Als Rezeptur wider den von Ihnen deklarierten drohenden Staatsbankrott bieten Sie die Streichung des kreditverfassungsrechtlichen Ausnahmetatbestandes der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts aus dem Grundgesetz an. Die Landesregierung solle einen entsprechenden Antrag in den Bundesrat einbringen.
Käme Ihr Antrag durch – nehmen wir einmal an, die Landesregierung würde den überhaupt im Bundesrat stellen, was ich noch bezweifle –, dürften weder der Bund noch unser Land oder andere Länder im Falle einer gesamtwirtschaftlichen Störung zukünftig in ihren Haushalten bei Kreditauf
nahmen die Summe der im Haushalt veranschlagten Ausgaben für Investitionen überschreiten. Sie wollen Bund und Ländern im Falle der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts jede haushaltspolitische Handlungsmöglichkeit über zusätzliche Kreditaufnahmen nehmen, und das alternativlos.
Danach dürfte zum Beispiel die Bundesregierung ihr aktuelles 25-Milliarden-€-Programm für Wachstum und Beschäftigung nicht durch eine Kreditaufnahme finanzieren. Das wäre absurd.
Diese extreme ordoliberale Position verträgt sich überhaupt nicht mit dem, was Sie, neuerdings wieder nach dem Vorbild von Johannes Rau, als Vertreter des Landes Nordrhein-Westfalen propagieren. Sie wollen sich als soziales Gewissen der Bundesrepublik profilieren. Dann gilt, links zu blinken und rechts zu überholen, meine Damen und Herren, das funktioniert so nicht; das ist absurd.
Ich frage auch den Herrn Ministerpräsidenten – der sich heute hier nicht blicken lässt –, wie dieser Antrag mit seiner Kritik an der Bundeskanzlerin und seinem Aufruf an die CDU, Selbstkritik zu üben, zu vereinbaren ist; denn er widerspricht dem Diskurs, den Sie letzthin an anderer Stelle eröffnet haben.
Was würden Sie als Vertreter des größten Bundeslandes im Bundesrat zu diesem Antrag sagen? Ich vermute, Sie würden versuchen, wegzutauchen – das kann der Herr Finanzminister gleich sagen –: besser nichts sagen. Wahrscheinlich ist das ein Schaufensterantrag, der keine Aussicht hat, eine verfassungsändernde Mehrheit zu erhalten, ein Papier zur Ruhigstellung des Koalitionspartners FDP und garantiert folgenlos.
Ich finde, ein so unernster Umgang mit der Verfassung schadet dem Ansehen unseres Landes. Es ist ein großer politischer Fehler, wenn das größte Bundesland angesichts der notwendigen Neuordnung der Finanzbeziehungen, der föderalen Finanzverfassung zur Unzeit isoliert mit einer solchen politischen Hauruck-Position auftritt. Das sollte es nicht tun.
Herr Kollege Klein, ich frage Sie – Sie hören ja aufmerksam zu –: Wie stehen Sie zu dem diametralen Widerspruch zu der am 7. April dieses Jahres von den haushaltspolitischen Sprechern der Landtagsfraktionen von CDU und CSU erhobenen Forderung nach einem Haushaltsnotlagengesetz? – Das setzt nicht die Streichung, sondern sogar die Erweiterung der Ermächtigungsnorm des Art. 115
des Grundgesetzes voraus. Genau das Gegenteil des Antrags hier haben Sie verabredet. Sie müssen hier erst einmal erklären, wie Sie das machen wollen. Auch der Herr Finanzminister wird sich noch bei verschiedenen Gelegenheiten dazu äußern müssen.
Richtig an Ihrem Antrag ist nur, dass die von Ihnen zur Streichung empfohlene Norm 1969 im Zuge der sogenannten Haushaltsreform mit etlichen anderen Artikeln ins Grundgesetz eingefügt wurde. Aber Sie verdrehen in Ihrem Antrag den historisch-politischen Zusammenhang völlig, wenn Sie diese Grundgesetzänderung auf eine posthume Fernsteuerung der deutschen Politik der 60erJahre durch John Maynard Keynes zurückführen. Erstens diskreditieren Sie sich selbst, wenn Sie meinen, Keynes, den Vordenker des New Deal, in der platten Form Ihres Antrags abqualifizieren zu können. Zweitens verkennen Sie die Gründe, die die erste Große Koalition in der alten Bundesrepublik Deutschland 1969 für eine Grundgesetzänderung hatte.
Sie blenden aus, dass es, bei allem innenpolitischen Streit, in der Gründergeneration der jungen deutschen Demokratie einen Konsens gab: Es gab den Konsens, dass man aus den Erfahrungen der Weimarer Republik lernen wollte. Man wollte nicht, wie seinerzeit die Regierung Brüning, den Staat kaputtsparen und die Menschen in die Not und damit zugleich den rechten Rattenfängern in die Arme treiben.
Vielmehr wollte man dazulernen und Möglichkeiten schaffen, dass der Staat auch bei seiner Haushaltspolitik das Gemeinwohl im Auge hat. Man wollte gemeinwohlorientierte öffentliche Aufgabenerfüllung ermöglichen. Man wollte Vorkehrungen treffen, um den Staat auch in Krisensituationen handlungsfähig zu erhalten. Man wollte den handlungsfähigen demokratischen Staat. Die Reform von 1969 war auch eine Antwort auf die erste Rezession Mitte der 60er-Jahre. Zunächst war sie durchaus erfolgreich. Die Kritik setzt, selbst bei Herrn Stahl, erst mit dem ein, was Ende der 70er-Jahre geschah.
Nun haben sich die Zeiten geändert. Deshalb ist es legitim und notwendig, damalige Festlegungen auf ihre Praktikabilität zu überprüfen – aber im Zusammenhang – und sie dort, wo es erforderlich ist, auch zu ändern. Zum Beispiel ging man seinerzeit von geschlossenen Volkswirtschaften aus. Heute leben wir im Zeitalter der Globalisierung, mit entsprechend schwächeren Handlungsmöglichkeiten nationaler und regionaler Regierungen. Damals zog sich der Eiserne Vorhang mitten durch Deutschland. Heute haben wir das Glück,
aber auch die Belastung und die finanzielle Herausforderung durch die deutsche Vereinigung – ganz zu schweigen vom demografischen Wandel, ganz zu schweigen von den größeren Einflussmöglichkeiten und Steuerungsaufgaben Brüssels.
Dazu sollten aus dem größten Bundesland konkrete Vorschläge kommen. Das wäre unsere Aufgabe. Stattdessen eröffnen Sie kurzatmige ideologische Debatten und setzen uns blühenden ökonomischen Unsinn vor.
Ihr Antrag reiht sich damit in die neudeutsche wirtschaftspolitische Rhetorik ein, die Andreas Hoffmann in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 22. September 2006 kürzlich folgendermaßen übertitelte. Er sprach, „...von niemandem in Deutschland wird so schlecht geredet wie von den führenden Wirtschaftsexperten...“.
Er zeigt auf, dass es sich um eine rein ideologische Debatte handelt, die mit Erfahrung und Realität relativ wenig zu tun hat.
Deshalb sollte es uns als Volksvertretern und Ihnen als Regierung darum gehen, die realen Aufgaben und die Probleme der Menschen zu bewältigen. Dafür sind wir gewählt, nicht aber, um solche Debatten zu führen.
Darum muss es gehen: Wie schaffen wir es in Deutschland, und wie schaffen wir es in Nordrhein-Westfalen, die notwendigen öffentlichen Aufgaben zu erfüllen sowie zugleich die Belastungen durch Steuern und Abgaben zu begrenzen und die Kreditaufnahme zumindest im Rahmen der Maastricht-Kriterien zu halten? – Das ist die konkrete Aufgabe, die wir haben.
Ich hoffe, Sie haben aus Bayern ein paar Anregungen dazu mitgebracht. Das, was Sie bisher im Land zu diesem Thema vorgelegt haben, trägt jedenfalls nicht dazu bei. Sie haben kein Konzept dafür vorgelegt. Sie profitieren aktuell von der besseren Konjunktur und von den unpopulären Entscheidungen der Großen Koalition in Berlin. Sie belasten im Land Nordrhein-Westfalen die Kommunen, die Eltern und die nachwachsende Generation.
Das ist bisher Ihre Antwort. Kein eigener Beitrag, keine wirksamen Beiträge zur nachhaltigen Minderung der Staatsverschuldung: Wenn man das auf die Kommunen schiebt, ist das kein nachhaltiger Beitrag. Schon gar nicht ist es ein Beitrag zur Schaffung der Generationengerechtigkeit, wenn man Kinder und Eltern belastet. Genauso wenig
trägt dieser Antrag etwas bei, wenn Sie nur im Grundgesetz herumstreichen wollen, aber keine konstruktiven Alternativen aufzeigen.
Deshalb finden wir den Antrag nicht gut. Aber der Überweisung stimmen wir zu. Dann können wir im Ausschuss noch munter darüber streiten. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Brunn. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Abgeordnete Sagel.
Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Präsident! Ziel der Grünen ist eine nachhaltige Finanzpolitik. Für uns heißt das: Schulden begrenzen und den Haushalt konsolidieren, Arbeitsplätze schaffen und eine soziale und ökologische, das heißt ausgewogene Politik machen.
Herr Stahl, ich kann Ihnen nur sagen: Ihre Definition von sozialer Politik ist abenteuerlich. Das ist eine Farce, was Sie hier heute Morgen von sich gegeben haben.
Was macht die Koalition? CDU und FDP haben nichts Besseres zu tun, als hier eine ideologische Debatte zu führen. Sie reiten eine Attacke auf die keynesianische Wirtschaftspolitik. Man fragt sich: Warum das Ganze? Warum eigentlich?
