Aber was kann man als Land in einer solchen Situation denn jetzt ganz praktisch tun? – Natürlich werben wir alle für Lehrstellen. Ich habe letztes Jahr die 16 Regionen des Ausbildungskonsenses besucht. Viele Kollegen von Ihnen, die dort ihre Wahlkreise haben, waren mit dabei. Ich habe dem Ausbildungskonsens sehr viel Mut gemacht usw. Alle diese Dinge betreiben wir ja gemeinsam. Natürlich wird das im Sommer wieder in dieser Art und Weise stattfinden. Das gehört zu meinem Amt dazu. Ich bin auch allen Landtagsabgeordneten dankbar, die mich dann, wenn ich in ihre Wahlkreise komme, bei diesen Aktionen begleiten und unterstützen. – Das ist die eine Seite.
Die andere Seite ist aber, dass wir als Regierung schauen müssen, was wir ganz praktisch tun können. Ich kann mir die Lehrstellen ja auch nicht kaufen. Das mache ich ein Jahr. Dann habe ich im nächsten Jahr noch weniger Lehrstellen, weil alle darauf warten, dass der Arbeitsminister Lehrstellen kauft. Dieses Instrument könnten Sie nur ein Jahr anwenden.
Was kann ich also tun? Es gibt eine alte Forderung des Handwerks, die man wirklich nicht gering schätzen sollte, denn: Die Abschaffung des zwei
Und nach dem von allen Parteien im Deutschen Bundestag verabschiedeten Berufsbildungsgesetz ist die Möglichkeit eröffnet, Ausbildungsvergütungen bis zu 20 % zu variieren. Das ist in Deutschland Gesetzeslage. Jeder Betrieb, der nicht tarifgebunden ist – das ist die Einschränkung – kann die Ausbildungsvergütung um 20 % absenken, wenn er will; und die Kammern müssen diese Lehrverträge in den sogenannten Ausbildungsrollen eintragen. Für die Forderungen nach Absenkung der Lehrlingsgehälter gilt also:
Leute, ihr könnt sie senken! Daran wird es nicht scheitern. Daran wird keine Eintragung eines Ausbildungslehrvertrages scheitern. Das haben alle Parteien gemeinsam im Deutschen Bundestag vor anderthalb Jahren beschlossen.
Ferner haben wir in Nordrhein-Westfalen zum 1. August eine weitere Möglichkeit umgesetzt. Ich stelle sie Ihnen einmal an einem praktischen Beispiel vor. Herr Horstmann, in der Region, wo Sie zu Hause sind, schieben wir 60.000 Leute in den Warteschleifen vor uns her.
(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Katastrophal! – Hannelore Kraft [SPD]: Das ist besser als auf der Straße!)
Ja, darüber sind wir uns einig. Aber ich habe mir überlegt, wie ich diese Warteschleife auflösen kann. Eine entsprechende Anzahl an Ausbildungsplätzen steht nicht zur Verfügung.
Die Ausbildungsplätze dafür haben wir nicht. Auch wenn Sie hier herumkeifen, entsteht dadurch kein einziger zusätzlicher Ausbildungsplatz.
Da kann doch eine Landesregierung nur ganz praktisch sagen: Wir nutzen die Möglichkeiten des neuen Berufsausbildungsgesetzes, nämlich: die jungen Leute über die Kreisberufsschulen mit Praktikaanteilen in zwei oder drei Jahren zu Kammerprüfungen zuzulassen, damit sie ihren Gesellen- und Facharbeiterbrief machen.
Ich weiß: Das ersetzt keine duale Ausbildung, es ist ein Notnagel. Aber ein Notnagel ist in dieser Zeit besser als gar kein Nagel. Deswegen gehen wir das ganz praktisch an.
Die Kammern, die noch dagegenhalten, werden von Frau Thoben und mir persönlich aufgesucht. Denn vonseiten der Kammern kann man sich nicht gegen diesen Weg wehren, es sei denn, man würde uns die benötigten Lehrstellen bringen. Wenn die Kammern den beschriebenen Weg nicht wollen, sollen sie uns erklären, wie wir die Ausbildungslücke auf andere Art und Weise schließen können. – Von diesem Notnagel verspreche ich mir also schon ein bisschen.
Jetzt möchte ich noch einmal hervorheben, was ich für wirklich wichtig halte. Ich mache dieses Theater – ob das Ausbildungskonsens heißt oder wie es in der Öffentlichkeit auch immer heißen mag – nicht mit, nämlich sich am Ende des Jahres zu treffen und zu verkünden: Simsalabim, wir haben alle versorgt. Diese Pressemitteilung aus Ihrer Regierungszeit habe ich in meinem Haus schon vorgefunden.
