Protokoll der Sitzung vom 13.09.2006

Aber wenn das so ist, dann müssten wir uns eigentlich auch darauf verständigen, bei den Din

gen, die wir gemeinsam kritisieren – unabhängig davon, dass es in der Tat inzwischen manche Doktorarbeit wert wäre, den Solidarbeitrag und die gesamten Finanzströme von West nach Ost zu untersuchen –, zu versuchen, dass den Ausschlag die Sache und eben nicht die Himmelsrichtung gibt.

Auch ich hätte die eine oder andere kleine Anmerkung zu der Darstellung im SPD-Antrag. Aber das ist heute überhaupt nicht der Punkt, über den wir uns streiten müssen. Der Punkt, um den wir ringen sollten, ist vielmehr, ob wir es schaffen, trotz all der gegenseitigen gut gemeinten Einladungen am Ende möglicherweise einen gemeinsamen Beschluss hier im Landtag zu fassen.

(Heiterkeit und Beifall von GRÜNEN und SPD)

Wenn wir das im Auge haben, dann müssen wir Folgendes feststellen – Sie haben das zum Teil schon getan, aber ich glaube, das kann man noch einmal machen –:

Erstens ist in der Tat die Bedürftigkeit das Kriterium, das bei Finanzströmen zwischen den Kommunen und zwischen den Ländern angewandt werden muss.

Zweitens ist es so – dass das hier heute behandelt wird, halte ich im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege, nicht für Populismus, sondern für außerordentlich erforderlich, damit es nicht irgendwann zu immer mehr Populismus kommt –,

(Beifall von den GRÜNEN)

dass diese Debatte nach meinem Eindruck zunehmend auch in der Bevölkerung und auch bei Ihren Kommunalpolitikern und Kommunalpolitikerinnen geführt wird. Es ist kaum noch jemandem verständlich zu machen, wie das läuft.

Die Gemeinden in Nordrhein-Westfalen haben sich allein in der Zeit von 1996 bis 2005 mit 7,1 Milliarden DM beteiligt. In der Tat haben davon die Gemeinden mit Haushaltssicherungskonzept 1,9 Milliarden und die mit vorläufiger Haushaltsführung 2,8 Milliarden erbracht. Wenn man sich das vor Augen führt, kann man sich, glaube ich, schon die Frage stellen, ob das auf Dauer so weitergehen muss und ob das auf Dauer so weitergehen kann.

Neben den Beispielen, die Sie richtigerweise genannt haben – selbst bei Dresden gebe ich Ihnen Recht, obwohl ich in der Sache einen völlig anderen Standpunkt vertrete: Natürlich findet ein Vermögenstausch statt, nämlich von einem festen

Vermögen zu einem Geldvermögen –, könnte man noch weitere Beispiele finden.

Man kann sich beispielsweise die Verkehrswege ansehen. Ich hätte – da sind wir uns dann möglicherweise nicht mehr einig – ganz erhebliche Bedenken, in den neuen Bundesländern einen Verkehrsweg nach dem anderen auszubauen, weil das letztlich nur dazu führt, dass Waren aus den östlichen EU-Ländern schneller durch die Gebiete der ehemaligen DDR rollen, aber nicht dazu führt, dass dort ein wirtschaftlicher Aufschwung stattfindet.

Sie können ja schlechterdings auch die Frage stellen, ob die Mittel überall vernünftig investiert worden sind, und nicht nur – wie die Kollegin Kraft – die Frage, ob nicht die Mittel heute fälschlicherweise in den Konsum statt in Investitionen gehen. Eigentlich müsste man beide Fragen stellen.

(Beifall von GRÜNEN und Hannelore Kraft [SPD])

Insgesamt ist da also eine ganze Menge an Problemen zu beleuchten. Es kann nicht bis 2019 so weitergehen. Wer die Abwehrgefechte der Länder aus dem Osten, der sogenannten neuen Bundesländer, verfolgt, der weiß, dass darum ein zähes Ringen einsetzen wird – übrigens auch wieder quer durch die Fraktionen. Das wird mit Sicherheit quer durch die beiden großen Fraktionen im Bund gehen, im Zweifelsfall aber auch quer durch die beiden kleineren Fraktionen, denn da gibt es reine Interessenspolitik. Das ist so bei Interessenspolitik: Sie verläuft möglicherweise quer zu den Lagern der Parteien.