Die CDU ist doch die Partei der Lebenslügen, die gerade erst durch Ministerpräsident Rüttgers aufgedeckt worden sind. Sie haben gesagt: Steuersenkungen führen nicht automatisch zu mehr Arbeitsplätzen. – Herr Stahl, es ist schon interessant, dass Sie hier heute Morgen von sich geben, Sie hätten jetzt erkannt, dass es kein immerwährendes Wachstum gebe. – Kluge Leute vom Club of Rome haben das schon vor über 20 Jahren festgestellt. Immerhin – herzlichen Glückwunsch! –: Sie haben es heute Morgen auch schon gemerkt.
Offensichtliches Ziel dieser ganzen Debatte heute ist, von Ihren eigenen Verfehlungen abzulenken. Wie sieht Ihre Bilanz des Grauens aus? Ohne Ihr Zutun werden die Steuereinnahmen des Jahres 2007 mit die höchsten in der Geschichte des Landes sein.
Die Einnahmen liegen damit um mehr als 4 Milliarden € über den Einnahmen des Jahres 2001. Doch die Investitionen werden um rund eine halbe Milliarde Euro unter denen des Jahres 2001 liegen. CDU und FDP liegen bei den konsumtiven Ausgaben sogar um 4,5 Milliarden € schlechter als Rot-Grün im Jahr 2001.
Die jüngste Vergangenheit spricht noch eine deutlichere Sprache: Allein gegenüber dem laufenden Haushaltsjahr rechnet sich der Finanzminister eine Verbesserung der Ertragslage bei den Steuermehreinnahmen von 2,14 Milliarden € aus. Die Nettoneuverschuldung reduziert sich aber nur um 1,2 Milliarden €. Schon die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer übersteigen diesen Wert. Über 1 Milliarde € liegen Sie über der Verfassungsgrenze. Sieht man sich einmal Ihre Schuldenbilanz an – mittelfristige Finanzplanung –, dann stellt man fest, dass diese weit über 130 Milliarden € im Jahr 2010 liegen wird. Ist das dann der Staatsbankrott, Herr Linssen? Oder was soll dieser Antrag hier heute Morgen?
Sehr interessant ist auch, was die Ministerpräsidenten Stoiber und Rüttgers hierzu von sich geben. Sie fordern ein effektives Kontroll- und Strafsystem, das die Einhaltung der Haushaltsdisziplin von Bund und Ländern sicherstelle. – Da wird es richtig widersprüchlich, wenn man sich ansieht, was Sie in der Realität in Nordrhein-Westfalen machen.
CDU und FDP haben ihren großartigen Versprechungen aus dem Wahlkampf und ihren zahlreichen Kampfesreden im Plenum und in den Ausschüssen nichts und vor allem keine Taten folgen lassen. An Ihren Taten aber muss man Sie messen. CDU und FDP müssen endlich eingestehen, dass ihr Gerede von der unsoliden Haushaltspolitik von Rot-Grün wie ein Kartenhaus in sich zusammenbricht.
Alle Daten sprechen gegen die jetzige Regierung, egal wie man es dreht. Der Haushalt wird gemessen an den Einnahmesteigerungen nicht schneller reduziert, und das angeblich überbordende Personal wird nicht schneller abgebaut. Im Gegenteil: Ihr Haushaltsentwurf weist mehr Stellen aus als der im Jahr zuvor. Es gibt mehr Beamte. Und es stellt sich heraus, dass ausgerechnet die Bereiche, die wie
CDU und FDP wollen mit der heutigen Aktion, mit diesem Antrag, offensichtlich nur von ihrer eigenen Unfähigkeit ablenken. Vor allem die FDP treibt die CDU vor sich her und versucht, ihr neoliberales Weltbild zu realisieren. Wie lange lässt es sich die CDU eigentlich noch gefallen, dass sie vor den Karren der FDP und von Herrn Papke gespannt wird?
Sie wollen auch noch darüber hinwegtäuschen, dass es sehr wohl Zeiten geben kann, in denen das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört ist. Wie ist es sonst zu bezeichnen, wenn aufgrund gesamtwirtschaftlicher Einflüsse die Einnahmen des Landes um 4,2 Milliarden € einbrechen, wie es im Jahr 2001 geschehen ist? Diese 4,2 Milliarden € entsprechen immerhin gut 11 % der gesamten Steuereinnahmen des Landes.
Im Gegensatz zu Ihnen sehen wir tatsächlich eine Verantwortung des Staates, im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten in das Marktgeschehen einzugreifen, wenn das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht nicht mehr besteht. Es ist aus unserer Sicht sehr wohl Aufgabe des Staates, die Rahmenbedingungen für ein stabiles Preisniveau, einen hohen Beschäftigungsstand, ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht und eine angemessene wirtschaftliche Entwicklung zu sorgen – das, was man gemeinhin als magisches Viereck der Wirtschaftspolitik bezeichnet. Das ist das, was wir als sinnvoll erachten.