Die Wahrheit ist, dass wir uns offen dazu bekennen müssen, dass diese Probleme existieren. Die Jugendlichen lesen staunend die Zeitung: Die Landesregierung, der Ausbildungskonsens, verkündet: Alle sind versorgt. Aber in Wahrheit befinden sie sich in berufsschulischen Warteschleifen, weil sie keine Lehrstelle gefunden haben.
Und dass wir damit ehrlicher umgehen, das lasse ich von Ihnen, Herr Horstmann, nicht kritisieren, denn Sie haben einem Kabinett angehört, welches das alles vertuscht hat.
(Beifall von CDU und FDP – Dr. Axel Horst- mann [SPD]: Sie reden darüber weniger als frühere Regierungen!)
(Minister Karl-Josef Laumann: Das ist uner- träglich! – Hannelore Kraft [SPD]: Ihr Beitrag ist unerträglich!)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Redebaustein der Erblast passt hier nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition. Ausbildungsplatzlücke als Erblast zu nehmen, ist unredlich und falsch.
Wir haben jedes Jahr aufs Neue neue Schulabgänger. Wir haben jedes Jahr aufs Neue das Problem, dass die Betriebe nicht mehr ausbilden. Das ist die Wahrheit, und das ist mit Erblast nicht zusammenzubringen. Das vorweg.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich dachte am Anfang der Debatte, dass die Reflexe, die von der „Rheinischen Post“ angesprochen wurden, heute nicht kommen würden. Aber spätestens nach den Ausführungen der Kollegen Knieps und Witzel bin ich mir sicher: Die Reflexe sind wieder voll vorhanden.
Wir wollen gleich, weil hier „so schön“ von Zahlenspielen aus der Regierungszeit Schröder gesprochen worden ist, Herr Kollege Henke, mit dem Thema „Zahlenspiel“ anfangen. Wir haben uns noch einmal die Statistik angesehen. Ich wäre sehr vorsichtig, mit Zahlen aus der Zeit der Bundesregierung unter Gerhard Schröder zu spielen, wenn man sich nicht die Zahlen aus der Regierungszeit von Herrn Kohl und diesem Zukunftsminister angesehen hat.
Die will ich Ihnen jetzt nennen. 1995 – Kohl regierte – 572.774 neu abgeschlossene Ausbildungsverträge, 2000 – Kanzler Schröder – 621.693. Das war der Unterschied bei der Zahl der Ausbildungsverträge.
Jetzt nehmen wir die Bugwelle, Herr Kollege Henke, die von Ihnen allen angeprangert wird. Herr Kollege Laumann, ich gebe Ihnen Recht: An der Bugwelle müssen wir arbeiten. Das ist überhaupt nicht die Frage. Aber wenn wir die Zahlen spielen, dann spielen wir sie auch weiter. 1997/1998 – ein denkwürdiges Datum in der Bundesrepublik
Deutschland –: 47.399 noch nicht vermittelte Bewerber. Von 1999 an ging diese Zahl stetig nach unten, und selbst im Jahre 2005 – wir wissen, wie es damals um die Konjunktur stand – war die Bugwelle geringer, nämlich bei 40.900. Das sind die wahren Zahlen, wenn Sie schon Schröder zitieren und letztendlich auch Kohl zitieren würden.
Zu dem Reflex von Herrn Witzel nur zwei Anmerkungen, denn mehr verdient er an der Stelle nicht. Erste Anmerkung – da bin ich Minister Laumann sehr dankbar; das war Kommentar genug –: Permanentes Kopfschütteln auf der Regierungsbank. Herzlichen Dank, Herr Laumann.
Zweite Anmerkung. Bevor Sie mit Ausbildungsplätzen in Ihrer Fraktion prahlen und uns etwas vor Augen halten, sollten Sie sich besser informieren. Unabhängig davon, dass die SPD-Fraktion eine qualifizierte ordentliche Ausbildung anbieten wird, gibt es im SDP-Landesverband NordrheinWestfalen elf ordentliche Ausbildungsplätze.
Das ist eine Ausbildungsleistung, die tatsächlich bei „über Bedarf“ zu vermerken ist. Nun wollen wir letztendlich einmal gucken, wo Sie insofern stehen.
Kollege Knieps, im Hinblick auf die Aussage, dass die Ausbildungsvergütungen gesenkt werden müssten, vermisse ich eine Erwiderung, Bestätigung oder irgendetwas vom Arbeitsminister.