Deswegen ist es vernünftig, dass wir uns mit folgenden Forderungen auseinandersetzen: Wir wollen erstens, dass schneller evaluiert wird. Wir wollen zweitens, dass die Sätze für die Kommunen früher von 19 % heruntergehen. Und wir wollen drittens – das müsste man auch noch einmal einfordern –, dass die Mittel nach anderen Kriterien vergeben werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das sind eigentlich die drei Kernforderungen, auf die man sich verständigen können müsste.

Wenn man sich darauf verständigt, Herr Kollege Klein, müsste es logischerweise angesichts der gegenseitigen Einladungen der nächste Schritt sein, alle einzuladen, eine Bundesratsinitiative zu starten. Selbstverständlich sollten Sie dafür sein, eine Bundesratsinitiative starten, um dieses Thema auch dort behandeln zu lassen. Ich glaube, dass alleine der Hinweis – ich werde jetzt ein bisschen spöttisch –, Hand in Hand mit Bund und

Land wolle man das ändern, wie Sie das in Ihrem Entschließungsantrag anführen, auf Dauer nicht weiterführen wird.

Mir ist klar, dass Sie an den Teil der Gesetze, wonach sich die Länder nach 2012 bezogen auf den Gesamtanteil der Leistungen, die in den Osten fließen, ein Stück weit besserstellen, weil die Kommunen nach der jetzigen Regelung noch bis 2019 in gleicher Höhe weiterzahlen, möglicherweise nicht so gerne heranwollen. Das gilt für alle Bundesländer – übrigens auch wieder unabhängig von der Farbe. Aber meiner Ansicht nach sollten wir das unter dem Strich fordern, damit Sie wenigstens an dieser Stelle das sind, was Sie eben für eine andere Stelle völlig zu Unrecht postuliert haben, nämlich ein verlässlicher Partner für die Gemeinden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn wir es schaffen würden, in den Ausschussberatungen so zu verfahren, wenn am Ende ein vernünftiger Antrag aller vier Fraktionen stünde, wenn Sie diesen Antrag dann auch noch in den Bundesrat einbringen und ihn dort durch Ihre Landesregierung mit Verve vertreten würden, dann hätten wir etwas Vernünftiges für NRW auf den Weg gebracht.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Kollege Engel das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kraft, Herr Klein, Herr Becker, es ist völlig richtig: Im Mittelpunkt dieser Debatte steht tatsächlich die Solidarität. Es geht einerseits darum, den Willen zur Solidarität weiter zu pflegen, aber andererseits auch um die Fähigkeit zur Solidarität. Das ist in allen Beiträgen vorgekommen; da sind wir uns einig.

Im Grundgesetz, meine sehr verehrten Damen und Herren, heißt es, dass die Deckungsbedürfnisse des Bundes und der Länder so aufeinander abzustimmen sind, dass ein billiger Ausgleich erzielt, eine Überbelastung der Steuerpflichtigen vermieden und die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gewahrt werden.

Heute führen wir diese Debatte mit der Erkenntnis, dass die Lebensverhältnisse regional stark schwanken und nicht mehr pauschal davon gesprochen werden kann, dass die Lebensverhältnisse in den neuen Ländern flächendeckend unter

dem Niveau der alten Länder liegen. Das äußert sich auch in der Finanzsituation.

Auf Landesebene kämpfen wir mit schmerzhaften Sanierungsmaßnahmen gegen einen Schuldenberg in Höhe von rund 113 Milliarden € zur Jahresmitte 2006 an. Auch im kommenden Haushaltsjahr werden wir trotz der Konsolidierungsmaßnahmen keinen verfassungskonformen Haushalt vorlegen können.

In den neuen Bundesländern – so war es in Pressemeldungen im Laufe des Jahres zu lesen – wurde alleine im Jahr 2005 von 10,5 Milliarden € die Hälfte zweckentfremdet ausgegeben. Nur das Land Sachsen hat die Mittel dem Zweck entsprechend eingesetzt; das haben wir schon gehört.

(Horst Becker [GRÜNE]: Das war das Einzi- ge!)

Alle anderen neuen Bundesländer haben die Solidarpaktmittel nicht ausschließlich zur Investitionsfinanzierung eingesetzt, sondern auch Haushaltslöcher gestopft.

Innerhalb der kommunalen Familie NordrheinWestfalens ist die Finanzsituation angespannt. Auch das wissen wir. Wir haben trotz Änderungen innerhalb des Gemeindefinanzierungsgesetzes zugunsten der kommunalen Familie ab dem Haushaltsjahr 2006 die kommunale Finanztalfahrt nur abfedern, aber noch nicht überwinden können. Das zeigt der weitere Anstieg der Zahl der Kommunen im Haushaltssicherungskonzept auf mittlerweile 197, von denen sich sogar 117 Städte und Gemeinden in der vorläufigen Haushaltswirtschaft befinden. Auch das haben wir gehört.

Um die angespannte kommunale Finanzsituation dauerhaft überwinden zu können, ist es notwendig, eine echte Gemeindefinanzreform durchzuführen, die den Kommunen dauerhaft sichere Einnahmequellen garantiert. Das muss man an dieser Stelle auch sagen. Das ist bisher ausgeblieben.

Auch die Einführung eines Konnexitätsprinzips zwischen Bund und Kommunen im Rahmen der Föderalismusreform wäre aus liberaler Sicht natürlich wünschenswert gewesen.

Alle nordrhein-westfälischen Kommunen – arme wie reiche; Letztere gibt es auch – leisten Beiträge in den Solidarpakt Ost auf der Basis von Sonderumlagen der Gewerbesteuer.

Einige finanziell klamme Kommunen finanzieren diese Solidarbeiträge über Kassenkredite, so zum Beispiel auch Kommunen an der Ruhr. Diese Entwicklung ist vor allem angesichts der Tatsache

bedenklich, dass es mittlerweile Kommunen in den neuen Bundesländern gibt, die finanziell deutlich günstiger stehen sollen. Wir wissen: Viele Städte an der Ruhr kämpfen mit ähnlichen Probleme wie die Städte in den neuen Ländern, die oft auch ihre Partnerstädte sind.

Das Ruhrgebiet leidet weiter unter einem seit Jahrzehnten andauernden Strukturwandel und ist nach wie vor durch eine wirtschaftliche Strukturschwäche gekennzeichnet. Die Bevölkerungszahlen sinken. Die Abwanderung nimmt zu. Es kommt zu Leerständen an Wohnungen, Häusern und beim Handel. Es gibt Überlegungen, die Infrastruktureinrichtungen zur Daseinsvorsorge, also Kindergärten, Schulen, Sporteinrichtungen, Straßen, Wasser- und Stromversorgungsnetze, zurückzubauen.

Vor diesem Hintergrund gilt nach wie vor – und das betone ich wie eingangs formuliert – ungebrochene Solidarität für den Aufbau Ost, jawohl. Aber es stellt sich zunehmend dringend die berechtigte Frage, ob 16 Jahre nach der deutschen Einheit der Solidarpakt Ost in seiner heutigen Form weiterhin bestehen bleiben soll.

(Martin Börschel [SPD]: Dann stimmen Sie unserem Antrag doch zu! Das freut uns!)

Wir spüren und sind uns einig, dass Finanzhilfen zur Angleichung der Lebensverhältnisse nur nach dem Kriterium „geografische Lage“ – also die neuen Länder – überholt sind. Neue Kriterien sind zu entwickeln. Ich fasse mich kurz: Ich bin der Auffassung, dass wir die Evaluierung so weit wie möglich vorziehen müssen. Alle Details haben wir schon gehört. Die Lebenswirklichkeit zwingt uns dazu.

Wir stimmen der Überweisung der beiden Anträge, also dem Antrag der SPD und dem Entschließungsantrag der Regierungsfraktionen, in die Fachausschüsse zu. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Engel. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Dr. Linssen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, Frau Kraft hat Recht: Die Debatte bewegt die Menschen. Deshalb muss man ganz besonders aufpassen, wenn man bei einem sehr komplizier

ten Thema nicht dem blanken Populismus frönen will.

(Martin Börschel [SPD]: Dann sind Sie ja der Richtige!)

Ich freue mich darüber, dass die SPD offensichtlich ihre Liebe zu den Kommunen entdeckt hat. Ich sehe das auch auf ein paar anderen Feldern.