das einmal zu überdenken. Wollen Sie denn wirklich eine Politik nach dem Motto „Gleichheit vor Freiheit“ machen?
Wollen Sie wirklich eine Politik nach dem Motto „Staat vor privat“ machen? Wollen Sie wirklich eine Politik nach dem Motto „Verteilen vor erarbeiten“ machen? Wollen Sie wirklich eine Politik nach dem Motto „Beliebigkeit vor Sicherheit“ machen? Ist das Ihre Alternative? Ich kann mir das nicht vorstellen.
Wir versuchen zuerst einmal einen Weg zu finden – ich weiß, da besteht ein fundamentaler Unterschied zwischen den Koalitionsfraktionen und Ihnen –, die das Problem gemeinsam mit den Menschen löst.
Wir vertrauen auf die Kraft der Menschen und nicht auf den Staat. Wir glauben nicht, dass man den Menschen misstrauen muss, sondern dass die Menschen es besser können als der Staat. Davon gehen wir aus.
(Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmelt- zer (SPD): Jetzt müssen Sie nur noch handeln, dann funktioniert es!)
Das heißt aber nicht, dass wir dafür sind, dass sich der Staat aus allem zurückzieht. Die Wahrheit ist aber, dass ein Staat, der seine Finger überall drin hat, ein schwacher Staat ist, weil er seine Kräfte nicht dort einsetzt, wo es notwendig ist. Es ist in der Regel auch ein unsozialer Staat, weil er den Schwachen nicht helfen kann. Diejenigen, die schwach sind, brauchen einen starken Staat. Sie brauchen einen Staat, der seine Finger nicht überall drin hat, der sich nicht überall hinstellt und sagt: Ich löse alle Probleme! – Der gravierende Unterschied zwischen Ihrer Staatsgläubigkeit und unserer Vorstellung ist, dass wir glauben, dass die Kraft der Menschen die Zukunft besser gestalten kann.
Wir befinden uns, etwa ein Jahr nach Beginn der Arbeit der Landesregierung, wirtschaftlich in einer Aufschwungphase.
(Ralf Jäger [SPD]: Wollen Sie jetzt auch je- dem einzelnen Minister danken? Können wir uns das ersparen?)
Unsere Volkswirtschaft wuchs im ersten Halbjahr 2006 um 0,9 %. Das ist ein so starkes Wachstum, wie wir es schon seit fünf Jahren nicht mehr hatten. 2005 lag das reale Wirtschaftswachstum in Nordrhein-Westfalen bei nur 0,7 %, im Jahr 2003 sogar bei minus 1 %. Da hat sich etwas geändert.
Ach Gott, Frau Kraft. Hat denn irgendeiner gesagt, das sei das alleinige Verdienst der Landesregierung?
(Rainer Schmeltzer [SPD]: So treten Sie a- ber auf! – Ralf Jäger [SPD]: Sie sind Auf- schwungrhetoriker! – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: So tun Sie aber!)
Fällt es Ihnen wirklich so schwer, über einen etwas komplexeren Sachverhalt differenziert zu diskutieren?
Tatsache ist, dass 3.000 mittelständische Betriebe bei einer Umfrage von Ernst & Young gesagt haben: Wir nehmen zur Kenntnis, dass sich in Nordrhein-Westfalen etwas ändert. NordrheinWestfalen fällt nicht mehr zurück, sondern ist zumindest auf gleicher Augenhöhe mit den anderen Bundesländern. Das ist, so finde ich, schon eine Sache, die für den Anfang bemerkenswert ist. Und darauf bin ich auch ein bisschen stolz.
Damit wir uns richtig verstehen: Ich sage nicht, dass das einfach so weitergeht. Ich sage auch nicht, dass das das Ende der Fahnenstange ist. „Jetzt haben wir einen Aufschwung, das ist wunderbar“, habe ich im Landtag häufig genug gehört, als ich noch da saß, wo Helmut Stahl jetzt sitzt. Da hieß es immer: Der Aufschwung ist das Verdienst der Landesregierung, das geht immer so weiter, und man ist auf einem guten Weg.
Ich bin noch nicht sicher, ob dieser Aufschwung so einfach weitergeht. Es gibt nämlich ein Problem, das hinter diesem Aufschwung steckt: Es gibt positive konjunkturelle Entwicklungen. Das ist wahr. Wenn man das etwas genauer betrachtet, stellt man aber fest, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen – das ist der Sockel der Probleme, über die wir diskutieren – trotz Aufschwung leider nicht sinkt. Das ist das Problem. Auch wenn wir in diesem Jahr ein Wachstum von 2 % haben werden, was ich hoffe, wissen wir, dass diese 2 % für eine nachhaltige Besserung auf dem Arbeitsmarkt nicht ausreichen werden. Ich freue mich trotzdem darüber, dass in diesen Tagen anscheinend erste Reaktionen auf dem Arbeitsmarkt zu verspüren sind.
Es gibt positive Signale auf dem Arbeitsmarkt. Im Juli 2006 lag die Arbeitslosenzahl mit 1.025.881 um 5 % niedriger als im Juli 2005. Es gibt gute Signale für den Monat August. Lassen Sie uns abwarten, bis uns die genauen Zahlen vorliegen.
