sich um elf Richtlinien aus dem Bereich des Ausländer- und Asylrechts, die im Zeitraum von November 2002 bis Dezember 2005 erlassen worden sind. In weiten Teilen, meine Damen und Herren, stimmt das geltende Ausländerrecht mit den Richtlinien überein, sodass nur geringfügige Anpassungen und punktuelle Änderungen erforderlich sind.

(Monika Düker [GRÜNE]: Das stimmt doch gar nicht!)

Ich spreche von 1:1-Umsetzung, Frau Düker. Bitte halten Sie das nach.

Allerdings führt die Erforderlichkeit zur Schaffung neuer Aufenthaltsrechte und Zulassungsverfahren bei der Umsetzung einiger Richtlinien zu umfangreichen Änderungen im Aufenthaltsrecht und in der Aufenthaltsverordnung. Ziel der Harmonisierung ist es, durch Festlegung von Mindestnormen ein Mindestmaß an Schutz zu gewährleisten und durch Angleichung der Rechtsvorschriften Anreize für Sekundärmigration auf dem Gemeinschaftsgebiet zu verringern.

Fernziel ist ein von uns immer wieder eingeklagtes gemeinsames Asylsystem mit einem einheitlichen Status für Flüchtlinge und subsidiär Geschützte in einem gemeinsamen Asylverfahren. Die Richtlinie über die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatenangehörige, die Opfer des Menschenhandels sind oder denen Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet wurde – ich betone das – und die mit den zuständigen Behörden kooperieren, Frau Düker, dient der Bekämpfung der illegalen Einwanderung. Sie fordert aufenthaltsrechtliche Maßnahmen zugunsten der genannten Personen, die bereit sind, mit den Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichten zusammenzuarbeiten und sich als Zeugen zur Aufklärung und Verfolgung entsprechender Straftaten zur Verfügung zu stellen.

(Vorsitz: Präsidentin Regina van Dinther)

Dies ist unbedingte Grundvoraussetzung dafür, dass diese Personen in den Genuss der aufenthaltsrechtlichen Vergünstigungen kommen.

(Monika Düker [GRÜNE] unterhält sich.)

Frau Düker, wenn Sie zuhören würden, bräuchten Sie wahrscheinlich keine Frage zu stellen.

Die Einfügung eines neu zu schaffenden § 25 Abs. 4 Aufenthaltsgesetz für die Opfer des Menschenhandels erfordert die Regelung des Leistungsbezugs nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Somit ist eine andere Regelung – das darf ich mit Blick auf Ihren Antrag sagen – gar nicht möglich. In der Regel ist der Aufenthalt dieser Personengruppe – auch das betone ich – rechtswidrig. Zudem besitzen sie oftmals keinen Pass, etwa, weil er Ihnen – das sei zugegeben – von den Tätern abgenommen wurde. Oftmals ist ihre Identität – das wissen Sie alle – durch die Ausländerbehörden vor Ort nicht geklärt.

Um diesem Personenkreis die Erteilung eines Aufenthaltstitels zum vorübergehenden Aufenthalt zu ermöglichen, sieht Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie vor, dass eine unerlaubte Einreise und die Nichterfüllung der Passpflicht hierfür unschädlich sind. Des Weiteren sind Mittel zur Sicherstellung des Lebensunterhalts zu gewährleisten, wenn der begehrende Ausländer nicht über ausreichende Mittel verfügt. Weiterhin soll der für Opfer von Menschenhandel vorgesehene Aufenthaltstitel für die Dauer von mindestens sechs Monaten gültig sein.

Daher wird für die in § 25 Abs. 4 Aufenthaltsgesetz neu geschaffene Aufenthaltserlaubnis eine Regelerteilung – ich versuche mich diesem Thema sachlich zu nähern, Frau Düker –

(Monika Düker [GRÜNE]: Davon merke ich nichts!)

mit einer Verlängerungsdauer von sechs Monaten vorgesehen. Diese Regelbefristung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Aufenthaltserlaubnis nur für einen vorübergehenden Aufenthalt ausgestattet ist. Zugleich wird damit eine enge Bindung an die Dauer des Strafverfahrens gewährleistet. Die Regelbefristung von sechs Monaten ermöglicht im Hinblick auf die zumeist nicht genau vorhersehbare Dauer eines Ermittlungs- oder gerichtlichen Strafverfahrens die Aufenthaltsdauer – es hat keinen Zweck, Ihnen das zu erläutern; Sie hören nicht einmal zu – an den jeweils absehbaren nächsten Verfahrensschritt anzupassen. Bei einer generell längeren Geltungsdauer stünde zu befürchten, dass in einer Vielzahl von Fällen Widerrufsverfahren möglich sind.

Nach bisheriger Verwaltungspraxis wurde mutmaßlichen Opfern eine mindestens vierwöchige Ausreisefrist gewährt. Diese Verwaltungspraxis wird nun durch die Umsetzung der Richtlinie gesetzlich geregelt. Die Ausländerbehörden – das wissen Sie auch – haben im Rahmen der Festsetzung der Ausreisefrist die betreffenden Personen

zugleich auf die für Opfer von Menschenhandel bestehenden gesetzlichen Regelungen aufmerksam gemacht.