Protokoll der Sitzung vom 01.06.2006

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank. Nächster Redner ist der Abgeordnete Keymis für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Meine Damen und Herren, ich darf noch kurz darauf hinweisen, dass wir die Redezeit für den unter TOP 3 zu behandelnden Antrag mit der Redezeit für den Eilantrag addieren, sodass jede Fraktion fünf Minuten mehr Redezeit hat als nach den Redezeiten unter TOP 3.

Vielen Dank, Herr Präsident! Wir haben uns heute mit zwei Anträgen zu befassen. Der eine Antrag ist von der SPD und weist ein Stück weit in die Vergangenheit, indem er danach fragt, wie es war. Die Regierung solle das noch einmal darstellen. Dann fragt der Antrag danach, wie es in der Zukunft weitergehen soll.

Der andere Antrag ist der von Bündnis 90/Die Grünen, der schlicht und ergreifend sagt: Wir müssen jetzt für die Zukunft handeln und entscheiden. Dabei steht zunächst einmal das Thema „Kürzung der Regionalisierungsmittel“ im Raum.

Kollege Wißen, ich weiß natürlich, dass das für Sie gar nicht so leicht ist, weil wir in einer Situation diskutieren, in der die SPD in Berlin die Verantwortung mitträgt und es genau auf diesem Feld zwei SPD-Minister sind, die Verantwortung tragen, nämlich Herr Tiefensee als Verkehrsminister und Herr Steinbrück als Finanzminister. Die bei

den haben – wenn ich mich recht entsinne – am 22. Februar in der Bundesregierung beschlossen, die Regionalisierungsmittel zu kürzen, und zwar – käme es so, wie die beiden sich das vorstellen – um immerhin 3,3 Milliarden € für die gesamte Republik kumuliert und auf Nordrhein-Westfalen heruntergerechnet 519 Millionen € bis zum Jahre 2010.

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Warum nicht? Das verstehe ich überhaupt nicht!)

Diese dramatische Situation ist eine schwarz-rote Beschlusslage in Berlin. Deshalb ist klar, dass Sie an der Stelle natürlich ein Stück weit miteiern müssen und es in gewisser Weise nicht leicht haben, hier sozusagen vor Ort die großen Kämpfer für Bus und Bahn zu sein, die Sie eigentlich sein wollten und – zumindest solange Sie mit uns koaliert haben – auch waren.

Wir hoffen natürlich alle, dass Sie zurückfinden und an der Stelle, Herr Horstmann, in Berlin den Einfluss, den Sie in der Presse angekündigt haben geltend zu machen, auch einbringen

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Ja, sicher! Was machen Sie in Berlin?)

und dafür sorgen, dass diese Kürzungen so nicht kommen.

Wir haben aus meiner Sicht folgende problematische Situation, in der Sie, Kollege Wißen, Herrn Wittke wieder sehr, sehr richtig charakterisiert haben als jemanden, der sehr viel ankündigt und sich an die Spitze der Bewegung der Kürzungsgegner stellt, um dann aber gleichzeitig in Berlin nach dem Motto zu blinken: Wir sind gesprächsbereit, Kürzungen mit vorzunehmen. – Für uns Grüne ist klar: Der Einstieg in die Kürzungen, die jetzt kommen sollen und die vom Bund im Prinzip beschlossen sind, ist gestern Abend mit dem Beschluss des Bundesrates erfolgt, nämlich die Dynamisierung in Höhe von 1,5 % herauszunehmen, die uns nach dem Gesetz bis zum Jahre 2007 inklusive zusteht. Ich glaube auch – darauf ist der Kollege Wißen richtig eingegangen –, dass die Kürzungen bereits abgemachte Sache sind. Die Frage ist nur noch das Wie.

Wir Grüne haben einen anderen Vorschlag gemacht, der am 10. Mai in Form eines Gesetzesvorschlags im Bundestag eingereicht worden ist. Wir haben gesagt: Wir bleiben bei dem, was bisher gesetzlich zugesagt worden ist, nämlich bei den Mitteln für 2006 und 2007 inklusive der Dynamisierung in Höhe von 1,5 %. Wir frieren das bis zum Jahr 2013 ein, um es anschließend ab 2013 wieder um 1,5 % zu dynamisieren. Das ist

ein Konsolidierungsvorschlag, der es dem öffentlichen Personenverkehr erlaubt, sich weiterzuentwickeln. Das, was sozusagen in der Stagnationsphase auf dem Niveau von 2007 plus 1,5 % zur Verfügung steht, ist das Material, mit dem wir die nächsten Jahre sinnvoll öffentlichen Personenverkehr in Nordrhein-Westfalen organisieren können und wollen. Das ist ein ganz anderer Vorschlag als das, was Sie beide in Berlin diskutieren, und das, was Sie, Herr Wittke, uns bisher zu dem Thema hier vortragen konnten und was insgesamt relativ dünn war.