Ich weiß, dass all das erst der Anfang sein kann, weil es immer noch viel zu viele Menschen gibt, die keine Chancen haben. Es geht um strukturelle und inhaltlich Fragen, zum Beispiel um die Tatsache, die mich wirklich umtreibt, dass wir nicht nur keine Chance haben, 55-Jährige auf dem Arbeitsmarkt unterzubringen, sondern erste Meldungen von der Front, sprich von denjenigen, die Einstellungen vornehmen oder eben nicht, kommen, dass auch 47-Jährige und 48-Jährige nicht mehr eingestellt werden. Das ist eine Sache, um die wir uns kümmern müssen, wenn wir in Sachen Arbeitslosigkeit strukturell weiterkommen wollen.
Gott sei Dank ist inzwischen auch im Bereich der Bauindustrie eine Belebung festzustellen. Im zweiten Quartal 2006 ist in dieser Branche eine Steigerung der Auftragseingänge um 10 % im Vergleich zum Vorjahr festzustellen. Ich bin auch froh darüber, dass wir im ersten Halbjahr bei den Unternehmensinsolvenzen einen drastischen Rückgang, nämlich um 25,4 % auf jetzt 4.212 Fälle zu verzeichnen haben. All das sind gute Indikatoren. Es ist wichtig, dass wir weiterhin daran arbeiten.
Wir müssen jetzt den Versuch unternehmen, an einigen Stellen, zum Beispiel bei den älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, zu Veränderungen zu kommen. Dazu gehört ganz sicher auch das Thema Lehrstellen, das uns alle in diesen Tagen besonders bewegt.
Wir wissen, dass die Situation bei den Lehrstellen nicht nur ein konjunkturelles Problem, sondern inzwischen ein strukturelles Problem ist. Wir haben das gemerkt, als sich Karl-Josef Laumann diese Zahlen zum ersten Mal genau angesehen hat. Ich möchte keinen Zweifel daran lassen, dass ich den Ausbildungskonsens für eine unglaublich wichtige Sache halte, die fortgeführt werden muss. Ich bin allen Beteiligten dankbar, dass sie gemeinsam – Wirtschaft, IHK, Selbstständige auf der einen Seite, DGB und Arbeitnehmer auf der anderen Seite – alles dafür tun, damit jeder junge Mensch, der kann und will, ein Angebot in Nordrhein-Westfalen bekommt.
Wir wissen aber inzwischen, dass wir neben den Anstrengungen im Handwerk oder wo auch immer strukturelle Veränderungen brauchen. Diese durchzuführen fällt nicht ganz leicht. Wir haben selber gemerkt, dass die Strukturen, etwa im Be
reich Werkstattjahr – Sie wissen, das ist für diejenigen gedacht, die nur zwei Tage Berufsschule hatten – unglaublich zäh sind, dass es lange dauert, bis es dort Reaktionen gibt. Die ersten ca. 2.500 nehmen das Angebot jetzt an. Ich wünsche mir von allen Beteiligten, dass da noch viel, viel mehr geschieht. Wir müssen jetzt diejenigen, die kein Angebot haben, mit einem solchen Angebot ausstatten, damit sie nicht an dieser Gesellschaft verzweifeln und nicht glauben, sie hätten in dieser Gesellschaft keine Chance.
Dazu gehören aber auch noch andere Sachen. Man wundert sich manchmal wirklich. Sie merken: Ich rede überhaupt nicht drum herum und tue auch nicht so, als seien alle Probleme schon gelöst. Ich habe schon früher als Bundesbildungsminister mit dem Thema zu tun gehabt. Ich höre zum Beispiel immer wieder, der zweite Berufsschultag sei das große Problem. Wir schaffen es jetzt aber als Erste in Deutschland, zusammen mit den Gewerkschaften, zusammen mit den Handwerkern, zusammen mit der Industrie, dass Innung für Innung vor Ort darüber entschieden werden kann, ob der zweite Berufsschultag wegfallen soll oder nicht. Wir sagen das dann, und dann höre ich plötzlich, so sei das auch nicht gemeint gewesen. Das, meine Damen und Herren, bedrückt mich dann sehr. Das bedrückt mich deshalb, weil ich dann plötzlich die Frage an diejenigen stellen muss, die dieses Thema angesprochen haben, ob sie eigentlich mit dem Argument, es sei der zweite Berufsschultag, nur davon ablenken wollten, dass nicht genügend Ausbildungsbereitschaft da war.
Ich spreche das so deutlich an, weil es mir wirklich um die jungen Leute geht. Wenn ein kleines Unternehmen sagt: „Die sind zwei Tage in der Woche weg, das rechnet sich nicht mehr, das ist schwierig“, kann ich das nachvollziehen. Aber dann bitte ich jetzt auch darum, diese Chance zu nutzen.
Genauso muss die Chance genutzt werden, dass wir die im Ausbildungskonsens getroffene Vereinbarung, wieder einfachere Berufsbilder zu entwickeln, umsetzen. Wir haben ja einen Modellversuch von der letzten Regierung gehabt,
nämlich im Bereich der KFZ-Servicemechaniker. Das war eine gute Sache. Das hat sich bewährt. Das heißt, es gibt jetzt die Möglichkeit, dies noch weiter zu machen, bis zu zehnmal. Das haben wir gemacht.
Vor einigen Monaten, Herr Kollege, haben wir erreicht, dass alle zustimmen. Das braucht man, falls Sie das nicht wissen sollten.
Seit wenigen Wochen haben wir diese Entscheidung. Wir arbeiten daran. Ich werbe im Moment dafür, dass wir sie so schnell wie möglich umsetzen, damit so schnell wie möglich diejenigen, die so etwas brauchen, ein Angebot bekommen.
(Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmelt- zer [SPD]: Das haben Sie schon vor einem Jahr gesagt! So schnell wie möglich! Das ist doch der Punkt!)