(Widerspruch von SPD und GRÜNEN – Jo- hannes Remmel [GRÜNE]: Das ist eine Un- verschämtheit! Unglaublich!)
Meine sehr verehrte Frau Löhrmann, ich bin nicht gegen Heinrich Heine, und ich bin auch nicht gegen ganz viele andere Sachen,
aber ich fände es interessanter, würden wir uns darüber unterhalten und darüber auseinander setzen, wofür wir sind und stehen.
Wie sieht unser Verhältnis zur nationalen Identität aus, zu den Werten unserer Verfassung und zu den Symbolen unserer Verfassung und Nation?
Meine Affinität zu den Vereinigten Staaten von Amerika ist in diesem Haus hinreichend bekannt. Gestern Abend habe ich versucht, meinem amerikanischen Freund David zu erklären, was hier im Augenblick für eine Debatte stattfindet. Der hatte das in den Nachrichten und im Internet verfolgt. Ich habe versucht, ihm das zu erklären.
In gleicher Weise ist aber nicht nur für Amerikaner, sondern auch für unsere europäischen Nachbarn, die Franzosen, die Italiener, die Spanier, Polen und eigentlich für jede Nation, deren Mannschaft an dieser Fußballweltmeisterschaft in unserem Land teilnimmt, diese Debatte und die Distanzierung von unserer Nationalhymne völlig absurd und in keiner Weise nachvollziehbar.
Meine Damen und Herren, Einigkeit, Recht und Freiheit, die in der dritten Strophe des Deutschlandlieds ganz klar zum Ausdruck kommen und damit in unserer Nationalhymne für jeden klar und unmissverständlich zum Mitsingen und nicht nur Mitsummen und Zuhören Anlass geben sollen, sind ein klares Bekenntnis zu unserer Verfassung und den Werten unserer Verfassung.
Trotz der Einbindung Deutschlands in internationale Freundschaften und Bündnisse in einer global ausgerichteten Gesellschaft haben wir in unserem Land, obwohl wir seit vielen Jahren Einwanderungs- und Zuwanderungsland sind und für Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft und
Herkunftskulturen Heimat sind, aber nach wie vor eine große Frage nicht gelöst: Wie sieht es mit einer gemeinsamen Identität aus?
Wir – auch die zugewanderten Menschen – bekennen uns alle miteinander zu den Grundwerten unserer Verfassung, haben aber noch keinen ganz normalen Umgang damit, Identität zu unserer Gesellschaft und Verfassung über die Symbole unserer Verfassung herzustellen.
Meine Damen und Herren, deswegen finde ich auch die Anregung interessant, dass wir uns mit den Fragen und Anforderungen an einen modernen, gesunden und unverkrampften Patriotismus befassen und diese Debatte führen. Dabei ist ja schon begrifflich klar, dass Patriotismus immer gesund und unverkrampft ist, weil er sich deutlich vom Nationalismus unterscheidet.
Der Kollege Rudolph hat eben infrage gestellt, welchen Beitrag die einzelnen politischen Spektren in unserer Gesellschaft zu dieser Patriotismusdebatte und zur Prägung eines modernen Patriotismus leisten. Insbesondere hat er dabei die Liberalen angesprochen.
Herr Kollege Rudolph, im Wertekanon unserer Verfassung, hinter dem wir uns patriotisch versammeln können, ist Freiheit ein gleichberechtigter Wert. In der Politik, die vielerorts gemacht wird, wird die Freiheit leider viel zu oft am Boden in Gleichmacherei erdrückt. Meine Damen und Herren, es ist sicher ein berechtigtes Anliegen nicht nur aller Liberalen, auch der Freiheit in diesem Land, in dieser Verfassung wieder Gewicht und Bedeutung zu verschaffen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist viel zum Anlass dieser Debatte gesagt worden. Lieber Herr Vesper, ich denke, man kann es nicht damit abtun, dass irgendeine weit entfernt liegende und völlig provinzielle Untergliederung einer Lehrergewerkschaft in einem fernen Bundesland einmal irgendetwas geäußert hat, von dem sich alle gleich distanziert hätten, sondern:
Die Distanzierungen und Klarstellungen auch des gestrigen Tages haben ganz entscheidend mit dieser Debatte zu tun;
denn dadurch weiß man, dass das, was diese Gewerkschaft, dieser Verband, dieser Bundesvorsitzende mehrfach im Juni in Interviews geäußert hat, unsäglich ist.