Aus meiner Sicht spielt auch eine Rolle, dass Sie immer von unheimlichen Effizienzgewinnen sprechen, indem wir beispielsweise die neuen Verkehrsverbünde in Nordrhein-Westfalen zusammenlegen. Ich lasse mir von den Experten, die darüber eine Menge mehr wissen als manche hier im Raum, immer wieder erklären, dass das Sparpotenzial sehr gering ist. Das Hauptproblem liegt möglicherweise eher in der sehr dichten Verteilung von Verkehrsunternehmen im Land. Davon haben wir eine ganze Menge – jedes mit einem Aufsichtsrat und einem Aufsichtsratsvorsitzenden. Und in diesen von den kommunalen Gebietskörperschaften besetzen Gremien sind natürlich vor allem CDU-Leute sehr stark vertreten. Das gilt für die Zweckverbünde allemal. Deswegen verwundert mich auch ein Stück weit, dass die CDU immer wieder den Vorwurf erhebt, in den Zweckverbünden sei nicht effizient gearbeitet worden. Dort hatten Sie, Kollegen von der CDU, in den letzten Jahren doch immer eine Menge zu sagen.

Insofern richtet sich der Vorwurf, es sei dort nicht effizient genug vorgegangen worden, wenn er stimmt, an Sie selbst.

(Beifall von den GRÜNEN)

Also: Das ist eine Diskussion, die aus meiner Sicht nicht weiterführt. Ich glaube, dass man über Strukturveränderungen diskutieren kann. Ob am Ende vier, sechs oder drei Verbünde herauskommen, muss man im Lichte einer Diskussion betrachten.

Mich irritiert aber der Vorgang, der mir durch einen Brief des Städtetages bekannt gemacht worden ist, dass nämlich die Regierungsfraktionen – ich gratuliere Ihnen dazu herzlich – bereits gemeinsam über ein Gutachten diskutieren, das uns bisher nicht vorliegt – jedenfalls mir nicht als Grüner und vermutlich auch nicht den Kollegen der SPD. Ich sehe Nicken auf der Seite der SPD. Es ist ein Gutachten über die Frage, wie man eine Reorganisation der Struktur bei den Verbünden in Nordrhein-Westfalen vornehmen könnte. Dieses

Gutachten ist der Opposition im Landtag nicht bekannt. Es wird von den Regierungsfraktionen bereits diskutiert. Herr Minister, das ist im Grunde ein Skandal.

(Bodo Wißen [SPD]: Nicht zum ersten Mal!)

So können wir nicht miteinander umgehen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Wenn wir eine gemeinsame Debatte über Strukturreformen führen wollen, dann müssen Sie uns auch die Möglichkeiten einräumen, die Sie den Regierungsfraktionen einräumen. So ist das im Parlament. Wir müssen Ihnen das an der Stelle in der Deutlichkeit noch einmal sagen und hoffen, dass Sie da jetzt ganz schnell nacharbeiten. Das gilt übrigens auch für den Städtetag, dem das Gutachten auch nicht vorliegt. So können wir natürlich nicht in eine gemeinsame Diskussion kommen. Glauben Sie nicht, dass wir an der Stelle viel Kooperationsbereitschaft zeigen können, wenn Sie Diskussionen so einstielen.

Bei der Kürzungsdiskussion ist es genauso. Sie signalisieren nach Berlin: Ich bin zu Kürzungsgesprächen bereit. Sie signalisieren nach Schluss mit der Schienenvorrangpolitik in NRW. Das war ideologisch. Jetzt machen wir die Politik, wie sie sich gehört. Straßenbau ist das Stichwort. – Sie meinen, damit in Berlin irgendetwas erreichen zu können.

Sie meinen auch, durch dieses Verhandlungsgeschick erreichen zu können, dass wir im Zuge der Revisionsdiskussion zum 1. Januar 2008 einen größeren Anteil für NRW bekommen. Auch da bin ich nach dem, wie Sie sich bisher einlassen – hier der Kämpfer gegen die Kürzung und dort der gesprächsbereite Kürzungspolitiker – der Meinung, dass Sie mit dieser Strategie auf Dauer auf dem Bauch landen und keinen Erfolg erzielen. Das ist für das Land sehr schlecht.

Die konkreten Folgen werden landauf landab diskutiert, Herr Wittke. Sie waren auf diesen Veranstaltungen teilweise selbst zugegen und haben diese Reden geschwungen. Sie haben aber immer in einem Nebensatz gesagt, man müsse über Kürzungen reden. Wenn wir beim öffentlichen Personenverkehr aber über Kürzungen reden, dann ist das in einer Zeit, in der wir wissen, dass die Verkehre auf der Straße zunehmen, dass wir plus 60 % LKW-Verkehr auf den Straßen bis 2015 in der Prognose haben, der absolut falsche Weg.

Vor diesem Hintergrund sage ich Ihnen: Die grüne Politik – ich hatte gesagt, wie wir uns die Regionalisierungsmittel künftig vorstellen – sieht anders aus. Wir sind die Freunde des öffentlichen Perso

nenverkehrs und insbesondere des schienengebundenen Personenverkehrs. Wir wollen, dass er in der Fläche, in der Vertaktung, in der Dichte noch sauberer, noch pünktlicher für die Menschen erhalten bleibt, weil alle im Portemonnaie merken, dass das Benzin teurer wird, und zwar nicht nur wegen der steuerlichen Belastung, sondern weil das Öl teurer und knapper wird. Vor dem Hintergrund gibt es zu dieser Politik aus unserer Sicht keine Alternative.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir werden alles ablehnen, was sich auf den Vorschlag von Ihnen für Kürzungen beim öffentlichen Personennahverkehr bezieht. Ich halte das für falsch. Ich glaube auch, dass es wichtig ist, dass Leute wie wir sagen, dass das falsch ist.

Herr Schulte, ich habe hier Ihre Pressemitteilung vom 22. Februar: 2006 keine Kürzung beim Nahverkehr! – Das ist natürlich eine ganz tolle CDUMeldung, aber die ist, ehrlich gesagt, fast ein bisschen schwachsinnig, denn wir können keine Kürzungen 2006 vornehmen. Das ist gar nicht möglich. 2007 – wenn ich den Minister richtig verstanden habe – dürfte es auch sehr schwer werden, weil in seinem eigenen Hause die Vermerke kursieren, die deutlich betonen, das Vorgehen des Bundes sei im Grunde nach § 106 Grundgesetz so nicht durchführbar. Hier wird eine Politik betrieben, die die Länder in eine Situation zwingt, die sie den Menschen gar nicht zumuten wollen.

Herr Wittke, wenn Sie sich daran beteiligen, dann machen Sie es falsch. Wenn Sie so handeln, wie Sie hier reden, dann ist unser Antrag richtig, und dann werden Sie ihm sicher genauso begeistert zustimmen, denn schließlich fordern wir Sie und Ihre Koalitionsfraktionen auf, gegen Kürzungen einzutreten. An der Stelle werbe ich dafür, dass wir das alle gemeinsam tun. Wenn Sie den Antrag ablehnen, werden Sie einmal mehr Ihrer Glaubwürdigkeit schaden. Das nützt nicht dem Land und auch uns nicht.

Ich sehe jetzt hier keine Minute Redezeit mehr.

Ich hatte eben gesagt, dass fünf Minuten für jede Fraktion noch hinzugefügt werden, was jedoch aus technischen Gründen am Pult nicht angezeigt werden kann.

Vielen Dank. – Dann möchte ich gerne mit einem Punkt abschließen, der den Umgang mit den Schülerbeförderungsmitteln nach § 45 a betrifft.

Wir haben eine Situation, die Sie mit dem Vorschlag, 20 Millionen € aus den Regionalisierungsmitteln zu übertragen, repariert haben. Den entsprechenden Beschluss haben Sie gefasst. Ich glaube, dass das ein Fehler ist, weil es Sie vor dem Hintergrund, dass Sie sagen, in anderen Ländern werde mit den Regionalisierungsmitteln nicht vernünftig umgegangen, in der Diskussion schwächt und öffentlich zumindest der Eindruck entsteht, dass das im Land jetzt aber so geschieht.

Wir haben das in den letzten zehn Jahren immer vermieden. Es ist uns in den letzten zehn Jahren gelungen, dem Schienenpersonenverkehr, dem öffentlichen Personenverkehr die Bedeutung in Nordrhein-Westfalen zu geben, die er heute hat, die er in unserem dicht besiedelten Land haben muss. Ich gehe davon aus, dass – wenn alle politisch bei Verstand sind – Ihnen klar ist, dass es künftig die Hauptaufgabe sein muss, den Menschen diese Verkehre sicher, ordentlich, sauber, pünktlich und zu sozialverträglichen Preisen, also bezahlbar, zu organisieren.

Deshalb ist der Bund gefordert, die Mittel so wie beschlossen zu verteilen und zu dynamisieren. Er ist ab 2008 aus unserer Sicht gefordert, in einem neu geordneten Verfahren mit etwas größerem Anteil für NRW die Mittel weiterhin zu gewährleisten. Wir in Nordrhein-Westfalen sind gefordert, Herr Minister, keine Ideologiepolitik für die Straße zu betreiben, sondern ausdrücklich eine ausgewogene Politik, die den Schienen weiterhin Priorität – wir haben nämlich viel mehr Straßen als Schienen – einräumt, damit wir eine vernünftige Alternative für die Menschen leisten können.

Die Menschen sind noch nicht zufrieden mit dem, was heute schon besteht, aber sie sind zufriedener als noch vor zehn Jahren. Wir wollen, dass sie in zehn Jahren noch einmal so zufrieden sind wie heute, damit wir an der Stelle in NordrheinWestfalen vorbildlich sind und uns nicht das leisten, was Sie ankündigen, nämlich Straßen auszubauen, Straßen neu zu bauen, Landesstraßen, die kaputt sind, zu reparieren, weil Ihnen da die Mittel fehlen, die Sie ja in den Neubau stecken. Wir erleben auf die Art eine Ideologiepolitik „pro Straße“, die der Schiene und dem öffentlichen Personennahverkehr insgesamt abträglich ist.

Ich hoffe, Sie stimmen unserem Eilantrag zu. Wir haben im Anschluss an die Debatte dazu eine direkte Abstimmung. Ich freue mich, wenn wir wenigstens da einer Meinung sind: Keine Kürzung der Regionalisierungsmittel! – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank. – Der nächste Redner ist der Abgeordnete Lehne für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuhörer! Der Eilantrag der Grünen schießt wie immer völlig über das Ziel hinaus. So kann man mit dem Thema nicht umgehen. Die Landesregierung soll aufgefordert werden, den Landesverkehrsminister in seinem Engagement gegen die drohenden Kürzungen bei Bus und Bahn mit allen Kräften zu unterstützen. Das ist noch verständlich. Nun taucht das Problem auf, nämlich die Aufforderung, den Bundeshaushalt im Bundesrat abzulehnen. Meine Damen und Herren von den Grünen, Sie haben wie immer nichts verstanden.

(Beifall von der CDU)

Wie üblich darf ich zunächst festhalten, dass Sie gemeinsam mit der SPD viele Jahre auch im Bund regiert haben und den Schuldenberg des Bundes wie auch den des Landes um etliche Milliarden erhöht haben. Ein Sparwille war und ist bei Ihnen nicht, und zwar überhaupt nicht, erkennbar. Dies zeigt deutlich, dass Sie die Realität nicht sehen und auch nicht sehen wollen. Ihr Eilantrag ist deshalb völlig unsinnig, weil Sie bereits heute einen Landtagsbeschluss herbeiführen wollen, dass sich die Landesregierung dafür einsetzt, den Bundeshaushalt im Bundesrat abzulehnen. Genau dies wollen wir eben so, wenn möglich, nicht.

Der Eilantrag ist auch nicht eilig. CDU und FDP und separat auch die SPD haben normale Anträge eingebracht. Dies zeigt das. Der Antrag der SPD weist zwar ebenfalls eine gewisse Realitätsferne auf, er hat allerdings deutlich mehr Substanz als der der Grünen.

(Zuruf von der SPD: Das kann doch nicht wahr sein! – Weiterer Zuruf von der SPD: Danke!)

Zur Sache: Mitte der 90er-Jahre hat der Bund den Ländern die Verantwortung für den Schienenpersonennahverkehr übertragen. Zur Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs erhalten die Länder vom Bund die sogenannten Regionalisierungsmittel. Das Regionalisierungsgesetz sieht für 2006 bundesweit Ausgleichszahlungen in Höhe von 7,16 Milliarden € vor. Nordrhein-Westfalen erhält davon 1,13 Milliarden €. Der Beitrag erhöht sich nach dem Gesetz für 2007 um eine jährlich vorgesehene Dynamisierungsrate von 1,5 %.

Zudem verpflichtet das Gesetz den Bund, in 2007 den Ländern einen Vorschlag zur gesetzlichen Neufestsetzung der ihnen zustehenden Mittel ab