Es ist nicht so, dass man eine alte Broschüre aus dem Jahr 1989 nachgedruckt hätte. – Schon dieser Vorgang, eine alte Broschüre aus dem Jahr 1989 nachzudrucken, ist für eine Lehrergewerkschaft, die auf der Höhe der Intellektualität stehen sollte, ein Armutszeugnis.
Hinzu kommt: Am 15. Juni sagte der Landesvorsitzende aus Hessen in einem Interview, die Hymne passe nicht zu unserem Land. Und der ganz entscheidend von Nordrhein-Westfalen mitgetragene Bundesvorsitzende der GEW, Thöne, erklärte am gleichen Tag in der „Frankfurter Rundschau“, diese Hymne transportiere Stimmungen des Nationalismus und der deutschen Leitkultur, und ergänzte noch, Deutschland sei ein Einwanderungsland und deshalb passe die Hymne nicht mehr. – All das schlägt sich in der Stimmung dieser Tage nieder.
Gestern ist die Klarstellung erfolgt. Es ist gut, dass sie erfolgt ist. Die heutige Debatte trägt ihren Teil zu einer Klarstellung bei.
Wenn Sie fragen, Herr Vesper, wann sich die GEW je entschuldigt hat, dann ist dies berechtigt. Es ist eine Besonderheit. Ich würde mir wünschen, sie entschuldigte sich auch für manche törichte Presseerklärung der letzten Wochen gegenüber der Schulministerin.
um zu dem Thema – auch dies hat in dieser Debatte eine gewisse Rolle gespielt – neuer Patriotismus, unverkrampfter Patriotismus – oder wie immer man das, was wir in diesen Tagen erleben, nennen will –, etwas zu sagen.
Das erste Ereignis war der Gewinn der Weltmeisterschaft im Jahr 1974. Ich war damals 13 Jahre alt. Wir gingen nach dem Spiel durch die Straßen. Die Menschen feierten nach dem Sieg gegen die
Niederlande. Es war für mich völlig verblüffend, zu sehen, dass einige wenige mit einer Deutschlandfahne gingen. Das passte damals nicht in die Zeit. Es war für mich als jungen Menschen eher überraschend. Die Niederländer zogen in Aachen natürlich zu Massen mit ihren Fahnen durch die Straßen. Dass aber ernsthaft jemand die Deutschlandfahne hochhielt, hielt ich damals schon für etwas Besonderes.
Dann haben wir die Weltmeisterschaft im Juni 1990 erlebt. Wir haben erlebt, dass in der damals noch bestehenden DDR mehr Deutschlandfahnen gezeigt wurden als in der alten Bundesrepublik.
(Zuruf: Warum wohl? – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Weil es verordnet war! Weil es verordneter Patriotismus war!)
Gedanklich war die Wiedervereinigung schon vorweggenommen. Die Menschen haben damals gezeigt, dass sie die Wiedervereinigung wollten. Sie fand dann im Oktober statt.
Ich finde es interessant, was wir jetzt erleben. Jetzt erleben wir das, was Sie beschrieben haben, Herr Vesper. Die Deutschen haben ganz selbstbewusst ihre Fahnen gehisst und rauschen sogar noch bei Tempo 200 mit ihren Fahnen über die Autobahn, um dieses neue Bekenntnis zu zeigen. Wir erleben aber auch, dass sich Zuwanderer aus der Türkei in ihren Döner-Buden eine Deutschlandfahne aufstecken. Das verbinde ich gedanklich mit dem, was wir 1990 in der DDR erlebt haben. Das ist eine neue Entwicklung.
Das hat es bei den letzten Fußballereignissen nicht gegeben. Wenn Deutschland gegen Brasilien spielte, waren die Türken meistens auf der Seite Brasiliens. Dass man jetzt beginnt, sich mit diesem Land zu identifizieren, halte ich für einen ganz bemerkenswerten Vorgang.
Ich habe Ihnen einmal ein paar Zitate aus türkischen Zeitungen der letzten Tage mitgebracht. Die „Hürriyet“ schreibt zum Beispiel: